Die wollen mehr als nur spielen!
Videospiele sind harmlos, machen aggressiv, lehren wichtige Fähigkeiten, machen einsam, sorgen für Freunde? Schluss mit den Mythen: Es ist höchste Zeit für eine neue Debatte über Games.
Dieser Satz stammt nicht aus diesem Jahrhundert, sondern von einem längst verstorbenen Theologen. Der Stein des Anstoßes? Romane und die im 18. Jahrhundert angeblich grassierende
Diese ganz ähnliche Aussage traf Innenminister Thomas de Maizière bei einer Pressekonferenz nach dem Amoklauf von München in diesem Jahr. Der Stein des Anstoßes rund 200 Jahre später?
Was beide Sätze vereint, ist die zugrundeliegende Haltung: Beide Herren unterstellen ganz allgemein, dass ein Medium
Auch hat wohl niemand ein Problem damit, dass Mord und Totschlag in Kriminalromanen und Thrillern heute
Digitale Spiele tauchen in der Debatte vor allem dann auf, wenn es um
Das Problem: Beides stimmt nicht. Und beides verdeckt den Blick auf die tatsächlichen Stärken und Schwächen des jüngsten aller Unterhaltungs-Medien. Und hiervon gibt es eine ganze Menge …
In diesem Text soll es einmal vorrangig um die Stärken gehen. Digitale Spiele sind audiovisuelle Abenteuer-Spielplätze auf Knopfdruck. Sie sind längst mehr als »nur« hüpfende Klempner (Super Mario). Wir erklären an 3 Beispielen, wie Spiele die Spieler weiterbringen.
Die Schule des Gamings
Wie gute Bücher können Games Wissen und Kenntnisse vermitteln. Nehmen wir das Strategiespiel
- Ressourcen verwalten und den Wirtschaftskreislauf der eigenen Zivilisation ausbauen.
- Handel mit anderen Zivilisationen treiben, die ganz unterschiedliche moralische Einstellungen und Bedürfnissen haben.
- in seinen Städten die richtigen Gebäude bauen, um die eigene Bevölkerung zufriedenzustellen.
- sich zwischen verschiedenen Technologien entscheiden, um die eigene Zivilisation weiterzuentwickeln.
- Militäreinheiten produzieren und mit ihnen das eigene Gebiet strategisch sichern; oder die eigenen Grenzen mit Krieg ausdehnen.
Das meiste davon geschieht in Dialogmenüs; um die richtigen Entscheidungen zu treffen, müssen viele Zahlen und Statistiken studiert werden. Spieler von Civilisation brauchen also taktisches Geschick, strategisches Planungstalent und Überblick über ein komplexes System, um siegreich zu Wie viele Eltern kennst du, denen ihre Kinder im Teenager-Alter bei PC-Problemen helfen, statt umgekehrt?
Zurück zu den allgemeinen Games:
Games sind kognitiv anregend
Gaming wirkt nach – auch lange noch, nachdem der Computer heruntergefahren ist. Wie jedes Medium sind Digitale Spiele darauf angelegt, zu berühren, zu bewegen und mitzureißen.
Deshalb wählen einige moderne Games unbequeme, emotionale Themen als Gegenstand. So etwa
Lassen sich aus alten Kräutern Zigaretten drehen, die als Tauschmittel dienen? Kann ich eine Ratte fangen, die mal wieder ein paar dringend benötigte Proteine hergibt?
Das Besondere: Bei diesem Spiel werden die psychologischen Effekte, die ein Krieg auf Zivilisten hat, speziell betont. So wirken sich die Entscheidungen des Spielers direkt auf den emotionalen Zustand der Überlebenden aus und führen immer wieder zu moralischen Zwickmühlen: Helfe ich hungernden Nachbarn aus, habe ich vielleicht nicht genug Medizin für die eigene Gruppe, wenn der Winter hereinbricht. Im schlimmsten Fall erleiden Überlebende eine Depression – und begehen Selbstmord.
Nein, This War of Mine ist kein angenehmes Game für zwischendurch und
»Serious-Games«, also ernste Spiele wie This War of Mine, vermitteln so
Betrachtet man den Gaming-Markt als Ganzes, bleibt This War of Mine in seiner Haltung und Drastik eine Ausnahme. Doch viele moderne Games beinhalten moralische
Games werden geselliger
Beim Thema Gaming haben viele Leute klare
Das findet auch Jochen Koubek. Er ist Professor für Digitale Medien an der Universität Bayreuth und unterstützte 2014 den Aufbau des Studierenden-Projekts »E-Sport«. Darin organisieren sich Gamer an der Hochschule in kompetitiven Teams und trainieren gemeinsam ihre Fähigkeiten. Für Jochen Koubek und die Forschung ist das ein wertvoller Einblick in die wachsende E-Sport-Kultur:
Wir haben Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten zum Thema E-Sport. Es gibt die Vorgabe im Spielervertrag, dass jeder sich für Fragen und Untersuchungen zur Verfügung stellen muss.
Gespielt wird vor allem
Das effektive Spielen im Team und die genauen Absprachen auf eine gemeinsame Strategie entscheiden über Sieg oder Niederlage. Dabei gilt es, das eigene Ego dem Erfolg des Teams unterzuordnen – einsame Einzelspieler haben keine Chance.
Nicht alle Teilnehmer des Studierenden-Projekts aber spielen; einige organisieren nur Turniere und verwalten den Papierkram. Dass dabei nur wenige Games im Mittelpunkt stehen und gemeistert werden, ist normal. Im Sport ist der Zehnkampf auch eine
Die Aktivitäten der E-Sportler sind ganz klar auf Turniere und Siege ausgerichtet. Dabei muss man auch lernen, mit Kritik umzugehen und sich ständig zu verbessern. Es ist eben nicht nur Daddeln, sondern da passiert etwas, das durchaus den Titel Sport zu Recht trägt. Wenn man mit einem E-Sportler spricht, merkt man: Da ist jemand begeistert, leidenschaftlich an der Sache dran. Das ist ununterscheidbar von anderen sportlichen Aktivitäten. Unter Jugendlichen wird das respektiert, also die Hingabe an einen Gegenstand, der hohe Konzentration und viel Arbeit verlangt. Mit Zeitverschwendung oder leichter Unterhaltung hat das nichts mehr zu tun.
Auch die Strukturen sind ähnlich: Es gibt Dachverbände und Organisationen im E-Sport, Sponsoring, Turniere mit Preisgeldern, Liveübertragungen, Fach-Magazine und Fan-Artikel für Mannschaften. »Gamer« wird dabei zum Identitäts-Begriff, genau wie »Fußball-Fan«. Bei der Frage, ob E-Sport tatsächlich »Sport« ist, ist die Sportwissenschaft allerdings zerstritten. Denn E-Sport hat alles, was auch herkömmlicher Sport bietet – außer körperlicher Aktivität.
Wenn wir Sportschießen, Billard und Dart anerkennen, von Schach ganz zu schweigen, dann gibt es eine Menge Sportarten, die eben nicht die Beherrschung des Körpers, sondern eher die Beherrschung eines Geräts zum Inhalt haben. Dann kann der E-Sport durchaus Sport sein. Wir verlangen von unseren Spielern auch eine Ausgleichssportart, weil die Konzentration für Höchstleistungen auf E-Sport-Turnieren körperlich sehr anstrengend ist.
Ohne eine starke Identifikation von Gamern mit dem Hobby wäre E-Sport nicht erfolgreich. Hier begreifen sich Spieler als Teil einer eingeschworenen Hobby-Gemeinschaft, diskutieren über die »Liga« und fiebern mit ihren Idolen mit – wie Fußballfans eben auch.
Darum ist eine neue Debatte nötig
Kommen wir zurück zu de Maizières Auferweckung der »Killerspiel«-Debatte. Dieses Mal wollten sich die Medien nicht darauf
Bedenkenträger und Kulturpessimisten gibt es gerade hier in Deutschland. Das sind Leute, die ein klares Urteil über neue Medien haben; das war mit dem Internet nicht anders. In der deutschen Medienpädagogik geht es immer nur um Sorge, Bewahrung und Schutz. Wie können wir unsere Kinder schützen vor dem Einfluss dieses Mediums – warum stellen wir die Frage nicht andersherum? Was ist daran Positives zu vermelden? Was bringt Gaming? Warum ist es so populär? Wie können wir die Begeisterung kultivieren?
Der Bundesverband interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) schätzt, dass beinahe jeder zweite Deutsche Computer- und Videospiele
Allein die wachsende Anzahl an Spielern gibt Games eine kulturelle Relevanz, die ihnen Politik und Medien erst zögerlich zugestehen. Jörn Fahrbach von der deutschen Spieleschmiede GAMEFORGE AG sieht allerdings Fortschritte:
Richtig ist, dass in traditionellen Medien das Thema Gaming wenig stattfindet. Das liegt aber auch daran, dass, wenn über Spiele berichtet wird, meist ein größerer Aufhänger gesucht wird. Da sind wir als Branche einfach auch – so selbstreflektierend muss man sein – nicht so gut wie andere Kunst- oder Kulturschaffende. Filme und Musik sind einfach schon etablierter und erfahren entsprechend größeres Interesse. Gerade im Rahmen der Spielemesse Gamescom findet aber eine weit differenziertere Berichterstattung statt.
Die nächsten Jahre werden zeigen, ob wir immer noch bei der »Killerspiel«-Debatte festhängen – oder endlich über die drängenden Fragen im Zusammenhang mit Games diskutieren:
- Archivierung und Bereitstellung: Games sind kulturelle Artefakte unserer Zeit: Sie sind online, technologisch, audiovisuell und leicht zugänglich. Sie sind politisch, multikulturell, rasend in ihrer Entwicklung, nicht perfekt, ein wenig sorglos, aber doch voller Potenzial. Doch während es für Literatur und Bildende Kunst Bibliotheken und Museen gibt, schert sich bisher niemand für den Erhalt von Games.
- E-Sport und Let’s Plays erobern gerade die Spielekultur hierzulande im Sturm. Ihre Teilnehmer und Streamer werden immer jünger, sie dienen dem Publikum als Vorbilder und prägen ihr Publikum. Wie genau, ist von der Wissenschaft kaum erforscht. Mit der Rolle geht aber große Verantwortung einher, wie jeder 18-jährige Fußballstar
- Sensible Themen der Gaming-Kultur dürfen nicht durch eine »Spiele machen Spaß, sonst nichts«-Abwehrhaltung kleingeredet werden und unter den Tisch fallen. Es gibt Probleme: Körperliche Gewalt ist tatsächlich in vielen Games die einzige Spielmechanik. Frauenfiguren sind nach wie vor unterrepräsentiert und vermitteln ungesunde Körperideale. Erwachsene Themen wie Beziehungen und Homosexualität finden bisher nur eine klischeehafte Betrachtung –
»[Deutschland], ein Land der Dichter, Denker und Gamer.« – Verkehrsminister Alexander Dobrindt
Games sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen – und sie werden bleiben. Das ist uns aber noch nicht ganz bewusst. Der Vergleich mit anderen Medien macht dies deutlich: Es ist heute eine Selbstverständlichkeit, dass wir lesen, ins Museum gehen und den Fernseher einschalten. Wir führen sachliche Debatten über die Protagonisten in Büchern, den Stil der Musik, die Aussage von Filmen und die Moral unserer Comic-Helden. Es wird Zeit, dass wir auch Games als Teil der kulturellen Identität des 21. Jahrhunderts annehmen. Nur dann können wir endlich darüber sprechen, was ein »gutes Videospiel« ausmacht.
Titelbild: Perspective Daily - copyright