Die Ampel schert sich nicht um Ungleichheit. Dabei hat sie eine historische Chance
Sie könnte eine Erbschaftsteuer schaffen, die nicht nur für die Reichsten funktioniert, sondern für alle.
Alles ist relativ – vor allem das, was wir als Normalität empfinden.
Was für die einen ein Kostenpunkt ist, den sie trotz jahrzehntelangen Sparens nicht stemmen könnten, ist für den anderen ein kleines Investment in ein Hobby:
Das Fliegen an sich geht vom Preis her eigentlich, es ist nicht so teuer. Neu kostet so eine Maschine [ein Kleinflugzeug] 600.000 oder so. Freunde von mir haben sich zu sechst eine gekauft und teilen sich die Kosten, das geht also wirklich.
Der andere, der hier von seiner ganz eigenen Normalität erzählt, ist der Unternehmersohn Julian Kögel. Am Steuer seines Kleinflugzeugs gibt er in der
Er hat also das große Los in der Lebenslotterie gezogen, von dem Millionen seiner Mitbürger:innen nur träumen können. Die unteren 50% der Erwachsenen besitzen nämlich nur rund 1,4% des Gesamtvermögens, im Schnitt sind das pro Person 3.682 Euro. Das ist etwas mehr als 0,001% von dem, was Julians Familie besitzt. Aus der Substanz heraus den Traum vom Fliegen zu verwirklichen, will für die weniger reichen Menschen also nicht so recht klappen, auch wenn sie sich zu sechst zusammentun. Da bleibt nur das Sparen, um auf die 600.000 Euro für ein Flugzeug (oder wahlweise eine Eigentumswohnung in attraktiver Lage) zu kommen.
Da der Unternehmersohn nicht besonders gut mit großen Zahlen ist, hier ein kleines Rechenbeispiel: Nehmen wir an, jemand aus der ärmeren Hälfte der Bevölkerung schaffe es, 100 Euro im Monat für den Traum vom Fliegen beiseitezulegen, wie lange müsste dann gespart werden?
Ist das gerecht? Wohl kaum.
Das Beispiel zeigt: Der Traum von Tellerwäscher:innen, die zu Millionär:innen werden, ist nichts weiter als ein Luftschloss – das die allermeisten mangels Flugzeug nie erreichen werden. Fakt ist, dass eigene »Leistung« in Deutschland eher im Ausnahmefall über die Höhe des eigenen Wohlstands entscheidet.
Eine Republik, die Raucher:innen stärker schröpft als Superreiche
Der Grund dafür: Freibeträge, Schenkungen und das Überführen von Vermögen in Stiftungen bieten enormen »Gestaltungsraum« für superreiche Erblasser:innen, um sich um die Erbschaftsteuer zu drücken.
Die Zahlen zeigen, dass es in der Debatte um die Erbschaftsteuer nicht darum geht, reichen Erb:innen ihren Nachlass wegzunehmen, wie viele Kritiker:innen nicht selten suggerieren. Der Wunsch, den eigenen Kindern etwas zu hinterlassen, ist absolut nachvollziehbar. Doch darum geht es überhaupt nicht. Es geht darum, dass Lasten fair verteilt werden. Was offensichtlich nicht der Fall ist.
An welchem Argument der meist konservativ-wirtschaftsliberalen Kritiker:innen hingegen etwas dran ist: Die Erbschaftsteuer trifft in ihrer jetzigen Ausgestaltung »den kleinen Menschen«, der ein vergleichsweise bescheidenes Erbe macht. Aber eben nicht, weil die Steuer an sich ungerecht ist, sondern wegen ihrer löchrigen Ausgestaltung, die viele Tricks und Schlupflöcher zulässt. Das Ergebnis: Zahlen tun vor allem die, die sich keine gewieften Steuerberater:innen leisten können.
