Wie die extreme Rechte die Coronakrise für sich nutzen will
Wie instrumentalisiert man einen Ausnahmezustand? Während Corona war es lange still von rechtsaußen. Doch jetzt kristallisieren sich 4 Narrative heraus, die du kennen solltest.
Die Coronakrise hat uns alle aus unserer vermeintlich stabilen Normalität gerissen: Es herrscht ein Ausnahmezustand,
Eigentlich ein Szenario, das Rechtsextremen gefallen sollte. So sind doch Katastrophen- sowie Untergangsrhetorik und der Ausnahmezustand ihr Metier. Doch stattdessen schien es die letzten Wochen ungewöhnlich ruhig um all jene, die sonst Angst vor Geflüchteten und Einwanderung schüren. Und auch Anhänger:innen der politischen Arme der extremen Rechten scheinen sich abzuwenden:
Der aktuelle Ausnahmezustand – so viel lässt sich festhalten – gefällt Rechtsextremen durch die Bank ganz und gar nicht. Und Grund dafür sind keine humanistischen oder solidarischen Motivationen wie die Sorge um das Wohlergehen der Mitmenschen. Ihre Vordenker:innen ringen schlichtweg noch um eine narrative Deutung der Pandemie für die eigene Sache.
Dabei haben sie bisher 4 Narrative gefunden, die uns in den kommenden Monaten von rechts außen verstärkt begegnen werden. Gut, diese und ihre Vordenker:innen schon heute zu kennen.
1. Den Tod akzeptieren und die Stärkeren nicht stören
»Was geschieht, ist nur ein weiteres Beispiel für die Kontingenz von Leben und Dasein. […] Wir sterben nun mal an irgendwas, das in unser Leben tritt. Dem sollte man entgegensehen«, schreibt
Hinter dieser Haltung verbirgt sich das erste rechtsextreme Narrativ während der Coronakrise: der Sozialdarwinismus – also eine simplifizierte und verzerrte Ableitung der Erkenntnisse Charles Darwins. Was der Naturforscher Darwin Ende des 19. Jahrhunderts als genetische Veränderungen verschiedener Tier- und Pflanzenarten beschrieben hat, wird im Sozialdarwinismus auf die Gesellschaft umgedeutet.
Und ein Körper überlebt, indem er alles nicht Lebensfähige abstößt.
Die Kernbotschaft des Sozialdarwinismus auf einem Plakat einer Demonstration gegen Coronamaßnahmen in den USA: »Sacrifice the Weak« (opfert die Schwachen).
Sozialdarwinismus ist also nichts weniger als ein unbarmherziges, faschistisches »Recht des Stärkeren«, das das Aussieben der schwächsten Gruppen einer Gesellschaft befürwortet. Das kann bewusst und sogar geplant passieren, etwa durch Mord oder erzwungene Sterilisation. Es kann aber auch strukturell geschehen, etwa indem Hilfsprojekte für Suchtkranke oder Migrant:innen keine Förderungen bekommen.
Dass »schwach« dabei relativ ist und von den Vordenker:innen je nach Zeit und Umständen umgedeutet werden kann, ist Teil der Idee. Die Entscheidung über Leben und Tod obliegt den »Starken«, also denjenigen, die den Sozialdarwinismus anwenden. Für Rechtsextreme fällt dies mit einer generellen Definition von »völkisch wünschenswert« zusammen: weiß, heterosexuell, bürgerlich, jung bis mittelalt, ohne Behinderung, gesund.
Und genau hier schließt der Gedanke wieder an die Pandemie an. Denn die Akzeptanz der eigenen Sterblichkeit bei Heino Bossmann in der Sezession geht mit einer Klage über die »Verzärtelung« von Mensch und Gesellschaft einher. So lässt sich das Recht auf Gesundheit absprechen, vor allem wenn dies eine zu große Belastung für andere sei. Statt mit Rücksicht auf Schwächere vorzugehen, so Narrativ Nummer 1, solle die Gesellschaft sich in der Krise an den Stärksten ausrichten und ihnen möglichst keine Einschränkungen auferlegen.
Dabei wird der Tod Einzelner sogar zum heroischen Akt verklärt, geschehe dieser doch für das Volk und sei dementsprechend still zu ertragen. Neu ist das bei Weitem nicht. Denn es erinnert an die Forderung des umstrittenen Autors
2. Den Markt auf keinen Fall belasten
»Es gibt gar nicht genug Geld, um all diese Dinge zu finanzieren und zusätzlich noch all die Arbeitsplätze, die im Shutdown wegfallen. Daher müssen wir den Shutdown in Teilen aufheben!«, fordert Autorin Katja Triebel im neurechten Magazin
Staatliche Hilfsmaßnahmen scheinen der neuen Rechten ein besonderer Dorn im Auge zu sein. Dahinter verbirgt sich erneut der Sozialdarwinismus, diesmal aber nicht auf das Volk, sondern
Dass vor allem Freelancer aus den Bereichen Kunst und Kultur auf staatliche Hilfen angewiesen sind, dürften Rechtsextreme mit Genugtuung sehen, sind diese aus ihrer Perspektive doch sowieso überflüssig. Das gilt auch für Subventionen für Klimaschutz und Energiewende. Letztere zu beenden fordert etwa AfD-Politikerin Alice Weidel in der Jungen Freiheit.
Die Sorge um die Wirtschaft entpuppt sich hierbei als sozialdarwinistisches Ausleseverfahren: Es sollen nur produktive Teile der Wirtschaft erhalten werden, die der Gemeinschaft (dem Volk) etwas bringen: »Unproduktive« Teile der Gemeinschaft sollen nicht oder nur mit kleinen Ausnahmen von den »produktiven« erhalten werden.
Auf Corona angewandt kommt es sogar zu einer Mischform beider sozialdarwinistischen Stränge: Man könne manche Menschen nicht retten, weil es eine zu große Belastung für »die Wirtschaft« sei –
3. Die Suche nach dem Sündenbock mit Verschwörungstheorien
Eine der Eigenschaften des Rechtsextremismus ist es, dass er ein klares Feindbild braucht. Doch dafür taugt ein Virus als Laune der Natur kaum. Da liegt der Griff zu
- »Die 5G-Verschwörung«: Eine Verschwörungstheorie besagt, der neue Mobilfunkstandard 5G würde angeblich zur Gedankenkontrolle eingesetzt – nun soll er Covid-19 auslösen oder verstärken.
- »Die Impfstoff-Verschwörung«: Auch die Impfgegner:innen haben Corona sofort in ihre Agenda aufgenommen.
- »Die Big-Pharma-Verschwörung«: Dazu gibt es auch den Strang der Verschwörungstheoretiker:innen, der das Coronavirus als nicht gefährlich sieht.
- »Die QAnon-Verschwörung«:
4. Die Krise als Chance für den Nationalstaat
»Das Overton-Fenster könnte sich ruckartig in unsere Richtung verschieben. […] Das wechselseitige Vertrauen in einer multikulturellen Gesellschaft bricht […] in sich zusammen«,
Und damit entwirft Sellner Narrativ Nummer 4: Darin wird die Drastik des Virus anerkannt und auch die Hilfsbereitschaft und Solidarität unter den Menschen gewürdigt. Sie wird allerdings national umgedeutet. So würden etwa auf Balkonen gesungene Nationalhymnen und geschlossene Grenzen eine Wendung zurück zum Nationalen beweisen, meint Sellner.
Dabei vermengt das Narrativ Volksidentität mit der Reaktion auf das Virus, um rassistische Vorurteile zu schüren: So sind es vor allem die »Einheimischen«, die brav die Regeln befolgen und für ihre Nachbar:innen sorgen. Diejenigen, die hingegen gegen die Auflagen verstoßen, seien vor allem junge, männliche Migranten. Als Beleg dient Sellner nur Hörensagen aus angeblichen Polizeikreisen. Doch das reicht dem identitären Vordenker, um davon zu fabulieren, dass nach diesen Erfahrungen die Leute bereit sein würden, »Remigration« (also Abschiebungen) im großen Stil einzufordern.
Fazit: 4 Ansätze, noch keine Geschlossenheit
Die extreme Rechte tut sich schwer mit der Pandemie. Sie kommt zum ungelegensten Zeitpunkt, waren doch zuvor die Flüchtlinge zwischen der Türkei und Griechenland das große Thema. Ihr Paradethema. Auffällig ist, dass sich vor allem auch die parlamentarische extreme Rechte schwer tut mit kohärenten Erzählungen und Erklärungen. Eine völkisch-positive Krisenerzählung etwa steht noch nicht bereit – sie wäre prädestiniert für Parteien wie die AfD, die FPÖ oder die SVP.
Nach einem ersten Schockmoment ist aber zunehmend zu beobachten,
Hier ist geboten, heute schon einzuschreiten und den Narrativen gegenzuhalten. Denn sie werden bereits von jenen bejubelt, die Coronamaßnahmen langsam satthaben. Und diese Menschen könnten sich weiter radikalisieren, wenn eine Wirtschaftskrise wieder gewohntes Terrain und eine Steilvorlage für Rechtsextreme bietet.
Mit Illustrationen von Doğu Kaya für Perspective Daily