Wie 2 Brüder jahrzehntelang die US-Politik manipulierten und Klimaskeptiker mit Millionen finanzierten
Die Brüder Koch verdienten Milliarden mit der Ausbeutung des Planeten. Wir haben uns auf Spurensuche begeben, wie sie mit ihrem Schattennetzwerk die Weltpolitik beeinflussen – und welche Folgen das für uns alle hat.
Die Notfallbeleuchtung funktionierte nicht, zumindest in meinem Bereich des Flugzeugs. Wenige Sekunden später begann schwarzer, dichter Rauch die Kabine zu füllen. Es schmerzte zu atmen. Ich kroch den Gang entlang, in Richtung des Hinterausgangs. Dort traf ich auf einen wilden Mob, der kämpfte, um zu entkommen. Ich war der Letzte in der Reihe zum Ausgang.
Im Jahr 1991 sprang ein US-Amerikaner namens David Koch dem Tod nur knapp von der
Der gelernte Chemieingenieur David Koch sollte noch 28 weitere Jahre zu leben haben, bis er vor wenigen Tagen, am 23. August 2019, seinem langjährigen Prostatakrebsleiden erlag. Er starb als einer der einflussreichsten Milliardäre der USA. Zusammen mit seinem Bruder Charles leitete er seit den 70ern den Familienkonzern Koch Industries – die heute zweitgrößte US-Gesellschaft in privater Hand. Ihr Vater hatte das Unternehmen einst als Raffineriefirma mit Gewinnen aus Geschäften mit Stalin und Hitler aufgebaut.
Nach der Krebsdiagnose, die David Koch nur ein Jahr nach dem Flugzeugcrash erreichte, wurde er zum wohl größten privaten Geldgeber für die Krebsforschung weltweit. 134 Millionen Dollar stellte er bis zu seinem Tod zur Verfügung,
David Koch galt vielen daher als Menschenfreund und Philanthrop. Wie kann es dann sein, dass der britische Journalist und Aktivist George Monbiot in einem Artikel 2018 die politischen Aktivitäten von Milliardären wie den 120 Milliarden schweren Koch-Brüdern als
Schmutziges Geld
»Vor 27 Jahren wurde bei meinem Bruder Prostatakrebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Die Prognose der Ärzte lautete, dass er nur noch wenige Jahre zu leben haben wird. David sagte gern, dass eine Kombination aus brillanten Ärzten, modernsten Medikamenten und seine Sturheit den Krebs in Schach halten würde.« Mit diesen emotionalen Worten kommentierte Charles Koch in einem Statement die Nachricht vom Tode seines Bruders.
David Koch hatte sich zeit seines Lebens persönlich und wohlwollend dem Kampf gegen den Krebs gewidmet. Die Unsummen an Spendengeldern stammen von Koch Industries, einem Megakonzern, dessen Jahresumsatz von zuletzt 110 Milliarden Dollar hauptsächlich auf Geschäftsbereichen wie Erdöl, Erdgas, Chemie, Papierherstellung, Kunstdünger und Viehzucht basiert. Das »Political Economy Research Institute« listet Koch Industries bei seinen
Nicht zuletzt, um diese Basis ihres Reichtums zu verteidigen, waren die Koch-Brüder schon immer auch politisch engagiert. Ihr oberstes Ideal dabei: uneingeschränkte individuelle Freiheit, um sich vor einem Eingreifen der Regierung zu schützen. Diese radikal-libertäre Denkrichtung definiert »Freiheit« vor allem als Freiheit von etwas, etwa von Steuern und Unternehmensregulierung, aber auch von sozialen Sicherungssystemen und staatlicher Umverteilung.
Um diese Agenda voranzutreiben, steckten die Kochs über Jahrzehnte hinweg Millionen an US-Dollar in den Aufbau eines gigantischen Schattennetzwerks aus Denkfabriken, Bildungseinrichtungen und Lobbyorganisationen. Der »Kochtopus« war geboren, der die Vereinigten Staaten für immer verändern sollte und fatale Folgen für den gesamten Planeten hatte.
Die New Yorker Investigativjournalistin Jane Mayer trug in ihrem 2016 veröffentlichten Buch
Wie der »Kochtopus« seine Tentakel um die USA schlingt
In den 1930er-Jahren begründet Fred Koch das Vermögen des Koch-Imperiums, indem er die Sowjetunion unter Josef Stalin darin unterstützt, 15 Ölraffinerien aufzubauen. Die halbe Million US-Dollar, die er aus dem Geschäft erhält, investiert er neu. Allerdings sind die Auftraggeber diesmal keine Kommunisten, sondern Faschisten: In der Nähe von Hamburg entsteht eine große Raffinerie, die die deutsche Luftwaffe später mit Treibstoff versorgen sollte. In seinem Notizbuch notiert Koch 1938: Deutschland, Italien und Japan seien die einzigen gesunden Länder auf der Welt. Seine Bewunderung geht so weit, dass er für seine beiden Söhne Charles (geboren 1935) und David (geboren 1940) sogar eine deutsche Nanny engagiert, die überzeugte Nationalsozialistin ist.
