In China lernen sie Deutsch
Viele Chinesen studieren Deutsch, weil Eltern und Staat das so bestimmen. Warum es ihnen trotzdem etwas bringt: Ein Audiobeitrag
Die Fußgängerbrücke war bitter nötig, denn die solarbetriebene Ampel funktionierte nur, wenn die Sonne schien. Die muss sich in Pengshan meistens durch dicken Dunst kämpfen, obwohl die 50.000-Einwohner-Stadt weit genug von der Smog-Hauptstadt Peking entfernt liegt. Bevor es die Brücke gab, war der Weg über die 4-spurige Straße also oft ein Abenteuer.
Wer sie überquert, steht auf dem Campus des Jinjiang College in Pengshan im zentralen Süden Chinas. Ich bin hier, weil ich recherchieren möchte, welchen Stellenwert das Studienfach Deutsch in der chinesischen Provinz hat. Die private Hochschule bietet die Fremdsprachen Englisch und Japanisch an – so weit, so gut. Aber dass als Drittes ausgerechnet Deutsch zur Wahl steht, überrascht mich.
Die akademische Brücke ist stabil
Ich möchte herausfinden: Was haben Studenten in Zentralchina davon, Deutsch zu lernen? Dumm nur, dass ich vor Ort nicht journalistisch tätig werden darf. Das sagte mir das Visazentrum der Volksrepublik China in Frankfurt und bat mich, das noch einmal in einer schriftlichen Erklärung festzuhalten. So gemütlich das Visazentrum mit seinem dicken, weichen Teppich ist, wollte ich mir nicht ausmalen, wie ungemütlich die Behörden werden
Die Anekdote illustriert, dass sich China seiner Vormachtstellung als vielleicht stärkste Nation der Welt durchaus bewusst ist. Dieses Gefühl kommt auch in der Politik und der Wirtschaft an. Umso wichtiger ist es, dass die akademische Brücke zwischen Deutschland und der asiatischen Supermacht stabil bleibt. An Chinas Universitäten ist Deutsch zwar ein Nischenfach, aber ein außerordentlich beliebtes. Und es kann jungen Chinesen zu einer Außenperspektive auf das eigene Land und sein Wertesystem verhelfen.
Auf eben dieses Wertesystem berief sich auch ein chinesischer
Auch die wirtschaftliche Brücke war schon einmal stabiler: Viele europäische Unternehmen finden, dass Geschäftsbeziehungen mit China früher einfacher waren: Fast 60% der gut
7 Millionen Studenten und ein Plan
Auf dem chinesischen Arbeitsmarkt wird es zunehmend enger, seitdem jährlich rund 7 Millionen
In Pengshan studieren etwa 13.000 von ihnen (obgleich ich nach ein paar Schritten auf dem Campus fast glauben könnte, ich sei in einem Elite-Trainingszentrum für Basketball gelandet; jedenfalls sind die gut 20 Spielfelder ständig belegt). Der Sport ist als Ausgleich bei den Studenten sehr beliebt. Hinter den Spielfeldern beginnen in einer langen Reihe die Wohnheime – schmucklose Zweckbauten, die nach 1960er-Jahren aussehen, aber keine 10 Jahre alt sind. Im Personal-Flügel hängen Automaten, an denen die Bewohner ab und zu ein paar Yuan für Strom und Wasser einwerfen. Die Bedienungsanleitung gibt es neben Chinesisch, Englisch, Japanisch auch auf Deutsch zu lesen.
Damit sich die Spezialisierung der Absolventen mit dem tatsächlichen Bedarf auf dem Arbeitsmarkt deckt, legen in China 5-Jahres-Pläne fest, wie viele Studenten welches Fach belegen sollen. Das funktioniert über veränderliche Punktelisten: Je geringer der Bedarf an Absolventen eines Faches, desto höher die Punktzahl, die ein Studieninteressierter erreichen muss, um das Fach studieren zu dürfen. Auch der Ruf einer Hochschule treibt die Punkte nach oben – ein Fach wie Germanistik erreicht also an den landesweit 2.845
Um diese Punktzahl geht es bei der chinesischen Abiturprüfung, dem Gaokao. Der Druck auf die etwa 18-jährigen Schüler ist enorm: Jeder kämpft in dieser zentralisierten Prüfung um seine persönliche Punktzahl – und jeder will an einer möglichst renommierten Hochschule studieren. Welches Fach, steht oft erst an zweiter Stelle. Der Vizedirektor des Deutsch-Chinesischen
Wer in China Germanistik studiert, tut das also nicht zwangsläufig aus Interesse und Begeisterung für das Fach – es werden jedoch mehr, die sich gezielt für Deutsch entscheiden. An Elite-Unis wie der Fremdsprachen-Universität Peking (BFSU) ist das schon länger so, weiß Patrick Kühnel, der dort 5 Jahre lang unterrichtet hat: »Die sind immer mehr nach Deutschland hin orientiert. Hier in Shanghai ist das ganz anders, die Tongji-Universität ist eine technische Universität, in Ingenieurwissenschaften stark, teilweise sogar Weltspitze.«
In Shanghai und den anderen Metropolen an der Küste wird international gehandelt und so ein großer Teil des chinesischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet. Weiter im Landesinneren, zum Beispiel Richtung Himalaya oder in der Inneren Mongolei, ist China oft ländlich und ärmlich. Pengshan liegt in der Provinz
Mir fällt am Jinjiang College auf, dass der Unterricht verschulter ist als an deutschen Unis: Es findet grundsätzlich Frontalunterricht statt; Seminare, in denen diskutiert wird, gibt es kaum. Das führt dazu, dass die Studenten Deutsch wesentlich besser lesen und schreiben als sprechen können. Zusätzlich zu den gewählten Fächern müssen sie auch eine Art Studium Generale belegen, das Kurse wie Englisch, Sport, EDV, Geschichte der Neuzeit und Maoismus umfasst. Die verpflichtenden Kurse gehen auch in die Endnote ein.
Fotoshow zum Durchklicken: Die Metropole Chengdu, Provinzhauptstadt von Sichuan – Quelle: David Ehl copyright
Freies Internet? Nicht immer
Patrick Kühnel von der Tongji-Universität in Shanghai sagt: »Die Jahrgänge 1-4 sind sehr streng durchstrukturiert, da gibt es einen ganz festen Lehrplan. Wenn man ein Auslandssemester macht, dann muss man nachweisen, dass man Kurse gemacht hat, die dem entsprechen, damit man nicht zurückfällt. Das ist ein bisschen wie in der Schule.«
Der Deutsch-Unterricht bricht manchmal mit dieser starren, schulischen Haltung an den Hochschulen: Wenn Lektoren wie Patrick Kühnel aus Deutschland kommen, bringen sie oft auch didaktische Konzepte aus der Heimat mit. Er fühle sich nicht eingeschränkt, sagt Patrick Kühnel. Im Großen und Ganzen gelte das auch für die Zensur. Als 2010 der chinesische Systemkritiker Liu Xiaobo mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, wollte ein Student darüber ein Referat halten. Kühnel wandelte das Thema zu Nobelpreisträgern im Allgemeinen um. In einer anderen Klasse sorgte Liu Xiaobo jedoch für Ärger, erinnert sich Patrick Kühnel:
Ein Kollege hat erzählt, da ist nur dieser Name gefallen und der wurde dann tatsächlich zum Dekan zitiert und da wurde dann gesagt, wenn das noch mal passiert, ist er seinen Job los. In jeder Klasse sitzen natürlich auch Parteistudierende dabei, die in der Partei sind und die Überwachungsfunktion übernehmen.
Die Zensur ist nicht nur in den Lehrveranstaltungen allgegenwärtig, sondern auch in der Recherche für Hausarbeiten. Germanistik ist eines der Fächer, in denen die Studenten manchmal mit den in China verfügbaren Internetseiten nicht auskommen. Viele Studenten behelfen sich mit VPN-Clients, also Programmen, die die IP-Adresse des Benutzers über andere Länder umleiten und verschleiern.
Wer sich in China für eine Fremdsprache wie Deutsch einschreibt, lernt also dabei auch etwas
Bei meiner Recherche habe ich mit mehreren Studenten bei WeChat getextet. Eine von ihnen schrieb, sie sei gerade in Deutschland: Sie macht einen Bundesfreiwilligendienst in einer Jugendherberge in Hessen.
Diese Recherche wurde gefördert mit einem
Titelbild: David Ehl - copyright