Lass deiner Wut freien Lauf!
Denn um ihre konstruktive Kraft zu nutzen, musst du deine Wut erst mal zulassen.
Mit quietschenden Reifen bleibt das Auto direkt vor meinem Fahrrad stehen. »Bist du gestört, oder was?«, schreit mich der Fahrer des Wagens an. »Das ist eine Einbahnstraße!« Ich bekomme Herzrasen und überlege blitzschnell. Mist, er könnte Recht haben. Auch wenn ich am liebsten zurückbrüllen würde, biege ich brav ab und fahre auf dem Gehweg weiter. Der Klügere gibt nach, denke ich – und ich habe gelernt, dass es wichtig ist, auch zu wütenden Menschen höflich zu sein.
Einige Meter weiter kommt mir auf dem Bürgersteig ein älteres Ehepaar entgegen. »Also, das geht ja gar nicht!«, geifert die Frau. Der Mann bekommt einen hochroten Kopf und fährt mich an. »Runter vom Bürgersteig. Das ist kein Fahrradweg!« Jetzt explodiere ich – zumindest für meine Verhältnisse – und sage laut: »Ist mir doch egal!« Der Typ beginnt mich mit Worten zu beschimpfen, die ich hier nicht wiedergeben möchte, während ich an ihm vorbeifahre. Danach koche ich vor Wut und brauche bestimmt eine Stunde, um mich zu beruhigen.
Wut löst etwas in uns aus. Nicht nur im Straßenverkehr, sondern auch bei politischen Diskussionen, die sich täglich in den Medien und im Netz abspielen. Wenn ich dort sehe, wie sich Menschen aufschaukeln und eine Beleidigung die andere ergibt, bekomme ich Angst. Ich will nicht so unkontrolliert reagieren – und verdränge deshalb oft dieses lodernde Gefühl.
Aber ist das gut?
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily