Warum wir immer mehr Allergien haben – und was wir dagegen tun können
Allergien haben in den Industrienationen stark zugenommen – und ein Ende ist nicht in Sicht. Woher kommt diese Zivilisationskrankheit und wie können wir sie aufhalten?
Ich bin Allergiker, seit ich denken kann. Und zwar gegen alles, was mit Pollen um sich wirft. Schon in der Schulzeit störte ich regelmäßig den Unterricht durch minutenlange Niesanfälle – zur großen Belustigung meiner Mitschüler. Damals war ich der Einzige, der so die Aufmerksamkeit auf sich zog; heute sieht das anders aus.
Seit den 70er-Jahren ist die
Weltweit sind Allergien im Aufwärtstrend, besonders jedoch in den Industrienationen. Schuld daran ist unser moderner Lebensstil. Doch woher genau kommt der sprunghafte Anstieg der
Allergien haben viele Ursachen
Im Rückblick ist es nicht verwunderlich, dass ich eine Pollenallergie gegen sämtliches blühendes Unkraut entwickelt habe. Zunächst ist ein Elternteil von mir ebenfalls
All diese Faktoren allein reichen aber nicht aus, um eine Allergie auszulösen. Ihre Entstehung ist ein komplexes Zusammenspiel von Genen und Umwelt, wobei bisher weder ein »Allergien-Gen« noch ein spezieller Umweltfaktor gefunden wurde. Wir wissen nur, dass das Immunsystem normalerweise harmlose Umweltstoffe, etwa Pflanzenpollen, fälschlicherweise als schädlich wahrnimmt und mit einer überschießenden Abwehr reagiert. Diese – von unserem Immunsystem eigentlich gut gemeinte – Abwehr spüren wir dann als allergische Reaktion. Sie äußert sich meistens in Augenjucken, Atembeschwerden oder Hautausschlägen. Wenn ein eigentlich harmloser Umweltstoff eine Allergie auslöst, nennen Mediziner ihn »Allergen«.
Vergleichen lässt sich die allergische Reaktion mit einem stressigen Arbeitstag. Jeder kennt die Tage, an denen wir schon morgens mit dem falschen Fuß aus dem Bett steigen. Das Risiko, abends total gestresst nach Hause zu kommen, ist höher als an anderen Tagen. Während wir also aus dem Bett purzeln, stoßen wir zum Beispiel mit dem kleinen Zeh gegen den Bettpfosten. Der erste Ärger kocht in uns hoch. Fällt uns dann beim Verlassen des Hauses auf, dass der Fahrradreifen schon wieder einen Platten hat und wir zum Bus hetzen müssen, um noch rechtzeitig ins Büro zu kommen, steigt der Stresspegel schon vor der Arbeit auf ein hohes Level. Wenn uns an diesem Tag auch noch unser Chef wegen einer Nichtigkeit anbrüllt oder wir in einen Streit mit einem Kollegen geraten, läuft das Fass schließlich über und wir explodieren: die »anaphylaktische Reaktion« tritt ein.
Hätte uns die Standpauke vom Chef an den meisten Tagen kaltgelassen, reagieren wir in diesem Moment über. Dafür ist eine Vielzahl von Faktoren verantwortlich. Und so ist es auch bei der Allergie. Nur dass diese, haben wir sie einmal entwickelt, leider nicht nach einer Mütze Schlaf wieder verschwindet.
Ein traditioneller Lebensstil schützt vor Allergien
Dass die hohen Allergieraten mit unserem modernen Lebenswandel zu tun haben, legt das beeindruckende Ergebnis einer
Es gibt einen entscheidenden Unterschied, den die Forscher im Verdacht haben, für die ungleiche Verteilung der Allergiepatienten verantwortlich zu sein: die Viehzucht. Während die Hutterer mit moderner Technik arbeiten und Viehställe und Wohnungen klar voneinander getrennt sind, leben die Amischen – wie vor 500 Jahren – mit Kuh und Schwein unter einem Dach. Sie wirtschaften ohne Maschinen, ohne Technik, ohne Distanz zu den
Es ist also das traditionelle Bauernhofleben, das vor Allergien schützen kann, während das moderne Leben einen Haufen schädigender Faktoren mit sich bringt. Es bleibt nun die Frage: Welche Faktoren sind es, die den modern lebenden Menschen zum Allergiker prädestinieren?
