Er baut auf einem Friedhof Oliven an. Und die sind köstlich
Warum Olivenöl aus Palästina von besonderer Qualität ist, hat auch mit dem Nahostkonflikt zu tun. Leider wirst du es hier in keinem Supermarkt finden.
»Kennst du die biblische Geschichte von Noah?«
Das fragt mich Fariz Yousef, als ich ihn Mitte Oktober in seinem Restaurant in Hamburg-Eimsbüttel besuche. Draußen herrscht bereits Novemberstimmung; Grau ist die alles bestimmende Farbe. Hier drinnen hingegen schaffen das dunkle Holz und die bunten Kacheln eine behagliche Stimmung.
Noah wollte wissen, wann er wieder von seiner Arche an Land gehen kann und wann es endlich aufhört, zu regnen. Irgendwann hat er also eine Taube losfliegen lassen und dann kam sie mit einem Olivenzweig im Schnabel zurück. So wusste er, dass Land in Sicht ist.
Diesen Frieden hätte die Region, in der Fariz Yousef aufgewachsen ist, bitter nötig. Denn er ist gebürtiger Palästinenser und seit Kindertagen mit dem
Oliven und insbesondere das daraus gewonnene Öl sind ein zentrales Element der palästinensischen Küche.
Die Relevanz der Olive für die Wirtschaft Palästinas lasse sich daher gar nicht überschätzen,
Olivenöl »aus dem Heiligen Land«
So kommt natürlich auch in Fariz Yousefs Restaurant den Oliven und gerade dem Olivenöl eine tragende Rolle zu. Das Öl, das in der Küche verwendet wird, stammt aus Aljadideh, dem Heimatdorf von Fariz Yousef im Norden Palästinas. Die Olivenbäume dort hat er selbst als kleiner Junge zusammen mit seinem Großvater gepflanzt. »Die Bäume sind jetzt in der Flasche«, sagt Fariz Yousef und lacht herzlich.
Als ich das Azeitona verlasse, trage ich eine Flasche Öl bei mir. Zu Hause angekommen koste ich noch einmal davon: Es ist fruchtig und zurückhaltend mild, ohne den bitteren Nachklang, den ich sonst schmecke. Wie kann es sein, dass Oliven in Palästina seit Jahrtausenden angebaut werden, sie aber bislang nicht den Weg in unsere Supermärkte gefunden haben, wo dort doch selbst
Um dieser Frage nach zu gehen, reise ich zur Olivenernte nach Palästina.
In der Erntezeit wird der Konflikt mit Israel sichtbar
Ich beginne meine Reise in Ramallah, der Stadt im palästinensischen Westjordanland, die als am europäischsten und liberalsten gilt. Ramallah ist eine lebendige, aufstrebende Stadt, die erkennbar auf Tourismus setzt. Jeden Abend versprüht auf dem Platz vor dem Rathaus ein Springbrunnen seine Fontänen, abgestimmt auf die Melodien arabischer und englischer Popsongs. Ramallah ist auch eine Stadt der Studierenden. An der Birzeit University sind derzeit knapp 15.000 junge Menschen eingeschrieben.
Eine dieser Studierenden ist Rya Radwaan. Die 22-Jährige studiert Englische Sprache sowie Literatur und arbeitet nebenher als Übersetzerin. Als wir auf die Olivenernte zu sprechen kommen, macht sie mich auf das Logo der Uni aufmerksam, in dessen Mitte ein grüner Ölbaum steht. Tatsächlich verweise der Name der Universität auf den Ort Birzeit, was mit »Olivenölbrunnen« übersetzt werden könne – ein deutlicher Hinweis auf die landwirtschaftliche Tradition der Region.
Auch Rya Radwaans Eltern besitzen etwa 40 eigene Ölbäume. Wie für so viele Palästinenser dient der Olivenanbau auch in ihrer Familie weniger dem Verkauf als vielmehr der Selbstversorgung. Rya Radwaans Vater ist Verkäufer in einem Werkzeuggeschäft, um die Bäume kümmert er sich nebenher. In der Erntezeit, erzählt sie mir, müsse dann die ganze Familie ran. Und so erntet sie zusammen mit ihren Geschwistern und deren Partnern 4 Wochen lang jeden Freitag und Samstag Oliven auf dem elterlichen Hof.
Die Ernte versorgt die Familie ein ganzes Jahr lang mit eingelegten Oliven, die bei jeder Mahlzeit mit auf dem Tisch stehen. Einen Teil der geernteten Früchte bringen sie außerdem zur Ölmühle, damit sie auch mit eigenem Öl versorgt sind. Die Ernte, resümiert Rya Radwaan, sei immer auch eine Gelegenheit, auf das Land zurückzukehren, das seit Generationen zur Familie gehöre.
