Heilpraktik ist umstritten. Was ist dran an der »alternativen Medizin«?
Alternativmedizin ist gefährlich, sagen ihre Kritiker. Eine geregelte Ausbildung gibt es nicht. Warum setzen trotzdem so viele Menschen darauf?
Immer wieder hat
Die Heilpraktikerin, spezialisiert auf Magen und Darm, riet Jana, auf eine Reihe von Lebensmitteln zu verzichten: Eier, Getreideprodukte, Milch. Zudem sollte sie innerhalb von 4 Tagen kein Lebensmittel doppelt verwenden und zusätzlich ein Pulver, Tropfen und
Die Folge: Statt sich besser zu fühlen, nahm sie – ohnehin schon leicht untergewichtig – deutlich ab und fühlte sich zunehmend kraftlos. Nach 2 Wochen zog sie ihren Hausarzt zurate, der ihr dringend riet, die Behandlung sofort abzubrechen.
Im Kleinen zeigt Janas Erfahrung das, was manche Menschen kritisieren: dass eine heilpraktische Behandlung nicht automatisch harmlos oder unbedenklich ist. In diesem Fall hatte der Therapieversuch zwar keine schlimmen Folgen, aber dennoch hat Jana Geld für etwas ausgegeben, das ihr am Ende mehr geschadet als genützt hat.
Hatte Jana einfach nur Pech mit ihrer Heilpraktikerin? Warum sonst vertrauen so viele auf den Rat von Menschen, die keine medizinische Ausbildung haben, wenn es doch um ihre Gesundheit geht?
Und warum fordern kritische Stimmen nun sogar eine Abschaffung des Berufs Heilpraktiker:in?
All diesen Fragen – und noch einigen mehr – bin ich auf den Grund gegangen. Angefangen mit: Wovon reden wir eigentlich genau?
Wie unterscheiden sich Medizin und Heilpraktik?
Heilpraktiker:innen dürfen in Deutschland nicht nur Magenprobleme behandeln, sondern alles anbieten, was ihnen nicht explizit verboten ist und was ihrer Einschätzung zufolge keinen Schaden anrichtet. In den
Wie das im Extremfall enden kann, zeigt der Fall eines Heilpraktikers in Brüggen-Bracht, der 3 Menschen eine tödliche Überdosis des Stoffes 3-Bromopyruvat injizierte, um damit ihren Krebs zu behandeln. Im Sommer letzten Jahres wurde er dafür
Ein Einzelfall, sagen Heilpraktikerverbände; ein vermeidbarer Einzelfall, sagen kritische Stimmen. Mittlerweile sind die Fronten in der Debatte ziemlich verhärtet.
Weil die Kritik an der Heilpraktik immer lauter wird, hat jetzt auch die Bundesregierung den Berufsstand auf dem Radar. Im aktuellen Koalitionsvertrag ist vereinbart, »im Sinne einer verstärkten Patientensicherheit« das »Spektrum der heilpraktischen Behandlung« zu überprüfen. Dafür hat die Regierung ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das untersuchen soll, inwiefern der Gesetzgeber das Heilpraktikergesetz reformieren könnte.
Die Standards in der Alternativmedizin zu ändern, könnte jedoch schwierig werden. Um zu verstehen, woran das liegt, hilft ein Überblick über die Grundbegriffe der Debatte:
- Schulmedizin: Dieser Begriff bezeichnet umgangssprachlich das Wissen über die Entstehung und Behandlung von Krankheiten, wie es an Hochschulen gelehrt wird. Der Begriff ist umstritten und wird oft abwertend als Gegenteil zur Alternativmedizin verwendet.
- Evidenzbasierte Medizin ist Medizin, deren Wirkung und Nutzen durch wissenschaftliche Studien nachgewiesen ist. Das schließt auch das Wissen darüber ein, wann und bei wem eine Therapie wirkt und wann das nicht der Fall ist.
- Alternativ- und Komplementärmedizin verstehen sich als Alternative oder Ergänzung zur wissenschaftlichen Medizin. Eine einheitliche Definition gibt es aber nicht. Für die einen zählt die Behandlung mit pflanzlichen Mitteln dazu, für andere auch die
- Naturheilkunde ist ein Begriff, der eher im Bereich der Alternativmedizin verortet wird. Einige klassische Naturheilverfahren werden aber durchaus in der wissenschaftsbasierten Medizin angewandt:
Die Definitionen zeigen, dass die Alternativmedizin im Gegensatz zur evidenzbasierten Medizin nur schwer zu greifen ist. Es gibt keine einheitliche Regelung, die festlegt, welche Methoden zur Alternativmedizin zählen und welche nicht.
