Wie geht es denen, die sich gerade um uns alle kümmern? 8 Systemrelevante erzählen
Ob im Labor, in der Wohnungslosenhilfe oder im Krankenhaus: Ohne die Systemrelevanten würde unser Land zusammenbrechen. Hier erzählen sie, ob sie sich der Krise gewachsen fühlen – und was sie sich für die Zukunft wünschen.
Nicht all unsere Gesprächspartner:innen wollten mit ihrem ganzen Namen im Internet erscheinen. Wir nennen sie deshalb nur bei ihren Vornamen – die vollen Namen sind der Redaktion aber bekannt.
»Für Jugendliche aus prekären Lebenssituationen ist es schwer, eingesperrt zu sein«
Jessica, 26 Jahre, ist Sozialarbeiterin in der stationären Jugendhilfe in einer Inobhutnahmestelle, die Jugendliche in Notsituationen aufnimmt. Im Schichtdienst betreut sie außerdem 8 Jugendliche, die dauerhaft in einer Wohngruppe leben.
Man merkt, dass viele Anfragen nach einer Inobhutnahme momentan mit der Krise zusammenhängen. Klar: Wenn Eltern sowieso schon Schwierigkeiten haben, mit ihrem Kind zusammenzuwohnen, dann eskaliert die Situation schneller, wenn sie permanent zusammen sind.

Die Jugendlichen, die zu uns kommen, haben alle ihr Päckchen zu tragen, etwa Gewalterfahrung, psychische Auffälligkeiten oder auch Drogenprobleme. Wegen der Krise ist es schwierig, mit ihnen daran zu arbeiten, denn die meisten Institutionen, die dabei helfen, haben geschlossen. Normalerweise arbeiten wir auch nicht nur mit den Jugendlichen an ihren Problemen, sondern beziehen die ganze Familie mit ein – auch das ist gerade kaum möglich.
Nicht alle Jugendlichen kommen gut mit den Einschränkungen zurecht. Einige von ihnen sind manchmal tagelang verschwunden und kommen dann zurück in die Wohngruppen oder die Inobhutnahmestellen. Mit wem sie sich in der Zwischenzeit getroffen haben, können wir kaum kontrollieren.
In der Wohngruppe wohnen wir quasi mit den Kindern zusammen, 2 Meter Abstand zu halten ist hier nicht möglich. Würde einer sich anstecken, wäre schnell das ganze Haus krank. Deshalb bin ich den Lockerungen gegenüber auch etwas skeptisch.
Ich mache mir auch Sorgen um die psychische Gesundheit von uns Mitarbeitern: In der Inobhutnahme haben wir zum Teil mit krassen Fällen zu tun, da geht es um sexuellen Missbrauch oder körperliche Gewalt. Die psychologischen Beratungsangebote, die uns sonst dabei helfen, solche Situationen zu verarbeiten, fallen im Moment weg.
Das ist nicht leicht, aber wir geben trotzdem 150%, um das Beste aus der Situation zu machen. Meine große Wunschvorstellung ist, dass auch wir Sozialarbeiter etwas mehr Anerkennung für unsere Arbeit bekommen. Wir arbeiten mit Randgruppen, die von der Allgemeingesellschaft oft vergessen und ausgeblendet werden. Ich habe das Gefühl, dass unsere Arbeit deshalb kaum wahrgenommen wird.
»Es kamen so viele Proben ins Labor, dass wir 14 Stunden durchgearbeitet haben«
Katrin, 26 Jahre, arbeitet als biologisch-technische Assistentin in einem medizinischen Labor in NRW.
In meinem Laborbereich untersuchen wir alles, was aus dem menschlichen Körper kommt, von Blut bis Urin. Wir testen die Proben auf verschiedene Erreger. Normalerweise sind das zum Beispiel HIV oder Chlamydien – im Moment suchen wir jedoch ausschließlich Coronaviren.