50er- und 60er-Jahre: Nach der totalen Niederlage des Faschismus geht Fred Koch in den Anfangsjahren des Kalten Krieges dazu über, als Mitglied der John-Birch-Gesellschaft prominenten Politikern, darunter auch der damalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower, Sympathien für den Kommunismus zu unterstellen. 1960 notierte er: »Die Farbigen spielen eine große Rolle für den kommunistischen Plan zur Machtübernahme in den USA.« Bis zu seinem Tod im Jahr 1967 ist Koch getrieben von einer tief sitzenden Paranoia gegenüber einem bevorstehenden kommunistischen Umsturz, der aber nie eintritt.
70er- und 80er-Jahre: Die Koch-Brüder beginnen bald nach der Übernahme des Familienkonzerns, erhebliche Teile ihres Vermögens zur Ausweitung ihrer libertären Weltanschauung einzusetzen. Im Jahr 1974 gründen sie die Charles-Koch-Stiftung, die 2 Jahre später in Cato Institute unbenannt wird und
1980 kandidiert David Koch dann für die
Parallel zu den politischen Gehversuchen gerät Koch Industries zu dieser Zeit immer wieder mit der US-Regierung aneinander. Dabei geht es um ernsthafte Verstöße in der Einhaltung von Umweltrichtlinien und Sicherheitsstandards in diversen Unternehmensteilen.
Angesichts der fruchtlosen Bemühungen für die Libertäre Partei ändern die Koch-Brüder ihre Strategie: Statt selbst politische Ämter anzustreben, werden zunehmend Ressourcen in Mittel und Wege gesteckt, um Macht und Einfluss unter dem Radar der Öffentlichkeit zu steigern.
Ein erster Schritt ist die Gründung einer als »konservativ« gelabelten Interessengruppe im Jahr 1984, die als
2004 benennt sich die Gruppe dann in Americans for Prosperity (AFP) um und setzt einen Impuls, der die politische Landschaft der Vereinigten Staaten nachhaltig verändern wird. In den darauffolgenden Jahren beginnen mehr und mehr Lobbyisten und Ehrenamtliche der AFP, auf politischer Ebene zu arbeiten – sie werden Stadträte in den entlegensten Regionen und steigen in politische Ämter auf Bundesebene und sogar im Kongress ein. Ihr Ziel: mehr freier Markt, entfesselt von staatlicher Regulierung.
Die AFP war das Vehikel für ihren Traum, ihre Politik in eine Art republikanische Schattenpartei zu lenken.
Die Macht der AFP sollte schon bald jemand zu spüren bekommen, der eigentlich für eine andere Form von Wandel in den USA angetreten war: Barack Obama.
2009: Die Horrorvision ihres Vaters scheint die Koch-Brüder doch noch heimzusuchen: Der Demokrat Barack Obama, der im Wahlkampf unter anderem die entschiedene Bekämpfung des Klimawandels und eine Krankenversicherung für alle Amerikaner versprochen hatte, wird zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Eine Agenda, die Charles Koch in einem Brief aus dem Jahr 2010 als »den größten Angriff auf Freiheit und Wohlstand Amerikas zu unseren Lebzeiten« bezeichnet. Weiter warnt er, die Politik der Demokraten »drohe, unsere ökonomische Freiheit erodieren zu lassen«. Die Adressaten: wohlhabende Geschäftsmänner und Gleichgesinnte, die zu einem
Noch im selben Jahr kommt es zu einem folgenreichen Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA. Obama bezeichnet es als »einen großen Sieg für ›Big Oil‹-Konzerne, Wall-Street-Banken […] und andere mächtige Interessengruppen«, das die Stimme des Durchschnittsamerikaners zum Verstummen bringen werde. Mit einer knappen Mehrheit von 5 zu 4 Stimmen urteilte der Supreme Court, dass die
Allein die US-Präsidentschaftswahl von 2012 wird daraufhin laut der Washington Post von über 400 Millionen Dollar geflutet, die die Kochs mithilfe ihrer über die Jahrzehnte gegründeten Organisationen und ihrer 2010 geformten Allianz der Superreichen zusammengetragen haben. Allein 60 Millionen Dollar kommen dabei aus der Tasche der Brüder selbst.
