Du denkst, die Welt ist in Aufruhr? Du hast recht
Für Klimagerechtigkeit, für Freiheit, für Würde – 2019 war ein Jahr der Massendemonstrationen. Und es geht weiter. 5 Protestforscher erklären, worauf wir uns jetzt vorbereiten müssen.
Ist das der Anfang einer neuen Epoche?
Der Küchentisch ist nicht selten der Ort, an dem große Fragen gestellt werden. Auch an jenem Abend im vergangenen Oktober, als mein Mann und ich durch die Nachrichten zu den vielen neuen Protesten scrollten, die allein in diesem einen Monat ausgebrochen waren. Von Südamerika über Afrika, Nahost, Europa bis nach Hongkong – uns schien, als würde sich überall auf der Welt eine Unzufriedenheit entladen, die sich lange angestaut hatte. »Zufall?«, fragte ich ihn. »Oder sogar das Ende einer Ära?«, gab er zurück. Ein paar Tage später stellte ich meinem Kollegen Benjamin Fuchs in der Redaktion dieselben Fragen. Die Neugier packte uns. Benjamin hat in Südamerika gelebt, ich im Nahen Osten – mit unserem regionalen Wissen wollten wir uns an die Antwort auf die Frage herantasten, ob diese Proteste etwas verbindet – und wenn ja, was das sein könnte.
Eines wird deutlich: Es war in Anzahl und Intensität ein außergewöhnliches Protestjahr. In rund 1/4 der Welt soll es 2019 zu einem dramatischen Anstieg ziviler Unruhen gekommen sein, die auch in diesem Jahr nicht abnehmen werden. So beschreibt es die britische Risikobewertungsfirma Doch das sagt noch wenig über Zusammenhänge aus.
Zusammenhangslos scheinen nämlich die Auslöser der Massenproteste auf den ersten Blick: und in Frankreich eine Ökosteuer auf In Hongkong lebten die Proteste für die Unabhängigkeit von China wieder auf. Und als wäre es noch nicht kleinteilig genug, Verbindungen darin zu suchen, stellten wir uns zusätzlich die Frage: Wie passen eigentlich wie Fridays for Future, Extinction Rebellion oder das US-amerikanische ins Bild?
Um uns nicht zu verrennen, fragten wir bei 5 Protestforschern nach, die unterschiedliche regionale Schwerpunkte haben: Lateinamerika, Europa, Nordafrika und Mittlerer Osten sowie Hongkong. Um die Gemeinsamkeiten aufzudecken, mussten wir uns nämlich erst einmal durch regionale Unterschiede und Ursachen arbeiten.
Klicke hier für eine detaillierte Liste der großen Proteste im Jahr 2019.
Am Ende unserer Recherche fanden wir 4 Berührungspunkte.
1. Die Protestierenden wehren sich gegen Ausbeutung
Stell dir vor, du hast ein Auto und jemand anderes kassiert Geld dafür, dass du es fährst. Ungerecht, oder? Wenn der Soziologe Sérgio Costa, gebürtiger Brasilianer und Professor an der FU Berlin, zu den Ursachen der Protestwellen in Südamerika befragt wird, spricht er von einer angelehnt an den weltweit agierenden Fahrdienst Uber: »Die Verantwortung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird immer stärker zurückgefahren. Das ist mehr als Ausbeutung. Es ist eine Art Enteignung seines Autos und seiner Freizeit.« Aber nicht nur dort.
Selbst in Hongkong, verzeichnet der dass Die Hongkonger ächzen unter hohen Lebenshaltungskosten und Mieten, während der Wohlstand am oberen Ende weiter wächst. »Die Menschen in Hongkong sehnen sich schon sehr lange nach Demokratie, sodass man sagen kann, dass dies ein prodemokratischer Protest ist. Aber ich sehe die tieferen strukturellen Probleme. China ist in den letzten Jahren wirtschaftlich enorm gewachsen, was dazu führte, dass chinesisches Kapital nach Hongkong floss und die Lebenshaltungskosten in die Höhe trieb«, erklärt der Hongkonger Protestforscher Ye Wang den Unmut.
Ungleichheit zeigt sich im Libanon, Irak, Sudan und Algerien vor allem als demografisches Problem. In Nordafrika und dem Nahen Osten herrscht die höchste Jugendarbeitslosigkeitsrate weltweit: 25% der 15–24-Jährigen in der Region sind arbeitslos, Tendenz steigend. Lebenshaltungskosten und Arbeitslosigkeit rangieren unter den Und auch in Chile, das immer als südamerikanischer Vorzeigestaat für wirtschaftliche Stabilität galt, bekommen Arbeitnehmer weniger staatlichen Rückhalt. Die Privatisierung von Bildung, Gesundheit und Altersvorsorge wurde schon in den 70er-Jahren während der Zeit der vorangetrieben. Ministerien wurden damals mit Ökonomen besetzt, die in Chicago – der Ideenschmiede des Neoliberalismus –
von der Idee eines auch nur rudimentär ausgeprägten Sozialstaats. Nicht selten sind es die Politiker selbst, die als Unternehmer vom Ausbau einer privaten Infrastruktur, beispielsweise im Gesundheitswesen, profitieren.

Schauen wir nach Europa. Hier schwang auch bei dem gegen eine Ökosteuer auf Kraftstoffe das Gefühl mit, sich immer weniger vom gleichbleibenden Lohn leisten zu können. Die Deutschen teilen die Angst ihrer Nachbarn. Seit den und der Weltfinanzkrise 2008 haben die meisten Deutschen eher den Abstieg als den Aufstieg vor Augen. Prognosen gehen davon aus, dass die heutige junge Generation den Lebensstandard ihrer Eltern nicht erreichen wird. Eine stellte 2018 fest, dass der Aufstieg in Deutschland von ganz unten in die Mittelschicht 6 Generationen dauert.
Gegen eine andere Form der Ausbeutung, sozusagen die zweite Seite der gleichen Medaille, wenden sich Millionen junger Menschen in Deutschland und auf der ganzen Welt: Die Ausbeutung und Zerstörung des Planeten. Fridays for Future und Extinction Rebellion stehen in der Tradition der Umweltbewegungen der auch wenn sie sich mehr auf die besonders drängende Frage der Klimakrise als auf die der Ressourcenausbeutung konzentrieren. Mit ihrem Protest wollen sie keine Regierung stürzen, sondern ganz konkrete Ziele umgesetzt sehen – ein Ende des zerstörerischen Wirtschaftens, das die Erde weniger lebenswert macht und am Ende die Menschheit in ihrer Existenz bedrohen könnte.
Wer sich die globalen Proteste heute anschaut, zieht intuitiv eine Verbindung zu der Protestwelle des Arabischen Frühlings, der Bewegung oder der spanischen Antiausteritätsbewegung die der Weltfinanzkrise ab 2007 folgten. »Wenn man sich die Missstände damals anschaut, dann war die profunde ökonomische Krise in den meisten dieser Länder auch eine Krise der Politik. Es lag also nicht nur an ökonomischen Missständen und daran, dass es keine Arbeitsplätze gab. Die Protestler zeigten: So wie Politik funktioniert, funktioniert sie nicht für uns!«, beobachtet Swen Hutter, Protestforscher des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Er spricht das vorherrschende Gefühl an, dass Menschen sich im bestehenden politischen System nicht repräsentiert sahen. Damals war die Antwort in einigen Staaten noch, neue politische Kräfte auf den Weg zu bringen, wie die linkspopulistische in Spanien.

Seitdem ist die Vermögensungleichheit weiter gewachsen. Es gibt eine größere Anzahl von Menschen, die in Armut leben, Vielleicht sehen wir also keine neue Ära, sondern zunächst vor allem das Ende einer alten – in der der Neoliberalismus an die Grenzen der vorhandenen Ausbeutungspotenziale stößt. An immer mehr Orten in der Welt ist der Zustand des Tolerier- oder Ertragbaren dieser Ausbeutung erreicht, in sozialer wie planetarer Hinsicht. Die Auswirkungen in den Ländern, die von den Industrienationen ausgebeutet werden, sind entsprechend besonders schwerwiegend. Neu ist, dass in den weltweiten Sozialprotesten jetzt auch
Selbst in Industrienationen beginnt die Mittelschicht zu begreifen: Sie hat kaum noch etwas zu gewinnen, aber jede Menge zu verlieren.
2. »Wir gegen die da oben«
Die Wut der Straße richtet sich gegen jene, die die Ausbeutung ihrer Ansicht nach organisieren, ihr tatenlos zusehen und von ihr profitieren: das wirtschaftliche und Im Libanon wurde relativ schnell zu Anfang der Proteste 2019 der vollständige Austausch der politischen Klasse gefordert, stattdessen sollten unabhängige Fachleute regieren. Auch in Chile pochten Protestierende auf den Rücktritt der Regierung. Der Soziologe Sérgio Costa fasst die Lage mit Blick auf Lateinamerika so zusammen:
Man hat gemerkt, dass der Staat – der eigentlich für das Gemeinwohl arbeiten sollte – von einer bestimmten Gruppe instrumentalisiert wird. Sei es legal oder durch Korruption: Der Staat macht nicht das, was er tun soll. Das ist der Eindruck.
Nach und nach stellte sich in Lateinamerika nicht nur eine Parteienverdrossenheit, sondern auch ein Misstrauen gegenüber fast allen politischen Institutionen wie Parlamenten und Gerichten ein. »Mit der bestand Hoffnung, dass sich die Lage verbessern würde, aber diese Hoffnung ist enttäuscht worden. Das sieht man besonders deutlich in Chile: Aktuell profitieren in den Umfragen nicht einmal relativ neue Parteien, die in den letzten Jahren nicht an der Regierung beteiligt waren«, sagt Sabine Kurtenbach vom GIGA-Institut für Lateinamerikastudien.

Nach Jahrzehnten massiver staatlicher Repression und Korruption überrascht es nicht, dass in Ländern des globalen Südens das Vertrauen in politische Institutionen eher gering ist.
Ihre Ablehnung nationaler wie übernationaler Institutionen, des gesamten Establishments, zeigen in Europa vor allem reaktionäre Protestbewegungen wie Pegida, die und die Befürworter des Brexits. Wer in den letzten Jahren glaubhaft vermitteln konnte, nicht zum Establishment zu gehören, hatte gute Chancen auf einen politischen Aufstieg. »Ich gebe dem Soziologen recht: Wir leben in einer Weltrisikogesellschaft, wo sich Klima-, Umwelt-, Migrations- und Sicherheitsfragen überall sagt Swen Hutter. Die Menschen reagieren, so Hutter, auf globale Probleme, aber vor allem dann, wenn sie sich vor der eigenen Haustür ereignen. In Europa bekommen insbesondere rechte Parteien Zulauf, die einfache Lösungen für die Ängste in der Weltrisikogesellschaft versprechen. Auf der anderen Seite des Atlantiks profitiert Donald Trump, seines Zeichens Reality-TV-Star und Milliardär, von seiner radikalen Außenseiterrolle, genauso wie Jair Bolsonaro in Brasilien.
Schauen wir uns dagegen die Klimabewegung an, ist das Vertrauen in politische Kräfte noch nicht gebrochen. Swen Hutter sagt: »Die Ziele sind ja eigentlich schon im politischen Prozess angekommen und auch die Allianzpartner sind da.« Damit meint Hutter, dass trotz der Versuche von Fridays for Future, sich vom politischen System in Deutschland abzugrenzen, mit den Grünen ein wichtiger politischer Fürsprecher im Parlament sitzt. Aber das ist nicht der einzige Unterschied.

3. Führerlose Proteste sind im Trend
Seitdem die Schwedin Greta Thunberg die weltweit größten Klimaproteste losgetreten hat, wird sie nicht nur bewundert, sondern auch öffentlich angefeindet. Zu jung, egoistisch, von der »Klimalobby« gesteuert und ein Kind verantwortungsloser Eltern – Eine bewährte Taktik der Gegner: Protestfiguren wie Thunberg erzeugen zwar medienwirksame Bilder und Aufmerksamkeit für ihr Anliegen, sie bieten aber gleichzeitig Angriffsfläche, auf der versucht wird, die Person mitsamt der Bewegung zu dekonstruieren.
Diese Taktik nutzen auch Staaten, die Antiregierungsproteste unterdrücken wollen. Wie China im Fall von Joshua Wong, der mit einer Gruppe von Studierenden die Hongkonger Proteste vor 6 Jahren initiierte. »Indem Wong so berühmt wurde, bekamen die Proteste internationale Aufmerksamkeit, gleichzeitig wurde er zur Zielscheibe der Regierung«, sagt der Hongkonger Protestforscher Ye Wang.

Seitdem ist die Bewegung in Hongkong weitgehend führerlos – wie auch die meisten anderen Proteste im vergangenen Jahr. Grund dafür ist nicht nur, dass Protestler sich und ihr Anliegen schützen wollen, sondern auch interne Interessenkonflikte darum, wer wen vertritt. Oft ist es aber eine bewusste Entscheidung: Im Libanon fordern Politiker beispielsweise immer wieder von den Demonstranten, ihre Repräsentanten für Verhandlungen zu benennen. Indem sich die Straße weigert, erteilt sie dem bestehenden politischen System nicht nur mit dem Mittel des eine Absage.
Führt »führerlos« zum Erfolg?
Ye Wang ist unsicher: »Führerlose Proteste sind wie ein Friss-oder-stirb-Deal für Regierungen. Entweder akzeptieren sie die Forderungen und die Protestierenden gehen nach Hause, oder nicht, und der Protest geht weiter.« Aber Führerlosigkeit schützt nicht vor Repression und Gewalt.
Bis Ende 2019 kamen in Chile 29 Menschen ums Leben, im Südirak sogar »Man kann einen Protest und sein Resultat nie komplett verstehen, ohne sich die Reaktion des Staates anzuschauen«, gibt Ilyas Saliba vom Global Public Policy Institute in Berlin zu bedenken.

Diese Reaktion hat Auswirkung darauf, wie lange der (friedliche) Protest bestehen kann. Saliba verweist auf einen der schlimmsten Kriege der letzten 10 Jahre, der der Euphorie des sogenannten Arabischen Frühlings ein jähes Ende setzte:
In Syrien hatte man 2011 friedlich zu demonstrieren begonnen, darauf wurde aber repressiv reagiert und Demonstranten wurden erschossen – deshalb entstand ein bewaffneter Widerstand.
4. Proteste breiten sich schneller aus
Nicht zuletzt sind es soziale Medien, die es überhaupt erst möglich machen, Proteste schnell und dezentral zu organisieren. Und der Austausch macht nicht an nationalen Grenzen Halt. Die Protestierenden haben heute online Zugriff auf einen unendlichen Wissenspool gefüllt mit Taktiken und Protestformen.
Auf der Videoplattform Youtube Außerdem lassen sie die Welt an ihrem Lernprozess teilhaben. Frei nach dem Slogan »Sei Wasser, mein Freund!«, ein Zitat des berühmten Kampfkünstlers Bruce Lee, blockieren Protestierende öffentliche Plätze spontan und kurzzeitig, um sich den Zuspruch aus der Bevölkerung zu erhalten. Denn der sinke, meint Wang, wenn Besetzungen anhalten, wie die der Polytechnischen Universität im November 2019 durch
Geteilt wird aber noch mehr: Es mutet skurril an, dass sich in den Straßen Santiagos und Beiruts Protestierende als Comicfiguren, zum Beispiel als Joker, verkleiden und dass im Irak, Bulgarien und Israel Anfang 2019 gelbe Westen getragen wurden – Mit rot verschmiertem Mund und bröckeliger weißer Schminke zelebrieren die Demonstranten, egal wo, eine gedachte, kollektive Stärke. Und sie betreiben Marketing. »Proteste sind stärker auf Berichterstattung angewiesen als anders herum«, sagt der Protestforscher Swen Hutter. Wo also keine Greta Thunberg ist, helfen Comichelden dabei, das Medieninteresse anzulocken.
Man könnte nun zu dem Schluss kommen, Massenprotestwellen wie die im digitalen Zeitalter seien noch nie da gewesen. Doch das stimmt nur bedingt: Informationen sind davor einfach nur sehr viel langsamer gereist. Swen Hutter gibt ein paar Beispiele:
Die soziale Bewegungswelle der 80er-Jahre mit den Protesten gegen Nuklearwaffen, mit Menschenketten und Petitionen, die Demos gegen den Irakkrieg Anfang der 2000er – all das war massenmobilisierender als das, was wir momentan erleben.
Wie kann es weitergehen?
Es sieht nicht so aus, als ob die Protestwelle im Jahr 2020 abebben wird. Denn um globale Ausbeutung zu bekämpfen, müsste laut Soziologe Sérgio Costa die gesamte Menschheit zum Wellenbrecher werden: »Man müsste global umverteilen und nicht daran denken, dass ein nationaler Staat allein das Problem wirklich lösen könnte. Aber das ist natürlich eine sehr langfristige Lösung«. Das zeigt, wie grundsätzlich diese Krise ist. Globale Umverteilung würde internationale Handelsabkommen berühren, wirkliche Gerechtigkeit würde am Ende vielleicht so etwas wie und neue Umweltstandards erfordern.

Auch auf nationaler Ebene plädiert Costa für eine Umverteilung. Steuersysteme müssten gerechter werden, sodass Im Großen und Ganzen sollten Regierungen nicht mehr nur den Wohlstand, sondern das Wohlbefinden ihrer Bevölkerung im Blick haben. Denn eines zeigen die Proteste deutlich: Die Regierungen, egal wo, haben die tiefsitzende Unzufriedenheit ihrer Bevölkerung unterschätzt.
Um die zu lösen, braucht es mehr aktive Bürgerbeteiligung im politischen Prozess, etwa durch die per Losverfahren besetzt werden. Sie ermöglichen Teilhabe – auch zwischen den Wahlen.
Wie wir von den Straßen des Libanons, Chiles und Hongkongs hören, ist die Politisierung der Bürgerinnen und Bürger in vollem Gange. Nicht nur an Protesttagen finden sich Gruppen zusammen, die darüber diskutieren, wie ihr Land zukünftig aussehen und geführt werden soll. Die erste Chance, Bürgerinnen und Bürger teilhaben zu lassen, haben Regierungen in Ländern, in denen eine Verfassungsänderung gefordert wurde. In Chile soll im April, im Libanon noch im Jahr 2020 über eine neue Verfassung abgestimmt werden.
Nun haben wir Lösungen aufgezählt, um die Proteste zu stoppen – was aber, wenn die Protesterfahrung selbst eine nachhaltige Lösung darstellt? Denn Proteste einen und sind identitätsstiftend, da sind sich die interviewten Forscher einig. Diesen Effekt kann man vor allem dort beobachten, wo Menschen zusammen Ängste überwinden: »In einer freien Gesellschaft wird der Protest nicht so viel mit den Menschen machen wie in einer repressiven Gesellschaft, wo man deutlich mehr riskiert«, sagt Swen Hutter. Deshalb hallt der Ruf nach Freiheit und Würde auch dort am lautesten, wo das Regime weit mehr als nur die materielle Entfaltung erstickt.
In ihren aktuellen Protesten emanzipieren sich die Menschen von einer der stärksten Folgen des globalisierten Neoliberalismus – der zunehmenden Isolation des einzelnen Menschen. Wer zusammenkommt und ein Kollektiv bildet, setzt schon damit ein Zeichen. Die kollektive Erfahrung auf der Straße zeigt den Protestierenden: Es geht nicht nur einem Menschen allein so, man kämpft miteinander für ein gemeinsames Ziel. Nicht nur für eine Lösung für sich selbst, sondern für alle anderen.
Mit Illustrationen von Doğu Kaya für Perspective Daily