Chemtrails, 9/11 und die Mondlandung – immer mehr Menschen erklären sich die Welt durch angebliche Verschwörungen. Frei nach dem Motto: Wenn schon »postfaktisch«, dann aber richtig.
Ein Interview mit einem Ehepaar, das skeptisch bleibt und in Podcasts aufklärt.
Ist die Erde eine Scheibe? Wahrscheinlich beantwortest du die Frage mit »Nein« und denkst an einen Globus, Christopher Kolumbus und Google Earth. Das zu überprüfen ist einfach, und sicher gibt es kein internationales Komplott, wie die »Flacherdler« Doch was ist mit dem Einsturz des World Trade Centers am 11. September 2001 in New York? War das das Werk von Terroristen – oder hatte der amerikanische Geheimdienst CIA die Finger im Spiel? Zu dieser und anderen Verschwörungstheorien lassen sich unzählige Bücher, Videos und Blogs im Internet finden – und auch das Podcast-Projekt von Alexander Waschkau und seiner Frau Alexa.
Gemeinsam gehen der Psychologe und die Volkskundlerin seit 2010 obskuren Theorien im Internet auf den Grund. In Zeiten, in denen der US-Präsident Donald Trump die Erderwärmung als abtut, ist es höchste Zeit für ein Gespräch mit den Verschwörungsprofis. Bevor wir damit beginnen, müssen wir sichergehen, dass wir über das Gleiche sprechen.
Verschwörung: Das heimliche Verbünden von Personen mit einer gemeinsamen Absicht, vor allem, um politische Ziele durchzusetzen. Häufig soll dabei eine Regierung gestürzt werden. Beispiel: Die Ermordung resultierte aus einer Verschwörung.
Verschwörungstheorie: Das Wort bezeichnet den Versuch, ein Ereignis, einen Zustand oder eine Entwicklung durch eine Verschwörung Der Begriff wird häufig abwertend Beispiel: Die Flache-Erde-Theorie.
Hoax: Das englische Wort steht für scherzhaft gemeinte Falschmeldungen, die in Medien verbreitet und dann für wahr gehalten werden.
Moderne Sagen: werden auch »Großstadt-Legenden« oder »Urban Legends« genannt und sind meist schaurige oder skurrile Geschichten, deren Ursprung sich nicht zurückverfolgen lässt. Darunter fallen auch Geistergeschichten oder Erzählungen »von einem Freund eines Freundes«. Beispiel:
War die NASA wirklich auf dem Mond?
Beginnen wir mit der »Mutter aller Verschwörungstheorien«: Ist sie damals in einem entstanden?
Alexander Waschkau:
Man findet tatsächlich viele Internetseiten, die viele Einzelbeweise dafür besitzen wollen: von seltsam wehenden Fahnen über merkwürdige Schatten bis zu Jeder einzelne dieser angeblichen Beweise lässt sich wissenschaftlich widerlegen. Außerdem:
Ein Verschwörungstheoretiker würde jetzt vielleicht antworten: »Die steckten da mit drin!«
Alexander Waschkau:
Das verkennt einfach die politischen Realitäten der Zeit damals. Außerdem hätten dann nicht Tausende, sondern Millionen von Menschen an der Verschwörung beteiligt sein müssen.
Alexa Waschkau:
Verschwörungstheorien sind auch nicht neu. Man muss schon sehr weit zurückgehen, um eine Zeit ohne sie zu finden. Zum Beispiel sind die im Mittelalter im Prinzip auch eine Art Verschwörungstheorie.
Nun ist die Mondlandung ja gut dokumentiert. Millionen verfolgten das Ereignis live im Fernsehen. Warum reicht das manchen Menschen trotzdem nicht als Beweis?
Alexander Waschkau:
Das hat auch etwas mit Enttäuschung zu tun. Die US-amerikanische Gesellschaft war zerrissen. Junge Menschen starben im Kriegseinsatz in Vietnam, das eigene Land hinterfragte die Politik. Was die USA damals zusammengehalten hat, durch Technologie über die Probleme auf der Erde hinauszuwachsen. Das hat auch geklappt – ein Moment, der Generationen bewegt hat. Aber für den normalen Bürger auf der Straße ging es einfach nicht weiter.
Da drängen sich ja Parallelen zur heutigen Zeit auf, oder?
Alexander Waschkau:
Stimmt. Doch heute kommt noch etwas hinzu. Wir leben in einer spannenden Einerseits glauben wir dank Forschung und Technik, dass wir alles wissen könnten. Andererseits entsteht in einer zunehmend komplexen Welt das Problem, dass es niemanden mehr gibt, der alle Antworten liefern kann. Das macht unruhig und lässt Zweifel zu. Und wenn unbekannte Phänomene auftauchen, greifen Menschen zu alternativen Erklärungen.
Wie bei den Anschlägen am 11. September 2001 …
Alexander Waschkau:
Mehr noch als die Mondlandung ist der 11. September (oder wie die Amerikaner kurz sagen: ) eine Zeitenwende für moderne Verschwörungstheorien. Da kamen mehrere Dinge zusammen: das eine sehr starke auslöst. Dazu gab es eine Erklärung, die so einfach war und gleichzeitig so unglaublich schien: 4 Terroristen, die das geplant und durchgeführt hatten. Hinzu kam dann noch Misstrauen gegenüber der Bush-Administration und natürlich das damals noch
Es war also einfacher, eine alternative Wahrheit zu suchen, als sich der Realität zu stellen?
Alexa Waschkau:
Die Realität ist nicht immer einfach oder eindeutig. Das ist etwas, was viele Menschen nur schwer ertragen können, vor allem, wenn diese Aussage von Wissenschaftlern kommt. ›Das können wir aktuell noch nicht erklären‹, ist zwar häufig die ehrliche Einschätzung, verunsichert manche Menschen aber derart, dass sie es mit dem ergänzen, was sein könnte.
Wie sähe denn eine bessere Kommunikation aus, die Entstehung von Verschwörungstheorien vorbeugt?
Alexander Waschkau:
Wertfrei – das ist der wissenschaftliche Weg. Man wendet beispielsweise an: Man wählt die einfachste Erklärung, für die möglichst wenige zusätzliche Annahmen nötig sind. Sobald eine schlüssige Erklärung vorliegt, kann man von allen anderen Erklärungen Abstand nehmen – wer nicht loslässt, steckt wahrscheinlich in einer Verschwörungstheorie fest.
Dabei könnten wir theoretisch auch auf echte Verschwörungen stoßen, oder?
Alexander Waschkau:
Das ist möglich. Nicht alles ist fake. Das zeigen uns reale Verschwörungen wie Watergate oder die angeblichen Atomwaffen im Irak. Aber die fliegen schnell auf.
Wie viel Facebook steckt in den Chemtrails?
Ein Theoretiker allein macht noch keine Verschwörung. Wie genau funktioniert die Vernetzung in sozialen Medien?
Alexander Waschkau:
In sozialen Medien versammeln sich Verschwörungstheoretiker zu teilweise – von Mondlandungs-Zweiflern bis zu Wer dann wagt, von der vorherrschenden Meinung abzuweichen, wird meist rausgeworfen. Das immunisiert gegenüber Kritik und führt dazu, dass sich alle in Dann wird auch gerne Quantität mit Wahrheit verwechselt: Nur, weil es Tausende Internetseiten oder Gruppen zu einer Verschwörungstheorie gibt, muss diese noch nicht wahr sein.
Alexa Waschkau:
Gerade beim Austausch in sozialen Medien findet auch das sogenannte »Rosinen picken« statt. Das heißt, Informationen werden nicht neutral ausgewertet. In diesen Communities herrschen bereits vor und jeder sucht nach Daten, die dazu passen.
Kommt am Ende dann eine gemeinsame Verschwörungstheorie dabei heraus oder überbieten sich auch die Verschwörungsgläubigen mit immer neuen Ideen?
Alexa Waschkau:
Beides. Menschen erzählen einfach gerne Geschichten; das liegt uns in der Natur. In solchen Communities dient das dazu, die Gemeinschaft zusammenzuschweißen und das eigene Weltbild abzugleichen. Dabei findet natürlich derjenige besonderen Zuspruch, der die Verschwörungstheorie besonders gut verteidigt oder weiterspinnt.
Das heißt, es geht auch um Anerkennung in der
Alexa Waschkau:
Da muss man natürlich genau hinschauen und unterscheiden. Es gibt ja nicht eine, sondern mehrere Arten von Verschwörungstheoretikern.
Konsumenten: Diejenigen, die Verschwörungstheorien nur konsumieren und auf solchen Seiten mitlesen.
Weiterverbreiter: Diejenigen, die Verschwörungstheorien weiterverbreiten und andere überzeugen wollen.
Ideologen: Diejenigen, die sich an Verschwörungstheorien beteiligen, um etwa eine bestimmte Ideologie mitzuliefern oder diese für ihre Ideologie ausnutzen.
Und wer beteiligt sich dort aktiv? Sind das alles Menschen, die zum Beispiel aufgrund von Arbeitslosigkeit viel Zeit haben?
Alexa Waschkau:
Nein. Eher Menschen, die durch diese alternativen Erklärungen ein Stück Verantwortung von sich weisen können. Schuld daran, warum es einem gerade vielleicht schlecht geht, ist man dann nicht selbst, sondern zum Beispiel die Verschwörungstheorien bieten dazu häufig auch ein vages Feindbild an.
Krebsgeschwüre in unserer Gesellschaft – und ihr Gewaltpotenzial
Viele Menschen hinterfragen ja erst mal und landen dann bei Chemtrails. Was ist denn der Unterschied zwischen Verschwörungstheorie und
Alexa Waschkau:
Skepsis ist prinzipiell gut, nützt aber genau dann nichts mehr, wenn sie ohne Quellenkritik stattfindet. Wer nicht mehr nachprüft, wo Informationen herkommen, lässt sich von Skepsis in die Irre führen.
Grundsätzlich gefragt: Was spricht denn gegen alternative Erklärungen, die nicht dem aktuellen Wissensstand entsprechen?
Alexa Waschkau:
Vergleichen wir Verschwörungstheorien mit Esoterik. Einige Menschen glauben zum Beispiel, dass Geister und Engel sich um sie kümmern. Wenn das privat hilft, hat das keine weiteren Folgen. Verschwörungstheorien sind aber nicht privat, sondern politisch. Wenn man anfängt, sie für bare Münze zu nehmen, wird man anfällig für
Alexander Waschkau:
Denken wir an die Sie können tatsächlich gefährlich werden, wenn das erzählte Bedrohungsszenario in übergeht. So wurden letztes Jahr 4 Polizisten in Franken Verschwörungstheorien sind wie Krebsgeschwüre in einer Gesellschaft. Wir wissen nie, wen bestimmte Theorien erreichen und wie diese sich dann radikalisieren.
»Verschwörungstheorien sind wie Krebsgeschwüre in einer Gesellschaft.« – Alexander Waschkau
Also kann prinzipiell jede Verschwörungstheorie gefährlich werden?
Alexa Waschkau:
Alle Verschwörungstheorien basieren auf Die ist nie ein Gerade in einem politischen Klima, das zunehmend auf Angst und Abgrenzung aufbaut, schafft das nur zusätzliche Probleme.
Gibt es auch eine Vernetzung mit politischen Parteien?
Alexa Waschkau:
Politische Gruppen am rechten Rand nutzen gern viele Vehikel, um ihre Ideologie unterzubringen. Sie signalisieren dann den Verschwörungstheoretikern: Wir nehmen euch ernst. Dort findet dann tatsächlich eine statt.
In den USA dreht der Präsident gerade sogar den Spieß um und zieht wissenschaftliche Theorien wie Erderwärmung als Verschwörungstheorie in Zweifel.