Ebenso wenig ist festgelegt, was in den Tätigkeitsbereich eines Heilpraktikers fällt. Zwar werden einige Tätigkeiten ausgeschlossen, doch die zentrale Voraussetzung für den Beruf lautet:
Ob Heilpraktiker:innen später Naturheilkunde, psychologische Beratung, Geistheilungen oder Tattoo-Entfernungen anbieten, können sie selbst entscheiden –
Darf die Heilpraktik zu viel?
Weil die Heilpraktik ein so breites Feld abdeckt, ist es schwierig, eine einheitliche Ausbildung festzulegen – doch genau die fehlt Kritiker:innen. Laut
Im Gegensatz zu Heilpraktiker:innen müssen Ärzt:innen beispielsweise ein mindestens 6-jähriges wissenschaftliches Studium absolvieren sowie mehrere Praktika und eine praktische Ausbildung bewältigen. Oft folgt darauf noch eine Weiterbildung zum Facharzt. Auch regelmäßige Fortbildungen sind Pflicht – in der Heilpraktik sind sie freiwillig. Auch in anderen Gesundheitsberufen wie der Physiotherapie ist eine mehrjährige
Damit die Qualitätsunterschiede in der Ausbildung der verschiedenen Heilberufe keine Patienten gefährden, fordert der Deutsche Ärztetag, zumindest die Behandlungsmöglichkeiten von Heilpraktiker:innen einzuschränken.
Krebs sollte demnach beispielsweise von der Behandlung ausgeschlossen werden:
Die moderne, evidenzbasierte Medizin stellt – anders als dies vor Jahrzehnten bei Erlass des Heilpraktikergesetzes der Fall war – für viele Krebserkrankungen wirksame Behandlungsmöglichkeiten bereit. Der Erfolg dieser Behandlungen hängt oft entscheidend von einem rechtzeitigen Behandlungsbeginn ab.
Es könne nicht länger zugelassen werden, dass auf Basis einer Heilpraktikererlaubnis der rechtzeitige Beginn einer
Einen Schritt weiter geht der
Der Wunsch nach Alternativen besteht
Laut Bundesministerium für Gesundheit steht trotz aller Kritik eine Abschaffung derzeit nicht zur Debatte. Denn neben kritischen Stimmen würden sich auch viele Befürworter:innen der Heilpraktik bei der Regierung melden,
Eine davon ist
Ob sie sich bei einer schweren Erkrankung wie Krebs für eine evidenzbasierte oder alternativmedizinische Behandlung entscheiden würde, könne sie in ihrer jetzigen Situation nicht sagen – ausschließen würde sie die Alternativmedizin aber nicht.
Mit ihrem Bedürfnis nach alternativen Ansätzen ist Bianca nicht allein.
Brauchen wir die Heilpraktik?
Laut Statistischem Bundesamt gibt es in Deutschland fast so viele praktizierende Heilpraktiker:innen wie Hausärzt:innen: 2018 arbeiteten demnach deutschlandweit 45.000 Menschen im Bereich Heilkunde und Homöopathie. Das deckt sich weitgehend mit den Angaben des Bunds der Heilpraktiker, der in einer Umfrage für das Jahr 2018 insgesamt 47.000 Heilpraktiker:innen ausgemacht hatte. Demgegenüber standen nach Angaben der kassenärztlichen Bundesvereinigung 55.000 Hausärzt:innen – diese sollen hier als
Viele Patient:innen suchen Heilpraktiker:innen auf, weil sie das, was sie sich von der evidenzbasierten Medizin erhofft haben, dort nicht finden konnten.
Einen entscheidenden Punkt, der dazu beitragen kann, dass sich Menschen von der Medizin enttäuscht fühlen, gibt selbst der Münsteraner Kreis zu:
Unbestritten schenken viele Heilpraktiker ihren Patienten Zuwendung und wohltuende Aufmerksamkeit, die diese in der auf Effizienz getrimmten wissenschaftsorientierten Medizin sehr oft nicht finden.
Ein Vorteil von Heilpraktiker:innen liegt darin, dass sie sich mehr Zeit für ihre Patient:innen nehmen können. Das wird besonders deutlich, wenn man einen tieferen Blick auf die Zahlen wirft.
Denn auch, wenn es beinahe so viele Hausärzt:innen wie Heilpraktiker:innen gibt, versorgen die beiden Gruppen eine sehr unterschiedliche Zahl von Menschen. Laut
Die Zahlen zeigen: Ärzt:innen haben immens viel zu tun. Im
Was Ärzt:innen sich von Heilpraktiker:innen abschauen können
Unabhängig davon, welche Aspekte sich am System Heilpraktik kritisieren lassen, ist die Aufmerksamkeit und Zeit, die Heilpraktiker:innen für ihre Patient:innen aufbringen können, etwas, das auch der Medizin guttun würde. Dass die Zeit für ein ausführliches Gespräch wichtig ist, bestätigt auch die Wissenschaft. Forscher:innen der Universität Köln fanden beispielsweise heraus, dass Patient:innen
Würde das mehr Ärzt:innen gelingen, würde es vermutlich einige Menschen weniger geben, die auf eigene Rechnung Hilfe bei der Alternativmedizin suchen.
