Die SPD ist in Not. Das macht sie endlich erfinderisch
Zuerst war die Suche nach neuem Führungspersonal sehr mühselig. Inzwischen gibt es mehrere Kandidaten und Ideen, die man der Partei schon gar nicht mehr zugetraut hatte.
Am 29. Oktober 2018 dürfte so mancher SPDler aus dem Staunen kaum rausgekommen sein: Es war der Tag nach der Landtagswahl in Hessen, und beim Koalitionspartner CDU war man in Aufruhr, weil die Kanzlerin und Parteichefin ein Statement abgeben wollte – ein größeres, als nach einem schlechten Wahlergebnis sonst üblich.
Gegen 10 Uhr machte das Gerücht die Runde, Angela Merkel wolle den Parteivorsitz aufgeben. Eine halbe Stunde später verbreiten erste Medien, ihr alter Widersacher Friedrich Merz wolle zurück in die Politik und kandidiere für den CDU-Vorsitz.
Lies dazu auch, wie die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer zu einer neuen Ausrichtung beigetragen hat:
Von einer solchen Dynamik konnte die SPD nur träumen, als Andrea Nahles am 2. Juni ihren Rückzug bekannt gab. Genau wie Merkel war sie wegen schlechter Wahlergebnisse unter Druck geraten. Aber die Schrumpfkur der SPD ist seit Jahren um einiges drastischer, und somit auch die Ratlosigkeit. Statt eines heißen Rennens um die Nachfolge musste also erst einmal geklärt werden, wie es überhaupt weitergehen soll.
Immerhin waren schnell 3 profilierte Mitglieder gefunden, die als Interimschefs in die Bresche sprangen –
Beim Rennen um die CDU-Spitze sicherten solche Regionalkonferenzen dem eigentlich parteiinternen Machtkampf wochenlange Aufmerksamkeit und jede Menge Berichterstattung darüber, wie die Kandidaten sich präsentierten. Solche Aufmerksamkeit täte der SPD, die kaum noch über Inhalte wahrgenommen wird, sicher gut – dachte man sich wohl im Willy-Brandt-Haus.
Allerdings standen anders als bei der CDU zuerst kaum bekannte Bewerber im Raum; der Schuss drohte also, nach hinten loszugehen. Prominente Mitglieder, darunter Bundesminister*innen und Ministerpräsident*innen, schlossen ihre Kandidatur öffentlich aus – der SPD-Vorsitz schien der unbeliebteste Job der Republik zu sein. Erst in der Schlussphase nahm das Verfahren an Fahrt auf; inzwischen haben die SPD-Mitglieder die Wahl zwischen einigen Tandems, die sich durchaus stark unterscheiden.
Und zack: Seitdem es mehrere Bewerber gibt, die auch noch inhaltlich für unterschiedliche Strömungen stehen, initiiert die SPD plötzlich wieder gesellschaftliche Debatten! Mit ihrem Vorschlag, von hohen Vermögen jährlich 1% per Steuer dem Gemeinwohl zuzuführen, hat die SPD gerade eine Diskussion losgetreten, die weit über die künftige Ausrichtung der Partei hinausgeht. Der Vorschlag stammte zwar ursprünglich von einer Arbeitsgruppe; Olaf Scholz stellte sich jedoch schnell dahinter. Und weil er gemeinsam mit seiner Tandempartnerin nicht nur Favorit für die SPD-Spitze ist, sondern auch noch Bundesfinanzminister,
Wenn das Auswahlverfahren bis Dezember, wenn der neue Vorstand offiziell ins Amt gehievt wird, noch einige solcher Debatten hervorbringt, dann kann das nur gut sein. Und wenn die SPD unterwegs ein paar politische Ziele für die Zukunft für sich entdeckt und etwas neues Selbstvertrauen schöpft, dann hilft das nicht nur ihr selbst: Deutschland kann gerade ein paar sozialdemokratische Ideen gut gebrauchen. Das Auswahlverfahren für die neue Parteiführung sichert in den nächsten Monaten einige Aufmerksamkeit für die Debatten, die die Kandidaten anstoßen. Im Idealfall entwickeln die Genossen bis zum Parteitag im Dezember noch einige Vorschläge, wie sie das Land voranbringen wollen.
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Titelbild: Sven-Sebastian Sajak - CC BY-SA 3.0