Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz schöpfen Aktivist:innen neuen Mut. Die angehende Juristin Baro Gabbert erzählt über die Möglichkeiten, die sich dadurch auftun.
Eine die eine : Vergangene Woche sorgte ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts für ordentlich Wirbel – und für historische Vergleiche in der Politik, in juristischen Kreisen und in der Klimabewegung.
Die Karlsruher Richterinnen und Richter erklärten infolge mehrerer Verfassungsbeschwerden Im Klimaschutzgesetz ist bisher geregelt, dass Deutschland seine Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 55% gegenüber 1990 mindern soll. Um aber das zu erreichen, müssten »die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden«.
Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind. Der Gesetzgeber hätte daher zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit Vorkehrungen treffen müssen, um diese hohen Lasten abzumildern.Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2021
Eingereicht wurden insgesamt 4 von Nichtregierungsorganisationen sowie mehreren jungen Menschen. Die Klimaaktivistin und angehende Juristin Baro Gabbert begleitete im Laufe des Prozesses einige der Beschwerdeführer:innen inhaltlich. Im Interview erzählt die 24-Jährige, was den Karlsruher Beschluss so außergewöhnlich macht und warum er ihr und vielen anderen neuen Mut schenkt.
Bevor wir zur juristischen Perspektive kommen: Du siehst dich selbst als Teil der Fridays-for-Future-Bewegung. Was bedeutet der Beschluss für dich persönlich? Mit welchen Gefühlen war die Verkündung für dich verbunden?
Baro Gabbert:
Man braucht die juristische und die aktivistische Perspektive gar nicht voneinander trennen. Ich war erleichtert und habe mich umfassend gefreut – als angehende Juristin, als Klimaaktivistin und als junger Mensch. Der Beschluss hat mir und vielen anderen Mut gemacht. Weil er gezeigt hat, dass auch Gerichte die Zeichen der Zeit erkennen. Dass sie mit wissenschaftlichen Tatsachen gut umgehen können. Er hat bei vielen jungen Menschen das Vertrauen dahingehend gestärkt, dass auch Klimapolitik gerichtlich überprüft wird. Und es hat gezeigt, was als Gesellschaft machbar und einforderbar ist. Die Entscheidung war ein voller Erfolg.
Für Personen wie mich, die wenig juristisches Vorwissen haben, ist nicht sofort ersichtlich: Was an diesem Beschluss ist so historisch?
Baro Gabbert:
Historisch ist zum einen, dass das Bundesverfassungsgericht intergenerationale Gerechtigkeit ganz massiv in den Vordergrund gestellt hat. Vereinfacht gesagt haben die Richter:innen egoistischem und zukunftsvergessenem Verhalten einzelner weniger zulasten ganzer Generationen juristisch einen Riegel vorgeschoben. Sie haben klargestellt, dass des Grundgesetzes auch für Klimaschutz gilt. Zum anderen ist besonders, dass sie das Pariser Abkommen und dessen wissenschaftlichen Grundlagen umfassend ausgewertet und in den Beschluss einfließen lassen haben. Dass sie auch den Gedanken des CO2-Budgets aufgegriffen haben, ist für die künftige Klimapolitik richtungsweisend.
Aber warum ist die Generationengerechtigkeit so etwas Neues, wenn sie doch eigentlich schon seit 1994 im Grundgesetz steht?
Baro Gabbert:
Das ist die Frage, die mir junge Klimaaktivist:innen und Nichtjurist:innen in den letzten Jahren am häufigsten gestellt haben. Sie haben sich das Grundgesetz genommen und gesagt: »Hier steht doch alles drin, was wir brauchen. Wir verstehen nicht, wie es sein kann, dass die Klimaschutzgesetzgebung so aussieht, wie sie aussieht.« Dann musste ich immer erwidern, dass Artikel 20a damals als Staatszielbestimmung für Umweltschutz konzipiert worden war und nicht für den Klimaschutz. Jetzt gibt es endlich eine höchstrichterliche Entscheidung mit der ganz klaren Aussage, dass zu Artikel 20a auch das Klimaschutzgebot in Form der Herstellung von Klimaneutralität gehört. Deutschland ist 2015 dem Pariser Klimaschutzabkommen beigetreten und hat damit die Staatszielbestimmung dahingehend konkretisiert. Artikel 20a wurde durch die Entscheidung also massiv aufgewertet, auch im Hinblick auf
»Das sind keine Argumente, das sind Ausreden«
Als Gegenargument wird häufig angeführt, dass Klimaschutz so teuer sei und die Schulden, die wir nachfolgenden Generationen hinterlassen, ja auch nicht gerecht wären …
Baro Gabbert:
Alle Schulden, die jetzt nicht für das Klima aufgenommen werden, sind Schulden, die unsere und die kommenden Generationen in Form von Schadensbegrenzung, Klimakrisenbekämpfung oder -anpassung werden tragen müssen. Je später wir handeln, desto teurer, komplizierter und schmerzhafter wird es. Das wäre wirtschaftlich abwegig und zutiefst ungerecht.
Stellen wir uns das CO2-Budget – also die Menge an Kohlenstoff, die noch in die Atmosphäre abgegeben werden darf – als Kuchen vor. Wenn wir von dem Kuchen fast alles sofort essen, ist in den nächsten Jahrzehnten so wenig Kuchen übrig, dass die Menschen keine angemessene Lebens- und Wirtschaftsweise haben können und sich persönlich massiv einschränken müssen. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass nicht mehr genug übrig sein könnte, um eine zukunftsgerichtete Wirtschaft oder Infrastruktur aufzubauen.
Ein anderes Argument ist, dass Deutschland die Klimakrise gar nicht allein lösen kann, weil wir nur für 2% der globalen Emissionen verantwortlich sind.
Baro Gabbert:
Für mich ist das kein Argument, sondern eine Ausrede. Natürlich kann die Antwort auf ein globales Problem nicht die Antwort eines einzelnen Staates sein, das ist klar. Aber dass die Antwort nicht sein kann, dass wir gar nichts machen, bis alle anderen handeln – das hat das Bundesverfassungsgericht jetzt auch klargestellt. Es hat deutlich gemacht, dass Deutschland einerseits im eigenen Land das verpflichtend umsetzen muss, wozu es sich mit den Pariser Klimaschutzzielen bekannt hat. Andererseits müssen wir auch auf internationaler Ebene darauf hinwirken, dass andere Staaten mitmachen und als Weltgesellschaft dieses globale Problem lösen.
Welche Möglichkeiten eröffnen sich durch den Beschluss?
Baro Gabbert:
Im September 2019 war ich wie viele Millionen Menschen weltweit beim globalen Klimastreik auf der Straße. An diesem Tag hat die Bundesregierung ihr Klimaschutzpäckchen vorgestellt. Die Leute um mich herum waren fassungslos, wütend, traurig, aber auch sehr fragend: »Wie kann es sein, dass es Gesetze gibt, die vor wissenschaftlichen Tatsachen und selbst auferlegten völkervertragsrechtlichen Verpflichtungen so sehr die Augen verschließen?«
Jetzt, 1 1/2 Jahre später, weiß man, dass eine so große gesellschaftliche Masse an Menschen – die meisten ohne juristische Vorbildung und viele minderjährig – ein besseres Gespür als unsere Politiker:innen dafür hatten, was im Rahmen des Grundgesetzes noch vertretbar ist und was nicht. Durch den Beschluss werden sich ganz neue Dialogräume eröffnen. Eine Auseinandersetzung mit dem, wofür die Gesellschaft meiner Meinung nach schon sehr viel länger bereit ist als die Regierungspolitiker:innen. Auch Initiativen wie werden jetzt noch mehr Gehör finden.
»Ich sehe den Beschluss als Gesamtkunstwerk«
Wie geht es jetzt weiter?
Baro Gabbert:
Zur Klarstellung: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss keine bestimmte neue Politik angeordnet. Im demokratischen Dialog macht die Legislative die Gesetze und hat dabei ihren eigenen Spielraum. Das ist auch gut so und das bleibt so. Aber den Rahmen dafür, was dabei herauskommen darf, gibt die Verfassung vor. Dass es nicht geht, dass die Bundesregierung mit ihrem eigenen Klimaschutzpäckchen diese verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht einhält, hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt.
Was ab jetzt passiert, ist wieder ein politischer Prozess. Konkret muss bis 31. Dezember 2022 das Klimaschutzgesetz neu geschrieben werden. Es müssen Reduktionspfade, die künftigen Generationen Freiheitschancen ermöglichen, sowie ein CO2-Budget darin festgesetzt werden. Wie genau das dann ausformuliert ist, welche Maßnahmen erforderlich sind und welche am besten sind, welche die Gesellschaft am ehesten möchte – das ist jetzt wieder Teil eines dialogischen, demokratischen Aushandlungsprozesses.
Ich sehe diesen Beschluss als Gesamtkunstwerk ganz vieler Menschen. Nicht nur der Beschwerdeführer:innen und Anwält:innen, sondern ganz vieler NGOs, Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen, die Aufklärungsarbeit geleistet und das Thema unaufhörlich besprochen haben. Aus diesem kollektiven Erfolg können wir Kraft schöpfen für das nächste Gesamtkunstwerk: ein pariskompatibles Gesetz. Dafür werden wir ähnlich viel Kraft brauchen.
In diesem Interview haben Maren Urner und Felix Austen bereits 2018 mit dem Juristen und ehemaligen Bundestagsabgeordneten Hermann Ott über die Wirkung von »Klimaklagen« gesprochen:
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Die Klimakrise ist eine Ressourcenkrise. Wasser, fruchtbarer Boden, bewohnbarer Lebensraum – all das wird immer ungleicher auf der Welt verteilt sein, je stärker sich die Erde erhitzt. Maria fragt sich: Wie können wir Ressourcen künftig klüger und gerechter nutzen? Nicht nur materielle, sondern auch persönliche. Also: Wie können einzelne Menschen etwas in der Welt bewegen?