Wie wichtig
Und auch an anderer Stelle tut sich etwas: Gespräche wurden für Hausärzt:innen bislang deutlich schlechter honoriert als manche technische Behandlung.
Eine Lösung für den Ärzt:innenmangel muss her, um Patient:innen Vertrauen zu geben
Ein zentrales Problem für den ärztlichen Zeitmangel: In vielen Regionen gibt es zu wenig Hausärzt:innen. Ende 2018 gab es laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung deutschlandweit fast 2.900 Niederlassungsmöglichkeiten für Hausärzt:innen – so viele wurden also für eine Praxisübernahme oder Neueröffnung gesucht.
Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung ist es für viele Ärzt:innen nicht mehr attraktiv genug, eine eigene Praxis zu eröffnen. Die Zahl der angestellten Ärzt:innen hat sich seit 2012
Das könnte verschiedene Gründe haben: Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von selbstständigen Ärzt:innen betrug laut Ärztemonitor 2018 zum Beispiel im Schnitt mehr als 51 Stunden pro Woche – womit sie jede Woche mehr als 10 Stunden länger als ihre angestellten Kollegen arbeiten. Hinzu kommt das finanzielle Risiko, das selbstständige für eine Praxiseröffnung eingehen müssen.
Vor allem in ländlichen Regionen macht sich auch der demografische Wandel bemerkbar: Immer mehr Ärzt:innen gehen in Rente, während es an Nachwuchs fehlt. Wegen der besseren Arbeits- und Lebensbedingungen bleiben junge Ärzt:innen lieber in der Stadt.
Ärzt:innen wollen in die Stadt, Heilpraktiker:innen aufs Land
Bei Heilpraktiker:innen sieht das etwas anders aus:
Seit 2014 werben die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Kassenärztlichen Vereinigungen deutschlandweit zum Beispiel mit der Kampagne
Wie die Gemeinde Büsum in Schleswig-Holstein es neuen Hausärzt:innen ermöglicht hat, ebenso flexibel zu arbeiten wie als Angestellte in der Stadt, liest du hier.
Die Maßnahmen scheinen erste Wirkungen zu zeigen:
Doch was ist mit den Menschen, die trotz allem alternative Heilmethoden wollen?
Doch selbst wenn sich Kommunikation und Versorgungsstand verbessern, wird es Menschen geben, die Hilfe bei der alternativen Medizin suchen – aus verschiedensten Gründen.
Das kann der Wunsch nach einer nicht-medikamentösen Behandlung sein oder der Versuch, noch etwas auszuprobieren, wenn scheinbar nichts hilft. Und diesen Wunsch einfach abzulehnen, wäre sicher die schlechteste Lösung.
Wer sich also mit der Kritik an der Heilpraktik auseinandergesetzt hat und dennoch eine alternativmedizinische Behandlung in Betracht zieht, kann verschiedene Dinge beachten, um diese so sicher wie möglich zu gestalten – insbesondere dann, wenn es um schwerwiegende Erkrankungen geht.
Folgendes gilt es also zu beachten, wenn man eine heilpraktische Behandlung plant:
- Rät eine Anbieterin bzw. ein Anbieter, die bisherige Therapie abzubrechen und nur noch seine Methoden anzuwenden, ist Vorsicht geboten, eine zweite Meinung von einer Medizinerin bzw. einem Mediziner kann helfen.
- Stutzig machen sollte auch, wenn Anbieter:innen keine Unterlagen zur Verfügung stellen: Patient:innen können sich dann nicht selbst informieren, sich nicht unabhängig beraten lassen und die Ärzt:innen ihres Vertrauens nicht um eine Beurteilung bitten.
- Wird vor Behandlungsbeginn Vorauskasse verlangt oder gar Bargeld, können Patient:innen ihr Geld meist nicht zurückbekommen, wenn es Probleme gibt – hier sollte man aufpassen.
- Wenn ein Mittel aus dem Ausland bestellt werden muss, etwa über das Internet, ist kaum prüfbar, was man wirklich geliefert bekommt. Oft gibt es dann Probleme mit der arzneilichen Qualität.
- Anbieter:innen versprechen, dass ihre Methode gegen alle Krebsarten hilft, bei allen Patient:innen und in allen Krankheitsstadien? Ein solches Verfahren ist bisher nur ein Wunschtraum und sollte deshalb misstrauisch machen.
Mit Illustrationen von Doğu Kaya für Perspective Daily