Diese Verbindung zum Land ist in Palästina besonders wichtig, weil sie nicht selbstverständlich ist. Denn die israelische Besatzung ist allgegenwärtig. Knapp
Nicht selten, aber immer unvorhersehbar, werden zusätzlich zu den fest installierten Checkpoints mit den Überwachungstürmen sogenannte »Flying Checkpoints« errichtet. Das sind Straßensperren, an denen die israelische Polizei jedes Auto anhält und kontrolliert.
Neben den offiziellen Maßnahmen der israelischen Sicherheitskräfte erschweren auch manchmal die israelischen Siedler aus den umliegenden Orten die Ernte enorm. Jedes Jahr kommt es vor, dass sie junge Bäume ausreißen oder
Meist passiert das in der Nacht, in letzter Zeit mehren sich aber Berichte von Übergriffen, die am helllichten Tag geschehen, sodass es zu
Die Ernte: Eine Frage der richtigen Methode
Ich will mir nun endlich selbst ein Bild von der Ernte machen und schließe mich einer bunten Gruppe freiwilliger Erntehelfer an, die aus Brasilien, Puerto Rico, Südafrika oder den USA angereist sind. Am Tag zuvor haben sie in Ramallah an einer Konferenz zur Selbstbestimmung in der Nahrungsmittelversorgung teilgenommen.
So komme ich nach Turmus Ayya, einem größeren Dorf, das eine 3/4-Stunde nördlich von Ramallah liegt. Hier lerne ich Nidal Rabie kennen. Der 57-jährige Nidal Rabie ist ein fröhlicher Mann mit Schnauzbart und grauem Haar, der immer in Bewegung ist. Außerhalb des Dorfes hält er sich Ölbäume auf einer Fläche von 50 Dunum, also 5 Hektar. Damit gehört Nidal Rabie zu den größeren Bauern, denen die Ernte auch eine Einkommensquelle ist.
Im Dorf selbst hat Nidal Rabie für den Zeitraum der Ernte den Friedhof gepachtet, um die dort wachsenden Oliven zu ernten. Was mir als Ort zunächst gewöhnungsbedürftig erscheint, sieht Nidal Rabie pragmatisch. Den Verstorbenen würden gern Ölbäume gepflanzt, damit sie in deren Schatten ruhen können, erklärt er mir. Er sagt auch, dass die Oliven dieses Jahr besonders groß seien und er mit einem Ertrag von 15 Litern Öl pro Baum rechne.
Nidal Rabie ist ein begeisterter Olivenbauer. Aber er ist auch Manager, jemand, der mit Zahlen umzugehen weiß. 3 Jahrzehnte habe er in Costa Rica, Panama sowie New York gelebt und dort Textilgeschäfte aufgebaut. Und dennoch: Wenn er von den Bäumen spricht, tut er dies mit einer Hingabe, die wenig mit Zahlen oder Erträgen zu tun hat:
Für uns ist der Ölbaum etwas Religiöses. Wir lieben den Ölbaum. Er ist anders als die Aprikose oder der Mandelbaum. Er ist wie unser Sohn.
Und wie in der Erziehung eines Sohnes gibt es auch bezüglich der Bäume verschiedene Ansichten über den richtigen Umgang. Das zeigt sich besonders bei der Frage nach der besten Erntetechnik. Denn es gibt unterschiedliche Methoden, die Oliven von den Bäumen zu holen: Man kann die Früchte einzeln per Hand pflücken – schonend, aber zeitaufwendig. Oder man verwendet eine Plastikharke, um die Oliven von den Trieben abzustreifen. Noch schneller lassen sie sich mit einem Gummistock abschlagen. Nidal Rabie hat dazu jedoch eine klare Meinung: »Das erlaube ich niemandem. Das wäre, als wenn mich jemand mit dem Stock schlagen würde.«
Er lacht, als er das sagt, aber es ist ihm anzumerken, dass es ihm ernst damit ist. Denn der Stock beschädigt nicht nur die jungen Triebe des Baumes, sondern auch die Oliven selbst. Die kleinen Wunden an den Oliven oxidieren und lassen den Säuregehalt der Früchte steigen.
Die Erntetechnik ist daher entscheidend für die Qualität der Früchte und damit auch die des daraus gepressten Öls. Nidal Rabie setzt neuerdings auf eine elektrische Erntemaschine. Ihr Aussehen erinnert an Motorsensen. Sie arbeiten zwar schnell, sind aber auch teuer. 1.800 Schekel, knapp 500 Euro kostet ein solches Erntegerät.
Für Nidal Rabie rechnet sich die Investition, weil sie Arbeitskraft und Zeit spart. Mit den Einnahmen aus dem Olivenölverkauf werden sich seine Ausgaben recht schnell amortisiert haben. Denn wie jedes Jahr wird er sein Öl in der Umgebung von Ramallah verkaufen und einen kleineren Teil mitnehmen, wenn er das nächste Mal seine Textilgeschäfte in den USA besucht.
Was die Qualität des palästinensischen Öls ausmacht
An einem anderen Tag fährt unsere Erntehelfergruppe zu einem Bauern in der Nähe von Nablus im nördlichen Westjordanland. Hier lerne ich Majed Nasser kennen. Er weiß alles über den Anbau von Oliven und die Qualität des Öls. Denn Majed Nasser ist Agrarwissenschaftler und arbeitet für die Union of Agricultural Work Committees (UAWC), eine NGO, die Bauern in der palästinensischen Westbank und in Gaza unterstützt. Ihn selbst begleitet der Olivenanbau bereits seit Kindertagen:
Mein erstes Studium war auf dem Feld meines Vaters. Als ich meine Augen das erste Mal öffnete, tat ich das in einem Olivenhain.
Majed Nasser hat sich darauf spezialisiert, die Qualität des Olivenöls anhand des Geruchs, Geschmacks und der Farbe anstatt mithilfe chemischer Tests einzuschätzen. Er erklärt mir, dass die Qualität der palästinensischen Oliven im weltweiten Vergleich besonders hoch ist. Und das hat ganz unterschiedliche Gründe:
- In Palästina ist Olivenernte Handarbeit, was mittlerweile eine Besonderheit ist. In den Anbaugebieten Kaliforniens oder Italiens kommen auf riesigen Plantagen Erntemaschinen zum Einsatz, die die Bäume innerhalb von Sekunden abernten.
- In Palästina sind die Oliven chemisch unbehandelt. In aller Regel kommen keine synthetischen Dünger oder Pestizide zum Einsatz – weil deren Anschaffung zu teuer ist.
- Außerdem werden die Ölbäume in Palästina zumeist nicht bewässert. Die Bäume müssen mit dem Regen auskommen, der ausschließlich in den Wintermonaten fällt.
Neugierig geworden pflücke ich eine Olive vom Baum, um sie zu kosten. Den Geruch der Frucht beschreibt Majed Nasser als Mischung aus Mandel und Gras. Was ihren Geschmack betrifft, ist sie sehr ölig, leicht scharf und so unerträglich bitter, dass ich sie gleich wieder ausspucken muss. Mir fällt es schwer, zu begreifen, dass daraus das angenehm fruchtige Öl gewonnen wird. Nach dieser praktischen Lektion kehre ich lieber zur Theorie zurück. So sprechen wir über die widersprüchlichen Gründe für die Eigenheiten des palästinensischen Olivenanbaus.
Denn eine Industrialisierung der Ernte ist in Palästina nicht nur wegen der Wertschätzung der Bäume undenkbar. Auch die Anschaffungskosten von Erntemaschinen sind für die Kleinbauern viel zu hoch. Was die synthetischen Dünger und Pestizide betrifft, sind diese nicht nur teuer, sie werden auch von Israel blockiert. Denn es besteht die Angst, die chemischen Produkte würden für die Herstellung von Bomben missbraucht, die dann gegen Israel eingesetzt werden könnten.
Dass die Bäume nicht bewässert werden, liegt ebenfalls an den hohen Kosten. Wasser wäre durch Brunnen und Quellen in Palästina eigentlich ausreichend verfügbar. Seit dem Sechstagekrieg von 1967 sind diese jedoch in israelischer Hand – so
Somit ist die hohe Qualität der palästinensischen Oliven und die des daraus gepressten Öls auch eine paradoxe Folge der israelischen Sanktionen.
Probiere mal was anderes!
Nach 2 Wochen fliege ich zurück nach Deutschland. Wenn ich auf meine Einblicke in den Olivenanbau im Westjordanland zurückschaue, verstehe ich, weshalb Olivenöl aus Palästina unter den gegebenen Bedingungen preislich unmöglich mit dem günstigen Öl aus der industrialisierten europäischen Landwirtschaft mithalten kann. Während Spanien und Italien den Markt mit ihrem Olivenöl dominieren, steht Palästina weltweit erst an 20. Stelle. Zwar ist Olivenöl das viertwichtigste Exportgut Palästinas, nur kommt davon sehr wenig in Europa an. Das meiste Öl verlässt nicht einmal die Region, denn der mit Abstand größte Abnehmer ist Israel. Auch in die Golfstaaten wird exportiert. Dort vermarkten dann ansässige Familienmitglieder das Öl.
Solange dies nicht der Fall ist, sind Ölliebhaber auf
Fariz Yousef hat auf das Etikett der Ölflaschen, die er in seinem Restaurant verkauft, ein kleines Bild seines Heimatdorfes drucken lassen. Der Text darunter spricht von einem der »schönsten Dörfer Jenins«, der nächstgelegenen Stadt im hohen Norden des Westjordanlandes.
Fariz Yousef hat sich mit seinen beiden Restaurants in Hamburg gut etabliert. Und dennoch: Wenn er von seinem Heimatdorf spricht, ist auch in ihm diese Sehnsucht nach dem Land seiner Familie, die mir auf der Reise durch Palästina so oft begegnet ist. So hat für ihn wie für die Bewohner des »Heiligen Landes« die Geschichte von Noah nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt. Noch immer steht der Ölbaum für die Hoffnung auf Land – und auf Frieden.
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily