Ein Hafen für Gaza: mehr Freiheit für mehr Sicherheit
Die Idee klingt abgefahren: Israels Verkehrsminister Israel Katz schlägt vor, eine künstliche Insel vor der Küste Gazas zu bauen – mit Hafen, Hotels und Flughafen. Vor allem der Flughafen könnte für die rund 1,8 Million Palästinenser im Gazastreifen viel verändern.
4,5 Kilometer vor der Küste von Gaza liegt eine künstliche Insel. Von dort aus laufen an einem Sommerabend Frachtschiffe nach Europa aus. Sie tuckern gemächlich dem Sonnenuntergang entgegen und bringen handgefertigte Schaukelstühle, Tische und Bänke aus Gaza in die westliche Welt – importierter Orientflair, auch für deutsche Wohnzimmer. Über eine lange Brücke kommen Gruppen von Palästinensern auf der Insel im Mittelmeer an. Bepackt mit Koffern und Rucksäcken sind sie auf dem Weg zum Flughafen, der ebenfalls dort auf der Insel liegt. Unter ihnen sind: ein Geschäftsmann, auf dem Weg zu einem Meeting in den USA, und ein älteres Ehepaar, das in Berlin seine Kinder besuchen will, die vor Jahren weggezogen sind, weil sie sich diese Zukunft Gazas nicht vorstellen konnten.
Alles nur geträumt im Gazastreifen?
Noch scheint diese Idee von der Wirklichkeit in Gaza sehr weit entfernt. Doch wenn es nach Israels Verkehrsminister Israel Katz geht, könnte sie in den kommenden Jahren Wirklichkeit werden. Ausgerechnet er, ein
Die Idee für einen Hafen vor Gaza ist
Auf rund
»Die humanitäre Lage in Gaza verschlechtert sich.« – Israel Katz
Ein Tor zur Welt hätte Gaza bitter nötig. Denn die Situation dort vergleicht selbst der israelische Verkehrsminister Israel Katz mit einem Dampfdruck-Kochtopf: »Die humanitäre Lage in Gaza verschlechtert sich.« Noch immer schwelt der Nahostkonflikt: Seitdem sich Israel 2005
Doch die regionalen Konfliktparteien setzen sich immer noch nicht an einen Tisch, um Lösungen für Israelis und Palästinenser zu finden: Die
Angesichts der komplizierten politischen Konstellation würde für die Palästinenser im Gazastreifen eine Insel mit Hafen – und Flughafen – eine politische, humanitäre und wirtschaftliche Revolution bedeuten. Wie könnte das aussehen? Was bringt es? Welche Bedingungen müssen erfüllt werden? Und wie realistisch ist eine Umsetzung der Pläne? Darüber haben wir mit folgenden Experten und Akteuren in Israel und im Gazastreifen gesprochen:
- Israel Katz, heute
- Alon Eviatar, ehemaliger Oberstleutnant der israelischen Armee und Berater für palästinensische Angelegenheiten von
- Omar Shaban, Analyst für politische Ökonomie im Mittleren Osten und Gründer und Direktor von
- Tania Hary, Geschäftsführerin für die Non-Profit-Organisation
- Shaul Shay, Terrorismusforscher am »Institute for Counter-Terrorism« in
Knapp 2 Millionen Menschen leben nahezu isoliert
Eine private Reise ist für die rund 1,8 Millionen Menschen in Gaza derzeit unmöglich, der Handel mit anderen Ländern ist ebenfalls eingeschränkt. Seitdem die radikal-islamische Hamas 2007 die Macht in Gaza übernahm, wird der kleine Küstenstreifen am Mittelmeer von allen Seiten blockiert: Israel schränkte den Waren- und Personenverkehr aus Sicherheitsgründen ein. Seit dem Regimewechsel in Ägypten im Jahr 2013 leiden die Menschen in Gaza zusätzlich unter der noch strengeren Blockade
Da die Grenze nach Ägypten nur an wenigen Tagen geöffnet ist, können die Palästinenser eigentlich nur noch über Israel
»Ich erinnere mich an die Zeit, in der Gaza einen
Es wäre ein großer Wandel für die Menschen, auch mental. Es wäre wichtig, dass die Menschen einen Hafen auch für private Reisen, zur Erholung nutzen können. Dadurch könnten die Gefahren von Radikalisierung und Extremismus abgemildert werden.
Wiederaufbau und wirtschaftlicher Aufschwung
Seit dem
Und der Export ist ebenfalls stark eingeschränkt. Nur wenige Produkte wie Möbel, Textilien, Altmetall und ausgewählte Agrarprodukte dürfen den Küstenstreifen verlassen. Trotz einiger Verbesserungen in den vergangenen 2 Jahren belaufen sich die Ausfuhren im Jahr 2015 aus dem Gazastreifen auf nur rund 10% des Exports in der Zeit vor der Blockade.
Neben Im- und Export würde der Hochseehafen weitere wirtschaftliche Vorzüge bieten. Alon Eviatar spricht von einer »ökonomischen Revolution«: »Schon der Bau des Hafens könnte die Wirtschaft ankurbeln und neue Arbeitsplätze schaffen.«
Es wäre wirtschaftlich ein Tor zur Welt und würde Gaza unabhängiger vom israelischen Markt machen. So könnte leichter nach Europa oder auch in die Maghreb-Staaten exportiert werden.
Ohne Sicherheit geht gar nichts
Aus israelischer Sicht gibt es ganz andere Gründe, einen Hafen für und vor Gaza zu unterstützen. Für sie hat die Sicherheit für die Israelis und den Staat Israel absolute Priorität. Mehr Sicherheit ist nicht nur Bedingung für den Bau eines Hafens, sondern auch die erhoffte Folge des Bauprojekts.
Deswegen schlägt Katz einen Hafen vor, der weit vom Festland entfernt liegt. Dadurch könnte besser – und gleich an mehreren Stellen – kontrolliert werden, wer und was in den Gazastreifen kommt und ihn verlässt. Falls nötig, ließe sich dadurch die neue Verbindung auch leichter unterbrechen.
Auf der Brücke zum Festland sollte es einen Sicherheits-Checkpoint geben, der unter der Kontrolle internationaler Sicherheitskräfte steht. Diese würden auch den Alltagsbetrieb auf der Insel überwachen, während Israel auf dem Gewässer patrouillieren und die Menschen und Güter im Hafen kontrollieren würde.
Laut Katz sollte Israel an Gaza klare Bedingungen stellen, bevor der Plan umgesetzt wird: zum einen die Beseitigung aller Raketen und strategischen Waffen in Gaza, zum anderen die Zerstörung der Terrortunnel der Hamas. Im Falle einer Wiederaufrüstung sollte der Hafenbetrieb sofort gestoppt werden.
Israel wird seine starke Abschreckungsfähigkeit an der Grenze zu Gaza aufrechterhalten und mit Gewalt auf jegliches Feuer reagieren, das auf sein Territorium gerichtet wird oder auf den Versuch, die Vereinbarungen zur Entmilitarisierung zu verletzen.
Langfristig sieht der israelische Verkehrsminister zudem eine Chance für einen Waffenstillstand. Das glaubt der israelische Terrorismusforscher Shaul Shay auch: »Wenn die Palästinenser erst mal etwas haben, was sie schützen wollen, um es nicht wieder zu verlieren, dann verringert das die Chance von kriegerischen Auseinandersetzungen.«
Lässt sich mit der Hamas ein Hafen bauen?
Doch auf palästinensischer Seite gibt es Einwände gegen Israels einseitiges Konzept für Kontrolle und Sicherheit: »Warum denken die Israelis immer, dass sie die einzigen sind, die an Sicherheit interessiert sind?«, fragt Omar Shaban vom Thinktank »PalThink« in Gaza.
Es liegt in unserem strategischen Interesse, den Hafen zu sichern. Wir Palästinenser können selbst die Kontrollen übernehmen.
Auch wenn es aus Sicht der Menschen in Gaza so wirkt, als würde Israel lediglich seine Macht und seine Kontrolle aufrechterhalten wollen, so sind die Sicherheitsbedenken der Israelis nicht unberechtigt. Die Hamas will die Auslöschung Israels. Den Bau von Tunnelanlagen und den Import von Waffen und Raketen begründet sie mit dem Ziel der Verteidigung gegen den »zionistischen Feind«, wie die Hamas Israel nennt. Die Bedeutung von Sicherheit aus Sicht der Hamas ist also unvereinbar mit jener aus Sicht der Israelis.
»Die Hamas muss mit an den Tisch geholt werden, sie zu isolieren ist ein Fehler.« – Omar Shaban
Mit Blick auf die Hamas steht dem Hafen also noch eine weitere Hürde im Weg: eine politische. »Eine politische Lösung ist eine Bedingung für den Bau eines Hafens«, ist sich auch Omar Shaban sicher. »Wir brauchen einen politischen Kontext, Stabilität, eine Koalitionsregierung mit der Palästinensischen Autonomiebehörde. Gleichzeitig muss die Hamas aber mit an den Tisch geholt werden, sie zu isolieren ist ein Fehler. Sie sollte auch an der Grenzüberwachung beteiligt werden.«
Besteht aber überhaupt die Möglichkeit, dass die Hamas auf die Sicherheitsbedingungen der Israelis eingeht?
