Familie Akkermann ist überglücklich, als die kleine Paula Anfang 2020 das Licht der Welt erblickt. Doch obwohl ihre Eltern verheiratet sind und sich gemeinsam für das Kind entschieden haben, hat Paula offiziell nur ein Elternteil. Das Recht behandelt ihre zweite Mutter wie eine ihr völlig Weder Ärzt:innen noch Lehrer:innen dürfen ihr Auskünfte über die eigene Tochter erteilen. Und sollte der leiblichen Mutter von Paula etwas zustoßen, wäre das Kind rechtlich eine Vollwaise.
In Deutschland kann Paulas zweite Mutter erst nach einem jahrelangen Adoptivverfahren Eine wirkliche Ehe für alle mit gleichen Rechten sieht anders aus, finden die beiden Mütter. Gesa C. Teichert-Akkermann und Verena Akkerman fühlen sich gegenüber heterosexuellen Ehepaaren ungleich behandelt. Männer werden schließlich auch dann automatisch als Väter anerkannt, wenn das Kind ihrer Ehefrau
Wir sind beide Menschen, die Ungerechtigkeiten nur sehr schwer aushalten können. Paula hat keine Adoptivmutter – wir sind die Eltern von Paula. Wir wollen für sie und alle anderen Kinder in Regenbogenfamilien Gerechtigkeit erkämpfen.Gesa C. Teichert-Akkermann, Mutter von Paula, im Interview mit der GFF
Ihr Ziel: Vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein Grundsatzurteil erstreiten und so
Schon jetzt haben die Akkermanns einiges erreicht: Die Medien berichten über ihr Anliegen, und sie erhalten viel Rückhalt von anderen Menschen aus der Community. Außerdem sind sie ein Vorbild für weitere betroffene Paare, die jetzt ebenfalls klagen möchten.
Was die Akkermanns vorhaben, nennt sich »strategische Prozessführung«. Dabei geht es darum, Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft mit den Mitteln des Rechts zu beseitigen – gerade
Unsere Grundrechte mit rechtlichen Mitteln zu verteidigen – das ist das Ziel der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die diesen Fall mitbetreut. Der gemeinnützige Verein wurde im Jahr 2015 gegründet. Eine der Mitgründerinnen ist Nora Markard, die internationales öffentliches Recht und Menschenrechtsschutz an der Universität Münster lehrt. Mit ihr spreche ich darüber, was es braucht, die Welt vor Gericht ein Stück zum Besseren zu verändern.
Was genau versteht man eigentlich unter strategischer Prozessführung?
Nora Markard:
Strategische Prozessführung geht insofern über die normale Prozessstrategie von Anwält:innen hinaus, als sie ein übergeordnetes Ziel verfolgt. Bei den meisten strategischen Prozessen wissen die Organisator:innen und Kläger:innen von Anfang an, was sie verändern wollen: So wollen etwa die Akkermanns erreichen, dass auch nicht-heterosexuelle Ehepaare mit der Geburt die Eltern ihrer Kinder werden können. Sie richten deshalb den gesamten Prozess auf dieses Ziel aus, ihr eigener Fall ist »nur« das Beispiel dafür.
Wenn wir als GFF zum Beispiel ein Gesetz für grundrechtswidrig halten, suchen wir einen Fall, an dem wir das besonders deutlich zeigen können – und dann bauen wir ihn strategisch auf. Wir überlegen, wer die besten Kläger:innen sind, gegen wen wir vorgehen, vor welche Stellen oder Gerichte wir gehen müssen und wie wir den Fall so aufbereiten, dass ein Gericht mit den Grundrechtsfragen auch das große gesellschaftliche Problem lösen kann.
Wie genau können Kläger:innen diese Ziele denn erreichen?
Nora Markard:
Das geht auf unterschiedlichen Wegen:
Im optimalen Fall gewinnen die Kläger:innen natürlich den Prozess. Der klärt dann die Rechtslage – nicht nur für diesen, sondern auch für weitere Fälle. Das ist Gemeint sind damit Grundsatzurteile der So können wir helfen, eine grundrechtswidrige Situation direkt weiterzuentwickeln.
Und was, wenn sie verlieren?
Nora Markard:
Strategische Prozessführung muss nicht immer darauf ausgerichtet sein, zu gewinnen. Bei solchen Fällen geht es auch um die gesellschaftliche und politische Debatte. Gerade aufsehenerregende Niederlagen können politischen Druck erzeugen. Und sie können andere Personen ermutigen, sich Gehör zu verschaffen und selbst etwas zu tun. Der Gerichtsprozess ist insofern nur ein Mittel neben anderen – wie medialer Aufklärung, politischen Kampagnen, Demonstrationen oder anderen Aktionen. Deswegen ist es auch so wichtig, mit den Medien zusammenzuarbeiten und zu zeigen, warum das Problem über den Einzelfall hinaus so wichtig ist. Tatsächlich können eine öffentliche Debatte und ein breiter Protest häufig dafür sorgen, dass Politiker:innen strukturelles Unrecht beseitigen oder dass Gerichte in späteren Fällen bessere Entscheidungen treffen.
Vorbild: USA – Das können wir von den Erfolgen dort lernen
Vorbild für die strategische Prozessführung ist die »strategic litigation« in den USA. Kann man die Erfahrungen aus den USA auf Deutschland übertragen?
Nora Markard:
Letztlich ist der Unterschied zwischen US-amerikanischem common law und deutschem Rechtssystem nicht so groß, wie manche denken. Hier wie dort versuchen Anwält:innen, über
Wo sind die Unterschiede?:
Nora Markard:
In den USA gibt es noch die berühmten Sammelklagen (class action), in denen viele Betroffene zusammen etwa eine Organisation verklagen.
Die USA haben außerdem eine viel längere Tradition, strategische Klagen zu professionalisieren. Da arbeiten viele Organisationen auf einem hohen professionellen Niveau. Am bekanntesten ist die American Civil Liberties Union mit der wir auch zusammenarbeiten. Auch unsere andere Partnerorganisation, die Electronic Frontier Foundation kämpft seit Jahrzehnten mit strategisch geplanten Prozessen für Freiheitsrechte.
Schon früh gab es in den USA Organisationen, die sich auf strategische Prozessführung spezialisiert haben. Die haben schon vor 70 Jahren in der Bürgerrechtsbewegung gegen strukturellen Rassismus gekämpft und später auch viel für die Rechte gleichgeschlechtlicher Partner:innen erreicht.
Haben Sie Beispiele?
Nora Markard:
Die US-amerikanische National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) hat vor dem US Supreme Court das Ende der Rassentrennung an den öffentlichen Schulen erreicht. Und in Virginia wurde das Verbot der Heirat zwischen weißen und nicht weißen Partner:innen in einigen Staaten gekippt. Die Gleichstellung homosexueller Paare dauerte länger. Erst hat der Supreme Court entschieden, dass die Bestrafung gleichgeschlechtlicher Sexualität unter Männern verfassungswidrig ist. Bereits 12 Jahre später, also 2015, erreichten mehrere Kläger:innen dann, dass der Supreme Court ein verfassungsmäßiges Recht in den USA auf eine gleichgeschlechtliche Ehe
So kannst auch du strategisch klagen
Können wir alle einfach strategisch klagen, wenn wir uns etwa an einem Gesetz stören – auch wenn uns besondere juristische Kenntnisse fehlen?
Nora Markard:
Ja, klagen kann letztlich jede:r, der:die ein Problem hat, das sich mit rechtlichen Mitteln lösen lässt. Dabei gibt es 2 Möglichkeiten: Entweder ich bin selbst juristische:r Expert:in auf meinem Gebiet und klage auf eigene Faust – oder ich suche mir die richtigen Partner:innen, die mich unterstützen können.
Kennen Sie Fälle, in denen das jemand auf eigene Faust gemacht hat?
Nora Markard:
Berühmt geworden ist der Österreicher Max Schrems, der noch als Jurastudent gegen Facebook wegen Datenschutzverstößen vorgegangen ist. Damals hat er schon Inzwischen hat er die Datenschutz-NGO NOYB (Europäisches Zentrum für Digitale Rechte) gegründet, um den Datenschutz in Europa professionell mit rechtlichen Mitteln zu schützen. Er ist ein gutes Beispiel für jemanden, der sich in einem Feld gut auskennt und einen Riecher dafür hat, wo etwas im Argen liegt.
Auch Politiker:innen wie Gerhart Baum oder Sabine Leutheusser-Schnarrenberger haben regelmäßig Verfassungsbeschwerden erhoben. Zum Beispiel um den »großen Lauschangriff« – also das Abhören von Bürger:innen innerhalb ihrer Wohnung – zu
Und was mache ich, wenn ich kein:e Expert:in bin?
