Wir müssen die Büros sofort schließen!
Die Einschränkungen wegen der steigenden Coronazahlen fallen immer härter aus. Unternehmen schicken ihre Angestellten trotzdem weiter ins Büro. Die Politik belässt es bei Appellen. Doch das reicht nicht mehr.
Mindestens einmal an meinem Arbeitstag versuche ich, für eine halbe Stunde nach draußen zu gehen, solange es noch hell ist. Wie alle anderen Teammitglieder von Perspective Daily arbeite ich seit Herbst ausschließlich im Homeoffice. Auf einem meiner täglichen Spaziergänge kam ich vor wenigen Tagen am einzigen großen Bürogebäude vorbei, das es hier im Ort gibt. Einzelne Angestellte saßen allein im Büro, andere Fenster waren dunkel. Ein Mitarbeiter, der wohl gerade Feierabend hatte, lief mit Maske über den Parkplatz zu seinem Auto. Offenbar wird hier der Infektionsschutz ernst genommen.
Unternehmen, Organisationen und Behörden haben in dieser Pandemie gelernt, den Arbeitsalltag auszulagern: auf die Schreib- oder Küchentische und
Doch in diesem zweiten Lockdown fällt etwas auf, was mit Blick auf die Pandemie Sorgen bereitet. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die positiven Erfahrungen mit dem Homeoffice im Frühjahr dazu führen, dass heute mehr Menschen zu Hause arbeiten. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Überraschend wenig Beschäftigte sind ins Homeoffice zurückgekehrt
Noch immer schicken Arbeitgeber:innen – trotz deutlich höherer Infektionszahlen als im Frühjahr – ihre Angestellten ins Büro. Und es sind mehr als im Frühjahr. Genaue Zahlen gibt es dazu zwar nicht.
Es nützte also wenig, dass die Politik dazu aufgerufen hat, auf das Homeoffice auszuweichen, wenn das möglich ist. Trotzdem beließen es Bund und Länder auch jetzt, bei der Ankündigung des verlängerten Lockdowns bis Ende Januar, bei Empfehlungen und Appellen:
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber werden dringend gebeten, großzügige Homeoffice-Möglichkeiten zu schaffen, um bundesweit den Grundsatz ›Wir bleiben zu Hause‹ umsetzen zu können.
Am gleichen Tag kündigten die Politiker:innen weitere harte Einschnitte in den Alltag und das Berufsleben der Menschen an, wie etwa die Einschränkung des Bewegungsradius in Hotspots, weitere Kontaktbeschränkungen und die Schließung von Schulen und
Zwar machen die im August 2020
Die Politik übersieht, wie viel Spielraum es in der Wirtschaft noch gibt
Das Risiko, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, ist dann besonders hoch, wenn Menschen in geschlossenen Räumen zusammen sind. Das ist bekannt und hat schon im letzten Frühjahr viele Unternehmen dazu veranlasst, die Büros zu schließen oder zumindest die Belegschaft deutlich zu reduzieren.
Rückständigkeit bei der Digitalisierung darf nicht mehr als Ausrede gelten.
Heute ist die Situation vergleichbar: Wir stecken wieder in einer Infektionswelle, nur dass die Zahl der Infizierten viel größer ist und deutlich mehr Menschen auf den Intensivstationen der Krankenhäuser liegen. Die Zahl der Toten ist so hoch, dass
Das sind die Zahlen hinter dem Leid und den Anstrengungen, die die Pandemie uns gerade zumutet. Wie wir darauf reagieren, hängt auch von anderen Zahlen ab: den Kennzahlen der Wirtschaft. Das Infektionsrisiko minimieren, ohne Unternehmen und Arbeitsplätze allzu stark zu gefährden – diesen Spagat wollen Bund und Länder schaffen.
Leider übersieht die Politik, wie viel Spielraum es bei dieser Strategie noch gibt. Dabei ist die Lösung so einfach: verpflichtendes Homeoffice für alle Bürobeschäftigten. Präsenz am Arbeitsplatz nur dort, wo sie unabdingbar ist – und dann unter strengsten Infektionsschutzstandards: regelmäßiges Lüften, Maskenpflicht, Hygienemaßnahmen, Abstand, Einzelbelegung von Büros, Coronatests. Das muss überprüfbar sein und bei Verstößen mit Bußgeldern sanktioniert werden können.
Wer schlicht keine Möglichkeit hat, zu Hause zu arbeiten, wer dringend auf bestimmte Unterlagen und Materialien am Arbeitsplatz angewiesen ist, der oder die sollte an der Arbeit nicht gehindert werden. Für alle anderen sollte eine Homeoffice-Pflicht eingeführt werden, wie sie etwa der Digitalverband Bitkom ins Spiel gebracht hat. Ignoranz, Fahrlässigkeit, Rückständigkeit bei der Digitalisierung – das darf nicht mehr als Ausrede gelten.
Homeoffice-Pflicht?
Der Digitalverband Bitkom hat bereits im November eine Homeoffice-Pflicht für Unternehmen und Beschäftigte im Öffentlichen Dienst ins Gespräch gebracht. Laut einer repräsentativen Umfrage unter 1.500 Berufstätigen seien 52% der Befragten für eine solche Homeoffice-Pflicht, berichtete der Verband. 74% der Befragten seien der Ansicht, dass Homeoffice viel stärker genutzt werden solle. »Die in vielen Unternehmen und vor allem in den Verwaltungen noch weit verbreitete Präsenzkultur ist in Corona-Zeiten ein absoluter Anachronismus«, kritisiert der Verband.
Doch es sind immer noch zu wenig Unternehmen und Organisationen, die das konsequent durchsetzen. Das beklagen auch führende Wissenschaftler:innen. Die Max-Planck-Forscherin Viola Priesemann fordert von der Politik ein Homeoffice-Gebot. Demnach sollten Beschäftigte konsequent im Homeoffice arbeiten. Personen, die nicht zu Hause arbeiten können und weiter ins Büro gehen, sollten ihrer Meinung nach mehrmals in der Woche
Es gibt in anderen Ländern, dazu zählt übrigens auch Irland, viel striktere Homeoffice-Regelungen. Da ist das Homeoffice der Regelfall. Und der Arbeitgeber muss Vorkehrungen treffen, wenn er diesen Regelfall verletzen will. Also beispielsweise könnte man dem Arbeitgeber dann sagen: Wenn du trotz Möglichkeit deine Angestellten doch jeden Tag im Büro sehen willst, dann musst du sie auch zweimal in der Woche testen und musst die Testung auch irgendwie sicherstellen. So etwas könnte man auch andenken.
Politische Appelle sind keine Strategie, sondern ein fatales Signal
Die unterschiedlichen Maßstäbe, die die Politik derzeit ansetzt, sind ungerecht, um nicht zu sagen: skandalös. Schüler:innen dürfen nicht mehr in die Schule gehen, Kindergartenkinder nicht mehr in die Kita. Auch Gastronomie, Fitnessstudios, Museen und Konzerthäuser mussten schließen. Und das, nachdem viele der Betreiber:innen aufwendige Hygienekonzepte geplant, umgesetzt und dafür zum Teil viel Geld investiert haben. Dass sie trotzdem schließen mussten, ist ärgerlich, traurig, aber nachvollziehbar.
Aber die Büros? Sie bleiben offen. Egal, ob dort systemrelevante Arbeit verrichtet wird oder nicht.
Appelle wirken umso unverbindlicher, je klarer die Regeln in anderen Bereichen definiert sind.
Das wirkt natürlich umso unverbindlicher, je klarer die Regeln in anderen Bereichen definiert sind. So sagt die Regierung den Unternehmen implizit: Wäre ganz nett, wenn ihr eure Angestellten ins Homeoffice schicken würdet. Aber wenn nicht, dann drücken wir da ein Auge zu. Nicht so schlimm.
Wie sich die Wirtschaft am besten schützen lässt, darüber lässt sich streiten. Ob es noch viel stärkere Einschränkungen geben muss, einen kurzen, aber harten Wirtschaftslockdown, um die Zahlen deutlich und nachhaltig zu senken, darüber muss ernsthaft diskutiert werden. Auch andere Diskussionen sollten jetzt nicht unterdrückt werden. Zum Beispiel über Lockerungen mit Augenmaß etwa in Museen, Sportstätten, Konzerthäusern, Geschäften oder Zoos.
Im Gegensatz dazu ist es eine leichte Übung, darüber zu urteilen, ob Beschäftigte nun in einem Büro vor der Tastatur sitzen oder am heimischen Küchentisch. Darüber sollte jetzt entschieden werden. Die Büros müssen schließen.
Titelbild: Cengiz SARI - CC0 1.0