Unser Autor hat mit seinem Mitbewohner über Gott und die Welt gesprochen. Der angehende Theologe sagt: Natürlich hat die katholische Kirche noch eine Daseinsberechtigung! Stimmt das? Ein Streitgespräch auf dem Balkon
Missbrauchsskandale, Veruntreuung von Kirchenvermögen, Verweigerung der Segnung homosexueller Paare, fehlende Reformbereitschaft: Die katholische Kirche machte in den letzten Jahren überwiegend mit negativen Schlagzeilen auf sich aufmerksam.
Nicht zuletzt deshalb verliert sie gerade zunehmend an Stellenwert – und an Mitgliedern. Im Jahr 2019 verzeichnete sie 272.771 Austritte, ein Rekordwert, dem gegenüber weniger als 8.000 Wiederaufnahmen oder Eintritte standen.
Fast 800.000 Menschen sind bei der katholischen Kirche Unter den Katholik:innen sind auch junge Menschen. Einige, so wie ich, sind eher Mitglied aus Bequemlichkeit, sozusagen per Default. Andere wenden sich trotz der Skandale bewusst nicht von der Kirche ab und entscheiden sich sogar für eine intensivere Auseinandersetzung mit kirchlichen Themen.
Einer dieser Menschen ist Stefan Bamesberger, seit Kurzem Mitbewohner in meiner WG. Er ist 23 Jahre alt und studiert Katholische Theologie an der Universität Auf unserem Balkon habe ich mit ihm darüber diskutiert, ob die Kirche auch in Zukunft noch eine Daseinsberechtigung hat – und was ihn als jungen, aufgeklärten und toleranten Menschen dazu veranlasst hat, sich der katholischen Kirche zuzuwenden.
»Du weißt schon, was das für ein Club ist?«
Michel Kuttenkeuler:
Du hast 2018 dein Theologiestudium angefangen. Haben dich Leute damals gefragt, warum du dir das antust?
Stefan Bamesberger:
Ja, klar! Selbst aus meiner Familie kamen Fragen wie: »Du weißt schon, was das für ein Club ist?« Da merkt man sehr deutlich, was andere Menschen von der Kirche als Institution halten oder wie sie vielleicht auch von dieser verletzt sind. Aber als Student kann ich mich erst mal wissenschaftlich und kritisch mit der Kirche auseinandersetzen, ohne deren Vertreter zu sein.
Hattest du damals die Idee im Hinterkopf, in der Kirche aktiv etwas verändern zu wollen?
Stefan Bamesberger:
Mir wurde schnell klar, dass ich nicht einfach hingehen und irgendwelche Dinge völlig umwerfen kann. Es geht mehr darum, eine positive Bewegung anzustoßen. Mir war immer klar, dass ich mich vor allem mit einer guten Arbeit einbringen und Offenheit und Ehrlichkeit gegenüber den Menschen bewahren will. Denn ich glaube
Was genau meinst du damit?
Stefan Bamesberger:
Ich glaube, dass der beste Weg, in dieses System Kirche eine Dynamik reinzubringen, der sein könnte, dass wir mit den Dingen anfangen, die wir verändern können. Etwa konkret das Zugehen auf die LGBTQI+-Szene, das man im Moment sieht.
Du spielst auf die bei der katholische Pfarrer in Deutschland homosexuelle Paare entgegen eines ausdrücklichen Verbots aus dem Vatikan gesegnet haben?
Stefan Bamesberger:
Genau! Ich will damit auch nicht aufrufen, sich im Zweifel gegen die Dienstherrin Kirche zu stellen – das kann nicht die Lösung aller Probleme sein. Doch die Seelsorger:innen, die die Segnungen vornehmen, verstehen nicht, warum sie das nicht tun dürfen, und stellen sich in einer persönlichen Entscheidung gegen diese Regelung. Mit ihrem Handeln setzen sie ein Zeichen und bewirken so Veränderung.
Worin siehst du momentan noch die Daseinsberechtigung der katholischen Kirche?
Stefan Bamesberger:
Ich würde immer den Begriff »Relevanz« bevorzugen. Warum sollte Kirche keine Daseinsberechtigung haben? Relevanz hat Kirche für mich einerseits in den vielen sozialen und karitativen Funktionen, die sie ausübt. Es ist wichtig, dass die Kirche mit ihren finanziellen Mitteln Gutes tut, etwa durch Werke wie die Caritas. Doch die Kirche nur an dem zu bemessen, was sie im Sinne von diakonisch-karitativ Gutem und Messbarem tut, greift definitiv zu kurz. Das trifft weder das Selbstverständnis der Kirche, noch ist sie darin ein Unikum. Der tiefe Kern der Kirche geht darüber hinaus. Aus theologischer Sicht ist es die Feier der die die Kirche relevant macht. Zuletzt muss Kirche auch immer als die Menschen begriffen werden, die sie gestalten. Das ist das Wichtigste! Deshalb muss es auch immer Aufgabe des institutionellen Teils von Kirche sein, diese Menschen zusammenzubringen und dazu zu motivieren, etwas zu bewirken.
Ciao, Kirche!
Siehst du die Gefahr, dass sich die katholische Kirche, begünstigt durch die zahlreichen Austritte, zu einer Art elitären Sekte entwickelt, die sich mehr mit sich selbst beschäftigt, als auf die Bedürfnisse der Leute zu schauen?
Stefan Bamesberger:
Das sind natürlich harte Worte. Aber die Gefahr sehe ich absolut. Es tut weh, dass wir im Moment so viele Kirchenaustritte haben. Gleichzeitig kann ich es absolut nachvollziehen. Es wäre gelogen zu behaupten, ich hätte mich selbst nie mit dieser Frage beschäftigt: Kann ich noch Teil dieser Institution sein? Diejenigen, die einen Kirchenaustritt vornehmen, setzen damit ein Zeichen: »Ich möchte nicht mehr Teil sein!«
Die Austrittszahlen nehmen im Übrigen immer weiter zu: Im Jahr 2018 wurde mit über 270.000 Austritten ein neuer Höchstwert erreicht.
Stefan Bamesberger:
Es ist eine unglaublich hohe Zahl. Natürlich schmerzt einen das. Es indiziert, dass Kirche für viele Menschen nicht mehr anschlussfähig ist. Und es wäre zu kurz gedacht, zu sagen, die Menschen würden austreten, weil ihnen eine religiöse Lebenshaltung nicht zusage oder sie einen ganz anderen Glauben verträten. Im Moment geht es da um etwas anderes. Die Austritte sind ein Zeichen, dass eine Enge drin ist, die Menschen vertreibt und mit der sich viele nicht mehr identifizieren können.
Für mich hängt da auch die Frage dran, ob Glaube, Kirche und Religion im 21. Jahrhundert noch zeitgemäß sind.
Stefan Bamesberger:
Ich halte es für legitim zu sagen: »Nein, ich kann gerade mit dem, was wir gesellschaftlich mit dem Begriff ›Glauben‹ assoziieren, nichts anfangen.« Wenngleich es Kirche sehr schwerfällt, das nachzuvollziehen. Dazu kommen die diversen Skandale und Probleme rund um die Kirche. Gerade für die Kirche als Institution, die den Anspruch hat, eine ethische Größe zu sein, ist das natürlich ein absolutes No-Go. Durch die oder die jüngste Missbrauchsstudie im Bistum Köln sehen wir, dass christliche Grundwerte, die von der Kirche gepredigt werden – von Ehrlichkeit über Gerechtigkeit bis hin zum initialen Prinzip des Nichtschädigens –, verletzt wurden. Dann ist es absolut nachvollziehbar, wenn jemand sagt: »Ich kann, auch aus meiner Glaubenshaltung heraus, einfach nicht mehr Teil dieses Konstruktes sein.«
Und wieso bist du noch dabei?
Stefan Bamesberger:
Ich für mich, der nun ja nach wie vor Theologie studiert und Teil von Kirche sein will, mache das nur aus der persönlichen Haltung heraus, dass sich etwas in der Kirche ändern muss. Es braucht Offenheit und Ehrlichkeit – und zwar sofort. Die Kirche muss grundsätzlich anerkennen, dass sie große Schuld auf sich geladen hat. Wenngleich diese Schuld auf den ersten Blick spezifische Personen trifft.
Man sollte die Kirche also nicht unter Generalverdacht stellen?
Stefan Bamesberger:
Es ist legitim, die Kirche unter Generalverdacht zu stellen, weil hier institutionelles Versagen vorliegt. Weil Kirche als Institution Strukturen geboten hat und trotz Verbesserungen noch teilweise bietet, in denen diese unglaublichen Taten und der unfassbare Umgang mit diesen geschehen konnten. Damit hat Kirche institutionell Schuld auf sich geladen. Das darf nie wieder passieren!
Wird in Zukunft alles besser?
Du hast soeben Verbesserungen angesprochen. Erst kürzlich wurde beispielsweise im kirchlichen Strafrecht die Außerdem bekommt der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki, nachdem er aufgrund seines Umgangs mit Fällen sexualisierter Gewalt unter Druck geriet, Besuch von Prüfern aus dem Wie bewertest du diese Schritte?
Stefan Bamesberger:
In erster Linie sind es Signale. Der Papst, der diese Visitation und die Änderung des kirchlichen Rechtes veranlasst hat, setzt damit ein klares Zeichen: Wir möchten hier aufarbeiten. Trotzdem kann erst die Zukunft zeigen, ob das Schritte sind, die weitestgehend ins Leere laufen, oder ob das Zeichen dafür sind, dass tatsächlich diejenigen, die das Sagen haben, konkret etwas ändern wollen.
Glaubst du, die Institution Kirche hat Zukunft?
Stefan Bamesberger:
Eine Perspektive gibt es immer! Viele der Themen, die im derzeitigen gesellschaftlichen Wandel eine Rolle spielen, betreffen auch die Kirche. Insbesondere das Thema Nachhaltigkeit – aus theologischer Sicht immer so schön formuliert als »Bewahrung der Schöpfung« – Ich glaube auch, dass die Basis des Glaubens, der ja die Kirche eint, Zukunft hat. Letzten Endes kann man nie sagen, wie die Kirche in 30 Jahren dasteht, was sich ändert, was bis dahin noch alles passieren kann. Ich persönlich glaube auf jeden Fall daran, dass es weitergeht.
Hier findest du die beiden anderen aktuellen Dailys:
Was bewegt die Welt? Dieser Frage widmete sich Michel schon in seinem Studium der Internationalen Beziehungen und Wirtschaftswissenschaften in Erfurt. Seit kurzem bringt er als Journalismus-Quereinsteiger seine Gedanken über Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu Papier.