Warum wir online nur noch unsere eigene Meinung hören
Wenn dir alles gefällt, was du bei Facebook und Co. liest, sitzt du schon fest in deiner Echokammer. Soziale Medien machen es möglich und erzeugen falsche Erwartungen. So bringst du deine Filterblase zum Platzen.
Es ist der 9. November 2016, der Morgen nach der US-Wahl, die in die Geschichte eingehen wird. Noch ist die Nachricht über den Sieg von Donald Trump brandheiß. Mein Smartphone brummt ununterbrochen mit neuen Kurznachrichten: Hillary Clinton gesteht ihre Niederlage ein und Donald Trump hält seine erste Rede als zukünftiger 45. Präsident der USA. »Wie konnte das passieren?«, frage ich mich und fahre meinen Computer hoch. Es ist vielleicht die Frage des Jahres. Aus Gewohnheit führt mich mein erster Klick zu den Neuigkeiten meiner Freunde und Bekannten auf Facebook.
Auch ich habe nicht wirklich mit dieser Entwicklung gerechnet – genauso wenig wie mit dem Brexit oder der Ablehnung des ersten
Woher kam diese falsche Zuversicht?
Ich erinnere mich an einen Bekannten, den ich erst kürzlich aus meiner Freundesliste geworfen hatte. Die ewig gleichen Parolen gegen Geflüchtete und »Gutmenschen« gingen mir einfach zu weit. An diesem Morgen tippe ich seinen Namen in die Suchleiste von Facebook ein und lese in seinem Netzwerk mit.
Eine Meinung, die für mich aus einer anderen Welt zu stammen scheint. Und genau darin liegt das Problem. Wir alle leben mittlerweile in unserer eigenen
Schalte das soziale Netzwerk im Artikel um und entdecke, wie unterschiedlich die Perspektiven in Echokammern sein können. Mit einem Klick unten rechts auf die Aktionsleiste (Varianten), kannst du das auch während des Lesens tun. Du brauchst eine Erläuterung oder Auffrischung, was soziale Medien überhaupt sind? Dann klicke hier.
Das ist kein Fehler, das soll so sein
Nicht nur ich begebe mich nach der US-Wahl auf Spurensuche. Ich will wissen, wie diese Täuschung entsteht und wirkt. Viele liberale US-Medien
Soziale Netzwerke als Nachrichtenportale? Im November erklärte Mark Zuckerberg dann als Reaktion auf die Vorwürfe:
Unser Ziel ist es, Menschen die Inhalte zu zeigen, die für sie die meiste Bedeutung haben, und Menschen wollen akkurate Nachrichten.
Der konkrete Vorwurf: Soziale Netzwerke ermöglichten es, gezielt Desinformationen zu verbreiten, und
»Mach Facebook zu deinem Facebook. Mit mehr von dem, was dir gefällt. Und weniger von allem anderen.« – Facebook-Werbung
Echokammern können vielleicht nicht erklären, warum Donald Trump gewählt wurde –
Anders gefragt: Warum hat der
- Die subjektive Auswahl der Freunde: Auf sozialen Netzwerken wird nur das angezeigt, was auch geteilt wird. Eine
- Das Verhalten von Newsfeeds: Soziale Netzwerke sind heute vor allem ein wichtiger Kanal für die Kommunikation von Unternehmen. Wer eines davon mit »Gefällt mir« bedenkt, abonniert auch einen Teil der vom Unternehmen geteilten Inhalte. Doch längst nicht alle Beiträge erscheinen auch in den Zeitleisten der Abonnenten.
- Der Algorithmus: Dies wird zusätzlich von einem Algorithmus beeinflusst, der die Haltung des Nutzers ausliest. Er arbeitet im Hintergrund und sortiert Beiträge auch inhaltlich vor. Eine
»Das persönliche Informationsuniversum, das Sie online bewohnen – einzigartig und nur für Sie aufgebaut von den personalisierten Filtern, die das Web jetzt antreiben.« – Eli Pariser
Kurz gesagt: Soziale Netzwerke sind dafür gemacht, dass wir uns dort wohl fühlen – und damit das so bleibt, bekommen wir aus allen Quellen eher das zu lesen, was uns tendenziell gefällt. Aus dem Blickwinkel der Betreiber gedacht eine schlaue Idee: Jedes »Gefällt mir«, jeder geteilte Beitrag, jeder Kommentar verändert das, was der Nutzer als Nächstes
Das gehört auch zur Strategie sozialer Netzwerke wie Facebook – schließlich verdienen sie vor allem durch personalisierte Werbung. Für sich allein genommen ist das allerdings noch kein Problem, erklärt Müller-Lietzkow:
Schädlich wird eine solche Präferenz-Wahl erst dadurch, dass jemandem durch die Steuerung der ihm zugeschobenen Informationen auch eine bestimmte Denkrichtung vermittelt wird. Dadurch kann ein sogenanntes Agenda-Setting entstehen.