Die grundlegende Idee einer Erbschaftsteuer,
Bleibt noch das Argument von wirtschaftsnahen Lobbyorganisationen wie
Warum die Ampel bei der Erbschaftsteuer den großen Wurf landen könnte …
Angesichts dieser Ungerechtigkeit trifft es sich gut, dass wir nun eine neue Bundesregierung haben, die sich aus Parteien zusammensetzt, die alle etwas gegen
Allen voran die SPD und die Grünen, die ja bekanntlich zum linken Parteienspektrum gehören, müssten dem Thema Erbe einen hohen Stellenwert zurechnen. Und selbst die FDP sollte etwas gegen die damit verbundenen Ungerechtigkeiten haben, wenn sie es mit dem Leitbild einer
Die Erbschaftsteuer so zu reformieren, dass sie endlich einfach nur das leistet, wofür sie da ist, nämlich Vermögenskonzentration in den Händen weniger zu verringern, wäre also ein echter gemeinsamer Nenner, der über die Legalisierung von Cannabis hinausginge. Auch und gerade deswegen, weil die Liberalen (zur Erinnerung: Wahlergebnis 11,5%) mit ihrem Dogma »keine Steuererhöhungen« die Wiedereinführung der Vermögensteuer verhindert haben, die SPD (25,7%) und Grüne (14,8%) im Wahlkampf befürwortet hatten.
Doch die Realität ist: Wer den Koalitionsvertrag im Netz aufruft und in die Suchfunktion den Begriff »Erbschaftsteuer« eingibt, wird keinen Treffer erhalten.
Erbschaftsteuer im Koalitionsvertrag? »Dokument wurde durchsucht. Keine Treffer.«
Sicher, Koalitionen in einer Demokratie leben vom Kompromiss, aber Kompromiss ist eben keine Einbahnstraße. Zumal es sich bei einer Erbschaftsteuer, die ihren Namen verdient, nicht um eine Steuererhöhung, sondern um den Abbau ungerechter und leistungsfeindlicher Privilegien handelt.
Gerade der neu erstarkten SPD, die sich bei sozial ungerechten Entscheidungen in den letzten Jahren immer bequem hinter der Union verstecken konnte, sollte diese Leerstelle im Koalitionsvertrag eigentlich die Schamesröte ins Gesicht treiben. Ebenso wie den Grünen, die zwar ebenfalls gerne die Verteidiger:innen der Armen und Schwachen mimen, aus Angst vor ihrer bürgerlichen Klientel am Ende aber wohl doch niemandem etwas zumuten wollen.
So bleibt alles gleich in Ungleichland: Vermögenden wird gegeben, Arbeitenden wird genommen. (Was war da noch mal mit Steuererleichterungen für die unteren und mittleren Einkommensgruppen?)
… und das sogar Christian Lindner gefallen sollte
An dieser Bestandsaufnahme ändert auch der »Jede:r kann es schaffen«-Pathos der FDP nichts. Ganz aktuell hat eine Studie der Bertelsmann-Stiftung ergeben, dass der »soziale Fahrstuhl«, der Menschen, die sich genug anstrengen, den Aufstieg in ein besseres Leben erlauben soll, seit Jahren außer Betrieb ist:
Die Daten beziehen sich auf gesamtwirtschaftlich gute Jahre vor der Pandemie, deren Folgen die Reichen wesentlich weniger stark treffen als die ohnehin schon Armen. Doch bereits zuvor haben sich laut der Studie besonders für die Jüngeren im Alter von 18–29 Jahren die Chancen auf den Aufstieg in die Mittelschicht noch einmal drastisch verschlechtert.
Also in der Altersgruppe, zu der Millionenerbe Julian Kögel bis vor Kurzem noch gehörte. »Machst du dir Gedanken darüber, wie man das Ungleichgewicht zwischen Erbenden und Nichterbenden austarieren kann?«, fragt der ZDF-Journalist den Superreichen in spe gegen Ende des Films. Seine Antwort: »Nicht wirklich. Das sind Probleme, ich weiß die sind da, aber ich habe im Moment echt andere Issues (Probleme). Ich glaube, das Problem ist allgemein größer, als zu sagen »Tax the rich« (»Besteuert die Reichen).«
Recht hat er, aber ein Anfang wäre es.
Schließlich könnte so eine Maßnahme finanziert werden, die für mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit sorgen würde: das Lebenschancenerbe. Das Konzept sieht vor, dass jedem jungen Menschen nach Abschluss der Ausbildung ein »Erbe« von 30.000 Euro zur Verfügung gestellt wird.
Um das Aufstiegsversprechen in Deutschland wiederzubeleben, muss es ja nicht einmal direkt ein Flugzeug sein. Eine faire Chance für alle würde schon genügen.
Mit Illustrationen von Doğu Kaya für Perspective Daily