Die Masern ausrotten: So geht das auch ohne Impfpflicht
Kindern die Masernimpfung zu verweigern, könnte in Deutschland bald strafbar sein. Das erfüllt seinen Zweck – doch es gibt bessere Maßnahmen.
Alle Eltern sollen sicher sein können, dass ihre Kinder nicht von anderen mit Masern angesteckt und gefährdet werden.
Mit diesem Satz verkündete Gesundheitsminister Jens Spahn Anfang Mai 2019 seinen Gesetzentwurf, der Eltern dazu verpflichten soll, ihre Kinder gegen Masern impfen zu lassen. Weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit signalisierten ihm die Gesundheitsminister der Länder Anfang Juni ihre Zustimmung.
Kommt es jetzt nicht mehr zu unerwarteten Vorkommnissen, drohen Eltern ab dem 1. März 2020 bei einem Verstoß empfindliche Bußgelder von bis zu 2.500 Euro und der
Das Thema genießt im Gesundheitsministerium Priorität. Das liegt in erster Linie an den weiterhin hohen Fallzahlen der potenziell lebensbedrohlichen Krankheit. Im Jahr 2018 erkrankten 544 Menschen,
Dabei könnten die Masern längst ausgerottet sein.
Und genau das will Gesundheitsminister Spahn mit seinem »Masernschutzgesetz« erreichen. Erklärtes Ziel ist es, 95% der Bevölkerung erfolgreich gegen Masern zu immunisieren. Sollte das gelingen, erledigt sich das Thema Masernimpfung im besten Fall von selbst – der Erreger würde schlicht aussterben, wenn er keine Opfer mehr fände.
Aber sind staatliche Vorschriften der richtige Weg? Oder vergiften Zwangsmaßnahmen die Diskussion zwischen Verfechtern der Impfpflicht und Impfgegnern womöglich nur noch weiter?
Impfpflicht – Wo ist das Problem?
Impfgegner gab es schon immer – seit der Entdeckung der Schutzimpfung vor mehr als 200 Jahren. Doch noch nie hatten sie es so einfach, Ängste in der Bevölkerung zu schüren und Unwahrheiten über das Impfen zu verbreiten. Und nie zuvor waren ihre Ängste so unbegründet.
Impfstoffe sind unnatürlich und wirken durch Chemie
Weiter von der Wahrheit entfernt
Tatsächlich simuliert eine Impfung eine echte Infektion, um präventiv Abwehrkräfte auszubilden. Unser Immunsystem »speichert« nach dem kleinen Stich die Informationen über den verabreichten Krankheitserreger und kann dann, falls wir uns wirklich anstecken sollten, die Erreger mithilfe sogenannter Gedächtniszellen blitzschnell abwehren. Das funktioniert so gut, dass der Geimpfte vom Angriff der Übeltäter auf seinen Organismus nicht mal etwas mitbekommt – er wird gar nicht erst krank.
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Infizieren wir uns mit einer Krankheit, reagiert das Immunsystem zunächst mit einer schnellen Eingreiftruppe – den sogenannten Monozyten und Neutrophilen. Diese Immunzellen »fressen« die Krankheitserreger und zerlegen sie systematisch in ihre Einzelteile. Die dadurch gewonnenen Informationen über Struktur und Eigenschaften des Erregers werden zurück an die Einsatzzentrale gegeben, welche nun mit der Ausbildung von Spezialteams beginnt: den B- und T-Lymphozyten.
Wir können uns B- und T-Lymphozyten wie Experten vorstellen, die sich auf nur einen bestimmten Erreger und seine Schwachstellen spezialisiert haben. Bei einer Infektion sind sie in nur wenigen Tagen bereit für ihren Einsatz. Bestimmte Infektionskrankheiten sind allerdings schneller als jeder Lymphozyt – und genau hier kommen Impfungen ins Spiel.
Hat unser Körper eine Infektion nämlich erst einmal überstanden, werden nicht alle Experten direkt wieder entlassen. Einige von ihnen bleiben uns ein Leben lang erhalten und warten von nun an geduldig auf ihren nächsten Einsatz. Kommt es dazu, muss unser Immunsystem keine wertvolle Zeit dafür aufwenden, die Ausbildung von Neuem zu beginnen, sondern kann die bereits vorhandenen Lymphozyten in kürzester Zeit tausendfach kopieren.
Der Preis für diese »Abhärtung« ist, dass auch die Simulation einer Erkrankung nicht völlig risikofrei ist. Immerhin muss der Impfstoff dem echten Erreger genug ähneln, um eine vergleichbare Reaktion im
Schwere Impfnebenwirkungen sind heutzutage die absolute Ausnahme.
Gänzlich auszuschließen sind
Nötig werden die Sprechstunden von Benedikt Brixius, weil beim Impfen heute ein ganz anderes Problem besteht als früher. Und zwar, dass es so gut funktioniert: Würden heute noch Masernepidemien mit Tausenden Erkrankungen grassieren, würde wohl niemand ernsthaft auf die Idee kommen, die Nebenwirkungen einer Impfung mit den Risiken einer echten Infektion zu vergleichen. Gleiches gilt für den Irrglauben, ein Kind müsse solche Krankheiten durchmachen, um eine gute Immunabwehr auszubilden.
Bei Erkrankungen wie den Masern, bei denen das Kind schwerste körperliche Behinderungen davontragen kann – und ich habe solche Fälle selbst erlebt – kann man nicht sagen, diese Krankheit hat dem Kind gutgetan.
In der Wissenschaft gibt es keinen Zweifel daran, dass moderne Impfungen effizient und vor allem sicher sind. Dank ihnen wurden in den 1980er-Jahren die Pocken erfolgreich ausgerottet – und das ist nur ein Beispiel unter vielen. Gleiches könnte auch bei den Masern erreicht werden. Ist eine Impfpflicht daher die einzig logische Konsequenz?
Warum alle von möglichst vielen Geimpften profitieren
Eine Impfpflicht bedeutet einen Eingriff in den persönlichsten Bereich des Menschen, nämlich in seinen Körper – und somit auch in seine körperliche Selbstbestimmung. Umso wichtiger ist es in einem solchen Fall, den Status quo, die Notwendigkeit und mögliche Alternativen zu prüfen.
Die Grundlage dafür sollten diese 3 Fakten sein:
- Hoch ansteckend und gefährlich: Generell gehören die Masern zu den ansteckendsten Erkrankungen überhaupt. Fast jeder Kontakt einer ungeschützten mit einer erkrankten Person führt zur Infektion. Einer von 4 Infizierten muss mit schweren
- Unzureichende Durchimpfung: Momentan sind 93% aller Schulanfänger
- Fehlender Schutz für Neugeborene: Besonders für Säuglinge geht eine große Gefahr von den Erkrankten aus, denn sie können erst ab dem 12. Lebensmonat geimpft werden. Der sogenannte »Nestschutz«, also Antikörper aus dem Blut der Mutter, hält maximal 6 Monate – vorausgesetzt, die Mutter ist selbst geimpft oder hat die Infektion
Masernerkrankungen bedeuten also ein ernstes medizinisches Risiko, das nicht nur die eigene Person und die eigenen Kinder betrifft, sondern auch Menschen um einen herum. Dazu gehören neben Säuglingen auch Menschen, die aufgrund bestimmter Krankheiten oder genetischer Ursachen nicht vor den
Ich finde es nicht in Ordnung, wenn Eltern von Kindern mit Trisomie 21, die häufig ein schwaches Immunsystem haben, sagen: ›Ich kann mein Kind nicht in den Kindergarten geben, weil da ein paar Leute sind, die ihr Kind nicht impfen lassen. Ich will mein Kind nicht gefährden, deshalb muss es zu Hause bleiben.‹ Dann müsste es eher umgekehrt sein. Wenn Eltern ihr Kind nicht impfen lassen wollen, sollten sie damit auch keine anderen Kinder gefährden.
Für manche Menschen ist die Impfung ihrer Mitmenschen also der einzige Schutz vor Infektionskrankheiten, weil ihr eigenes Immunsystem zu schwach ist, um selbst immunisiert zu werden.
Sie sind auf die sogenannte »Herdenimmunität« angewiesen. Dieser Effekt ist vergleichbar mit einem Feuer, dem der Sauerstoff als Grundlage zum Weiterbrennen entzogen wird: Bei einer ausreichend »durchgeimpften« Bevölkerung hat der Masernerreger keine Chance mehr, sich auszubreiten. Denn selbst, wenn einzelne Menschen sich mit der Krankheit infizieren, findet der Erreger keine neuen Wirte in der Umgebung, in denen er weiterexistieren kann.
Das neue Masernschutzgesetz hat dank der vorgesehenen Strafen bei Nichtimpfung gute Chancen, die Impfquoten der Schulanfänger auf die gewünschten 95% zu heben und damit alle Kinder in Deutschland vor einer Maserninfektion und ihren schlimmen Konsequenzen zu bewahren. Dass auch Erzieher, Lehrer und medizinisches Personal in der Impfpflicht eingeschlossen sind, senkt das Risiko eines Ausbruchs in Kitas, Schulen und Krankenhäusern weiter.
Für manche Menschen ist die Impfung ihrer Mitmenschen der einzige Schutz vor Infektionskrankheiten.
So weit zum möglichen Nutzen der Masernimpfpflicht: Die Hoffnung besteht darin, dass die Bevölkerung quasi »von unten« systematisch immunisiert wird, bis der Herdenschutz erreicht ist und die Masern irgendwann ausgerottet sind.
Aber vielleicht ist eine gesetzliche Impfpflicht nicht der einzige – und auch nicht der effizienteste – Weg, dieses Ziel zu erreichen.
Wer genau ist hier eigentlich nicht geimpft?
Das Problem ist: Keiner kennt sich so richtig mit den Fakten aus. Die FDP behauptete beispielsweise in einem Bundesparteitagsbeschluss, dass die Impfquote in Deutschland wieder abnähme und es zuletzt »zu so vielen Masernausbrüchen kam wie
Auch wenn die 95%-Zielmarke noch nicht ganz erreicht ist, steigt die Zahl der Kinder, die gegen Masern geimpft werden,
Das heißt, dass eine gesetzliche Impfpflicht für Kitas und Schulen eben genau die Gruppe nicht erreicht, bei denen die »Impflücke« am größten ist: nämlich die der jungen Erwachsenen. Sie sind es, die beinahe die Hälfte aller
Dass eine Impfpflicht an ihnen komplett vorbeigehen würde, ist nur ein Teil des Problems an dem Konzept: Im schlimmsten Fall könnte der gesetzliche Zwang das Problem sogar noch verschärfen. So legen Studien und
In Bulgarien, einem Land mit 11 vorgeschriebenen Pflichtimpfungen, glauben nur 66,3% der Bevölkerung daran, dass Impfungen sicher sind. Auf der anderen Seite haben Länder ohne Impfpflicht das meiste Vertrauen in die Sicherheit der Impfung, wie Portugal mit 95,1%.
Nur 2 bis 4% der Bevölkerung sind Impfgegner.
Es geht hier also um eine Kosten-Nutzen-Abwägung: Das Lager der Menschen, die Impfungen trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse strikt ablehnen, umfasst schätzungsweise
Gegen die
Das Ziel der Masernausrottung durch eine 95-prozentige Durchimpfungsrate kann aber auch ohne sie erreicht werden.
So kann den Masern auch ohne Impfpflicht der Garaus gemacht werden
Von zentraler Bedeutung ist dafür die Gruppe der »Impfskeptiker«, die vom Wirrwarr der (Des-)Informationen rund ums Thema Impfen zunehmend verunsichert sind. Die oberste Priorität sollte daher sein, sie richtig aufzuklären und organisatorische Hürden aus dem Weg zu räumen.
Würden durch eine gesetzliche Neuregelung ohne Pflicht die richtigen Stellschrauben gedreht, könnte das 95%-Ziel sogar erreicht werden, ohne per Gesetz in den persönlichen Lebensbereich der Menschen eingreifen zu müssen.
Mit diesen 4 Maßnahmen kann es ganz ohne Zwang funktionieren:
- Impfungen in Kitas und Schulen statt in überfüllten Wartezimmern: Die
- Verpflichtende Beratung statt verpflichtender Impfung: Verpflichtende Beratungstermine vor Eintritt in Kitas und Schulen, aber auch Universitäten und Ausbildungsstätten sorgen für Aufklärung in allen relevanten Altersgruppen. Damit würden nicht nur Schulanfänger, sondern auch die wichtige Gruppe der jungen Erwachsenen
- Zentrales Impfregister statt analogem Impfpass: Mit einem
- Widerspruchslösung statt Impfpflicht: Mit einer solchen Regelung wären Bürger verpflichtet, sich gegen die Masern impfen zu lassen und könnten bei Versäumnis bestraft werden. Falls allerdings vor dem Impftermin ein Antrag auf Impfbefreiung eingereicht würde, würde diesem widerspruchslos nachgegeben. So würden die organisatorischen Probleme angegangen, ohne Freiheiten zu beschränken.
Hinweis: In einer früheren Version des Textes war von Morbus Down die Rede, einem Begriff, der fälschlicherweise für das Downsyndrom verwendet wird. Morbus ist das lateinische Wort für Krankheit. Beim Downsyndrom handelt es sich jedoch nicht um eine Krankheit. Richtig ist, dass Menschen mit Downsyndrom häufig anfälliger für Infektionen sind.