Der Begriff bezeichnet das Zusammenspiel von Medien und Politik. So geht die Theorie davon aus, dass Medien zwar nicht beeinflussen können, was das Publikum denkt, wohl aber, worüber es sich Gedanken macht, erklärt Müller-Lietzkow:
Das Fatale daran ist ja nicht, dass ich mehr von dem Einen bekomme, sondern der Umkehrschluss, dass ich das Andere nicht mehr erhalte. Wenn ich meine Präferenzen regelmäßig manifestiere, nehme ich mir die Möglichkeit, eine Meinungsvielfalt gespiegelt zu bekommen – die eigentlich unsere Gesellschaft abbilden würde.
Anders als bei traditionellen Nachrichten-Medien, die sich trotz
Für mich und die Trump-Wahl heißt das: In meiner Echokammer wurden mir die kritischen Stimmen über Trumps politische Gegner und die positiven Stimmen über Trump kaum noch angezeigt. Reingefallen!
Doch damit bin ich nicht allein.
Wer seine Kammer zum Bunker umbaut, lebt gefährlich
Was in den Echokammern vor allem fehlt, sind neue Perspektiven, die Meinungen herausfordern können. Dabei besteht die Gefahr, dass aus der Interessensgemeinschaft eine abgeschlossene Gemeinschaft wird. Doch was passiert genau, wenn Menschen tiefer in die Echokammer abtauchen und aus ihr ein abgeschotteter Echobunker wird?
Ich frage dazu Armin Scholl. Der Kommunikationswissenschaftler der Universität Münster forscht zu Gegenöffentlichkeiten, also Meinungsbildung jenseits der traditionellen Leit-Medien. Er erklärt:
Das Phänomen gab es schon immer. Stammtische haben sich auch früher getroffen und eine abgeschlossene Meinung gebildet. Menschen haben nun mal eine ideologische Ausrichtung und suchen danach, diese zu verstärken.
Was früher ab und zu in geschlossenen Gesellschaften eines Wirtshauses ausgesprochen wurde, geschieht heute täglich in den Nischen der sozialen Netzwerke. Auch das ist ein Effekt des Internets. Es erleichtert Außenseitern, sich untereinander zu vernetzen und nach außen hin
Gerade Außenseiter-Gruppierungen, die Positionen vertreten, die in der Minderheit sind, brauchen diese wechselseitige Selbstbestärkung, weil sie sonst nirgendwo Zustimmung bekommen.
In diesen Echobunkern hört man nur noch sich selbst und nimmt anders lautende Öffentlichkeit gar nicht mehr wahr. Dadurch entsteht ein verkehrtes Weltbild: Das Eigene wird zum Allgemeingültigen; was in der Gesellschaft als allgemeingültig angesehen wird, wird als
Wer in der Gesellschaft mit seiner Meinung in der Minderheit ist, dreht den Spieß im Echobunker einfach um.
Ein solcher Echobunker muss allerdings aktiv aufrechterhalten werden und das kostet auf Dauer Mühe. In sozialen Netzwerken mag eine 100%-ige Abschottung für eine Weile funktionieren – insbesondere wenn Neuigkeiten nur noch durch Quellen in einen solchen Bunker gelangen, die diese Inhalte bereits
Zunächst versucht der Bunkerbewohner natürlich, widersprüchliche Informationen zu vermeiden. Wenn das nicht mehr möglich ist, müssen sie umgedeutet werden. Wenn auch das nicht mehr gelingt, werden andere Perspektiven durch Aggression emotional ausgeschlossen. Das alles wird ab einem gewissen Punkt natürlich absurd und funktioniert nur für eine sehr kleine Minderheit auf Dauer.
Raus aus der Kammer – Schritt 1: Außenperspektiven suchen
Fassen wir zusammen: Echokammern verzerren die Weltsicht. Wenn wir soziale Netzwerke als primäre Nachrichten-Quelle wählen, verleiten sie uns dazu, Ereignisse falsch zu bewerten. Echobunker sind anstrengend und sogar gefährlich. Eine radikale Konsequenz wäre nun, ganz zu verzichten. Doch das kommt für viele
Soziale Netzwerke können sogar zur Pluralisierung beitragen – wenn man selbst dafür sorgt.
Also begab ich mich nach der US-Wahl auf die Suche nach Maßnahmen, um meine Echokammer zum Einsturz zu bringen. Dies sind die wichtigsten Schritte: Den Start macht eine Analyse der eigenen Perspektive. Dafür braucht es aber den Kontakt mit herausfordernden Haltungen. Das ist auch die Taktik der britischen Tageszeitung The Guardian, die neuerdings mit der Rubrik
- Der Standard.at: Der Online-Auftritt der Wiener Tageszeitung bietet einem Deutschen die Außen-Perspektive aus einem Nachbarstaat, häufig auch auf die deutsche Innenpolitik. Migrationsthemen und feministische Berichterstattung erhalten dabei besonderen Raum.
- Dekoder.org: Herausgeber Martin Krohs hat
- National Review: Die US-Zeitschrift einte einst die Republikaner und ist seitdem der konservativen Politik verpflichtet. Sie bietet Nachrichten und Kommentare mit individualistischer und traditionell christlicher Haltung.
- Southern China Morning Post: Das Medium aus Hongkong verfolgt eine liberale Blattlinie und wirft einen eigenen und kritischen Blick auf den pazifischen Raum. Wichtig ist den Redakteuren vor allem die Eigenständigkeit von China.
- Al Jazeera: Der Sender wird aus Katar finanziert und vertritt eine amerikakritische Haltung. Er war der Sender des »Arabischen Frühlings« und betrachtet das Weltgeschehen aus arabischer Perspektive.
Raus aus der Echokammer – Schritt 2: Den Algorithmus umgehen
Nach der Selbstkontrolle der eigenen Haltung geht es an die Struktur des sozialen Netzwerkes. Damit dieses nicht mehr so einseitig Ergebnisse filtert, muss der Algorithmus verwirrt werden. Dieser Punkt ist für den Medienwissenschaftler Jörg Müller-Lietzkow besonders wichtig, denn was die Maschine lernt, geht über das eigene Profil hinaus:
Lernfähige Algorithmen verbinden Informationen durch unsere semantischen Verbindungen. Das ist ein Dilemma und betrifft nicht nur Facebook und Co., sondern auch Suchmaschinen wie Google. Wenn mir etwa etwas gefällt, was ein Politiker zu Familienpolitik sagt oder ich es gar teile, verbindet der Algorithmus den Politiker mehr mit Familienpolitik – auch für andere Suchanfragen, sprich Dritte sind von meinem Verhalten betroffen. In Zukunft sollten wir viel häufiger die Frage stellen: Was ist die Vernetzung, die dadurch entsteht, und wollen wir diese? Im Umkehrschluss, wer kann diese massiv beeinflussen?
Was Müller-Lietzkow beschreibt, ist ein Problem im Aufbau der Digitalen Welt. Das Wissen darum kann aber dabei helfen, das eigene Verhalten zu ändern:
- Anderen Haltungen folgen: »Gefällt mir« für Organisationen und Personen mit anderslautenden Meinungen können soziale Nachteile mit sich bringen. Damit sich Bekannte nicht wundern, warum man plötzlich Frauke-Petry-Fan ist, Helene Fischer hört oder angeblich einer Biker-Gang aus dem Ruhrgebiet beigetreten ist: Man muss solche Verbindungen im Profil nicht anzeigen lassen. Der Algorithmus bezieht sie trotzdem ein.
- Informationen prüfen: Nicht auf Mark Zuckerberg warten, selbst machen! Informationen lassen sich überprüfen, bevor man selbst im sozialen Netzwerk eine Falschmeldung verbreitet. Noch besser: Bei umstrittenen Haltungen direkt haltbare Gegenperspektiven mit-teilen. Auch das sorgt beim Algorithmus für Kopfzerbrechen.
- Re-Freunden: Ein großer Teil der Struktur eines sozialen Netzwerks entsteht über die Auswahl der Freunde. Warum nicht doch den entfernten Bekannten mit der unbequemen Meinung wieder einladen? So lässt sich das Netzwerk schnell ausgewogener gestalten.
- Den eigenen Feed bewusster steuern: Jetzt kommt der schwierige Teil. Denn nun spülen häufiger provokante Meinungen in den Ticker des sozialen Netzwerks. Wer hier nun auf »verbergen« oder »weniger anzeigen« drückt, gibt dem Algorithmus wieder falsche Signale. Lieber aneckende Meinungen auch mal aushalten.
Raus aus der Echokammer – Schritt 3: Andere Kammern öffnen
Der Kampf gegen die Echokammer hört für mich nicht bei der eigenen Perspektive auf. Denn wir alle stecken in unseren Echokammern fest. Gehen wir einen Schritt weiter!
- Sensibilisieren: Ein Mittel, um gegen die Kammer vorzugehen, lautet »Sensibilisierung«. Das sagt auch eine
- Produktive Konfrontation: Nur wer sich mit vielen verschiedenen Meinungen auseinandersetzt und diese bespricht, kann die Echokammern von anderen Menschen durchbrechen. Durch die Konfrontation mit einer anderen Haltung lässt sich auch die eigene überprüfen. Dazu muss man nicht gleich mit einem Fremden diskutieren. Gesprächspartner finden sich auch schon im eigenen Bekanntenkreis.
- Korrektur von Falschmeldungen: Nicht alle Meinungen muss man tolerieren. Manche sind einfach faktisch falsch oder gar keine Meinung, sondern Beschimpfungen, also
In einer Echokammer verlieren wir die Chance, über Meinungen und Ansichten zu stolpern, die uns herausfordern und inspirieren können.
Fazit: Soziale Netzwerke sind keine Nachrichten-Medien. Ein problematischer Umgang mit ihnen fängt nicht erst dort an, wo nur noch eine Meinung im Bunker herrscht. Er beginnt bereits, wenn wir aktiv nach der Bestärkung der eigenen Meinung suchen und uns mit dem Unvermeidlichsten anderer Perspektiven auseinandersetzen. Das ist es, was mir die Trump-Wahl gezeigt hat.
Bei der kommenden Bundestagswahl wird mein soziales Netzwerk jedenfalls ein ganz anderes sein.
Titelbild: Ronja Schweer - copyright