Was die Arbeitswelt von Netflix lernen kann
Schnell, flexibel, jederzeit kündbar: WeWork will die Arbeitswelt revolutionieren. Das milliardenschwere Start-up vermietet dafür nicht nur Büros, es verkauft Träume. Doch der Traum vom neuen Arbeiten droht zu platzen.
In der neuen Wirtschaftswelt muss immer erst Bestehendes zerstört werden, bevor das Neue entstehen kann. Disruption lautet der gängige Begriff dafür und ein Unternehmen, das mit der kreativen Zerstörung Milliarden machen will, ist WeWork. Der US-amerikanische Büroanbieter, der nun an die Börse strebt, hat nach eigener Aussage nicht weniger vor, als die Art und Weise, wie Menschen arbeiten, zu revolutionieren. Eine Welt zu errichten, in der Menschen Lebenswerke schaffen können, lautet ganz unbescheiden die »Mission« des Unternehmens, das sich selbst
WeWork ist eines der wertvollsten Start-ups der Welt. 2010 gegründet, wurde sein Wert bereits nach 4 Jahren auf 5 Milliarden US-Dollar geschätzt. Anfang dieses Jahres lag die Bewertung bei 47 Milliarden. Das alles für ein Unternehmen, das Büroräume vermietet. Die Finanzwelt blickt jetzt gespannt, aber auch mit großer Skepsis auf den angekündigten Börsengang. Es wäre der zweitgrößte dieses Jahr. Der US-Fahrdienstvermittler Uber war im Mai mit einer Marktkapitalisierung, wie es in der Fachsprache heißt, in Höhe von 82 Milliarden US-Dollar
Auch auf WeWork richten sich nun viele Hoffnungen. Aber warum? Was steckt hinter der Geschäftsidee und hinter dem Phänomen Coworking, das gerade in den Metropolen und auf dem Land weltweit so stark an Bedeutung
Hipster-Möbel und Käseproben: die schöne neue Büro-Welt
Es ist eine exklusive, glanzvolle Welt, die man am Potsdamer Platz in Berlin, am Friesenplatz in Köln, am Gänsemarkt in Hamburg oder an einem der 800 weiteren WeWork-Standorte betreten kann. Auf allen Kontinenten ist das Unternehmen inzwischen vertreten. WeWork vermietet dort aber nicht nur schöne Arbeitsplätze mit edlen Schreibtischen in gläsernen Büros – mit gesichertem Highspeed-Internet, Aktenvernichtern, schalldichten Telefonkabinen, ja sogar mit Käseproben und Kaffee einer Privatrösterei.
Das Unternehmen verkauft vor allem eine Vision von Arbeit. Coworking-Spaces sind die Idealbilder der modernen Arbeitswelt, die unter dem Schlagwort New Work für neue Arbeitsformen, mehr Selbstbestimmung, empathische Führungsstile und digitalen Fortschritt steht. Im Coworking-Büro kommen Kreative, Freiberufler und Gründerinnen zusammen, die diese Werte teilen.
Sie arbeiten mal zurückgezogen an stillen Arbeitsplätzen, mal in Gruppen in Gemeinschaftsbereichen – und kommen abends an der Theke auf ein Feierabendbier zusammen, das im Tarif inbegriffen ist. Denn im Coworking-Büro soll niemand allein sein. Alles ist ein großer Organismus, der seine Mitglieder digital und Face to Face zusammenführt.
Aber letztendlich vermietet WeWork nicht mehr als schöne Büros in einer behaglichen Umgebung. Und nicht erst seit Gründer und Geschäftsführer Adam Neumann Anteile an der eigenen Firma im Wert von 700 Millionen US-Dollar verkauft hat und das Unternehmen im ersten Halbjahr 2019 seinen Verlust um 10% auf fast 690 Millionen Dollar ausgeweitet hat, blickt die Finanzwelt
Ist alles nur ein großer Hype und das Unternehmen hoffnungslos überbewertet?
Der größte Investor, die japanische Softbank, drängt inzwischen auf eine Verschiebung des eigentlich für September geplanten Börsengangs. WeWork hat die Bewertung für den Börsenstart mittlerweile auf unter 20 Milliarden US-Dollar gesenkt,
Die ungeklärte Frage, die sich Börsenexperten und potenzielle Investoren stellen, lautet: Welchen Wert hat ein Arbeitsplatz bei WeWork? Beschreitet das Unternehmen da einen riesigen Wachstumsmarkt – oder ist alles nur ein großer Hype und das Unternehmen hoffnungslos überbewertet?
Vielleicht stimmt beides. Es lohnt sich jedenfalls, etwas nüchterner auf das Geschäft von WeWork zu blicken. Denn in Wahrheit ist es gar nicht das Tech-Unternehmen, als das es sich gern ausgibt, sondern lediglich eine Immobilienfirma, die flexible Büroplätze vermietet. Alles andere ist nur schöner Schein. Oder?
Coworking: die Rettung bei fehlendem Büroraum?
Die Idee des Coworkings verspricht, die Arbeitswelt der Zukunft zu repräsentieren. WeWork macht dieses Versprechen zu seinem Markenkern. Aber für welches Problem liefert Coworking eigentlich Lösungen?
Unternehmen, die ihre Mitarbeiter in Coworking-Büros schicken, wollen nicht nur, dass sie einmal ihre staubigen Büros mit Familienfoto und Filterkaffeemaschine verlassen, um den Geist des modernen Unternehmertums zu spüren. Sie reagieren auch auf den Mangel an Geschäftsräumen in den Großstädten. Viele Start-ups verlagern ihren Firmensitz sogar ganz in Coworking-Spaces. Denn Start-ups brauchen Flexibilität, weil sie im Idealfall wachsen, manchmal scheitern und häufig die Kosten für eine komplette Büroausstattung einsparen wollen. Außerdem gibt es trotz des Trends zum Homeoffice und mobiler Arbeit nicht zu viele, sondern zu wenige Büros. Wenig überraschend in einem Land, das seit Jahren zudem über Wohnungsnot klagt.
Unternehmen fänden in deutschen Großstädten kaum noch passende Räume,
Die Coworking-Anbieter richten sich aber nicht nur an Firmenkunden, die je nach Bedarf einzelne Arbeitsplätze oder auch ganze Etagen mieten. Zum Zielpublikum gehören auch Selbstständige, Freelancer und Künstler. Für einen sogenannten Hot Desk zahlen diese, je nach Standort, 200 Euro im Monat oder mehr. Damit können sie an einem Platz in der Lounge arbeiten, der gerade frei ist. Feste Büroplätze sind deutlich teurer.
Ein Platz im Homeoffice, im Café oder dem Stadtpark um die Ecke kostet den mobil Arbeitenden fast nichts. Doch WeWork setzt ganz darauf, dass die Umgebung und die Möglichkeiten der Vernetzung es ihnen wert ist, so viel zu bezahlen. Denn wer weiß, ob die anderen Coworker nicht mit ihrer Expertise den entscheidenden Impuls für die eigene Geschäftsidee liefern können oder ob die Gleichgesinnten, die man hier trifft, nicht vielleicht zu Freunden werden? Und das wäre schließlich unbezahlbar. Zum Geschäft mit den flexiblen Büros gehört also noch etwas: WeWork verkauft Träume.
Coworking hilft mobilen Arbeitern – auch auf dem Land
Coworking-Spaces sind sicher nicht die einzige Antwort auf die Frage,
Zum Beispiel in den vielen Initiativen, die sich gerade deutschlandweit im ländlichen Raum etablieren. Ganze Dörfer entstehen derzeit in Brandenburg, wie etwa das
Coworking hat das Zeug, die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur auf dem Land nachhaltig zu stärken.
Was dort auf die Beine gestellt wird, ist authentischer, gemeinschaftsstiftender und nachhaltiger als das Geschäft von WeWork. Für den ländlichen Raum stellt das eine echte Chance dar. Und zwar nicht nur für die urbane, kreative Klasse, die es aufs Land zieht, sondern auch für die Arbeitskräfte von traditionellen Unternehmen, Behörden, Versicherungen und Verwaltungen, die gern ihren Arbeitsplatz in der Nähe haben. Coworking hat das Zeug, die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur auf dem Land nachhaltig zu stärken.
WeWork-Gründer Adam Neumann betont zwar, es gehe ihm nicht um Gewinnmaximierung,
Doch genau dieses Prinzip überträgt WeWork auf die Arbeitswelt. Um sein Geschäft zu perfektionieren, bedient sich das Unternehmen, das inzwischen in der WeCompany aufgegangen
Daneben nutzt es das Bedürfnis der Digitalarbeiter nach Unverbindlichkeit. Es verspricht, ihren Wunsch nach Selbstverwirklichung und individueller Geltung zu erfüllen. Es lässt seine Kunden glauben, Schöpfungskraft und Gemeinschaft lässt sich für einen Monatsbeitrag erwerben wie eine Staffel »Haus des Geldes« bei Netflix. So einfach ist es natürlich nicht.
Mit Illustrationen von Doğu Kaya für Perspective Daily