Nora Markard:
Auch Nicht-Jurist:innen sind Expert:innen – auf dem Gebiet ihrer eigenen Lebensumstände. Menschen wissen, wann ihnen und den Menschen in ihrem Umfeld Unrecht geschieht. So war das auch bei Familie Akkermann, die wusste, dass sie nicht die einzigen in der Community mit diesem Problem sind. Sie kommen dann erst mal mit diesem Ungerechtigkeitsgefühl zu jemandem, der:die das in rechtliche Argumente übersetzen kann.
Teilweise wissen Betroffene aber am Anfang selbst noch nicht, dass ihr Fall strategische Bedeutung haben wird. Oft sind es zunächst unscheinbare Einzelfälle, die sich entwickeln und einen großen Umbruch bringen. Mit den richtigen Anwält:innen und Partner:innen an der Seite können die Kläger:innen grundsätzlich argumentieren und etwas verändern.
Die meisten Menschen werden eher juristische Hilfe brauchen. Von wem sollte ich mich beraten lassen?
Nora Markard:
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerden sind auch schon auf einem DIN-A4-Blatt handschriftlich eingereicht worden. Trotzdem empfiehlt es sich natürlich, eine:n Anwält:in zu suchen. Es muss allerdings durchaus nicht immer die Großkanzlei dahinterstehen, damit man eine Grundsatzentscheidung bekommt. Wichtig ist nur, dass der:die Anwält:in Erfahrung mit großen Verfahren durch alle Instanzen hat, insbesondere auch mit Verfassungsbeschwerden. Da gibt es in Deutschland viele sehr erfahrene Personen, die sich oft auf bestimmte Bereiche spezialisiert haben. Zusätzliche Unterstützung durch spezialisierte Organisationen ist meist auch sehr hilfreich.
Warum braucht es denn so viel Erfahrung?
Nora Markard:
Weil die Gefahr besteht, dass unerfahrenen Anwält:innen prozessuale Fehler passieren, die nicht passieren sollten. Die fliegen einem dann spätestens vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) um die Ohren. Wenn ein Fall erst in einer oberen Instanz zu uns kommt, prüfen wir das daher immer sehr genau. Teilweise konnten wir wichtige Fälle aus diesen Gründen nicht mehr annehmen, auch wenn wir hinter dem Anliegen der Kläger:innen stehen. Da war schon so viel schiefgelaufen, dass Deswegen ist es immer besser, wenn wir früh in den Fall eingebunden werden, und nicht erst, wenn es zum BVerfG gehen soll.
Würden Sie also empfehlen, sich von Anfang an mit einer Partnerorganisation zusammenzutun?
Nora Markard:
Das muss jede:r für sich entscheiden. Es braucht nicht unbedingt eine Organisation dahinter, die GFF oder die ACLU haben die strategische Prozessführung nicht für sich gepachtet.
Aber es ist häufig eine gute Idee, sich Unterstützung zu suchen. Gute Organisationen können einen durch die Verfahren an die Hand nehmen. Sie haben einen langen Atem und fachliche Expertise, können sich auch um die Finanzierung kümmern und außerdem juristisch und medial beraten. Sie wissen, wie man Fälle breit genug anlegt und an was man bei der strategischen Prozessführung alles denken sollte. Gute Anwält:innen wissen das natürlich auch, aber ihnen fehlen oft die Ressourcen für die Betreuung »drum herum«. Das spricht dann für eine Partnerschaft.
Ja, es braucht einen langen Atem
Finanzierung, mehrere Instanzen – das klingt so, als würde ich mich dann jahrelang nur darum kümmern. Wie viel Aufwand ist das wirklich?
Nora Markard:
Wer das macht, ist schon für mehrere Jahre dabei, gerade wenn der Weg durch alle Instanzen und letztlich bis zum BVerfG geht. Da braucht es tatsächlich einen langen Atem.
In einem Fall vertreten wir eine ZDF-Journalistin, die als Frau weniger Gehalt bekommt als die Männer in ihrem Job. Hiergegen hat sie Verfassungsbeschwerde zum BVerfG erhoben – wie lange das dauern wird, ist völlig offen.
Aber Verfahren dauern unterschiedlich lang. Kläger:innen sollten trotzdem nicht unterschätzen, dass solche Verfahren anstrengend sein können. Die Unterstützung durch eine Community kann dann den Unterschied machen, ob eine Person bis zum Ende durchhält – sowohl emotional als auch finanziell.
Das dürfte für viele Menschen ein wichtiger Punkt sein: Wer trägt bei einem solchen Verfahren eigentlich die Kosten?
Nora Markard:
Wer selbst klagt, muss alle Kosten vorstrecken – und erhält sie erst zurück, wenn das Gericht zu seinen Gunsten entschieden hat. Vorher fallen erst einmal Gerichts- und Anwaltskosten an, teilweise auch für Sachverständige oder Zeugen. Vor allem die Anwaltskosten können sich da summieren. Zwar gibt es das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das die Gebühren festlegt. Doch viele Anwält:innen vereinbaren einen höheren Stundenlohn.
Gut beraten ist man natürlich mit einer Rechtsschutzversicherung. Doch auch die kann Probleme machen. So war das bei der ZDF-Journalistin, da wollte die Versicherung erst nicht zahlen. Das sollte man also vorher klären. Wenn man Glück hat, findet man aber auch ein:e Anwält:in, die den Fall »pro bono«, also kostenlos übernimmt. So vertritt Lucy Chebout den Fall der Familie Akkermann pro bono, weil sie hinter der Sache steht.
Natürlich kann es auch helfen, über eine Community Spenden zu sammeln oder den Fall über Crowdfunding finanzieren zu lassen.
Medienaufmerksamkeit gehört dazu. Was raten Sie Kläger:innen beim Umgang mit den Medien?
Nora Markard:
Die Medien sind natürlich ein wichtiger Teil strategischer Prozessführung, damit der Fall auch in der Breite bekannt wird und die Öffentlichkeit darüber diskutiert. Aber jede:r Kläger:in muss für sich gleich am Anfang überlegen, ob er:sie überhaupt in die Öffentlichkeit treten und Interviews geben will.
Denn wenn der eigene Name und die eigenen Aussagen erst mal öffentlich sind, verschwinden sie nicht so leicht wieder aus dem Internet. In Zeiten digitaler Archive sind auch ältere Artikel nur einen Klick weit weg. Das kann dann grundsätzlich jeder verwenden, wie er möchte.
Die mediale Aufmerksamkeit kann für Betroffene auch anstrengend sein, wenn es plötzlich um sie persönlich geht. Es können unangenehme Fragen kommen. Manche Medien graben auch persönliche Vorwürfe aus, stellen Sachverhalte schief dar – und dann kann einem die Kontrolle über das eigene Bild in der Öffentlichkeit entgleiten und man fühlt sich erneut unfair behandelt. Daher macht es häufig Sinn, sich vorher beraten zu lassen, zum Beispiel von einer Medienberatung.
Ein Mittelweg ist es, anonym mit der Presse zu sprechen, um das eigene Privatleben zu schützen, oder nur Hintergrundgespräche zu führen, aus denen nicht zitiert werden darf. Die Gefahr, dass der Name auf anderen Wegen ans Licht kommt, ist meist gering. In deutschen Urteilen werden die Namen in den Urteilen nie mitveröffentlicht. Allerdings sollte man bedenken, dass das Gerichtsverfahren selbst öffentlich ist.
Die GFF – eine »Rechtsschutzversicherung für das Grundgesetz«?
Jetzt haben wir schon viel über professionelle Unterstützung bei strategischen Klagen gesprochen. Nun sind Sie ja eine der Mitgründer:innen der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die genau so etwas macht. Wie würden Sie die Arbeit der GFF in wenigen Worten beschreiben?
Nora Markard:
Die GFF verteidigt die Grund- und Menschenrechte in Deutschland, vor allem gegen staatliche Eingriffe. Dabei sehen wir uns selbst als eine Art Rechtsschutzversicherung für das Grundgesetz. Wir setzen da an, wo man mit politischen Mitteln nicht weiterkommt, und überlegen, wie wir gerichtlich intervenieren können, um Grundsatzentscheidungen zu erstreiten.
Sie haben ja einen klaren Fokus, wenn Sie sagen, Sie verteidigen Grund- und Menschenrechte vor allem gegen staatliche Verletzungen. Warum die Klagen gegen den Staat?
Nora Markard:
Die Grund- und Menschenrechte richten sich ja primär gegen den Staat, als Freiheitsrechte und als Schutz vor Diskriminierung. Wir wollen, dass die Menschen ihre Grundrechte kennen und wissen, wie sie sie mobilisieren können.
Tatsächlich können aber auch Private wie größere Unternehmen mittelbar Grundrechte beeinträchtigen. Und Auch wir schließen Klagen gegen Unternehmen deswegen nicht aus und bereiten gerade auch einen solchen Fall vor. Nur wo schon andere professionell unterwegs sind, wie zum Beispiel Max Schrems im Bereich Facebook und Co., wollen wir das nicht doppeln.
Aktuell halten wir die Verteidigung gegen staatliche Eingriffe außerdem für besonders wichtig. Gerade in Zeiten, in denen der Rechtsstaat unter Beschuss steht. Da wird den Leuten noch mal bewusst, welchen Wert das Grundgesetz als gemeinsame Rahmenordnung für diese Gesellschaft hat. Und dass man zwar politisch in ganz vielen Fällen unterschiedlicher Meinung sein kann – aber wenn die Grundrechte nicht gewahrt werden, sind die grundsätzlichen Bedingungen für demokratischen Diskurs nicht mehr gegeben.
Was genau machen Sie konkret, um Ihre Ziele zu verwirklichen?
Nora Markard:
Das unterscheidet sich von Fall zu Fall. Manchmal gibt es schon Prozessvertreter:innen, manchmal vermitteln wir spezialisierte Anwält:innen. Wir selbst vertreten die Mandant:innen nicht vor Gericht, sondern unterstützen sie in rechtlicher Hinsicht.
Oft stehen die Grundrechtsverstöße, gegen die wir vorgehen, in einem größeren Zusammenhang. Deshalb arbeiten wir immer eng mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen, die sich diesen Themen widmen – zum Beispiel Beratungsstellen oder Selbstvertretungsorganisationen.
Außerdem beraten wir die Kläger:innen in ihrem Umgang mit den Medien und betreiben selbst Öffentlichkeitsarbeit, damit der Fall auch fachlich korrekt dargestellt wird.
Und wir versuchen ein neues Instrument im deutschen Recht zu etablieren: Den Amicus-Curiae-Brief (Freund-des-Gerichts-Stellungnahme). Diese Praxis stammt aus dem angloamerikanischen Recht. Das ist ein Schriftsatz, den wir an das Gericht schicken und in dem wir den Richter:innen das Problem in einem Fall noch einmal mit unserer Expertise aufbereiten – auch wenn wir in dem Prozess selbst nicht als Partei involviert sind. In den USA haben das Organisationen zu Anfang auch einfach so gemacht, inzwischen ist die Praxis dort prozessrechtlich reguliert.
Meistens finanzieren wir auch die von uns übernommenen Fälle. Dazu beantragen wir Förderungen, machen Crowdfundings und nutzen unser vorhandenes Budget. Das sind Menschen, die aus Überzeugung bei uns mitmachen, indem sie eine Art Spenden-Abo abschließen. Sie machen uns unabhängig von institutionellen Fördermitteln und helfen uns, langfristig zu planen.
Und wie finden Sie die Kläger:innen bzw. wie finden betroffene Menschen zu Ihnen?
Nora Markard:
Da gibt es im Grunde 2 Möglichkeiten:
Wir suchen gezielt nach Kläger:innen:
Manchmal halten wir selbst ein Gesetz für verfassungswidrig und suchen gezielt Menschen, die von einer darauf basierenden Maßnahme betroffen sind.
Die Menschen kommen auf uns zu:
Häufig kommen Anwält:innen oder auch Richter:innen auf uns zu und machen uns auf ein grundsätzliches Problem aufmerksam, mit dem sie sich immer wieder befassen müssen. Oder wir identifizieren gemeinsam mit Partnerorganisationen strukturelle Missstände, gegen die ein strategischer Prozess sinnvoll sein könnte.
Doch immer häufiger kommen auch Einzelpersonen zu uns. So war es auch im Fall der beiden Mütter von Paula. Sie wollten ihren Fall gerichtlich durchsetzen und damit auch gezielt Druck auf die Politik machen.
Wir finden es eine tolle Entwicklung, dass die Leute jetzt schon frühzeitig mit ihren rechtlichen Problemen zu uns kommen und wissen, dass sie damit etwas für die Grund- und Menschenrechte tun können.
Mit Illustrationen von
Mirella Kahnert
für Perspective Daily
Ja, manchmal ist das Recht ein lästiger Paragrafendschungel. Als Juristin hilft Anne euch deshalb dabei, eine Schneise durchs Gesetzdickicht des Alltags zu schlagen. Doch Recht und Gesetz sind für sie vor allem Werkzeuge, mit denen wir die Welt gerechter und freier machen können. Oft ist sie selbst überrascht, wie kreativ viele Menschen das für sich und andere nutzen. Glaubst du nicht? Dann lies ihre Texte!