Wo Skorpione und Geisterjäger Bildung gerechter machen
Seit 2 Jahren ist Rapper und Vorbildpapa David Sengeh Bildungsminister in Sierra Leone. Er ist aber nicht der Einzige, der Korruption im Bildungssektor erfolgreich den Kampf angesagt hat.
Dieser Text entstand unter Mitarbeit der Journalisten Amjata Bayoh und Tamba Tengbeh in Sierra Leone.
Die Spezialeinheit ist die Speerspitze im Kampf gegen die grassierende Korruption im westafrikanischen Sierra Leone. Videos ihrer Einsätze zeigen Razzien in Tarnfleck-Uniformen und mit Maschinengewehren, bei denen die Ermittler Beweise sichern und verdächtige Personen festnehmen.
Francis Ben Kaifala hat seiner Truppe einen Namen wie aus einem Hollywood-Action-Movie verpasst, doch ihre mächtigste Waffe ist sehr real: Angst.
Vor 3 Jahren übernahm der 37-Jährige, kompakte Statur, sauber getrimmter Bart, kurzer Afro, die Leitung der nationalen Antikorruptionsbehörde ACC (Anti-Corruption Comission) und hauchte ihr neues Leben ein. Lange war die ACC nicht viel mehr als ein Feigenblatt korrupter Regierungen, ohne echtes Mandat und Durchschlagskraft. Unter ihrem neuen Boss, der mit Hemd und Krawatte eher wie ein Vertreter wirkt und nicht wie der Leiter einer bewaffneten Spezialeinheit, soll sie das Land nun zu einem Musterbeispiel für den erfolgreichen Kampf gegen Korruption werden lassen. Dafür scheint dem ehemaligen Menschenrechtsanwalt nahezu jedes Mittel recht.
In einer aufsehenerregenden Aktion ließ Kaifala 2019 vermeintlich korrupte Lehrer nach einer Razzia ohne Anhörung oder juristischen Beistand am Cotton Tree, dem Wahrzeichen der Hauptstadt Freetown, öffentlich an den Pranger stellen. Vor aller Augen standen sie an der vielbefahrenen Kreuzung, in Handschellen. Um den Hals baumelten Pappschilder mit der sinngemäßen Aufschrift:
Ich bin der Schulleiter, der am 7. September 2019 von der ACC und anderen Gesetzeshütern wegen Prüfungsbetrug festgenommen wurde.
Wenige Tage zuvor hatte Kaifala sie dabei erwischt, wie sie Schülern gegen Bestechungsgeld in der Abschlussprüfung geholfen hatten. Mit der öffentlichen Peinigung schickte der Kopf des »Scorpion Squad« eine klare Botschaft an die Bevölkerung: »Wir beobachten euch!«
Menschenrechtsaktivisten im Land schäumten,
Doch allein kann Kaifala den Kampf nicht gewinnen. Er braucht dafür mächtige Verbündete. Einer davon ist Minister, Harvard-Absolvent – und Rapper.
Wie ein Rapper im Bildungsministerium aufräumt
Ohne echten Widersacher konnte sich Korruption in den vergangenen Jahrzehnten nahezu ungehindert in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens
Korruption und Bildung – da treffen die vielleicht gewichtigsten Problemzonen Sierra Leones aufeinander. Sie sind ein Teil der Antwort auf die Frage, warum der 7-Millionen-Einwohner-Staat zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt zählt und deshalb am Tropf internationaler Entwicklungshilfe hängt. Präsident Bio von der sozialdemokratischen Sierra Leone People’s Party war bei der Wahl 2018 mit dem Versprechen angetreten, in beiden Bereichen aufzuräumen. Dabei helfen soll neben Kaifala auch Bildungsminister David Sengeh.
Ähnlich wie bei Antikorruptionskämpfer Kaifala war die Ausgangslage auch bei Sengehs Amtsantritt 2019 ernüchternd. Der 34-Jährige mit Promotion am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) übernahm Verantwortung für ein Schulsystem, das im globalen Vergleich auf den hintersten Plätzen
Der ehemalige Forschungsleiter bei IBM Research Africa, der neben seinem Ministeramt auch noch den Posten des Nationalen Innovationsbeauftragten besetzt, hat in seinem geräumigen, aber schlichten Büro auf 3 dicht beschriebenen Whiteboards die wichtigsten Aufgaben aufgelistet, die er in seiner Amtszeit angehen will. Der Raum ist fast zu gut klimatisiert. Einen kühlen Kopf zu bewahren kann bei der Menge an Herausforderungen aber auch nicht schaden.
In den ersten Tagen seiner Amtszeit hatte sich Sengeh einen Überblick über seinen neuen Arbeitsplatz verschafft – buchstäblich. Er lief durch die Flure des wenig repräsentativ wirkenden Gebäudes und sah sich um: Müll in den Gängen, kaputte Einrichtung in den Büros, heruntergekommene Sanitärbereiche und eine Belegschaft, die – wenn sie denn zur Arbeit erschien – alles andere tat, als motiviert zu arbeiten. Er fand keine aktuellen Lehrpläne vor und auch keine Gehaltslisten für einen Großteil der im Land beschäftigten Lehrkräfte. Sengeh, der jüngste Bildungsminister, den Sierra Leone je hatte, spricht im Rückblick von »Jahrzehnten der Vernachlässigung und des Stillstands« in seinem Aufgabenbereich.
Lange war Bildung für einen Großteil der armen Bevölkerung ein unerschwinglicher
Nun ruhen die Hoffnungen auf David Sengeh, der nicht nur aufgrund seines Alters, seines Bildungswegs,
Erfolge und bürokratische Albträume
Menschen, die Sengeh noch aus Harvard kennen, sagen: Wenn einer das Land verändern könne, dann er. Nach knapp anderthalb Jahren im Amt kann der Hoffnungsträger tatsächlich erste Erfolge vorweisen. Steigende Schülerzahlen, mehr Mädchen in den Klassen, neue Lehrer und Lehrpläne. Der Bau von Schulen sowie die Renovierung bestehender Gebäude gehen voran und auch im eigenen Haus räumt Sengeh rigoros
Den Bildungssektor entkolonialisieren?
Die Fortschritte sind allerdings nur möglich, weil sie die internationale Gemeinschaft finanziert.
Für die Korruptionsbekämpfung ist die Frage indes von großer Bedeutung. Denn ein Großteil der weltweiten Entwicklungshilfe wird als sogenannte Budgethilfe gewährt – und die ist besonders anfällig für
Für das deutsche Entwicklungsministerium (BMZ) war das unkontrollierte Abfließen von Hilfsgeldern in einigen afrikanischen Ländern einer der Gründe, zahlreichen ärmeren Staaten die Unterstützung komplett zu versagen. Auch Sierra Leone steht nicht mehr auf der Liste des
Einen
Die Investitionen in den Bildungsbereich hingegen sollen 5.000 Kindern zusätzlich einen Schulbesuch ermöglichen. Außerdem förderte die EU die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften. Ein interner Zwischenbericht aus dem vergangenen Jahr lobt die angeschobenen Projekte, warnt aber zugleich, bestehende Probleme könnten »alle Bemühungen zur Verbesserung der Qualität des Lehrens und Lernens gefährden und so den Einfluss [der Maßnahmen] auf nahezu null reduzieren.«
Der Zwischenbericht beklagt unter anderem ein geringes Interesse aufseiten des Ministeriums. Das soll sich seit der Amtsübernahme von David Sengeh gebessert haben, dennoch blieben Probleme. »Einen Minister mit innovativen Ideen, Energie und Tatendrang zu haben, ist das eine«, sagt Diplomat Caivano. Allein, es hapert an der Umsetzung.
Gemeinsam mit seinem Team hat Caivano die Verdoppelung des Bildungsetats genauer unter die Lupe genommen und festgestellt, dass die Ausgaben pro Schulkind trotzdem bei weniger als 2 Euro liegen. Statt mehr Geld in den Sektor zu pumpen, setzt die EU darauf, die vorhandenen Mittel sinnvoller einzusetzen. Mithilfe eines von der EU finanzierten, digitalen Registrierungssystems für Lehrer soll der Staat monatlich 300.000 Euro sparen, die bisher an sogenannte Ghost Teacher – Geisterlehrer – geflossen
Die Geisterjäger
Oberster Geisterjäger des Landes ist ACC-Boss Kaifala. Unter seiner Leitung werden Vergehen erstmals rigoros geahndet, zudem wurde auf seine Initiative das Strafrecht verschärft. Alles mit nur einem Ziel: Abschreckung.
Von seiner Schaltzentrale aus, einem sehr schmalen Haus in der Innenstadt, vor dem Soldaten gelangweilt Nüsse knabbern, arbeitet Kaifala an seiner Vision:
Wir können Sierra Leone zu einem Vorbild für Korruptionsbekämpfung in Afrika machen. Wenn man uns lässt.
Dafür braucht es anhaltenden politischen Willen und eine deutliche Aufstockung der finanziellen und personellen Ressourcen der Behörde, die landesweit mit gerade einmal 200 Angestellten operiert, Hausmeister und Sicherheitspersonal inbegriffen. Kaifala muss zudem die Bevölkerung überzeugen, den Sumpf aus alltäglichen Schmiergeldzahlungen auszutrocknen. Deshalb begleiten Aufklärungskampagnen die spektakulären Auftritte des »Scorpion Squad«. Im ganzen Land hängen »Pay No Bribe«-Poster (deutsch: Zahle keine Schmiergelder), die die Bürger auffordern, jede Form von Korruption sofort zu
Die Hoffnung ist, dass die ACC-Maßnahmen und eine (bescheidene) Gehaltserhöhung für Lehrkräfte die Hemmschwelle für korrupte Praktiken im Bildungsbereich erhöhen. Doch finanzielle Anreize wirken, wenn überhaupt, gegen Schmiergelder, nicht aber gegen das Zahlungsmittel Sex.
Fernab der Hauptstadt, im Provinzstädtchen Kamakwie, das nur über eine staubige, rote Sandpiste zu erreichen ist, erzählt die 19-jährige
Mayelie Kamara war mutig genug
In diesem Punkt unterscheidet sich Kamaras Geschichte von denen vieler Mädchen. Sexuelle Ausbeutung, vor allem von Mädchen aus armen Familien, ist keine Seltenheit. Vor der Abschaffung der Schulgebühren verkauften Mädchen ihren Körper oft an »Sugar Daddies«, die ihnen das Schulgeld auslegten. Heute fehlt das finanzielle Druckmittel, aber mit der Angst um Noten und den Schulabschluss nötigen Lehrer ihre Schülerinnen noch immer.
Das »Scorpion Squad« geht auch solchen Fällen nach. Aber die Erfolgschancen sind gering – selbst wenn die Beweislast erdrückend ist. Bei einer Razzia in einer Schule fanden die Ermittler zahlreiche Kondome, auf dem Handy des Schulleiters eindeutige Hinweise, dass er sich mit einer Schülerin zum Sex verabredet hatte. ACC-Boss Kaifala geht davon aus, dass der Sex Teil eines Tauschgeschäfts war. Vor Gericht sagte das Mädchen aber aus, es habe ein Verhältnis mit dem Mann gehabt. So galt der Geschlechtsverkehr als einvernehmlich. Der Schulleiter konnte dafür nicht belangt werden. »Solche Fälle gibt es oft«, sagt Kaifala und zuckt mit den Schultern.
Doch allein die Tatsache, dass Fälle wie diese publik gemacht und strafrechtlich verfolgt werden, gibt Anlass zur Hoffnung.
Dass der junge Politiker bereit ist, den Systemwandel herbeizuführen, daran gibt es kaum Zweifel. Aber sind auch die Menschen in seiner Heimat bereit dafür? »Das müssen sie sein«, sagt Sengeh.
Förderhinweis: Diese Recherche entstand mit Unterstützung des Money-Trail-Projekts.
Redaktion: Juliane Metzker
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