Alle hoffen auf den Corona-Impfstoff. So sorgen wir dafür, dass ihn jeder bekommt
Wissenschaftler:innen auf der ganzen Welt suchen fieberhaft nach einem Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus. Nur wer bestimmt am Ende, was eine Impfung kostet und wer sie erhält?
Alle warten auf den Impfstoff. Im Kampf gegen das neuartige Coronavirus arbeiten Forscher:innen auf der ganzen Welt unter Hochdruck an der Entwicklung. Neben hochspezialisiertem Know-how braucht es dafür besonders eines: Geld.
Da stimmt es hoffnungsvoll, dass die Staaten dieser Welt dabei nicht auf den einzelnen Euro schauen: Allein Deutschland hat zuletzt insgesamt 145 Millionen Euro zusätzlich zu normalen Forschungsbudgets bereitgestellt, um insbesondere
Doch wer genau profitiert am Ende von den dafür eingesetzten Steuergeldern, wer erhält Zugang zu den Forschungsergebnissen? Und wie kann sichergestellt werden, dass möglichst viele Menschen möglichst schnell an den neuen Impfstoff kommen, ohne dass Profitgier einzelner Konzerne und Machtpolitik egoistisch agierender Regierungschefs der effizienten Verteilung für alle im Wege stehen?
Über diese Fragen habe ich mit Paul Schnase gesprochen, der sich für engagiert und sich dort für nachhaltige Pharmaforschung einsetzt.
Chris Vielhaus:
Wie läuft die Finanzierung zur Erforschung neuer Medikamente und Impfstoffe generell ab?
Paul Schnase:
Besonders die medizinische Grundlagenforschung wird weltweit zu großen Teilen durch öffentliche Mittel gefördert. Hier in Deutschland findet das besonders an den Universitätskliniken oder an öffentlichen Forschungseinrichtungen wie oder statt.
Die Universitäten und Forschungseinrichtungen stellen selbst aber keine Medikamente her. Wie wird aus den Forschungsergebnissen also dann eine Arznei, die am Schluss beim Patienten landet?
Paul Schnase:
An den Universitäten gibt es sogenannte Technologietransferstellen, die Partner in der Industrie suchen, um vielversprechende Wirkstoffkandidaten weiterzuentwickeln. Meistens vergibt die Universität dann eine exklusive Lizenz für die Nutzung ihrer Forschung an das Unternehmen. Diese berechtigt das Partnerunternehmen später exklusiv zur Herstellung und zum Verkauf des Medikaments oder des Impfstoffes.
Wo liegen die Probleme bei diesem System?
Paul Schnase:
Durch das exklusive Nutzungsrecht entstehen Monopole mit all ihren Nachteilen – auch bei der Preisgestaltung. Es gab in der Vergangenheit bereits einige Fälle, in denen Pharmakonzerne ihre Monopolstellungen ausgenutzt haben, jüngst etwa im Fall des Medikaments Zolgensma des Schweizer Pharmakonzerns Novartis, das als Schlagzeilen machte. Zuvor machte Sovaldi Schlagzeilen, ein Mittel gegen Hepatitis C, Aber auch Lieferengpässe und Versorgungsknappheit können eine Folge sein.
Was tragen die Pharmakonzerne denn selbst bis zur Marktreife bei?
Paul Schnase:
Sie finanzieren nach der Lizenzvergabe die klinischen Studien am Patienten, die zweifellos eine Menge Geld kosten und mit Risiken verbunden sind.
Am Ende ist dann meist die Rede von 1–2 Milliarden Dollar Entwicklungskosten pro neuem Medikament. Diese Rechnung ist aber ziemlich heikel, weil man sie schlicht nicht überprüfen kann. Die Konzerne sind nicht dazu verpflichtet, eine Kostenübersicht bei der Zulassung vorzulegen, was natürlich eine sinnvolle Maßnahme wäre. So können wir davon ausgehen, dass sie zu viel für ihre Produkte verlangen, wissen aber nicht, wie viel dieses »zu viel« genau ist.
Bekommen denn die öffentlich finanzierten, forschenden Universitäten einen fairen Anteil?
Paul Schnase:
Salopp gesagt bekommen die in der Regel nur ’nen Apfel und ’n Ei für ihre Lizenzen. Die Technologietransferstellen berichten uns, dass sie mit diesen Geldern oft gerade einmal ihre eigenen Personalkosten decken können.
Darüber hinaus sind wir der Meinung, dass öffentlich finanzierte Forschung auch allen zugutekommen muss. Insbesondere, wenn es um lebensnotwendige Medikamente geht. Deswegen setzen wir uns als an unseren Universitäten dafür ein, dass für lebenswichtige Arzneimittel keine exklusiven Lizenzen mehr vergeben werden sollten.
Was könnte das System der exklusiven Lizenzen im schlimmsten Fall für die Suche nach Medikamenten und Impfstoffen gegen das neuartige Coronavirus bedeuten?
Paul Schnase:
Angesichts der aktuellen Pandemie kann der Ausschluss anderer Hersteller für die schnelle weltweite Verfügbarkeit von Impfstoffen und Medikamenten brandgefährlich werden. Im Fall von Corona werden wir es mit einem noch nie da gewesenen Bedarf an Impfstoffen und Medikamenten zu tun haben, da die Mittel ad-hoc milliardenfach überall auf der Welt gebraucht werden. Kein einzelnes Unternehmen kann das leisten, selbst wenn es wollte.
Zudem wären horrende Preise auf einen Impfstoff oder ein Medikament insbesondere für Länder des globalen Südens fatal und könnten dort eine Behandlung von Patientinnen und Patienten verhindern.
Was muss eurer Meinung nach anders laufen?
Paul Schnase:
Wir wollen gerade jetzt erwirken, dass von Anfang an klare Bedingungen an die Vergabe von Fördergeldern geknüpft werden, die sicherstellen, dass öffentlich geförderte Forschungsergebnisse weltweit von allen frei genutzt werden können. Für die Entwicklung eines Corona-Impfstoffes heißt das: Wir müssen am Ende wissen, was der Staat und was die Unternehmen gezahlt haben, um am Ende einen angemessenen Preis finden zu können, zu dem möglichst alle Menschen weltweit schnell versorgt werden können.
Wie kann das funktionieren?
Paul Schnase:
Die Lösung heißt »equitable licensing«:»faire Lizenzierung«. Dieses Modell sieht vor, dass für essenzielle Medikamente von vornherein festgehalten wird, dass die Forschungsergebnisse nicht exklusiv lizenziert werden, sondern von verschiedenen Herstellern genutzt werden können. Dadurch können bezahlbare Preise weltweit sichergestellt und Probleme durch Lieferengpässe reduziert werden.
Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit hat wenig Reibungspotenzial: Wer würde schon ernsthaft behaupten, für weniger Gerechtigkeit zu sein? Chris zeigt, wie das konkreter geht. Dafür hat er erst Politik und Geschichte studiert und dann als Berater gearbeitet. Er macht die Bremsklötze ausfindig, die bei der Gesundheitsversorgung, Chancengleichheit und Bildung im Weg liegen – und räumt sie aus dem Weg!