Wir sind das Völkerrecht!
Wenn wir die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts meistern wollen, brauchen wir frischen Wind bei den Vereinten Nationen.
»Merkel muss weg«. Alle Sorgen wären hinweggewischt. Krisen, Kriege, Konflikte – für viele Deutsche ist die Schuldfrage geklärt. Sie sind des Systems überdrüssig – und meinen damit entweder die deutsche Regierung oder den deutschen Staat in seiner heutigen Verfassung.
Aber wäre ohne Merkel wirklich alles besser? Als deutsche Bundeskanzlerin endet ihre Kompetenz an der Staatsgrenze. Damit fallen Themen wie Mütterrente, deutscher Atomausstieg oder die Abwrackprämie in ihren Zuständigkeitsbereich. Doch immer mehr Herausforderungen sind internationaler Natur. Terror oder Klimawandel machen nicht vor Staatsgrenzen halt. Auch die weltweite Migration ist bezogen auf ihre Ursachen und ihre Konsequenzen global. Ein Befund, der in einer global vernetzten Welt nicht überrascht. Doch überzeugende internationale Lösungen scheinen oft in weiter Ferne.
Versagt also die Weltgemeinschaft – und damit das Völkerrecht? Und was ist das überhaupt, dieses Völkerrecht?
Völkerrecht? Was ist das überhaupt?
Exkurs: Das Völkerrecht (oder internationales Recht) ist die einzige über den Staaten stehende Rechtsordnung. Während es im Zivilrecht meist um Einzelpersonen oder Unternehmen geht, sind die Akteure im Völkerrecht vor allem Nationalstaaten.
Das bedeutendste Regelwerk im Völkerrecht ist die »Charta der Vereinten Nationen«. Nach den Lehren des Zweiten Weltkrieges entstand sie im Geiste des sogenannten
Die Vereinten Nationen sind jede Mühe wert. Nur sie geben der Hoffnung auf Frieden ein Fundament, das weltweit trägt. Dieses Fundament ist das Völkerrecht, dem sich alle verschrieben haben, die der Gemeinschaft der Völker in den Vereinten Nationen angehören. Das müssen wir erhalten – das ist der Kern der Friedenshoffnung!
Das Völkerrecht steckt voller Verträge – über Themen wie zum Beispiel Fischerei, Betäubungsmittel, Menschenrechte oder auch Weltraumrecht. Für die Einzelstaaten werden diese regelmäßig erst dann verbindlich, wenn sie sie
Daneben gibt es wenige völkerrechtliche Regeln, die auch ohne vertragliche Selbstverpflichtung oder Resolution gelten. Zum Beispiel das Verbot grenzübergreifender Umweltbelastung:
Das Völkerrecht wird außerdem durch zahlreiche sogenannte Prinzipien gestaltet. Das wohl prägendste im modernen Völkerrecht ist das
Wichtigste Institution im Völkerrecht sind die
Die Bilanz des Völkerrechts: Gar nicht so übel
»Als sich die Welt vereint hinter die Millenniums-Entwicklungsziele stellte, entstand die erfolgreichste Armutsbekämpfungs-Bewegung der Geschichte.« – Ban Ki-moon
Keineswegs! Die Liste der Erfolge, die auf völkerrechtliche Kooperation zurückzuführen sind, ist lang. Die
- Hunger: 1990 litten noch etwa 23% aller Menschen an Hunger. Bis 2015 konnte dieser Wert fast halbiert werden (auf 13%) – trotz des parallelen Bevölkerungsanstiegs.
- Kindersterblichkeit: Binnen 2 Jahrzehnten hat sich die Sterblichkeitsrate für unter 5-jährige Kinder ebenfalls mehr als halbiert. Jeden Tag sterben weltweit so 17.000 Kinder weniger – das sind 12 pro Minute.
- Bildung: Der Anteil an Kindern, die von Bildung in einer Primärschule profitieren, ist um etwa zwei Drittel gestiegen.
Inwiefern einzelne Fortschritte tatsächlich erzielt wurden, ist umstritten.
Dass es dennoch – oder gerade deshalb – zu Spannungen zwischen nationalen und völkerrechtlichen Interessen kommen kann, liegt auf der Hand.
Unsere Staatenlenker können es nur falsch machen
Zurück zur Ausgangsfrage: Warum gelingt es (teilweise) so schlecht, globale Probleme zu lösen? Unsere nationalen Entscheidungsträger haben, vereinfacht gesagt, bei grenzübergreifenden Problemen 3 strategische Optionen. Und können bei der Wahl zwischen 1, 2 oder 3 eigentlich nur falsch liegen:
- Option 1: Egoismus, also kompromissloses Verfolgen nationaler Eigeninteressen. Pro: Verstärkt bei einigen Wählern im eigenen Land den Eindruck, eine starke Führungsfigur zu sein, die sich international durchzusetzen weiß. So wirbt der Wahlkampf-Slogan »Make America Great Again« von Donald Trump mit Erfolg vor allem für eine Rückbesinnung auf nationale Interessen. Kontra: Macht in anderen Ländern unbeliebt und stiftet Misstrauen unter Staaten. Fazit:
- Option 2: Altruismus,
- Option 3: Verhandeln, also (im Idealfall) einen möglichst gerechten Interessenausgleich herstellen. Pro: Diplomatischer Königsweg und in der Theorie die überzeugendste Option, eine gerechte und stabile Lösung herbeizuführen. Kontra: Funktioniert gefühlt immer schlechter. Je mehr Verhandlungspartner, desto schwieriger: Beim Klimawandel zum Beispiel verhandeln über 190 Staaten – und keiner möchte am Ende daheim als »Verlierer« dastehen. Fazit: Funktioniert teilweise, dauert aber bisweilen ewig. Erfolg ungewiss.
