Wie wichtig Konstruktiver Journalismus ist, zeigt die Kritik an ihm

Im NDR gab es im Januar 2017 eine Themenwoche zum Konstruktiven Journalismus, bei der wir auch zu Wort kamen und vorgestellt wurden. Die Debatte zeigt: Konstruktiver Journalismus wird leider häufig falsch verstanden. So auch von Heribert Prantl aus der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung. Seine falsch adressierte Kritik zeigt, warum Konstruktiver Journalismus so wichtig ist.


Lieber Heribert Prantl, lieber NDR,

was haben wir uns bei Perspective Daily gefreut, als wir von der Themenwoche des NDR zum Konstruktiven Journalismus erfuhren. Genau diesen Journalismus haben wir uns als Online-Medium auf die Fahne geschrieben. Umso enttäuschter waren wir von Heribert Prantls Kommentar und der Einschätzung des NDRs, dass in seinem Kommentar Konstruktiver Journalismus diskutiert würde. Tatsächlich ist dies ein Paradebeispiel dafür, wie dringend wir Konstruktiven Journalismus brauchen.

Wo liegt das Problem? Bei der Herausforderung sind wir uns einig: »Ein guter Journalismus bleibt bei den Fakten; er analysiert sie und bewertet sie, so sachkundig wie möglich.« Hat Herr Prantl das gemacht? Nein, stattdessen arbeitet er sich am Strohmann »Gute Nachrichten«, also »Positiver Journalismus«, ab und betreibt so selbst den von ihm kritisierten »Kikeriki-Journalismus«.

Ein Problem, das wir ebenfalls beobachten: Häufig wird zu schnell reagiert, nicht gut recherchiert und Zusammenhänge bleiben auf der Strecke. Dabei geht es nicht um Postfakten, alternative Fakten oder Falschmeldungen, sondern schlichtweg um falsche Aussagen. Das kann dazu führen, dass wir über den Geschmack von Äpfeln schreiben und jemand antwortet: »Birnen mag ich nicht«, aber davon ausgeht, dass er auch Äpfel meint.

Generell passieren im Journalismus häufig zwei Dinge:

  1. Puzzlestücke: Weil es schnell gehen muss, weil häufig auch das Hintergrundwissen fehlt, weil Zeit und Platz knapp sind, werden Ereignisse nicht eingeordnet (und hier geht es nicht nur um lange Erklärstücke). Ja, es gibt jedes Jahr Hunderttausende Kriegstote (Fakt 1), aber es wird auch immer unwahrscheinlicher, Gewalt zum Opfer zu fallen (Fakt 2).
  2. Negativfokus: Die Einzelereignisse, die es auf Seite 1 schaffen, sind meist negativer Natur und wir sind biologisch auf Warnungen programmiert. Schließlich konnten die in Zeiten von Säbelzahntigern den Tod bedeuten. Im Jahr 2017 führt der gut untersuchte Negativitäts-Bias in den Medien jedoch beim Empfänger zu einem ebenfalls hinreichend belegten negativen Weltbild.

Immer, wenn wir Menschen von Perspective Daily erzählen, machen wir einen kleinen Wissenstest und fragen zum Beispiel, wie viele erwachsene Menschen weltweit lesen und schreiben können. 40%, 60% oder 80%? Egal, wo und wen wir fragen: Die Menschen unterschätzen die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte. Tatsächlich sind es mittlerweile über 80%.

Nun könnte man argumentieren, das sei vielleicht sogar förderlich: Dann würden die Menschen noch wütender, ängstlicher und aufgebrachter, und die Medien würden so wie es Heribert Prantl wünscht »die Bürger befähigen, die Zukunft der Gesellschaft so gut wie möglich mitzugestalten.« Weit gefehlt: Zahlreiche Studien belegen das Gegenteil. Viele Menschen werden zynisch, gestresst und geraten in eine gelernte Hilflosigkeit. Der Wahn des Tages wird für sie zu viel und sie wenden sich von den wichtigen Herausforderungen ab. Nichts mit »mitgestalten«.

Gehen wir also einen Schritt zurück. »Die Hauptaufgabe des Journalismus ist es, die Menschen zu befähigen, sich ein richtiges Bild von der Welt zu machen«, schreibt Heribert Prantl. Da sind wir uns alle einig.

Konstruktiver Journalismus hält die gleichen Kernaufgaben und ethischen Ansprüche aufrecht wie »ordentlicher Journalismus«: Vierte Gewalt im Staat, Kontrolle von Macht und Mächtigen usw. Er macht aber noch mehr: Er ordnet ein, zeigt Grautöne – und diskutiert Lösungsansätze. Er geht Problemen nicht aus dem Weg, genau wie jeder gute Journalismus. Er stellt zusätzliche Fragen: Neben den klassischen W-Fragen – Wer?, Was?, Wo? usw. – fragt er auch: Was nun? Was hat die Geschichte, die Wissenschaft, was haben die Menschen in dieser Welt für Möglichkeiten gefunden, um diese Probleme besser zu verstehen und zu bewältigen? Quellen und Fachwissen spielen dabei eine wichtige Rolle, weil sie eine fundierte Haltung des Journalisten erlauben und nachvollziehbar machen. Das ist nicht einfach und bedarf einer gewissen Zeit.

Was haben wir hier gemacht? Konstruktiven Journalismus im Kurzformat: Problembeschreibung plus Diskussion von Möglichkeiten, damit umzugehen.

Warum haben wir das gemacht? Weil wir hoffen, dass die Debatte darüber, ob Konstruktiver Journalismus »den Leuten Honig ums Maul« schmiere, ob er »Werbung für Lobbys« mache oder gar Journalisten zu »Wellness-Trainern« und »Entertainern« umschulen wolle, bald vorbei ist. Denn das ist schlichtweg falsch. Wir hoffen, dass wir diese Aufklärungsarbeit hinter uns lassen können, damit wir uns zu 100% dem widmen können, was guten Journalismus ausmacht und so »die Bürger befähigen, die Zukunft der Gesellschaft so gut wie möglich mitzugestalten«.

Maren Urner und Han Langeslag
Gründer von Perspective Daily