Der warme Regen kommt unterschiedlichen Kandidaten der Republikaner und der radikalen
Trotz dieser ungleichen Verteilung kann Obama, der seinen Wahlkampf mit einer vergleichsweise hohen Zahl von Kleinstspenden bestreitet, das Präsidentschaftsamt behaupten und legt – nach dem bis zu diesem Punkt teuersten Wahlkampf der US-Geschichte – am 20. Januar 2013 seinen zweiten Amtseid ab. Erst 2014 schafft es die Nichtregierungsorganisation »OpenSecrets.org«,
2013 bis heute:
Nach Obamas Wiederwahl bleibt den Reichen und Mächtigen um die Gebrüder Koch für die nächsten 4 Jahre nur, die Regierung mithilfe des »Kochtopus« aus wissenschaftlichen Instituten, Lobbyorganisationen, Bürgerinitiativen und konservativen Medien zu torpedieren, wann immer sich die Gelegenheit bietet.
2016, kurz vor Ende des Präsidentschaftswahlkampfes zwischen Donald Trump und Hillary Clinton, erweisen sich die Investitionen als das Zünglein an der Waage: Als sich der knappe Wahlausgang abzeichnet, heuert Americans for Prosperity kurzerhand 650 Mitarbeiter an, um in den noch unentschlossenen Bundesstaaten Michigan und Wisconsin mehrere Millionen Telefonanrufe und Zehntausende Haustürbesuche zu machen,
Und nicht nur die Rechnung der Kochs geht auf. Trump siegt – und beschließt 2017 eine große Reform zur Steuersenkung, die besonders den Reichen und Superreichen der USA zugutekommt: Sie kostet das US-amerikanische Gemeinwesen schätzungsweise bis zu 1,5 Billionen
David Koch konnte sich daran nicht sehr lange erfreuen. Er stirbt Ende August 2019 infolge eines langjährigen Prostatakrebsleidens.
Charles Koch führt indes als Präsident von Koch Industries weiter die Geschicke des Megakonzerns. Seine Freude über den neuen Kurs der USA aus Klimazerstörung, Deregulierung und Steuersenkungen wird nur getrübt durch den Geist, den er rief:
Seit Beginn seiner Amtszeit hat Trump inzwischen bei zahlreichen internationalen Auftritten bewiesen, dass die Entwicklungen, die wir auf unserer Zeitreise beobachtet haben, nicht an den Grenzen der USA haltmachen.
Warum der »Kochtopus« überall ist
Rückblickend wurde Trumps Weg zum mächtigsten Mann der Welt von wesentlich reicheren und mächtigeren Menschen als ihm selbst begünstigt, wenn nicht sogar entscheidend geebnet. Mit tiefgreifenden Folgen für uns alle – und für unseren Planeten.
Allein die Koch-Brüder haben in den letzten 20 Jahren 127 Millionen Dollar in bis zu 92 Organisationen gepumpt,
Vergleicht man die 20 Millionen Dollar, die die 7 reichsten Länder der Welt zur Rettung des brennenden Amazonas-Regenwaldes gemeinsam bereitgestellt haben, mag man einen Eindruck davon kriegen, wie die Prioritäten in der politischen Weltordnung aktuell noch verteilt sind.
Den höchsten Preis zahlen indes wir alle. Ungerechterweise vor allem diejenigen Millionen Armen, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, am meisten von ihr betroffen sind und Heimat sowie Lebensgrundlage verlieren. Und das, während diejenigen wenigen Multimilliardäre, die durch die Ausbeutung von Menschen und Umwelt am meisten profitieren, sich mithilfe ihres Reichtums am bequemsten von den Folgen ihres Tuns abschirmen können. Die meisten von ihnen werden die Folgen der Klimakrise nicht einmal mehr erleben müssen, wie der Journalist Alexander Kaufman von der HuffPost kommentierte:
Doch trotz – oder gerade wegen – der dunklen Rauchschwaden des brennenden Amazonas am Horizont gibt es sie: Diejenigen, die nicht mehr tatenlos zusehen wollen, wie Gier und Ausbeutung unsere gemeinsame Lebensgrundlage zerstört:
Unsere Zivilisation wird für die Chance einiger weniger geopfert, weiterhin extrem viel Geld zu verdienen. Unsere Biosphäre wird geopfert, damit reiche Menschen – wie in meinem Land – ein Luxusleben führen können. Es ist das Leiden vieler, das für den Luxus einiger weniger zahlt.
Die ausdauernden weltweiten Proteste von Fridays for Future und unerschrockenen Politikerinnen wie der amerikanischen Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez, die zusammen mit Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders einen »Green New Deal« und eine faire Besteuerung der Reichen fordern, machen vor, dass es anders sein kann. Und dass es Alternativen gibt – abseits von Populismus, Extremismus und Rassismus.
Doch das schaffen sie nicht allein: Haben wir erst einmal erkannt, wer Teil des Problems ist, können wir selbst zum Teil der Lösung werden – und endlich handeln.
»Fridays for Future« ruft am 20. September zum Klima-Generalstreik auf. Nicht nur für Schülerinnen und Schüler.
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily