Pinkelt ein Elefant genauso lange wie ein Baby? Warum dieser Forscher Dinge herausfinden will, die andere für unnütz halten
David Hu ist Mathematiker und hat bereits 2 Anti-Nobelpreise gewonnen. Er sagt: Solange wir durch Wissenschaft etwas Neues lernen, ist sie nie sinnlos.
18. Februar 2021
– 8 Minuten
David Hu ist zwar Mathematiker, doch statt nur mit schnöden Formeln beschäftigt er sich mit den »Wundern« der Natur: merkwürdig geformte Exkremente, Tiere, die über das Wasser laufen können, und Babys, die ungewöhnlich lange pinkeln.
Ich werde auf Hu während meiner Recherche zu seiner und merke schnell, dass hinter Hus kurios anmutenden wissenschaftlichen Interessen eine größere Frage steckt: Was ist sinnvolle Forschung – und was pure Verschwendung von Steuermitteln?
Weil sich in diesem Bereich wie kaum ein anderer auskennt, frage ich ihn nach einem Interview – und ein paar Tage später treffen wir uns bei Skype.
Lara Malberger:
Der republikanische US-Senator Jeff Flake hat vor ein paar Jahren eine Liste mit den seiner Ansicht nach »20 verschwenderischsten Forschungsprojekten« der USA herausgegeben. Du standest gleich mit 3 Projekten auf dieser Liste. Wie konnte es dazu kommen?
David Hu:
Mittlerweile ist dieser Senator in Rente, aber bis dahin hat er jedes Jahr Projekte zusammengestellt, die seiner Meinung nach zu viel Steuergeld verschwendeten. Er wollte Forschungsgelder kürzen, und um das vor den Menschen zu rechtfertigen, hat er diese Liste herausgegeben. Dabei liegen hinter dem Großteil dieser Studien wirklich spannende
Weißt du noch, mit welcher Studie deine Karriere als vermeintlich »nutzloser Wissenschaftler« angefangen hat?
David Hu:
Wahrscheinlich mit meiner Forschung über Wasserläufer im Jahr 2003. Uns hat damals interessiert, wie diese Insekten sich über das Wasser bewegen können. Wir wussten, dass es mit der Oberflächenspannung zusammenhängt, also der Eigenschaft von Flüssigkeiten, die es auch möglich macht, eine Büroklammer auf die Wasseroberfläche zu legen. Die ersten Theorien zu dem Thema kamen zu dem Schluss, dass Wasserläufer aus physikalischer Sicht eigentlich nicht dazu in der Lage sein dürften, sich über das Wasser zu bewegen. Da wurde mir klar, dass es in der Biologie wirklich viele interessante Dinge gibt.
»Ich schaue mir die Natur an und versuche, Dinge zu verstehen«
In einer deiner letzten Studien hast du dich mit der Form von Wombatkot beschäftigt, in einem anderen Forschungsprojekt hast du untersucht, Das klingt alles schon etwas ungewöhnlich. Was ist das überhaupt für ein Forschungsbereich?
David Hu:
Mein Forschungsbereich ist die Biomechanik, ich beschäftige mich also von allen möglichen Seiten damit, wie sich Tiere bewegen. Da gibt es tonnenweise spannende Themen, denn die Natur ist voller Überraschungen. Manche würden sagen, meine Fragestellungen sind ungewöhnlich, aber eigentlich schaue ich nur in die Natur und versuche, Dinge zu verstehen.
Zum Beispiel die Sache mit den Wombats. Dass ihr Kot eckig ist, ist schon ewig bekannt. Aber mir reicht es nicht zu wissen, dass es so ist, ich möchte auch verstehen, wie es funktioniert. Das ist für mich der interessante Teil: Wie finde ich heraus, wie etwas funktioniert, und was können wir daraus lernen?
Kannst du dich entscheiden, welches dein bislang liebstes Projekt war?
David Hu:
Ich würde sagen alles, was mit der Verdauung zu tun hat. Das ist ein wirklich spannender Bereich und hat viel mit Physik zu tun. Das Gute daran ist, dass Verdauung viele Parallelen zu unserem alltäglichen Leben hat und gleichzeitig zeigt, wie wichtig Physik ist, um diese Dinge zu erklären. Wenn das Thema derart interessant ist, führt es dazu, dass viele Menschen darüber sprechen und sich für das Forschungsprojekt interessieren. Die Studien, bei denen das passiert, sind mir die liebsten. Ich freue mich aber auch immer schon auf das nächste Projekt. Ich mag es einfach, Neues herauszufinden.
Warum pinkelt ein Elefant so lange wie ein Baby?
In einer Studie aus dem Verdauungsbereich hast du gemeinsam mit einigen Studierenden untersucht, warum Säugetiere, egal welcher Größe, immer gleich lange pinkeln. Wie bist du darauf gekommen, dich dieser Forschungsfrage zu widmen?
David Hu:
Zu der Zeit war mein Sohn ziemlich jung und ich habe jede Menge Windeln gewechselt. Er hat dabei häufig immer genau dann gepinkelt, wenn die Windel gerade weg war. Ich war dann ziemlich überrascht, wie lange er gepinkelt hat. Ich dachte immer: Wenn du klein bist, dann dauert es mit dem Pinkeln auch nicht so lange. Aber er hat genau so lange gebraucht wie ich, ich habe mitgezählt. Als wir dann in den Zoo gingen, habe ich beobachtet, dass der Elefant ungefähr so lange pinkelte wie mein Baby. Und das war der Moment, in dem ich dachte: Okay, das ist eine wirklich interessante Geschichte! Ich und einige Studierende haben daraufhin ein Projekt daraus gemacht und mithilfe von Hochgeschwindigkeitsvideoaufnahmen Tiere im Zoo von Atlanta beobachtet.
Dabei haben wir herausgefunden, dass jedes Säugetier, das mehr als 3 Kilogramm wiegt, im Durchschnitt etwa 21 Sekunden lang Das hängt damit zusammen, dass größere Tiere eine längere Harnröhre haben und der Urin durch die Gravitationskraft eine höhere Geschwindigkeit auf seinem Weg nach draußen erreichen kann.
Und wieso ist es sinnvoll, das zu wissen?
David Hu:
In diesem Fall gab es einige Urolog:innen, die sehr an der Studie interessiert waren. Es ist nämlich schwierig, das Blasensystem zu untersuchen. Es gab dann eine Folgestudie, in der viele Menschen gemessen haben, wie lange sie beim Pinkeln brauchen. Dabei kam heraus, dass sich die Dauer im Alter systematisch verändert. Mit 20 Jahren sind es etwa 21 Sekunden. Aber wenn du 80 bist, sind es schon 30 Sekunden. Der Urologe, der die Studie durchgeführt hat, fand heraus, dass die Gesundheit der Blase auch damit zusammenhängt, wie lange man pinkelt, und veröffentlichte ein Paper dazu. Darüber waren wir wirklich froh, weil das ein unerwarteter Weg war, wie unsere Studie noch nützlich sein konnte – und der Arzt, der die Studie durchgeführt hat, war ein wirklich netter Kerl.
Für deine Arbeit wurdest du nicht nur als »verschwenderischer Wissenschaftler« bezeichnet, du hast auch bereits 2 Ig-Nobelpreise gewonnen, die gelegentlich als Anti-Nobelpreise bezeichnet Einmal für die Pinkel-Studie und das andere Mal für deine Forschung zur eckigen Form von Wombatkot. Ärgerst du dich über die Auszeichnung oder bist du auch ein bisschen stolz darauf?
David Hu:
Der Name des Ig-Nobelpreises ist zwar vom englischen »ignoble« abgeleitet, was so viel wie »unwürdig« bedeutet. Aber ich bin wirklich stolz darauf! Es werden jedes Jahr nur sehr wenige dieser Auszeichnungen verteilt und einige davon gehen an Top-Wissenschaftler:innen. Es gibt zum Beispiel einen Nobelpreisträger, der auch einen Ig-Nobelpreis gewonnen Der Preis wird zwar zum Anlass genommen, sich auch ein Stück weit über Forschungsprojekte lustig zu machen, aber er beabsichtigt vor allem, Interesse für die Wissenschaft zu wecken. Ich freue mich, wenn ich mit meiner Arbeit Menschen begeistern kann, und ich glaube auch, dass Wissenschaft sehr lustig sein kann.
Denkst du, dass so etwas wie verschwenderische Wissenschaft überhaupt existiert?
David Hu:
Ich glaube nicht. In der Wissenschaft weißt du häufig nicht, wohin etwas führt. Und eigentlich kannst du nur sagen, dass etwas verschwendet ist, wenn du schon weißt, was erreicht werden soll. Dann weißt du, ob ein anderer Weg vielleicht kürzer gewesen wäre. Aber wenn du zu einem unbekannten Ort aufbrichst, weißt du vorher nicht, wie lange es bis dorthin dauert. Es kann lange dauern, manchmal Jahre. Und manchmal geht es unerwartet schnell.
»Wissenschaft ist wie Kunst«
Wie sehen das denn deine Kolleg:innen aus der Wissenschaft: Respektieren sie deine Arbeit oder belächeln sie manche auch?
David Hu:
Definitiv belächeln sie manche! Manche Menschen glauben, Wissenschaft sei nur dazu da, um die Probleme dieser Welt zu lösen: Zum Beispiel die Klimakrise zu beenden oder ein Heilmittel für Krebs zu finden – und wer etwas anderes macht, verschwendet seine Zeit. Forschungsfelder, die sich mit diesen Themen beschäftigen, bekommen viel Aufmerksamkeit und viel Geld und das finde ich auch wichtig. Aber nicht alle sollten an diesen Themen arbeiten. Jeder Bereich braucht seine eigenen Forschenden.
Hast du auch schon mal darüber nachgedacht, aus der Wissenschaft auszusteigen und als Mathematiker viel Geld in der freien Wirtschaft zu verdienen?
David Hu:
Ich habe schon mal ein Semester in der Industrie gearbeitet, aber das war einfach nicht mein Ding. Du hast dich wahrscheinlich auch nicht für den Journalismus entschieden, weil du viel Geld verdienen möchtest. So ist es bei mir auch. Klar, meine Arbeit ermöglicht es mir, meine Rechnungen zu bezahlen, aber das ist nicht alles.
Worum geht es dir dann?
David Hu:
Mir ist es wichtig, Menschen für Wissenschaft zu begeistern, aber mich auch für die Wissenschaft selbst einzusetzen. Die meisten denken, Wissenschaft und Wissenschaftler:innen sind irgendwie langweilig. Aber Wissenschaft kann auch kreativ sein, fast schon wie Kunst. Viele Leute wissen das nicht.
Gibt es etwas, was du in Zukunft unbedingt noch herausfinden möchtest?
David Hu:
Alles, was sich um den Verdauungsprozess dreht, ist für mich erstaunlich. Den würfelförmigen Kot der Wombats finde ich immer noch faszinierend. Wenn ich eine Million Dollar zur freien Verfügung hätte, würde ich wahrscheinlich um die Welt reisen und versuchen, andere Beispiele für seltsam geformten Kot zu finden. Aber alles in allem mache ich bereits die Forschung, die mir am besten gefällt.
Das Netz ist voller Tipps und Ratschläge – und Menschen, die damit ihre Probleme lösen wollen. Doch meistens gibt es nicht »die« eine richtige Lösung. Aber was ist sinnvoll? Und was kann weg? Um so nah wie möglich an eine Antwort heranzukommen, hat Lara Wissenschaftsjournalismus mit Schwerpunkt Biowissenschaften und Medizin in Dortmund und Digital Journalism in Hamburg studiert.