Warum es so schwer fällt, bei Netflix eine Entscheidung zu treffen
Wenn du das verstehst, fällt deine nächste Entscheidung leichter. Nicht nur bei Filmen und Serien.
Es ist endlich mal wieder so weit. Ich habe Feierabend, der Kalender hält keine Termine mehr bereit und meine Verabredung hat kurzfristig abgesagt – und es ist sogar noch Eis im Gefrierfach!
Beste Voraussetzungen für einen Filmabend also. Ich mache es mir auf der Couch bequem und schon fühle ich mich, als wäre ich nachts im Kaufhaus eingeschlossen worden: So viel Auswahl und ich kann alles haben! Dank Online-Streaming steht mir mit nur wenigen Klicks eine Auswahl zur Verfügung, die jede Videothek vor Neid erblassen lässt.
Doch die Euphorie hält genau so lange an, bis ich mir die Kurzbeschreibung des ersten Filmes durchgelesen habe: »Mann allein in New York« – och nö, ich will lieber was mit einer Frau in der Hauptrolle. Vielleicht der hier? »Frau auf der Suche nach dem perfekten Mann« – ach, die Art von Film habe ich doch schon 1000-mal gesehen …
Alles irgendwie nicht das Richtige – und meine Laune sinkt so schnell, wie sie zuvor gestiegen war. Angesichts der
Oder ist vielleicht gerade die große Auswahl das Problem?
Warum zu viel Auswahl wirklich eine Qual ist
Mehr ist nicht automatisch gleich besser. Der Psychologe Barry Schwartz erklärt in seinem
Von diesen Nebenwirkungen treffen 2 besonders gut auf das Streaming-Problem zu:
- Überhöhte Erwartungen:
Wenn heute auf Streaming-Plattformen plötzlich Tausende Filme zur Auswahl stehen und nicht mehr nur 5–10 wie im Kino oder Fernsehen früher,
- Die Opportunitätskosten:
Die Größe des Angebots beeinflusst auch, wie wir die einzelnen Optionen bewerten. Jede Option, die wir abwägen, bringt bestimmte Vor- und Nachteile mit sich. Entscheide ich mich aufgrund bestimmter Nachteile gegen eine Option, muss ich auch auf ihre Vorzüge verzichten. Diese verpassten Vorteile nennt man
Für Streaming-Dienste ist das ein Nachteil: Denn je mehr Alternativen wir in Betracht ziehen, desto mehr verlorene Vorteile gibt es. Die Opportunitätskosten summieren sich. Bei jeder weiteren betrachteten Option entdecke ich etwas, das ich auch gern hätte, was der bisherige Favorit aber nicht hat. So wird dieser immer weiter abgewertet.
Das erklärt, warum trotz Tausender angebotener Filme am Ende häufig keiner attraktiv genug ist, dass ich mich für eben diesen einen entscheide. Was bleibt, ist eine Auswahl an Filmen, die alle irgendwie nicht so überzeugend sind.
Was kann ich tun, um trotzdem zu einer Entscheidung zu kommen?
Was eine Entscheidung zusätzlich erschwert, ist auch, dass es keine Begrenzungen gibt. Alles ist immer verfügbar. Einschränkungen aber sind manchmal gar nicht schlecht, weil sie eine zusätzliche Rechtfertigung liefern, eine Option zu wählen – und damit auch die Entscheidung leichter machen.
Umgekehrt heißt das aber auch: Ich kann mir die Entscheidung erleichtern, indem ich mir selbst Einschränkungen auferlege – zum Beispiel durch ein Zeitlimit für die Suche oder eine Grenze für die Anzahl an Titeln, die ich mir genauer anschaue. Auch wenn diese Einschränkungen willkürlich gewählt sind, helfen sie mir trotzdem, indem sie die Opportunitätskosten und meine Erwartungen senken. Meine Lösung? Seit Kurzem gebe ich mir selbst immer 10 Minuten, um mir einen Überblick über die passendsten Optionen zu verschaffen – und wähle dann aus diesen 2 oder 3 Optionen.
Und haben wir das bei Netflix und Co. einmal gelernt, können wir das auf fast alle Bereiche unseres Lebens anwenden. Denn das Entscheidungsproblem tritt immer wieder auf: ob im Supermarkt, beim Online-Shopping – oder sogar bei der Partnerwahl.
Tatsächlich ist gerade bei Online-Dating-Portalen die Entscheidungssituation nicht sonderlich anders als beim Toasterkauf oder bei der Filmauswahl auf Streaming-Portalen. Präsentiert wird eine Reihe potenzieller Partner, zwischen denen wir – mehr oder minder – frei wählen können. Dafür ist die einzige Abhilfe auch die gleiche: nämlich sich zu vergegenwärtigen, was ein derart großes Angebot mit unseren Erwartungen macht.
Hier findest du die beiden anderen aktuellen Dailys:
Mit Illustrationen von Doğu Kaya für Perspective Daily