Der Mensch, so hat es der Hirnforscher Ernst Pöppel einmal ausgerechnet, steht – also alle paar Sekunden. Die meisten dieser Entscheidungen treffen wir Andere Entscheidungen sind leicht zu treffen, weil wenig von ihnen abhängt. Ob ich das schwarze oder das blaue T-Shirt anziehe, gibt meinem Leben keine größere Wendung.
Doch manchmal ist es schwierig, sich festzulegen. Besonders dann, wenn wir vor wichtigen Wegmarken im Leben stehen: Möchte ich eine Ausbildung beginnen oder studieren? Welcher Beruf passt zu mir? Und welche Stadt? Kündige oder bleibe ich? Ist mein Partner der richtige oder gehe ich? Fange ich noch einmal ganz neu an oder akzeptiere ich, wie es ist?
Bei solchen wegweisenden Entscheidungen spricht meistens vieles dafür und auch dagegen. Deshalb sind sie ja so schwierig. Das Grübeln beginnt – und manchmal hört es nicht auf.
Gut, wenn man auf Menschen trifft, die wissen, wie man gute Entscheidungen fällt. Ich habe Heiner Holzhüter und Sandra Kola Sandra Kola ist agiler Coach, also Expertin für Veränderungsprozesse in Unternehmen. Heiner Holzhüter arbeitet als Lufthansa-Pilot. Ein Beruf, in dem oft unter Zeitdruck die richtigen Entscheidungen getroffen werden
Beide haben sich intensiv mit der Psychologie der Entscheidung auseinandergesetzt und verraten mir einige interessante Funde aus ihrer Arbeit. Etwa, dass wir in dunkleren Umgebungen bessere Entscheidungen treffen. Dass Stress zu riskanteren Entscheidungen führt. denn Ärger macht Entscheidungen rationaler, weil er den »confirmation bias« außer Kraft
Auch hohe Boni sollen zu besseren Entscheidungen beitragen, weil sie zu einem höheren Verantwortungsbewusstsein führen. Was angeblich sonst noch hilft: eine volle Blase. Und: hinstellen. sagt Sandra Kola.
Aber wie finden wir überhaupt heraus, was eine gute Entscheidung ausmacht? Und wenn Stehen, eine volle Blase und die Bonuszahlung auch nicht helfen, um eine wichtige Entscheidung zu treffen – was dann?
Gibt es eine »richtige« Entscheidung?
Vielleicht könnt ihr mir helfen. Ich denke gerade darüber nach, ob ich mit meiner Familie in der Großstadt bleiben oder aufs Land ziehen soll. Für beides finde ich gute Gründe, das macht die Wahl nicht leichter.
Heiner Holzhüter:
Das ist eine schwierige Entscheidung, weil es objektiv keine beste Wahl gibt. Es muss richtig für dich sein. Es kann dir völlig wurscht sein, wenn die anderen sagen: »Bist du bescheuert? Auf dem Land, da gibt’s doch nichts, da ist kein Bäcker und das Grundstück wirst du auch nie wieder los. Ist doch total daneben.« Da sagst du: »Ist mir egal. Ich will die Ruhe, ich will, dass mein Kind Platz zum Spielen hat, und deswegen ist es für mich das Richtige. Ihr könnt das alles für bescheuert halten, ich mache es trotzdem, weil es zu meinen Werten, meinen Prinzipien passt.«
Aber wie lege ich Prioritäten fest? Wie erkenne ich, ob Naturverbundenheit schwerer wiegt als ein gutes Gesundheitsangebot für meine Kinder?
Heiner Holzhüter:
Es gibt Werte, zum Beispiel Naturverbundenheit, die sich nicht in wissenschaftlichen Kennzahlen ausdrücken lassen. Aber es gibt auch Fakten, die die ein oder andere Entscheidung untermauern. Es kann helfen, solche Fakten mit einer Liste aufzudröseln.
Heiner Holzhüter ist Pilot bei der Lufthansa.
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Quelle:
Stefan Boes
Ich würde außerdem stark darauf setzen, in den Dialog mit Menschen zu gehen, die mich gut kennen, und versuchen, ihnen die Situation zu schildern. Oft kommt dann heraus, wie du das selbst färbst, wenn du es erzählst. Welche Faktoren du betonst und welche weniger. Freunde können dabei gut heraushören, was dir wichtig ist, und dir das dann spiegeln.
Die Entscheidung trägt man also bereits in sich.
Sandra Kola:
Ja. Man muss sie nur erkennen. Manchmal dauert das seine Zeit. Irgendwann hat sich eine Entscheidung dann gesetzt.
Entscheidungen, die Zeit haben, laden auch zum Grübeln und Zerreden ein.
Sandra Kola:
Irgendwann muss man aber eine Entscheidung treffen. Sonst treffen sie sich von selbst, weil Optionen mit der Zeit wieder verschwinden. Und wenn eine Entscheidung falsch war, kann man sie später noch einmal korrigieren. Man lernt aus falschen Entscheidungen.
Sandra Kola berät Unternehmen bei Veränderungsprozessen.
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Quelle:
Stefan Boes
Heiner Holzhüter:
Wenn du Dinge einfach geschehen lässt, wirst du unzufrieden darüber sein, dass dir eine vorhandene Möglichkeit einfach durch die Lappen gegangen ist.
Aber wir versuchen doch, aus der Fülle der Möglichkeiten die beste auszuwählen, um bloß keine Chance ungenutzt zu lassen. Ist es der falsche Ansatz, die allerbeste Entscheidung treffen zu wollen?
Heiner Holzhüter:
Ja. Die Vielzahl an Optionen ist eine Art der Versklavung. Früher gab es eine Jeans, die hat dir nicht gepasst. Du hast sie 18-mal gewaschen und getragen und dann war es okay. Jetzt gehst du in den Laden, es gibt Millionen Jeans. Und wenn du rausgehst und die Jeans ist nicht perfekt, dann gibt es keinen, den du dafür zur Verantwortung ziehen kannst, als dich selbst. Du hast es verkackt. Du hast nicht die beste Option gefunden. Du bist schuld, denn du hättest das Optimum finden können. »Es bringt uns längst keinen Gewinn mehr, noch mehr Optionen zu haben.« – Heiner Holzhüter, Pilot und Coach
Ähnlich ist das bei der Partnerwahl: Früher kannte man 5 Leute auf dem Dorf. Da hast du dir den Besten rausgesucht und gut ist. Bei Tinder beispielsweise hast du heute unendliche Möglichkeiten. Wenn du immer weiter swipst, ist ja vielleicht noch jemand Besseres dabei. Das führt zu einer Lähmung. Es bringt uns längst keinen Gewinn mehr, noch mehr Optionen zu haben. Wir sind an einem Punkt, an dem die Optionen uns mehr Leid bringen als Gutes.
Diese Position vertritt auch der Psychologe Barry Schwartz in seinen Arbeiten zum Er sagt: Ich bin zufriedener, wenn ich weniger Wahlmöglichkeiten habe. Die zusätzlichen Optionen geben mir keine Freiheit, sondern schränken mich ein. Ist es also manchmal besser, eine Wahl zu treffen, die sich gar nicht nach der perfekten Lösung anfühlt?
Sandra Kola:
Ja. Die beste Option muss sich nicht sofort am besten anfühlen. Gerade wenn es um schwierige Entscheidungen geht und wir viel Gegenwind bekommen. Trotzdem sollten wir uns selbst vertrauen.
Heiner Holzhüter:
Die perfekte Entscheidung ist in den meisten Fällen eine Fata Morgana. Man jagt ihr ewig nach und findet sie nicht. Zu viele Optionen führen einen auf Abwege und kosten außerdem viel Zeit. Es gibt so viele Entscheidungen, die wir fällen und bei denen wir die Alternativen gar nicht kennen. Trotzdem sind wir happy.
In diesem Video spricht Heiner Holzhüter über Entscheidungsmodelle für kritische Lebensfragen.
Sandra Kola:
Manchmal sieht man erst nach Jahren das Ergebnis einer Entscheidung. Daher sind manche Entscheidungen wie eine Wette. Und erst im Rückblick sieht man, wie etwas gelaufen ist. Getroffene Entscheidungen sind Erfahrungswissen. Dieses Wissen stärkt die Intuition – eine wichtige Voraussetzung für gute Entscheidungen.
Wie lässt sich die eigene Intuition verbessern?
Heiner Holzhüter:
Die Intuition trainiert sich selbst. Man kann vor allem trainieren, darauf zu hören. Wenn man noch nicht so geübt darin ist, die eigene Intuition überhaupt wahrzunehmen, hilft es oft, eine Münze zu werfen und sich, während sie fliegt, zu fragen, welchen Ausgang man sich denn wünschen würde. Genau das ist die Stimme der Intuition.
Hier findest du die beiden anderen aktuellen Dailys:
Kennst du auch das Gefühl, 1.000 Dinge tun zu wollen – oder zu müssen? Wie nutzt du die Zeit, die du hast? Stefan geht aus soziologischer Perspektive der Frage nach, wie eine neue Zeitkultur aussehen kann – und wie wir Zeit gestalten können, ohne immer nur hinterherzurennen. Dazu gehört auch die Frage, wie die Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Privatleben gelingen kann.