Theoretisch könnte die Hamas – wenn sie will – als die Kraft dastehen, die dafür gesorgt hat, dass der Hafen gebaut wird. Das könnte ein Anreiz sein, die Bedingungen einzugehen.
Bisher hat die Hamas zwar ganz andere Interessen und Grundsätze, das weiß auch Eviatar. »Und wenn sie die Bedingungen eingeht, wie die Demilitarisierung des Gazastreifens, wäre es nicht mehr die Hamas, die wir bisher kannten.«
Aber wird auch Israel verhandlungsoffen sein? Schließlich hat die israelische Regierung Gespräche mit der Hamas stets ausgeschlossen. Der Knesset-Abgeordnete Omer Bar-Lev hat in seinem Vorschlag für einen Hafen beschrieben, wie es gehen könnte: Man müsste mit der Palästinensischen Autonomiebehörde verhandeln und diese müsste wiederum die Hamas und andere Organisationen an ihrer Seite haben. Ein Prozess, der viel Zeit kosten würde, denn die Hamas und die PA im Westjordanland sind seit dem palästinensischen Bürgerkrieg tief gespalten.
Wenn es ernst wird: Wer zahlt?
Was nun, wenn die Hamas die wirtschaftliche Chance aus dem Hafenprojekt also tatsächlich wahrnehmen würde und auf die Bedingungen der Israelis eingehen und abrüsten würde? Wer würde dann das Hafenprojekt zahlen, dessen Kosten auf 4,5 Milliarden Euro geschätzt werden?
Die Israelis nicht, das stellte Minister Israel Katz bereits klar. Keinen Schekel müssten die israelischen Steuerzahler dafür aufwenden. Denn der Hafen würde von der internationalen Gemeinschaft
Auch auf palästinensischer Seite wird diese Möglichkeit gesehen: »Technisch und finanziell sehe ich keine Schwierigkeiten. Man könnte
Doch selbst wenn ausländische Gelder zur Verfügung stünden, müsste sichergestellt werden, dass die Investitionen tatsächlich nach Gaza fließen, denn:
Nach dem letzten Gaza-Krieg haben zahlreiche Staaten Hilfe in Millionenhöhe zugesagt. Bisher ist aber nur ein Teil davon angekommen.
Lockert die Blockade: Jetzt!
Alle Überlegungen, wie die Insel aussehen könnte, was sie den Menschen in der Region bringen würde und welche Bedingungen erfüllt werden müssten, sind jedoch vergebens, wenn das israelische Kabinett nicht dem Bau eines Hafens zustimmt. Bisher ist das Projekt nur ein Vorschlag des israelischen Verkehrsministers. Wann darüber im Kabinett abgestimmt wird, weiß allerdings niemand, nicht einmal der Minister selbst.
»Israel und das Westjordanland sind als Markt für die Produkte aus Gaza sehr wichtig« – Tania Hary
Sollte das Projekt also eine Utopie oder zumindest zunächst ein Zukunftsprojekt bleiben, gibt es aber schon jetzt einige Maßnahmen, um die Situation der Menschen in Gaza zu verbessern: Die Regelungen für den Im- und Export sowie für die Ein- und Ausreise könnten bereits jetzt gelockert werden, schlägt Tania Hary vor: »Israel und das Westjordanland sind als Markt für die Produkte aus Gaza sehr wichtig, man könnte schon jetzt mehr
Wichtig sei es für die Menschen in Gaza auch, ihre Verwandten in Israel und dem Westjordanland besuchen zu können. Rund 30% aller Palästinenser in Gaza hätten Familie dort. Auch dazu ließen sich laut Tania Hary die Regelungen schon jetzt ändern. »Natürlich muss Israel dabei auf seine Sicherheit achten und Kontrollen durchführen und kann nicht einfach die Grenzen aufmachen.«
Eine Lösung – oder zumindest ein Weg zur Verbesserung der Situation – ist also vorhanden. Das schließt aber nicht aus, dass ein Hafen die Lage weiter verbessern könnte: »Das Best-Case-Szenario wäre, wenn es sowohl eine Öffnung hin nach Israel, also auch – mithilfe des Hafens – zur restlichen Welt gäbe, und Israel dennoch seine eigene Sicherheit gewährleisten kann.«
Titelbild: Israelisches Verkehrsministerium - copyright