Umweltschadstoffe haben Einfluss auf die Allergieentstehung
Erinnern wir uns an den platten Fahrradreifen, der mitverantwortlich für unsere überschießende Stressreaktion war. Im städtischen Umfeld gibt es haufenweise Übeltäter, die ihn durchlöchert haben könnten. Genau wie platte Reifen entstehen auch Allergien häufiger in Städten.
Verantwortlich dafür könnten Umweltschadstoffe wie Ozon, Stickoxide und Feinstaub sein. »Die Luftverschmutzung interagiert mit dem Immunsystem, und kann dieses dadurch verändern«, erklärt mir Jeroen Buters. Er ist Toxikologe am ZAUM (Zentrum Allergie und Umwelt, Helmholtz Zentrum München sowie Technische Universität München) und erforscht das Zusammenspiel von Umweltexposition und Allergien. Forscher vermuten, dass die Schadstoffe möglicherweise den Schutzmantel unserer Haut angreifen. Wird dieser Schutzmantel zerstört, entwickeln Kinder häufiger
Aber Schadstoff ist nicht gleich Schadstoff. So hatten Bürger der ehemaligen DDR trotz höherer Luftverschmutzung im Schnitt
Was die Belastung durch Umweltschadstoffe angeht, gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht: Die Feinstaub- und
Was bei der Luftverschmutzung deutlich ist: Man redet über Schwefeloxide, Stickoxide und Feinstaub. Und die nehmen tatsächlich mit der Zeit ab. Die ultrafeinen Partikel, die tiefer in die Lunge eindringen, nehmen mit der Zeit zu, aber sie sind schwierig zu messen. Deswegen gibt es da wenig Messwerte und daher auch wenig Forschung.
Aus diesem Grund haben Forschungsteams aus 5 unterschiedlichen Ländern erst vor wenigen Wochen ein
Ähnlich unserem Stresslevel, das in einem aufgeheizten Arbeitsklima schlimmer und schlimmer wird, erhöht auch die globale Erwärmung unser Risiko eines anaphylaktischen Schocks.
Die Klimaerwärmung verstärkt den Pollenflug
Die steigenden Temperaturen sind besonders dramatisch für Pollenallergiker. Denn
- Mehr Pollen: Die höheren Temperaturen lassen die Pflanzen im Frühjahr früher austreiben, beschleunigen das Wachstum und lassen sie im Herbst später absterben. Treibhausgase wie Kohlendioxid verstärken die Pollenproduktion zusätzlich, indem sie die
- Neue Pollen: Ursprünglich nur im Ausland beheimatete Pflanzen wie Ambrosia haben dank des Klimawandels auch immer bessere Überlebenschancen in Deutschland.
Solange die Temperatur weiter steigt, häufen sich also auch die allergischen Erkrankungen. Neben Schadstoffen in der Luft und Klimaveränderungen erzeugt aber auch unser moderner Lebensstil Allergien. Das sehen wir zum Beispiel an Menschen, die aus dem Ausland nach Europa ziehen, erklärt mir Jeroen Buters.
Wenn Sie in einem Gebiet wohnen würden, wo Sie ganz ohne Allergien aufwachsen, und kommen dann nach Europa, kriegen Sie mit der Zeit die gleichen Allergien wie die Einheimischen. Das bedeutet: Bei uns gibt es bestimmte Faktoren, die Allergien auslösen. Aber kein Mensch weiß, welche das genau sind. Im 17. Jahrhundert war die Allergie eine Erkrankung reicher Adliger: Richard III. war beispielsweise allergisch gegen Erdbeeren. Jetzt haben wir alle einen besseren Lebensstandard, aber mit dem besseren Lebensstandard ist etwas dazu gekommen, was mehr Personen allergisch macht.
Unser heutiger Lebensstandard ist in vielerlei Hinsicht ein Segen, hat aber auch seine
Eine segensreiche Errungenschaft der letzten 150 Jahre ist ohne Zweifel die Hygiene. Man kann sich kaum vorstellen, dass sich Chirurgen Anfang des 19. Jahrhunderts nicht einmal die Hände gewaschen haben, bevor sie sie in die Eingeweide eines Patienten getaucht haben. Seit der Entdeckung der Hygiene ist – wer hätte es gedacht – die Krankenhaussterblichkeit drastisch zurückgegangen. Es scheint jedoch immer wahrscheinlicher, dass eine zu
Frühkindlicher Kontakt zu vielen Bakterien scheint vor Allergien zu schützen
Die Prägung des Immunsystems erfolgt bereits in den ersten Lebensjahren eines Kindes. In diesen Jahren lernt das kindliche Immunsystem, zwischen »eigen« und »fremd« zu unterscheiden. Dafür benötigt es jedoch Umweltreize wie beispielsweise Bakterien. Fehlen diese Reize, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass harmlose Umweltstoffe als gefährlich erkannt werden –
Die Relevanz von Bakterien bespreche ich auch mit Jeroen Buters. Auf die Frage, wie Eltern ihr Kind bestmöglich vor Allergien schützen können, antwortet er: »Am besten scheint der Kontakt mit vielen verschiedenen Bakterien zu sein. Das heißt: Nicht so sauber leben, mit vielen Leuten in Kontakt bringen, das Kind viel draußen spielen lassen, und vor dem Essen – je nach Verschmutzung – die Hände vielleicht mal nicht waschen. Wir wissen nicht, welches die richtigen Bakterien sind, also brauchen Sie viele und müssen hoffen, dass die ›Guten‹ auch dabei sind.«
Der frühkindliche Kontakt zu Bakterien könnte auch eine der Ursachen sein, warum die Amischen weniger Allergien entwickeln als die Hutterer. Die Forscher verglichen die Bakterienbelastung im Hausstaub der beiden Gemeinschaften und fanden in amischen Haushalten 6,8-mal mehr Bakterienbestandteile als bei den Hutterern, die bei einer traditionellen Landwirtschaft über Kleidung und Schuhe in die
Bakterien erklären auch, warum Einzelkinder ein so viel höheres Allergierisiko haben als Kinder mit (älteren) Geschwistern. Einzelkindern fehlt vor allem der Kontakt zu anderen »Bazillenschleudern« im Haus. Frühes Eintreten in den Kindergarten und viel Kontakt zu Gleichaltrigen können helfen, die Kleinen mit genug Keimen in Kontakt zu bringen. Die erste Kontaktaufnahme mit Bakterien beginnt allerdings schon viel früher, und zwar bei der Geburt.
Kinder, die per Kaiserschnitt geboren werden, haben eine höhere Chance eine Allergie zu bekommen; Kinder, die gestillt werden, weniger. Das liegt am Mikrobiom von der Mutter. Jeder Mensch hat seinen eigenen Tiergarten in sich. Und wenn dieser beim Kind ankommt, scheint das schützend zu wirken.
Dieser Tiergarten lebt in unserem Darm und besteht aus ungefähr
Das neue Credo lautet: »Ran ans Allergen«
Doch es gibt noch ein paar spezielle Tipps bei der Wahl der Nahrungsmittel, die man beachten kann, um Allergien vorzubeugen. Noch vor einigen Jahren wurde Kindern mit hohem genetischen Allergierisiko empfohlen, sich allergenarm zu ernähren. Heute gilt das genaue Gegenteil: Allergenarme Kost sollte im Kleinkindalter vermieden werden. Durch den frühen Kontakt mit vielfältigen Lebensmitteln sollen die Kinder ihren Körper an das Allergen gewöhnen und so einer Allergie vorbeugen. Kinder, die ein erhöhtes Risiko für eine Erdnussallergie haben, sollten dementsprechend
Die richtige Kost scheint also eine entscheidende Rolle beim Vorbeugen von Allergien zu spielen. Vor allem können wir darauf im Gegensatz zu Umweltschadstoffen und Klimawandel mehr Einfluss nehmen. Es gibt mit großer Wahrscheinlichkeit aber noch mehr Faktoren, die dafür sorgen, dass Allergien zur neuen Zivilisationskrankheit werden. Doch genauso, wie wir an manchen Tagen einfach mit schlechter Laune aufwachen, ohne die Ursachen dafür zu kennen, verstehen wir auch Allergien noch viel zu wenig, um genaue Schlussfolgerungen ziehen zu können. Ein traditioneller Lebensstil scheint jedoch der beste Schutz zu sein, den wir bisher gefunden haben.
Titelbild: Brandon Nickerson - CC0 1.0