2 Umstände machen es im 21. Jahrhundert besonders schwierig, globale Probleme zu lösen:
- Die Komplexität gegensätzlicher Interessen und Ansichten. Gute, allseits akzeptierte Lösungen sind bereits in der Theorie schwer zu finden – und in der Praxis erst recht. Daran können wir wenig ändern.
- Das System »Völkerrecht« ist reformbedürftig.
Und das können wir ändern.
Der Gartenschlauch löscht keinen Waldbrand
Nicht nur persönliche Qualitäten eines Entscheidungsträgers geben den Ausschlag, ob eine Lösung gelingt. Auch und vor allem die Qualität des Systems, in dem internationale Probleme gelöst werden können, spielt eine herausragende Rolle.
»Der Völkermord in Ruanda hätte niemals geschehen dürfen. Aber er geschah. Weder das UN-Sekretariat noch der Sicherheitsrat, die Mitgliedstaaten oder die Medien haben den Vorboten dieser Katastrophe genügend Aufmerksamkeit gewidmet.« – Kofi Annan, ehemaliger UN-Generalsekretär
Nationale Anstrengungen können globale Probleme in der Regel nicht allein lösen. Wenn beispielsweise die Bundesregierung mittels Energiewende den Klimawandel im Alleingang bewältigen wollen würde, so wäre das Unfug.
Das Völkerrecht hat aus unterschiedlichen Gründen nicht den besten Ruf. So fragt sich manch einer: »Was geht mich das an?« Auch
Plädoyer für mehr Verbindlichkeit im Völkerrecht
Die Ineffizienz des aktuellen Völkerrechts lässt sich anhand von 2 wesentlichen Kritikpunkten zusammenfassen: Entscheidungen finden und durchsetzen.
- Entscheidungsfindung: Mit mehr als 190 Staaten einen Konsens zu finden, ist eine gewaltige Herausforderung. Selbst für den in wichtigen und dringlichen Fällen zuständigen Sicherheitsrat gilt: Aufgrund der
- Entscheidungsdurchsetzung:
Die Hürden für eine völkerrechtliche Klage (zum Beispiel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH)) sind hoch.
Nach wie vor gilt: (Insbesondere die mächtigeren) Nationalstaaten geben im Völkerrecht den Ton an. Und die denken als Vertreter ihrer Wähler naturgemäß als Erstes an nationale Eigeninteressen, wodurch Entscheidungen erschwert werden. Vor diesem Hintergrund bedeutet ein effektiveres Völkerrecht oft einen Machtverlust der Einzelstaaten. Und ihre Macht geben Staaten äußerst ungern auf. So dümpelt
Dennoch gibt es genug Grund zur Hoffnung. Global wird an all den großen Problemen immerhin gearbeitet. Regeln zum Umweltvölkerrecht beispielsweise sind in den letzten Jahrzehnten explodiert. Und über den genauen Erfolg der oben genannten Millenniumsziele lässt sich zwar streiten. Aber faktisch haben hier völkerrechtliche Bemühungen unter dem Dach der Vereinten Nationen mehr erreicht als jede andere Institution, die wir auf der Welt haben.
Das führt zu der Frage: Was macht eigentlich das PR-Büro der UN? Warum werden diese Erfolge weltweit nicht größer gefeiert? Oder ist Zwischenjubel verboten, solange es noch Arbeit gibt (also immer)?
Lasst uns das Völkerrecht reformieren!
Schon klar – wir beschäftigen uns mehr mit bestehenden als mit gelösten Problemen. Klar ist aber auch: Ein Durchbruch kann bei den grenzübergreifenden Herausforderungen des 21. Jahrhunderts in den meisten Fällen nur in Kooperation mit anderen Staaten, also völkerrechtlich herbeigeführt werden. Nur haben wir auf der Ebene des Völkerrechts noch die beschriebenen Probleme mit der Entscheidungsfindung und -durchsetzung. Wie wäre es also mit einer Reform?
Das Völkerrecht grundlegend zu reformieren, ist ohne Frage bestenfalls eine Herkulesaufgabe, schlimmstenfalls ein Generationen-Projekt. Insbesondere, weil potenzielle Reformen einzelstaatliche Macht einschränken. Doch es gibt in junger Vergangenheit genügend Beispiele, wo genau das bereits passiert ist.
Es geht!
Zusammengefasst bedeutet das Folgendes:
- Immer mehr Antworten liegen im Völkerrecht: Die meisten großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts können nicht mehr allein durch Einzelstaaten gelöst werden, sondern nur mithilfe zwischenstaatlicher Kooperation (also Völkerrecht).
- Das Völkerrecht ist reformbedürftig: Entscheidungsfindung und -durchsetzung im Völkerrecht sind zu ineffektiv. Zu oft setzen sich nationale Egoismen (noch) gegen Kollektivinteressen durch.
- Das Völkerrecht ist reformfähig: Die Vergangenheit zeigt, dass das Völkerrecht reformfähig ist – selbst wenn Reformen bedeuten, dass nationale Einzelstaaten dadurch an Macht einbüßen.
Wem also der Sinn nach Systemkritik steht, der sollte sich zunächst fragen, auf welcher Ebene die jeweiligen Probleme gelöst werden können. Dann gilt es abzuwägen, welches System Adressat der Kritik sein sollte. Die Antwort auf viele unserer Sorgen liegt im Völkerrecht.
Systemkritik? Unbedingt! Aber bitte am jeweils richtigen System.
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