Alexa Waschkau:
Das funktioniert nur deshalb, weil Donald Trump bereits vorher Misstrauen in Wissenschaft und Medien geschürt hat. Was wir aktuell in den USA sehen, ist eine Vermischung von Propaganda, Ideologie und Verschwörungstheorie auf institutioneller Ebene. So hat er etwa den Bürgern eingeredet, die USA seien am Boden. Auf diese Ideen kann er jetzt
So kannst du Verschwörungstheoretiker beim Ausstieg unterstützen
Wechseln wir die Perspektive: Ihr bekommt selbst Warum fühlen sich Verschwörungstheoretiker durch Aufklärungsarbeit wie euren Podcast angegriffen?
Alexa Waschkau:
Aus der Perspektive der Verschwörungstheoretiker stützen wir halt ein absolutes Unrechtsregime. Man darf eines nicht vergessen: Die Menschen haben reale Ängste, dass ihnen jemand etwas Böses will. Dabei sind sehr viele Emotionen im Spiel.
Alexander Waschkau:
Da gibt es auch einen Unterschied zwischen den Gesprächen im Internet und Begegnungen im echten Leben. Ich frage dann häufig: »Was müsste ich Ihnen denn sagen, damit Sie aufhören, an Chemtrails zu glauben?« Dann kommt meistens keine Antwort mehr. Da spüre ich als Psychologe häufig eine tiefe Verzweiflung.
Ist ein konstruktiver Austausch da überhaupt noch möglich?
Alexa Waschkau:
Wir machen das nicht für jeden Einzelnen. Manchmal gehen wir aber auf harsche Kritik ein und spielen die Argumente der Verschwörungstheoretiker logisch durch; auch für die, die gerade vielleicht mitlesen und sich möglicherweise zum ersten Mal über das Thema informieren.
Alexander Waschkau:
Manche Menschen biegen einmal falsch ab und verwenden dann Jahre ihres Lebens und viel Energie auf solche Verschwörungstheorien, recherchieren viel selbst und lesen viele Bücher dazu. Je länger sie sich mit den Verschwörungstheorien beschäftigen, desto schwerer wird auch der Ausstieg. Das bedeutet ja auch: Diese Menschen haben in ihrem Leben einen Fehler gemacht. Und das können sie nur ganz schwer akzeptieren.
Ist Aufklärung gegen Verschwörungstheorien, also auch euer Podcast, automatisch politisch?
Alexander Waschkau:
Wir hatten uns tatsächlich lange das Ziel gesetzt, unpolitisch zu sein – bis wir gemerkt haben, dass das, was wir tun, hochpolitisch ist. Gerade jetzt geht es um einen Realitätsabgleich und darum, hinaus in die Welt zu rufen: Das ist nicht die Wahrheit! Da sind nicht nur wir gefragt, sondern wir alle. Es geht um demokratische Verantwortung.
Zum Schluss die Preisfrage: Wie kann man Menschen wirklich helfen, die in Verschwörungstheorien feststecken?
Alexa Waschkau:
Was du auf keinen Fall tun solltest, ist in die Falle zu tappen und die Beweislast umzukehren. Wer eine Verschwörungstheorie aufstellt, der ist auch in der Pflicht, sie mit Belegen zu untermauern.
Alexander Waschkau:
Der Königsweg ist es, die Person durch beharrliches Nachfragen auf Widersprüche im Weltbild zu stoßen. Warum hätten die Amerikaner das machen sollen mit dem Mond? Hätte es keine kostengünstigere Möglichkeit gegeben als 9/11? Allein eine meinungsstarke Position (»Das ist nicht wahr!«) zu vertreten und dabei konsistent zu sein, führt manchmal schon zu einem Denkprozess beim anderen.
Dirk ist ein Internetbewohner der ersten Generation. Ihn faszinieren die Möglichkeiten und die noch junge Kultur der digitalen Welt, mit all ihren Fallstricken. Als Germanist ist er sich sicher: Was wir heute posten und chatten, formt das, was wir morgen sein werden. Die Schnittstellen zu unserer Zukunft sind online.