Zur Anfangszeit, als das Virus noch nicht so ernst genommen wurde, fing es mit 3 Proben am Tag an. Am nächsten waren es dann schon 30. Und dann waren es irgendwann so viele, dass wir das als Labor nicht mehr stemmen konnten. Wir haben teilweise bis zu 14 Stunden am Tag gearbeitet. Damit wir mehr schaffen können, arbeiten wir jetzt 7 Tage am Stück und haben erst dann 2 Tage Pause.
Mittlerweile untersucht unser ganzes Labor Coronaproben. Das ist möglich, weil die Zahl der anderen Einsendungen zurückgegangen ist. Viele Routineuntersuchungen finden gerade nicht mehr statt – zum Beispiel beim Frauenarzt. Unsere Arbeitsweise haben wir umgestellt, damit wir mehr Proben untersuchen können. Die Arbeit läuft jetzt wie am Fließband. Im Ernstfall könnten wir so bis zu 5.000 Proben am Tag bearbeiten.
Es wird viel über Pflegekräfte und Ärzte diskutiert, die es sicher nicht leicht haben. Ich habe aber das Gefühl, dass Labormitarbeiter in der Diskussion gerade etwas vergessen werden. Dabei geht die Arbeit auch an unsere Substanz und ich wünsche mir, dass wir dafür zumindest finanziell entlohnt werden. Ich habe allein im letzten Monat 60 Überstunden gemacht. Wegen der Steuern wird davon kaum etwas übrig bleiben – und sie in diesem Jahr mit Urlaub abzufeiern, ist unrealistisch.
»Wohnungslose sind sowieso schon eine Randgruppe – und jetzt müssen sie sich noch weiter distanzieren«
Susanna, 26 Jahre, Sozialpädagogin, arbeitet in einer
Die Coronakrise war für viele Frauen am Anfang nur schwer zu greifen. Doch das hat sich schleichend verändert und mittlerweile ist die Situation zu einer echten Belastung geworden. Gerade für Frauen, die zusätzlich an einer psychischen Erkrankung oder einer Suchterkrankung leiden, ist es derzeit schwer. Gruppenangebote fallen aus und Einzelgespräche können nur noch auf Distanz stattfinden.

Wir merken auch, dass die Frauen sich ungern die Freiheit nehmen lassen, rauszugehen. Sie treffen sich trotzdem in größeren Gruppen, beispielsweise am Bahnhof. Das ist ein Ansteckungsrisiko. Auch bei uns im Haus ist es schwierig, Abstandsregeln einzuhalten, da viele Frauen eng zusammenleben.
Wir Mitarbeiter machen uns weniger Sorgen, dass wir selbst erkranken, sondern eher, dass sich die Frauen anstecken. Viele von ihnen haben schwere Vorerkrankungen, Leberzirrhosen oder Lungenkrebs, oft Folgen ihrer prekären Lebenslagen. Deshalb versuchen wir so viele Schutzmaßnahmen zu treffen wie möglich.
Mit Desinfektionsmittel sind wir zum Glück gut versorgt, weil viele Leute an uns gedacht haben. Auch selbst genähte Masken wurden gespendet. Man hat gemerkt, dass die Bereitschaft in der Bevölkerung, sich einzubringen, total hoch ist. Das war auf jeden Fall ein schönes Zeichen und hat uns sehr geholfen.
Insgesamt merken wir aber, wie die psychische Belastung steigt. Die Frauen bei uns leben nicht in ihren eigenen 4 Wänden. Manche Menschen, auch in meinem Bekanntenkreis, finden es schön, wenn sie einfach mal zu Hause bleiben können. Doch sie vergessen, wie schwierig es ist, wenn das eigene Zuhause keine 3-Zimmer-Wohnung ist, in der man sich gern aufhält.
»Solange ich keine Symptome bei mir feststelle, arbeite ich weiter«
Tom, 29 Jahre, arbeitet als Fachkrankenpfleger in einer Notaufnahme in Bayern.
In der Notaufnahme bin ich die erste Person, die entscheidet, wer sofort behandelt werden muss und wer noch warten kann. Schwierig für uns ist vor allem, dass wir neue Patienten mit Atemnot, Fieber und einer schlechten Sauerstoffsättigung – die ältere, vor allem

Wir haben auch einige Mitarbeiter, die positiv getestet wurden – auf der
Was jetzt noch mehr als sonst zum Vorschein kommt, sind der Personalmangel und die psychische Belastung. Wenn wir mehr Personal hätten, könnten wir uns zumindest für eine kurze Pause abwechseln, die meistens komplett ausbleibt.
Die 500 Euro Extrageld, die es in Bayern nun gibt, sind zwar schön und gut, aber lösen nicht das grundsätzliche Problem: zu wenige Fachkräfte und keine attraktiven Arbeitsbedingungen. Ob sich daran nach der Krise etwas ändern wird? Ich glaube eher nicht. Denn irgendwie klappt es ja trotzdem immer, wir geben ja quasi ständig 110%. Aber wenn mal was passiert, weil zu wenig Personal da ist – was ist dann?
»Minijobber werden zurzeit noch mehr ausgenutzt als ohnehin schon«
Vanessa, 28 Jahre, arbeitet in einem »Rewe«-Supermarkt in NRW.
Ich arbeite auf Minijobbasis, wie die meisten anderen Beschäftigten in dem Markt auch. Wir bekommen hier etwas mehr als den Mindestlohn, obwohl der Markt bis 24 Uhr geöffnet hat.

Unsere Arbeitsabläufe haben sich – leider – trotz Corona kaum verändert: Der Kassiervorgang ist gleich, ebenso der Kontakt unter den Mitarbeiterinnen, Abstandsregeln funktionieren in einem engen Markt nicht, nicht alle benutzen Handschuhe, noch weniger Masken. Weder von der Marktleitung noch von der Unternehmenszentrale gab es einen Aushang mit neuen Regeln (außer den gesetzlichen). Zum Schutz wurde an den Kassen lediglich eine kleine rechteckige Plexiglasscheibe vor dem Scanner angebracht, auf dem Band davor und dahinter ist kein Schutz, wie ich sie in diversen Discountern und Drogerien gesehen habe.
Für mich ist all das ein weiteres Zeichen mangelnder Wertschätzung unserer Arbeit seitens der Verantwortlichen des Marktes, die zuvor schon nicht besonders hoch war. Warum auch? Wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen ja auch jetzt für minimalen Lohn verantwortungsvoll unsere Arbeit. Nicht einmal zu Ostern gab es die kleinste Aufmerksamkeit oder Anerkennung, geschweige denn eine Prämie oder nur einen Gutschein für den Markt, obwohl der Andrang noch viel größer war als sonst. Minijobber werden zurzeit noch mehr ausgenutzt als ohnehin schon.
Was sich meiner Wahrnehmung nach positiv verändert hat, ist das Verhalten der meisten Kunden. Das merkt man an Gesten wie kleinen Geschenken, zum Beispiel mal etwas Schokolade, und am Umgang generell: Hier spürt man Wertschätzung und wesentlich mehr Geduld und Verständnis als sonst – angesichts der Situation ist ein Lächeln noch viel mehr wert.
»Um die Situation zu stemmen, haben wir Mitarbeiter aus der Rente zurückgeholt«
Eva, 30 Jahre, arbeitet als Ärztin auf einer mittelgroßen Intensivstation in den Niederlanden.
Seit der Krise ist unsere Arbeit deutlich härter geworden. Mittlerweile liegen bei uns 22 Coronapatienten auf der Intensivstation. Normalerweise haben wir hier nur 14 Betten, in den letzten Wochen haben wir die Kapazitäten verdoppelt. Um die Situation stemmen zu können, hilft uns jetzt Personal aus anderen Abteilungen und es wurden Mitarbeiter aus der Rente zurückgeholt.

Die Arbeit auf der Intensivstation ist im Moment sehr unpersönlich, da die Coronapatienten häufig ohne Bewusstsein sind, wenn sie bei uns landen. Darüber hinaus dürfen sie auch keinen Besuch bekommen, ihren Kontaktpersonen geben wir stattdessen ein tägliches Update per Telefon.
Neue Coronapatienten bitten wir, ein Foto von sich mitzubringen. So bekommen wir ein Bild davon, wer diese Patienten eigentlich sind, sollten sie ohne Bewusstsein auf der Intensivstation landen.
Kürzlich durfte ich zum Glück für ein paar Tage in einer Station arbeiten, in der 3 Coronapatienten lagen, die aus der Intensivstation entlassen werden konnten. Es war schön zu sehen, wie sie genesen.
Auch wenn die Situation schwer ist, sieht es danach aus, als hätten wir vorläufig das Schwerste hinter uns: Wir bekommen momentan weniger Patienten dazu. Ich denke, das liegt daran, dass wir uns als Gesellschaft an die Einschränkungsmaßnahmen gehalten haben. Ich hoffe, dass zukünftige Lockerungen diese Verbesserungen nicht wieder rückgängig machen.
»Lieferengpässe von Arzneimitteln sind zurzeit unser allergrößtes Problem«
Michaela, 55 Jahre, ist Apothekerin in einem kleinen Ort in Brandenburg.
Die Wochen im März waren sehr anstrengend, nicht nur wegen der täglichen Überstunden. Wir hatten so viele Kunden wie nie zuvor. Darauf waren wir nicht vorbereitet. Aktuell hat sich die Situation zum Glück wieder deutlich beruhigt.
An unseren beiden Kassen arbeiten wir inzwischen hinter Plexiglasscheiben und es dürfen sich maximal 2 Kunden zur selben Zeit im Verkaufsraum aufhalten. Wir sind immer wieder überrascht, wie schmutzig die Scheiben am Ende des Tages sind und könnten uns sogar vorstellen, ab jetzt immer hinter dieser Wand zu arbeiten.

Für mich persönlich hat sich durch die Pandemie gar nicht so viel verändert. Ich bin immer noch mit vielen Menschen zusammen, und auch wenn wir unter den Kolleginnen versuchen, auf ausreichend Abstand zu achten, führen wir natürlich weiterhin Gespräche. Unser Team ist durch das erhöhte Arbeitsaufkommen zusammengewachsen und ich bin stolz darauf, dass wir so ranklotzen können und dabei immer noch Grund zum Lachen finden.
Was wir uns wünschen, sind Mundschutze für unsere Kunden – eine Bestellung ist vor 3 Wochen erfolgt, mal sehen, wann geliefert wird. Die Arbeit erleichtern würde uns außerdem ein uneingeschränkter Zugriff auf den Arzneimittelmarkt. Die Pandemie hat aus meiner Sicht sehr deutlich gemacht, was es bedeutet, viele Herstellungsprozesse nach Asien zu verlegen.
Arzneimittelherstellung in Europa muss sich wieder lohnen, das ist ein Wunsch, den ich mit vielen Kolleginnen und Kollegen teile. Ein »Weiter so« nach dieser Krise ist wirklich nicht hinnehmbar.
»Ich traue mich langsam zu denken, dass wir um Verhältnisse herumkommen, wie sie in Italien oder Spanien herrschen«
Lisa, 30 Jahre, arbeitet als Assistenzärztin in der Notaufnahme und Unfallchirurgie in Berlin.
In meinem Krankenhaus liegen zwar nicht die bekannten Coronapatienten, aber das Virus hat schon den kompletten Alltag im Haus verändert: Einige meiner Kollegen wurden auf die Intensiv- und die Infektionsstation »ausgeliehen«, wo die Coronapatienten liegen. Deshalb kann ich aktuell häufiger operieren als sonst, das freut mich natürlich.

Der größte Patientenansturm wegen Corona wurde bei uns um Ostern erwartet, das ist zum Glück ausgeblieben. Weil wir in den letzten Wochen sehr viele zusätzliche Kapazitäten geschaffen haben, gibt es auf der Intensivstation und an den Beatmungsplätzen noch viele freie Betten. Ich hoffe und traue mich so langsam zu denken, dass wir um Verhältnisse herumkommen, wie sie in Italien oder Spanien herrschen.
Insgesamt gibt es bei uns derzeit rund 50 Coronapatienten. Kürzlich hatten wir 2 noch nicht infizierte Patientinnen, die eine Nacht mit einer inzwischen positiv getesteten Patientin im Zimmer gelegen haben. Ein Test würde erst in 3–4 Tagen anzeigen können, ob sie sich angesteckt haben, deshalb hat ein Abstrich jetzt noch keinen Sinn. Eine der Patientinnen ist schon älter und frisch operiert, deshalb können wir sie nicht in Heimquarantäne schicken, auch in die Reha kann sie wegen der Infektionsgefahr noch nicht. Sie wird wahrscheinlich noch 2 Wochen bei uns bleiben müssen.
Eine andere Patientin, die ich einige Tage lang betreut habe, hatte über Halskratzen und Hustenreiz geklagt. Nachdem sie auf eine andere Station verlegt wurde, habe ich von Kollegen erfahren, dass sie eine schwere
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily