Du möchtest weniger arbeiten, aber trotzdem Karriere machen? Mit diesem Modell könnte es klappen
Wer seine Arbeitszeit reduziert, verspielt damit oft auch berufliche Chancen. Doch dank einer alten Idee, die Unternehmen gerade wiederentdecken, könnte sich das ändern.
Thomas Angerstein, 52, und Christof Lieber, 36, sind Manager bei SAP. Beides Männer, die hausintern Karriere gemacht haben. Seit 2015 tragen sie Verantwortung für ein 30-köpfiges Team. »Head of Mission Critical Support« steht in ihren Jobprofilen. SAP ist einer der weltweit größten Softwarehersteller. Wenn bei einem Kunden technische Probleme auftauchen und ganze Produktionsketten in Gefahr geraten, sind die IT-Spezialisten aus dem Krisenteam zur Stelle. Ein Vollzeitjob, der hohen Einsatz und starke Nerven verlangt.
So weit, so normal. Und doch ist bei ihnen einiges anders. Denn mit dem Bild des Chefs, der allein die Fäden in der Hand hält und das am besten 80 Stunden in der Woche, können Thomas Angerstein und Christof Lieber wenig anfangen. Die beiden Manager, die sich lange kennen und gut verstehen, teilen sich eine Stelle. Vor 4 Jahren haben sie das erste Tandem bei SAP gebildet. Sie nennen das auch »Co-leadership«: ein Chefposten, aber 2 Menschen, die ihn ausfüllen.
Die beiden Manager betrachten sich als Counterparts. Allerdings nicht im Sinne konkurrierender Gegenspieler im Kampf um mehr Einfluss in ihrer Abteilung. Sie sehen sich als Partner auf Augenhöhe. »Tandems erfordern eine gute Abstimmung. Dass wir uns dafür jeden Tag 30 Minuten Zeit nehmen, ist aber kein Nachteil des Modells. Die Zeit ist extrem wertvoll«, sagt Christof Lieber, der erstmals eine Führungsposition übernommen hat. Thomas Angerstein kannte die Rolle des Chefs bereits. Eigentlich wollte er sie gar nicht mehr haben. Die Chance, ein Führungstandem zu bilden, habe ihn aber neu nachdenken lassen, erzählt er. »Es gibt mir die Gelegenheit, wieder stärker im Tagesgeschäft mitzuwirken. Das hat mir in meiner früheren Managerrolle gefehlt.«
Jobsharing
Jobsharing bedeutet, dass sich 2 oder mehr Personen eine Stelle teilen. Die Aufteilung kann variieren. Klassisch ist die Aufteilung 50:50. Aber auch Aufteilungen im Verhältnis 40:60 oder 30:70 sind üblich. Der Umfang kann aber auch eine 100%-Stelle übersteigen, etwa dann, wenn Führungspositionen eine höhere Arbeitszeit erfordern. Dann gibt es auch die Möglichkeit, dass beide Tandempartner jeweils eine volle Stelle mit 40 Stunden besetzen.
Die Idee, sich eine Stelle zu teilen, klingt nach einer einfachen Lösung für Probleme, die immer wiederkehren. Viele Beschäftigte können oder wollen keine 60 oder 80 Stunden arbeiten,
»Tandems sind dann sinnvoll, wenn eine Aufgabe zu groß für eine Person ist. Oder dann, wenn jemand nicht in Vollzeit arbeiten kann oder möchte«, sagt Christof Lieber. Letztendlich gewinnen alle Seiten: das Unternehmen, das eine Stelle voll besetzen kann und dabei von den Kompetenzen gleich zweier Menschen profitiert. Die wiederum sind zufriedener, weil sie ihre Arbeitszeit reduzieren können. So haben sie mehr Zeit für Hobbys und Erholung. Und die Familienangehörigen freuen sich über die gewonnene gemeinsame Zeit.
Wer weniger arbeitet, ist besser organisiert
Jana Tepe, 32, hat einen nicht unwesentlichen Anteil daran, dass große Konzerne wie SAP angefangen haben, Tandems zu bilden und Führungspositionen zu teilen. Gemeinsam mit Anna Kaiser hat sie 2013 das Start-up
Damals arbeiteten beide in einem Personalberatungsunternehmen. In einem der letzten Bewerbungsgespräche, das Jana Tepe dort führte, saßen gleich 2 Bewerber in ihrem Büro. Sie konkurrierten nicht, sondern wollten die Stelle teilen und hatten sehr konkrete Vorstellungen davon, wie sie das umsetzen wollten. Als Jana Tepe nach dem Gespräch das Büro verließ, traf sie im Flur ihre Kollegin Anna Kaiser. Sie erzählte ihr von der ungewöhnlichen Bewerbung. 2 Tage später kündigten beide. Sie hatten eine Idee: die Gründung einer Jobsharing-Plattform.

Genau wie die Leitung eines Krisenmanager-Teams bei einem weltweit aktiven Konzern ist auch die Geschäftsführung eines neuen Start-ups keine Aufgabe, die man in 40 Stunden bewältigen kann. Gründung verlangt bedingungslosen Einsatz. »Das schafft eine Person nicht allein«, sagt Jana Tepe. Dann also doch eine Bedingung: Sie teilen sich die Geschäftsführung und arbeiten beide nicht länger als 40 Stunden.
»Eine kürzere Arbeitszeit erfordert mehr Disziplin und Verbindlichkeit.« – Jana Tepe, Geschäftsführerin »Tandemploy«
So handhaben sie es bis heute. 6 Jahre nach der Gründung ist aus dem Start-up ein erfolgreiches Software-Unternehmen geworden. Es ist inzwischen weit mehr als eine Jobsharing-Plattform. Tandemploy unterstützt andere Firmen mit einer selbst entwickelten Software dabei, Wissensaustausch
Das bedeutet auch: Alte Gewissheiten werden hinterfragt. Zum Beispiel die, dass man mindestens 40 Stunden arbeiten muss, um im Job etwas bewegen zu können. Bei Tandemploy existiert die 40-Stunden-Woche nicht mehr. Wo Teams besser kooperieren und Tandems Aufgaben teilen, verliert Arbeitszeit an Bedeutung.
Viele Angestellte bei Tandemploy arbeiten weniger als 40 Stunden. Vollzeit und Teilzeit sind Begriffe, die Jana Tepe ohnehin selten benutzt. Sie spricht lieber von Aufgaben, Modellen und Kollaboration. Die Arbeitszeit richtet sich nicht nach starren Zeitfenstern, sondern nach den Job-Inhalten. Viele Mitarbeiter arbeiten nur so viel, wie in 15, 30 oder maximal 40 Stunden passt. Wer ein höheres Arbeitspensum hat, zum Beispiel weil er eine Leitungsfunktion hat, bildet Tandems oder Teams, die die Aufgaben
Jana Tepe sieht keinen Nachteil darin, wenn ihre Mitarbeiter Stunden reduzieren. Im Gegenteil: »Das erfordert mehr Disziplin und Verbindlichkeit. Wer weniger arbeitet, ist besser organisiert und produktiver.« In anderen Firmen führt eine abwesende Person nicht selten zu verärgerten Kollegen, liegenbleibenden Aufgaben und im ungünstigsten Fall zu panischen Anrufen. Das ist bei Tandemploy anders. »Wer sich für eine 4-Tage-Woche entschieden hat und freitags nicht da ist, fragt sich am Donnerstagabend: Was könnten die anderen noch von mir wollen?«, sagt Jana Tepe. Ist alles geklärt, fällt das Fehlen eines Mitarbeiters nicht negativ ins Gewicht.
Ohne geteilte Werte geht es nicht
Jobsharing wird häufig als innovatives Konzept beschrieben, das aber eher ein Randphänomen darstellt. Dabei ist das Modell weder neu noch eine Ausnahme. Bereits in den 80er-Jahren fingen deutsche Unternehmen an, Arbeitsplätze zu teilen. Schon damals wurde diese aus den USA stammende Idee als Jobsharing bezeichnet.
»Es gibt keine offiziellen Statistiken, wie viele Tandems es in Deutschland gibt. Aber aus unserer Arbeit wissen wir, dass es viel mehr Unternehmen machen, als man denkt«, sagt Esther Himmen. In ihrer 2018 veröffentlichten Studie »Topsharing« hat sie das Interesse an Jobsharing auf Führungsebene untersucht. Und dabei festgestellt: Tandems existieren branchenübergreifend und auf allen Hierarchiestufen – und das Interesse wächst.
Konzerne wie SAP, Bosch, Daimler und Beiersdorf haben Tandem-Modelle schon vor langer Zeit eingeführt. »Wir wissen, dass sich unsere Kolleginnen und Kollegen ein besonders hohes Maß an Flexibilität wünschen«, sagt SAP-Sprecher Björn Emde. Diesem Bedürfnis wolle man entsprechen. Tandems sind bei dem Software-Konzern mit fast 100.000 Mitarbeitern längst etabliert.
»Jobsharing befindet sich in einem Aufwärtstrend«, sagt Esther Himmen. Sie arbeitet mit ihrer Tandempartnerin Katharina Wiench
Mit Jobsharing aus der »Teilzeitfalle«
Die Beispiele zeigen: In vielen Unternehmen findet gerade ein Kulturwandel statt, der dazu führt, dass Karrierechancen nicht mehr vom Arbeitszeitmodell abhängig sind. »Jobsharing ist kein Allheilmittel und nicht für jeden geeignet. Aber es bietet einen möglichen Ausweg aus der Teilzeitfalle«, sagt Esther Himmen. Denn wenn Präsenz und lange Arbeitszeiten nicht mehr die entscheidenden Faktoren für beruflichen Erfolg sind, können auch diejenigen Karriere machen, die weniger Stunden arbeiten als der Durchschnitt.
»Karriere machen bedeutet für mich, etwas zu tun, das ich gerne tue, das mir sinnvoll erscheint.« – Jana Tepe, Geschäftsführerin »Tandemploy«
Tandemploy-Gründerin Jana Tepe hat ohnehin ein anderes Verständnis von Erfolg. »Karriere bedeutet für mich nicht der klassische Aufstieg in der Hierarchie eines Unternehmens. Für mich bedeutet es vielmehr, etwas zu tun, das ich gerne tue, das mir sinnvoll erscheint und das mir die Möglichkeit gibt, gemeinsam mit anderen an Lösungen zu arbeiten.« Bei Tandemploy gelingt ihr das, ohne sich für den Beruf aufzuopfern. Sie ist schließlich nicht nur Geschäftsführerin und Botschafterin der Jobsharing-Idee, sondern seit vergangenem Sommer auch Mutter. Kind und Karriere, bei ihr
Auch Thomas Angerstein hat als Vater eines 8-jährigen Sohns ein großes Interesse daran, sein Leben
Um die Idee des Tandems weiter in diese Arbeitswelt zu tragen, braucht es dann aber vielleicht doch noch ein paar Alleinherrscher, die bereit sind, Macht zu teilen. Jana Tepe und Anna Kaiser, Thomas Angerstein und Christof Lieber, Esther Himmen und Katharina Wiench zeigen: Es lohnt sich.
Dieser Text ist Teil unserer Serie »So arbeiten wir 2029«.
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily