Wenn du an Klimaaktivismus denkst, wer fällt dir zuerst ein?
Lass mich raten: Greta Thunberg, Luisa Neubauer oder sogar Boyan Slat?
Imeh Ituen kritisiert eine auf die Klimakrise, die medial und politisch viel mehr Aufmerksamkeit bekommt als die Stimmen von Menschen, die schon längst unter den Folgen des Klimawandels leiden. Viel leiser oder auch gar nicht hören wir Klimaaktivist:innen, die im Globalen Süden leben.
Ituen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Globale Klimapolitik der Universität Hamburg und Teil einer Berliner die sich für Klima- und Umweltgerechtigkeit einsetzt. Sie schreibt, forscht und klärt auf – über ein Phänomen, das in aktuellen Klimabewegungen kaum nach außen kommuniziert wird: Umweltrassismus.
Ich treffe mich mit ihr im Hochsommer in der Berliner Hasenheide, einem großen Park im Herzen der Hauptstadt. Wie die Berliner:innen wohl reagieren würden, wenn Kolonialist:innen diesen Erholungsort als nutzlos bezeichnen und ihn für Plantagen oder Äcker roden würden? Nicht auszumalen. Doch die letzten 500 Jahre zeigen, dass mit dieser Strategie die Aneignung von Natur und Umwelt möglich war – und wahrscheinlich zu einer der schlimmsten Krisen unserer Zeit geführt hat.
Juliane Metzker:
Wann, würdest du sagen, hat der Klimawandel begonnen?
Imeh Ituen: Das Jahr, in dem auf der Insel Madeira das erste Mal Menschen versklavt wurden, 1492 ist natürlich ein weiteres wichtiges Jahr. Mit Kolumbus’ Entdeckung von Seewegen zu den Amerikas begann die kontinentale Massenversklavung von Menschen aus afrikanischen Ländern. Die Kolonialisten zwangen sie, Wälder für Plantagen zu roden, auf denen sie dann weiter ausgebeutet wurden.
Was hat der Sklav:innenhandel mit der Klimakrise zu tun?
Imeh Ituen:
Unsere heutigen Kapitalmärkte sind überhaupt erst durch Versklavung entstanden. Denn die unglaublichen Profite, die dadurch erbeutet wurden, haben die Industrialisierung möglich gemacht. Das bedeutet, dass der Grund, warum über Kontinente hinweg Treibhausgase freigesetzt werden konnten, viel weiter in der Vergangenheit liegt, als die meisten Menschen hier glauben wollen. Und dass Versklavung und dabei eine zentrale Rolle gespielt haben.
Wie sind dir die Zusammenhänge klar geworden?
Imeh Ituen:
Ich kann mich gut daran erinnern, dass mein Vater mir als Kind oft vom landwirtschaftlichen System in Akwa Ibom, Nigeria erzählte. Pflanzen wurden so angebaut, dass es verschiedene Gehölzebenen gab. Das schützte nicht nur die Pflanzen, sondern auch die Böden vor Erosion durch Wind und Wasser. Doch seit der Kolonialzeit in Nigeria wurde diese Art des traditionellen,
Wie war das möglich?
Imeh Ituen:
Viele Flächen, die Menschengruppen im Globalen Süden verwaltet haben, wurden von Kolonialherren als »Terra nullius« – Niemandsland – bezeichnet. Dieses Konstrukt diente dazu, Ansprüche auf das Land abzuerkennen und Menschen de facto zu enteignen. Das passiert auch noch heute. Einige große Aufforstungsprojekte folgen einer solchen neokolonialen Logik.
Das musst du mir erklären. Sind solche Initiativen nicht etwas Gutes für uns alle?
Imeh Ituen:
Es klingt auch erst einmal total schön. Ich plädiere dennoch dafür, genauer hinzuschauen. Der Begriff beschreibt Landraub im Namen »grüner« Projekte, die dem Naturschutz dienen sollen. Dabei werden sich Flächen angeeignet, die vormals wie von den lokalen Nutzer:innen gemeinsam verwaltet wurden. Es sind selten landwirtschaftlich genutzte Flächen, sondern oft Wälder oder Weideflächen. Viele Kleinbauern sind von ihnen abhängig, um beispielsweise Feuerholz zu sammeln. Diese Flächen werden dann unter dem Narrativ enteignet, dass sie ungenutzt seien und keine Eigentümer:innen hätten.
