Alles, was dir über die Geschichte dieses Kontinents erzählt wird, ist falsch
Steinreiche Könige, aufgeklärte Philosophen und wagemutige Entdecker gab es in Afrika schon lange vor Krösus, Kant und Kolumbus. Dass du davon nichts weißt, hat seine Gründe.
Es war einmal ein Mann, der soll der reichste Mensch gewesen sein, den die Welt jemals gesehen hat. Wenn du ihn dir vorstellst, was siehst du? Einen jung gebliebenen Start-up-Gründer, lässig in Jeans und Sneaker? Einen Industriebaron oder Aristokraten aus dem 19. Jahrhundert? Einen Kaiser oder Sultan, vielleicht sogar den sagenumwobenen
Die wenigsten würden wohl den Namen Musa I. raten, den
Mit großer Sicherheit kann man sagen, dass Musa I. eine der
Gezielter Geschichtsimperialismus
Dass sich Mansa Musas Bekanntheit mit der von König Krösus heutzutage nicht messen kann, ist weder Einzelfall noch Zufall. »Geschichte wird von den Siegern geschrieben«, so der britische Offizier und Premierminister Winston Churchill. Unser heutiges Geschichtsverständnis wurde gezielt entwickelt, um Kolonialismus und Sklavenhandel zu rechtfertigen. Afrikas Geschichte wurde reduziert, verfälscht und angeeignet, um die Dominanz Europas über Afrika zu ermöglichen.
So war Musa I. seinen europäischen Zeitgenossen durchaus ein Begriff. Er wird etwa auf dem Katalanischen Weltatlas, einem Meisterwerk der mittelalterlichen Kartographie, das ca. im Jahr 1375 für den französischen König Karl V. hergestellt wurde, prominent dargestellt und beschrieben.
»Die ersten europäischen Kontakte mit Subsahara-Afrika waren noch von der Suche nach neuen Möglichkeiten geprägt«, erklärt Daouda Keïta, Direktor des malischen Nationalmuseums, bei einem Interview in der malischen Hauptstadt Bamako. Händler aus Portugal und anderen Ländern erkundeten die afrikanische Küste auf der Suche nach Handelspartnern und begegneten den lokalen Herrschern anfangs so, wie sie sich auch an den Höfen europäischer Könige verhalten hätten. Die Könige der afrikanischen Reiche Jolof, Kongo und Mutapa bekamen durch die Könige Portugals etwa eigene Wappen zuerkannt.
Erst die Notwendigkeit, Unterdrückung, Ausbeutung und Sklavenhandel zu rechtfertigen, veränderte die europäische Perspektive auf den Nachbarkontinent.
»Das koloniale Projekt hat ein wenig positives Bild von Afrika produziert«, sagt Salia Malé, Leiter für Forschung des malischen Nationalmuseums. »Das Projekt der Sklaverei und der Kolonialisierung haben im kollektiven Bewusstsein des Westens ein Bild von Afrikanern geschaffen, das die Beziehungen immer noch beeinflusst.«
Sein Chef, Daouda Keïta, stimmt ihm zu: »Die Geschichtsschreibung wird von westlichen Quellen und Interpretationen dominiert. Und die sind entstanden, um die angeblich ›zivilisierende‹ Herrschaft europäischer Missionare und Kolonialverwalter zu rechtfertigen.«
Afrika vor der Kolonialisierung ab dem 17. Jahrhundert als einen »unzivilisierten« Kontinent zu beschreiben und die Europäer als Heilsbringer, das passiert auch heute noch in Deutschland. Von Experten, die es eigentlich besser wissen sollten.
Schlimm waren die Sklaventransporte nach Nordamerika. Auf der anderen Seite hat die Kolonialzeit dazu beigetragen, den Kontinent aus archaischen Strukturen zu lösen.
Schlimmer noch: Dank
1. Die Geschichte Afrikas beginnt nicht mit der Ankunft der Europäer
Kern des kolonialen Mythos war es, dass »Entwicklung« nur unter der führenden Hand weißer Christen möglich war.
Tatsächlich steht die Entwicklung afrikanischer Gesellschaften bis zu Beginn der Kolonialisierung jener in Europa in nichts nach. Machtvolle Königreiche existieren im
In vielen Dingen waren diese afrikanischen Staaten ihren europäischen Zeitgenossen sehr ähnlich, in einigen aber auch voraus. Die Herrscher des Malireichs im 14. und 15. Jahrhundert pflegten beispielsweise große religiöse Toleranz zu einer Zeit, als antisemitische Pogrome in Europa das Leben Tausender Juden forderten. Und der
Alle Menschen sind gleich in der Gegenwart Gottes; und alle sind intelligent, da sie seine Geschöpfe sind; er gewährte nicht einem Volk das Leben, einem anderen den Tod, dem einen Gnade, einem anderen Verurteilung. Unsere Vernunft lehrt uns, dass diese Art der Diskriminierung nicht existieren kann.
Aber auch die weniger hierarchisch organisierten Gesellschaften Afrikas waren entgegen der späteren Interpretation europäischer Kolonialbeamter nicht »primitiv«. Wie die frühe Kolonialisierung zum Zerfall dieser komplexen Gesellschaften beitrug, lässt sich gut durch die
2. Afrikanische Geschichte gehört nach Afrika
Mehr als 90% des materiellen kulturellen Erbes Subsahara-Afrikas ist heute im Besitz von Museen und Sammlungen außerhalb des Kontinents. Rituelle Masken, Schmuck, Alltagsgegenstände:
»Die Extraktion und der Raub von kulturellem Erbe und kulturellem Besitz geht nicht nur jene Generationen etwas an, die an der Plünderung teilnehmen oder unter ihr leiden«, schreiben
Allein die Sammlung des Ethnologischen Museums in Berlin listet mehr als 11.000 Objekte afrikanischen Ursprungs in ihrem
So leiht das malische Nationalmuseum regelmäßig Objekte aus seiner Sammlung an die Bevölkerung aus, wenn sie für religiöse oder kulturelle Praktiken gewünscht werden. Sicher ist dies ein anderer Umgang mit historischen Artefakten, als wir das in Europa gewöhnt sind. Aber es ist nicht zwingend ein schlechterer, vor allem da
3. Ohne Forschung keine Geschichte
»Was wir brauchen, sind neue historische Quellen, die nicht durch koloniale Interpretationen belastet sind. Und afrikanische Historiker, um mit ihnen zu arbeiten«, schlägt Daouda Keïta, Direktor des malischen Nationalmuseums, vor.
Die Erforschung der präkolonialen Geschichte Afrikas geht nur schleppend voran. Afrikanischen Regierungen fehlt das Geld für die Finanzierung von Grabungen und Museen. Die ehemaligen Kolonialmächte wiederum fördern oft lieber die Pflege ihrer eigenen Geschichte auf dem Kontinent.
Wie das aussehen kann, wird bei der Besichtigung des »Fort du Médine« im Westen Malis schnell klar. Die überschaubare Festungsanlage wurde im Jahr 1855 von französischen Kolonialtruppen gebaut und kontrollierte den strategisch wichtigen Oberlauf des Sénégal-Flusses. Über die letzten Jahre wurde die Anlage aufwendig mit Geldern der französischen Regierung restauriert und erstrahlt nun wieder im alten Glanz.
Und dort wird deutlich, welches Narrativ die Geschichte bestimmt. Informationstafeln und Fremdenführer heben den Bau durch den französischen Kolonialgouverneur Louis Faidherbe hervor. Er führte die militärische Unterwerfung Westafrikas an. Nach ihm sind noch heute Straßen in vielen afrikanischen Hauptstädten benannt. Weitere Meilensteine der afrikanischen Geschichte seien auch die Eröffnung der ersten europäischen Schule und des ersten Bahnhofs im heutigen Mali sowie die Einlagerung der französischen Goldreserven während des Zweiten Weltkrieges.
Die afrikanische Perspektive und Erfahrungen, die mit diesem Ort zusammenhängen, finden kaum Erwähnung. Die Belagerung im Jahr 1857 durch
Ähnlich wie beim »Fort du Médine« bleiben auch an vielen anderen historischen Orten auf dem Kontinent afrikanische Perspektiven zweitrangig oder gar ganz unbeachtet. Hinzu kommt die völlig unzureichende Erforschung der vorkolonialen Geschichte des Kontinents. Als von Burgen, Kathedralen und Archiven verwöhnter Europäer kann man darum manchmal den Eindruck bekommen, dass man sich in einer Landschaft ohne historisches Erbe bewegt.
Dieser Eindruck täuscht natürlich. Gründliche Quellenforschung und Feldarbeit bringen mancherorts
Neue Perspektiven für ein neues Verhältnis
»Der Rassismus gegenüber Afrikanern in westlichen Gesellschaften ist heute subtiler als während des Kolonialismus, aber er ist immer noch da«, sagt Salia Malé vom malischen Nationalmuseum. Die Darstellung Afrikas in den westlichen Medien, die Diskussion über den Kontinent in der Politik »ist von Klischees geprägt, die spalten und nicht zusammenführen«.
Die im Kern immer noch kolonialen Denkmuster unserer Gesellschaft schüren heute vor allem Angst und Ablehnung gegenüber unserem Nachbarkontinent. Sie behindern nicht nur afrikanische Gesellschaften bei der Entfaltung ihrer Potenziale. Sie verhindern auch, dass wir voneinander lernen und zusammen nach Lösungen für gemeinsame Probleme suchen. Eine neue Wertschätzung für die Geschichte Afrikas könnte das ändern.
Titelbild: wikicommons - gemeinfrei