Jeder hat Geheimnisse. So gehst du besser damit um
Etwas zu verheimlichen kann Körper und Psyche belasten. Psychologen wissen, woran das liegt und was wir dagegen tun können.
Ich begehre die Freundin meiner Frau. Sie ist die Frau meines Freundes.
Fast alle Daten in meiner Doktorarbeit habe ich erfunden. Bis zum Fall ›zu Guttenberg‹ fand ich das schlimm und hatte ein schlechtes Gewissen. Jetzt ist es mir egal und ich bin viel freier.
Ich habe meine Eltern sehr oft beklaut, obwohl es mir nie an etwas gemangelt hat.
Das sind echte Geheimnisse von echten Menschen, die sie irgendwann auf eine Postkarte geschrieben und an
Während ich durch die Geheimnis-Galerie des Blogs scrolle, vergesse ich alles um mich herum. Jede Postkarte ist einzigartig und die Geheimnisse faszinieren mich. Viele handeln von heimlicher oder enttäuschter Liebe, manche sind lustig, manche befremdlich und viele tieftraurig. Beim Lesen fallen mir meine eigenen Geheimnisse ein. Eigentlich denke ich nicht gern daran, doch es beruhigt mich, diese ganzen fremden Geheimnisse zu lesen. Sie erinnern mich daran, dass wir alle Geheimnisse haben und ich nicht die Einzige bin, die manche Dinge niemandem erzählt.
Wir alle verheimlichen etwas
Geheimnisse bewahren zu können, ist grundsätzlich etwas Gutes – und ein wichtiger Schritt in unserer Entwicklung. Zu lernen, Informationen nicht mehr mit jedem zu teilen, hilft uns, uns von anderen abzugrenzen und eine eigene Identität aufzubauen.
Wenn wir älter werden, bleiben unsere Geheimnisse allerdings nicht so harmlos wie zu Kindergartenzeiten. Positive Geheimnisse, wie die geplante Überraschungsparty für die beste Freundin oder der Verlobungsring im Schrank, müssen uns dabei keine Sorge bereiten. Wenn wir aber negative Geheimnisse hüten, bei denen es etwa um Betrug geht, kann das Folgen für unsere Psyche und Gesundheit haben.
Dabei ist es ganz normal, etwas zu verheimlichen: Im Schnitt hütet jeder von uns sogar 13 Geheimnisse, von denen wir 5 noch niemandem verraten haben. Das hat der Psychologe Michael Slepian in einer großen Studienreihe ermittelt. Er ist Professor an der Columbia Business School in New York und hat die Geheimnisforschung in den letzten 10 Jahren revolutioniert. In 6 Studien fragten er und seine Kollegen insgesamt mehr als 3.000 Menschen danach, was sie anderen Menschen verheimlichen.
Geheimnisse liegen wie Gewichte auf unserer Seele
Klar ist, dass die meisten Menschen wahrscheinlich nur zu gern auf ihre Geheimnisse verzichten würden. Denn sie enthalten das, wofür wir uns schämen oder schuldig fühlen und was wir am liebsten vergessen würden: Fehltritte, verbotene Gedanken, versteckte Leidenschaften und dunkle Erlebnisse.
Sie erinnern uns daran, dass wir nicht immer entsprechend unseren Werten leben und nicht immer ehrlich sind. Die negativen Konsequenzen, die das auf Körper und Psyche haben kann, sind gut belegt:
Umgangssprachlich reden wir davon, dass uns ein Geheimnis belastet oder schwer auf den Schultern liegt. Tatsächlich scheint das auch abseits von Metaphern zu stimmen:
Ausgangspunkt für diese Untersuchungen war die Beobachtung, dass wir die Umwelt anders wahrnehmen, wenn wir eine Last tragen – etwa einen Rucksack oder ein Gewicht. Sind wir schwer beladen, kommt uns alles anstrengender vor: Distanzen erscheinen länger und Berge steiler.
In ihren Studien untersuchten die Forscher, ob es ähnliche Effekte hat, wenn wir ein Geheimnis mit uns herumtragen. Um das herauszufinden, baten sie die Teilnehmenden, an etwas Verheimlichtes zu denken und anzugeben, wie sehr sie dieses Geheimnis beschäftigt. Anschließend sollten sie beurteilen, wie steil ihnen ein Berg erscheint, von dem die Forscher ihnen ein Bild präsentierten. Es zeigte sich, dass die Gedanken an das Geheimnis die Wahrnehmung verändert hatten: Je stärker das Geheimnis die Befragten beschäftigte, desto steiler kam ihnen der Berg vor.
Darum tut es uns nicht gut, Dinge zu verheimlichen
Doch warum belasten uns Geheimnisse so sehr? Man könnte denken, die Antwort sei klar: Geheimnisse liegen uns so schwer auf den Schultern, weil wir ständig befürchten müssen, dass sie ans Licht kommen. Wir könnten uns in einem unvorsichtigen Moment verplappern oder jemand könnte durch Zufall unser Geheimnis entdecken – so passiert es schließlich oft in Filmen.
Wie oft kommt es aber tatsächlich vor, dass wir uns auf die Zunge beißen müssen, um uns nicht zu verraten? Und wie oft sind Geheimnisse wirklich kurz davor, aufgedeckt zu werden? In der Realität passiert das selten und meist nur kurz nachdem wir entschieden haben, etwas für uns zu behalten. Etwa dann, wenn wir gerade den Strafzettel aus der Post gefischt haben, von dem wir unserem Partner nichts erzählen wollten – und er plötzlich neben uns steht.
Manch andere Geheimnisse können uns dagegen über Jahre belasten. Selbst dann noch, wenn sich der Rest der Welt schon längst mit anderen Dingen beschäftigt und die Wahrscheinlichkeit aufzufliegen verschwindend gering ist.
Es muss also einen anderen Grund dafür geben, warum Geheimnisse uns bedrücken können.
So leiden wir weniger unter unseren Geheimnissen
Der leichteste Weg wäre wohl, einfach keine Geheimnisse zu haben. Da das niemandem gelingt, scheint das allerdings sehr unrealistisch. Denn manches verheimlichen wir aus gutem Grund: Wenn wir etwa befürchten, unseren Ruf zu verlieren, enge Beziehungen schützen wollen oder Angst haben, dass wir aus unserem Familien- und Freundeskreis verstoßen werden.
Trotz dieser Sorgen kann es helfen, sich einzelnen, in unseren Augen vertrauenswürdigen Personen anzuvertrauen.
Teilen oder nicht teilen?
Es gibt also jede Menge Vorteile, die dafürsprechen, ein Geheimnis zu offenbaren. Trotzdem sollten wir uns gut überlegen, ob wir unser Innerstes preisgeben. Wir müssen dann damit leben, dass unsere Freundin diese sehr intime Seite von uns kennt. Damit zeigen wir zwar, wie sehr wir ihr vertrauen, riskieren aber auch die Beziehung, so wie sie bisher war. Außerdem besteht trotz allem Vertrauen immer die Gefahr, dass sie unser Geheimnis weitererzählt.
Und noch eine andere Frage sollten wir uns stellen: Geben wir mit dem Geheimnis auch eine Belastung weiter?
Teilt jemand ein Geheimnis mit uns, teilen wir tatsächlich auch die Bürde des Geheimnisses.
Was, wenn ich niemandem von meinem Geheimnis erzählen kann?
Nicht immer gibt es jemanden, dem wir unser Geheimnis anvertrauen können. Doch auch dann gibt es Wege, Entlastung zu finden. So kann es schon helfen, das Geheimnis für sich selbst aufzuschreiben.
Viele finden auch Erleichterung darin, ihr Geheimnis anonym im Internet in Foren oder auf Plattformen wie PostSecret zu posten. So können sie sich anderen offenbaren und erfahren soziale Unterstützung, ohne eine Beziehung zu gefährden.
Und als kleiner Nebeneffekt zeigen solche öffentlichen Beichten anderen, so wie mir, dass wir nicht die Einzigen sind, die etwas zu verheimlichen haben.
Mit Illustrationen von Tobias Kaiser für Perspective Daily