Zusammenhalt oder Misstrauen? Rückzug oder Vernetzung? Die Coronakrise beschleunigt viele Entwicklungen, die schon vor ihr eingesetzt haben. Doch welche werden am Ende dominieren?
Es fühlt sich bereits wie eine Ewigkeit an, doch tatsächlich ist es noch keine 4 Wochen her, dass sich Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder auf eine geeinigt haben.
Zu dieser Zeit schälte sich Bayern als Schrittmacher der deutschen Schutzmaßnahmen heraus. Das wiederum führte zu Diskussionen darüber, ob die föderale Struktur in Deutschland dem Schutz vor der Pandemie eher nützt oder schadet. Fehlt in Deutschland die starke Hand aus der Hauptstadt? Inzwischen zeigt sich: Wohl eher nicht,
Glaubt man nun den professionellen Kristallkugel-Schwenkern des in Frankfurt, könnte Deutschland damit einem weltweiten Trend vorauseilen, den die Coronapandemie mit antreibt: das Aufblühen regionaler Netzwerke.
4 Szenarien für Post-Corona
In einem entwerfen die Zukunftsforscher »4 mögliche Szenarien, wie die Coronakrise die Welt umformen kann«. Dafür entwerfen sie ein Koordinatensystem, auf dessen x-Achse die Zukunft zwischen »lokaler« und »globaler« Orientierung und auf der y-Achse zwischen einer »pessimistischen« und »optimistischen« Grundeinstellung pendelt.
Wie sich unsere Zukunft nach der Coronakrise gestalten könnte, umschreiben die Forscher des Frankfurter Thinktanks »Zukunftsinstitut« in 4 möglichen Szenarien. –
Das sind die 4 Szenarien, die sich daraus ergeben, im Detail:
»Die totale Isolation: Alle gegen alle« (pessimistisch + disconnected) So betiteln die Autoren das pessimistischste Zukunftsszenario, in dem Corona die Welt in eine lokale Orientierung zurückwirft. In diesem Szenario ist der Shutdown zur Normalität geworden, und aus der Angst vor Keimen erwächst eine Angst vor allem Fremden. Dem Rückzug ins Private folgt der Rückzug von der Stadt aufs Land, soziale Kontakte werden auf ein Minimum reduziert.
»System Crash: Permanenter Krisenmodus« (pessimistisch + connected) In Szenario 2 bleibt der Pessimismus, Gesellschaft und Wirtschaft bleiben jedoch global vernetzt. Darin bleiben die Staaten in Kontakt, aufgrund gegenseitigen Misstrauens bleibt das internationale Gefüge allerdings labil und ist geprägt von Spannungen und Konflikten. Staaten nutzen Big Data, um Vorteile gegenüber ihren Konkurrenten zu ergattern, wird zur »politisch-ideologischen Prämisse«.
»Neo-Tribes: Rückzug ins Private« (optimistich + disconnected) In Szenario 3 überdauert der Rückzug ins Private die Coronakrise, allerdings wird sie von einer optimistischen, vertrauensvollen Haltung begleitet. Dabei verlieren die Staaten an Wichtigkeit und werden durch lokale Netzwerke ersetzt, die neu entstehen und weiterwachsen. und Do-it-yourself gewinnen an Bedeutung. Dank Urban Farming, der Verlagerung des Verkehrs aufs Fahrrad und flexibler Arbeit aus dem Homeoffice profitieren in diesem Szenario auch Umwelt und Klima.
»Adaption: Die resiliente Gesellschaft« (optimistisch + connected) Szenario 4 verbindet schließlich einen vertrauensvollen Umgang mit einer globalen Weltgemeinschaft. In diesem wohl optimistischsten Szenario lernt die Gesellschaft aus ihren Fehlern und geht gestärkt aus der Coronapandemie hervor. Ähnlich wie in Szenario 3 erfahren lokale und regionale Netzwerke Auftrieb, nur sind diese weltweit gut miteinander vernetzt – Stichwort Big Data und künstliche Intelligenz (KI) werden demokratisch kontrolliert zum Wohle aller eingesetzt.
Die »Glokalisierung« ist in vollem Gange
In der Realität dürfte wohl kaum eines der 4 Szenarien in Reinform eintreten. Das Koordinatengitter mit den 4 Optionen zeigt eher an, in welchen Dimensionen Corona unser Miteinander verändern kann. Sie stecken den Rahmen der Risiken ab, zeigen aber auch die Chancen auf, die sich ergeben.
Und für fast alle dieser Entwicklungen lassen sich im Corona-Hier-und-Jetzt bereits zahllose Beispiele finden: Sicherheit vor Freiheit? Die weltweiten, insgesamt nur wenig hinterfragten Ausgangssperren haben gezeigt, wo für viele Staaten die Prioritäten liegen und was die Bevölkerung bereit ist, mitzumachen. Und während die deutsche Regierung durchaus Augenmaß erkennen lässt, Wie er die Angst vor Keimen nutzen wird, um Angst vor dem Fremden im Allgemeinen zu schüren, hat Donald Trump schnell gezeigt:
Gleichzeitig sind die lokalen Netzwerke, die in Deutschland derzeit aus dem Boden sprießen, kaum zu übersehen. Solidarität mit Einzelhändlern, Nachbarschaftshilfe und virtuelle Zusammentreffen – ob privat oder beruflich – gehören für viele von uns schon jetzt zum Alltag. Klima und Umwelt atmen unter unserem Rückzug auf, und schon in Kürze könnten es uns ermöglichen, den öffentlichen Raum zurückzuerobern.
Doch welche Entwicklungen werden letztlich überwiegen?
Die Hoffnung, dass wir unterm Strich gestärkt aus der Krise hervorgehen, hegt der Zukunftsforscher Jeremy Rifkin, der etwa als Berater für die Regierungen in Deutschland oder China, aber auch für globale Unternehmen tätig ist. Er prophezeit schon seit Jahren das, was er »Glokalisierung« nennt: eine globale Tendenz zurück zum Lokalen, Regionen und Gemeinden Hand in Hand die Zukunft formen.
In seinem kürzlich erschienenen Buch »Der globale Green New Deal« schreibt er:
Die teilweise Verlagerung der politischen Macht von den National- auf die Lokalregierungen wird die Natur der Governance von Grund auf verändern. So lokal Politik grundsätzlich ist, im glokalen Zeitalter wird sich auch die wirtschaftliche Entwicklung zunehmend auf miteinander vernetzte lokale Standorte verteilen. ›Regionale Ermächtigung‹ wird der Schlachtruf der heraufziehenden glokalen Ära sein.
Und jetzt seid ihr dran: Was glaubt ihr, welches Szenario die Zeit nach Corona am ehesten beschreiben könnte?
Hier findest du die beiden anderen aktuellen Dailys:
Der Physiker Felix begrüßt den Trend zu Hafermilch und fährt gern Rad. Er weiß aber auch, dass das nicht genügen wird, um die Welt vor der Klimakatastrophe und dem Ökokollaps zu bewahren. Deshalb schreibt er über Menschen, Ideen und Technik, die eine Zukunft ermöglichen. Davon gibt es zum Glück jede Menge!
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