Für jede Aufforstung wird ein bestimmter CO2-Wert ermittelt, Das sorgt dafür, dass diese nichtlandwirtschaftlichen Flächen ökonomisiert werden, indem ihnen ein reeller Geldwert zugeschrieben wird. Das führt aber dazu, dass Menschen ihrer Lebensgrundlage beraubt werden – und oftmals außerdem zur Degradierung von Ökosystemen.
Klimaaktivist:innen führen auch nach Maathais Tod im Jahr 2011 ihre Vision weiter.2008 erschien der Dokumentarfilm »Wangari Maathai – Mutter der Bäume« über das Lebenswerk der Umweltaktivistin aus Kenia.Wangari Maathai war Friedensnobelpreisträgerin und UN-Friedensbotschafterin.
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Also dann besser keine groß angelegten Baumpflanzaktionen?
Imeh Ituen:
Meine Kritik bezieht sich nicht darauf, dass es generell nicht gut ist, Bäume zu pflanzen. Doch unser Interesse sollte es sein, lokale Initiativen wie die von der kenianischen Aktivistin Wangari Maathai zu unterstützen.
Warum ist Klimaaktivismus so »weiß«?
Warum kennen die meisten Menschen hier Greta Thunberg, aber nicht Yola Mgogwana, Ridhima Pandey oder eben Vanessa Nakate? Sie alle sind Aktivistinnen, die teilweise schon seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit gegen Umweltverschmutzung und Klimawandel kämpfen.
Imeh Ituen:
Das hat mit dem westlichen Mensch-Natur-Dualismus zu tun. Die westliche Denke schreibt Indigenen Menschen zu, dass sie eins seien mit der Natur oder eigentlich schon fast selbst Natur seien. Indigene Völker überall auf der Welt werden als Teil der Flora und Fauna gesehen und dadurch entmenschlicht. Das ist eine Perspektive, die seit dem 15. Jahrhundert immer wieder verhandelt wird. Und das spiegelt sich auch darin, dass weiße Menschen nicht gelernt haben, sich mit Indigenen Menschen und Kämpfen zu identifizieren, die im Globalen Süden Teil der Umwelt- und Klimabewegung sind und nicht dieselbe Aufmerksamkeit bekommen wie eine Schülerin aus Schweden. Weil diese Menschen scheinbar nur für ihren Wald kämpfen. Dadurch wird auch ganz anders berichtet, wenn überhaupt berichtet wird.
Was sendet das für ein Signal, wenn schlussendlich meist Aktivist:innen aus dem Globalen Norden Gehör bekommen?
Imeh Ituen:
Erstens, die Antwort auf die Fragen: Wer versteht diese Zusammenhänge? Wer ist mächtig? Der Mensch-Natur-Dualismus wirkt auch hier. Er verhindert, dass Kämpfe Indigener Menschen als solche gelesen werden.
Zweitens: Identifikation. Weiße Menschen waren nie gezwungen, sich mit Schwarzen Menschen, PoC und Indigenen Menschen zu identifizieren. Andersherum war das durch den Kolonialismus der Fall. Damit werden die Themen, Belange und Kämpfe Menschen medial als weniger wichtig und wertvoll wahrgenommen.
Die ugandische Aktivistin Vanessa Nakate wurde beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos sogar aus dem Bild mit Greta Thunberg und Luisa Neubauer geschnitten.Ridhima Pandey ist eine indische Umwelt- und Klimaschutzaktivistin. Bekannt wurde Pandey durch von ihr initiierte Petitionen an die indische Regierung und die Vereinten Nationen. In Deutschland ist sie eher unbekannt. Warum?
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Eine unfaire Erzählung?
Du kennst viele Aktivist:innen of Color, die Fridays for Future den Rücken gekehrt haben. Was sind die Gründe?
Imeh Ituen:
Der Druck auf die Klima- und Umweltbewegungen ist gewachsen, sich aufzustellen. Aber ich sehe auch, dass ihnen das wahnsinnig schwerfällt. Anfang des Jahres forderten Schwarze Aktivist:innen und Aktivist:innen of Color in Fridays for Future ein Statement zum rassistischen und stießen auf Gegenrede. Auch mit Blick auf die Ermordung von George Floyd hat eine Reaktion sehr lang auf sich warten lassen. Das hat zu lang gedauert und war gezeichnet von internen Auseinandersetzungen. Für Menschen wie mich sind solche Kämpfe wahnsinnig aufreibend, denn rassistische Morde betreffen uns persönlich. Es hilft nicht weiter, wenn andere Aktivist:innen von Fridays for Future auf solche Kritik antworten, indem sie sagen: Es braucht mehr als Lippenbekenntnisse.
Es gibt Menschen, die deshalb Fridays for Future und andere Klimabewegungen verlassen haben. So sind wir auch entstanden. Viele von uns waren vorher schon aktiv. Aber es war viel zu aufreibend, immer wieder auf so eine krasse Abwehr zu stoßen, wenn wir unsere Themen anbringen.
Wer seid ihr und was macht ihr?
Imeh Ituen:
Wir sind Ein Netzwerk aus mittlerweile fast 140 Menschen. Begonnen hatten wir Ende 2018 mit 5–6 Personen. Damals kannten wir kaum andere BIPoCs, die sich für das Thema interessierten. Über Events wie Filmscreenings und Infoveranstaltungen, beispielsweise zu »Black Veganism«, lernten wir aber immer mehr Interessierte kennen. Die ersten Monate waren deshalb sehr empowernd. Auch für uns selbst: zu sehen, dass der Klimawandel ein großes Thema für Menschen in unserer Community ist, sich aber viele vom Narrativ der großen Klimabewegungen nicht angesprochen fühlen. Wir reden eben nicht nur über Klima und Umwelt, sondern auch über Kolonialismus und dessen Einfluss darauf.
Was sagst du zum Beispiel zu dem bekannten Satz von Greta Thunberg: »I want you to panic«? Die Panik vor dem Aussterben ist ein Narrativ, das sowohl Extinction Rebellion als auch Fridays for Future nutzen.
Imeh Ituen:
Das Narrativ, das eine geklaute Zukunft junger Generationen im Westen in den Vordergrund stellt, empfinde ich als unfair. Wenn man bedenkt, dass Menschen im Globalen Süden schon seit Jahrzehnten von den Folgen des Klimawandels betroffen sind und unter Einsatz des eigenen Lebens dagegen ankämpfen. Wir haben in diesen Ländern so viele Arten infolge des Kolonialismus aussterben sehen. Wenn ein Schutzrahmen nun aber erst dann greift, wenn diejenigen in Gefahr sind, die auf dieser Welt eh die meisten Privilegien genießen, dann bedeutet das nichts Gutes für schutzbedürftige Menschen im Globalen Süden. Deshalb sollten wir diesen Schutzzirkel erweitern. Das kommt zum Schluss allen zugute.
Wie sähe ein gerechter Kampf gegen den Klimawandel aus?
Imeh Ituen:
Kompensation und Reparationen sind notwendig. Klimagerechtigkeit bedeutet auch die Begleichung von Klimaschulden. Wer die Zusammenhänge versteht, wird zu dem Ergebnis kommen: Für Gerechtigkeit muss es eine Umverteilung geben. Dass hier so viel Reichtum und Ressourcen vorhanden sind, lässt sich nicht davon trennen.
Das Wichtigste: Ein gerechter Kampf fokussiert sich auf die marginalisierten Menschen. Das verändert unsere Perspektive und den Prozess, in dem Lösungswege nicht denselben Mustern folgen müssen, die in der Vergangenheit zu mehr Ungerechtigkeit geführt haben. Denn das Ergebnis kann nicht gerecht sein, wenn der Prozess nicht gerecht ist.
Mit Illustrationen von
Mirella Kahnert
für Perspective Daily
Juliane schlägt den journalistischen Bogen zu Südwestasien und Nordafrika. Sie studierte Islamwissenschaften und arbeitete als freie Journalistin im Libanon. Durch die Konfrontation mit außereuropäischen Perspektiven ist ihr zurück in Deutschland klar geworden: Zwischen Berlin und Beirut liegen gerade einmal 4.000 Kilometer. Das ist weniger Distanz als gedacht.