Diese Argumente haben Impfskeptiker:innen überzeugt
Die Gründe, sich (noch) nicht impfen zu lassen, sind vielfältig. In diesem Text erklären Perspective-Daily-Mitglieder, welche Vorbehalte sie hatten und warum sie sich am Ende doch für die Impfung entschieden haben.
In der aktuellen Debatte um den Weg aus der Pandemie gibt es wenig Raum für Grautöne. Entweder ist jemand geimpft und somit vernünftig oder nicht geimpft und folglich Impfgegner:in. Dabei gibt es mehr als diese beiden Positionen.
Kurz vorab, damit es hier keine Missverständnisse gibt: Wissenschaftler:innen sind sich einig, dass eine Impfung derzeit am besten gegen das Coronavirus schützt und die Mehrheit der Menschen in Deutschland sieht das auch so. Mittlerweile sind ca. 58 Millionen Menschen vollständig geimpft. Auf der anderen Seite stehen noch immer 23 Millionen Menschen, die noch keine Impfung erhalten haben. Für 4 Millionen aus dieser Gruppe, die Altersgruppe von 0 bis 4 Jahren, steht noch kein zugelassener Impfstoff
Die gute Nachricht: Es gibt noch immer Menschen, die sich ohne gesetzliche Pflicht jetzt für die Impfung entscheiden. Der aktuellen
Die Daten zeigen auch, dass der Anteil der grundsätzlich impfbereiten Menschen derzeit wächst. Doch was bringt sie dazu, ihre Meinung jetzt noch zu ändern? Das wollte ich von unseren Leser:innen wissen. Die Antworten, die ich auf meinen Aufruf bekam, zeigen, dass hinter der Zurückhaltung oft mehr steht als Verschwörungsdenken oder die generelle Ablehnung von Impfungen – und dass es manchmal helfen kann, miteinander zu sprechen. 9 Geschichten von Menschen, die ihre Meinung geändert haben:
»Als die Möglichkeit bestand, dass ich eine Impfung bekommen konnte, fühlte ich mich völlig überrollt« – Juliane
»Als dieses Jahr die Möglichkeit bestand, dass ich eine Impfung bekommen konnte, fühlte ich mich völlig überrollt. In meinem sozialen Umfeld ließen sich plötzlich alle impfen und es gehörte zum guten Ton, geimpft zu sein (was, wie ich jetzt weiß, sehr begrüßenswert ist). Meine Unsicherheit war mir teilweise peinlich. Ich hoffte immer, dass ein Gespräch nicht zum Thema Impfen führte. Ich spürte einen unglaublichen Druck, denn ich treffe Entscheidungen lieber in Ruhe, gut informiert, wohl überlegt und lasse mich nur ungern drängen.
Der empfundene Impfdruck stresste mich enorm. Insbesondere hatte ich Angst vor unbekannten Nebenwirkungen (ich habe vor einigen Jahren viel zum Contergan-Skandal gearbeitet und war da wahrscheinlich mental ›vorbelastet‹). Ich war mir allerdings unsicher, wo ich kompakt und verständlich alle Informationen bekommen kann, die ich benötigte. Zwischenzeitlich hatte ich Tage, an denen ich einfach nichts mehr vom Impfen hören wollte. Die Lösung war schließlich ganz einfach: Eines Abends habe ich mit meiner Schwester telefoniert, die gerade ihr Zweites Staatsexamen in Humanmedizin hinter sich hatte und für mich sowohl eine vertraute als auch kompetente Person ist, mit der ich meine Bedenken teilen konnte. Ich schilderte ihr meine Bedenken und Überforderung. Sie hörte zu, verurteilte mich nicht und verwies mich stattdessen auf die Websites und FAQ-Kataloge des
Ich brauchte offenbar dieses Gespräch und den Hinweis von ihr.
Natürlich, darauf hätte ich auch selbst kommen können. Aber ich brauchte offenbar dieses Gespräch und den Hinweis von ihr. Ich studierte die Websites, wog dann Risiken und Nutzen für mich auf der damals verfügbaren Datenlage ab und ging zum Impfzentrum, wo man überrascht war, dass jetzt noch jemand zur Erstimpfung kommt. Ich bin sehr glücklich mit meiner Entscheidung, die ich nach gründlicher Abwägung getroffen habe und nicht aufgrund von sozialem oder politischem Druck.
Ich vermute, dass auch bei anderen ungeimpften Menschen oft tiefer liegende Ängste und Unsicherheiten bestehen, bei denen ein Gespräch auf Augenhöhe guttun könnte. Meine Schwester, die mir im Sommer so geholfen hat, arbeitet nun auf der Intensivstation in einem Uniklinikum. Erst gestern sagte sie mir, dass sie im Moment nur ein Anliegen habe: ich solle doch bitte versuchen, alle die ich kenne, von einer Impfung zu überzeugen.«
»Mein Umfeld glaubte alle Gerüchte« – anonyme Einsendung
»Ich gehörte zu den Ersten, die geimpft werden sollten, und die Technologie war neu und unerprobt« – Marius (31)
»Ich bin 31 Jahre alt und als Rettungsdienstler war ich Priogruppe 1. Gegen Ende des Jahres 2020, als sich abzeichnete, dass ein Impfstoff bald verfügbar sein würde, hatte ich mit mir zu kämpfen. Schließlich gehörten wir zu den Ersten, die geimpft werden sollten, und die Technologie war neu und unerprobt. Auch im Kollegen- wie Freundeskreis erfuhr ich so etwas wie eine gesunde Skepsis. ›Gut, dass die Briten jetzt mal starten, dann können wir uns das mal anschauen‹ waren Sätze, die öfters gefallen sind. Ich war skeptisch gegenüber der mRNA-Technologie. Ich wusste, dass unter normalen Umständen nichts passieren kann, und trotzdem habe ich mir Konstellationen ausgedacht, so unwahrscheinlich sie auch sein mögen, in denen mir die Impfung doch schadet.
Meine Meinung geändert hat ein Interview des ›Impfstoff-Erfinders‹ und Biontech-Chefs Uğur Şahin in einer Fernsehtalkshow. Meine Impfungen habe ich dann Anfang 2021 erhalten, mich dann zugegebenermaßen sogar ein wenig privilegiert gefühlt und meine Entscheidung auch nach dem Boostern nie bereut.«
»Letztendlich waren die Impfungen in meinem Umfeld entscheidend« – Levy (26)
»Ich habe während des letzten Winters lange behauptet, ich würde mich erst mal nicht impfen lassen. Meine Familie war zweigeteilt. Es war für uns nicht verständlich, wie man in so kurzer Zeit diese hochkomplexe Impfung entwickeln konnte, und da wir meistens noch nicht einmal Kopfschmerztabletten nehmen, würde ich auch behaupten, dass ein grundlegendes Misstrauen gegenüber westlicher Medizin vorliegt.
Als die Impfung dann da war und es immer mehr so schien, als ob sie der einzige Ausweg aus der Pandemie sei, ließen sich viele aus dem Freundeskreis und eben auch mein Vater und Bruder impfen. Letztendlich waren die vielen Impfungen im Umkreis entscheidend dafür, dass ich mich mit einigem Respekt vor der Spritze im Sommer selbst habe impfen lassen. Beim Boostern ist es jetzt tatsächlich so, dass ich einer der Ersten in meinem Bekanntenkreis bin, der es bereits hinter sich hat.«
»Als ich erfuhr, wie dramatisch die Situation ist, habe ich mich impfen lassen« – anonyme Einsendung
»Ich war zu Beginn äußerst skeptisch. Es kam für mich nicht infrage, einen in so kurzer Zeit entwickelten Stoff in meinen Körper zu lassen. Die Diskussionen, die ich führte, waren endlos, arteten manchmal aus in Geschrei und Türenknallen. Hoch emotionale, auch von Angst geprägte Auseinandersetzungen. Extrem unterschiedliche Stellungnahmen von Ärzten unterstützten meine Unsicherheit. Ablegen konnte ich diese nicht. Nachdem ich durch Menschen, die nah oder im Krankenhausgeschehen arbeiten, erfuhr, dass die Situation so dramatisch ist wie in den Medien berichtet, habe ich mich, später als mein Umfeld, entschlossen, mich impfen zu lassen. Ich habe nach wie vor Bedenken, habe mich aber vor dem Hintergrund aller Begebenheiten dazu entschieden.«
»Wenn ich auf Technologie beim Auto vertraue, warum nicht auch bei Impfungen?« – anonyme Einsendung
»Ich habe mich frühzeitig und vor allem mit Blick auf die damit verbundenen Freiheiten impfen lassen und nicht mit dem Gefühl, dass es mir persönlich gesundheitlich viel bringt. Nicht, dass ich grundsätzlicher Impfgegner wäre, aber ich mag mir nicht gern etwas injizieren lassen, wenn ich doch gesund bin. Also eher ein diffuses Unbehagen. Allerdings bin ich Laie in dem Gebiet. Wenn ich auf Technologie beim Auto vertraue, warum nicht auch bei Impfungen? Beides verstehe ich nicht und verlasse mich auf fremde Expertise. Trotzdem war die Impfung nicht mit einem guten Gefühl verbunden. Es war etwas, was erledigt werden musste.«
»Viele Unentschlossene sind einfach extrem vorsichtig und ängstlich« – Milena (34)
»Ich glaube, viele Unentschlossene sind bei Weitem keine Verschwörungstheoretiker oder Sturköpfe, sondern wie ich einfach nur extrem vorsichtig und ängstlich. Ich bin zwar noch nicht geimpft, habe das aber im Februar vor, weil ich dann mein Kind geboren habe. Auch wenn einige Studien belegen konnten, dass eine Impfung in der Schwangerschaft nicht zu einem erhöhten Risiko von Fehlgeburten und anderen Komplikationen führt, bin ich nach wie vor unsicher.
Die Entscheidung für die Impfung möchte ich für mein ungeborenes Kind so nicht treffen. Ich hätte das Gefühl, dass ich mich nur impfe, weil der gesellschaftliche Druck so groß ist, und nicht, weil ich mir sicher bin, dass es das Richtige ist. Würde dann etwas passieren, wäre es die Folge dieser bewussten Entscheidung. Eine Erkrankung würde ich dagegen als Schicksalsschlag sehen. Das ist sicher sehr individuell und bei mir, sprichwörtlich, eine Bauchentscheidung. Ich bleibe deshalb vorsichtig und lebe mit meiner Entscheidung abzuwarten. Ich versuche natürlich, mich nicht anzustecken und auch andere zu schützen.
Ich verleugne Corona keineswegs, glaube aber, die Impfung allein hilft uns nicht aus der Pandemie. Es wären wahrscheinlich viel größere systemische Anforderungen nötig, um einen Weg zu finden, friedlich mit dem Virus leben zu können. Die Impfung scheint mir gerade einfach nur der direkteste Weg zu sein.«
»Ich habe meine Angst vor den Nebenwirkungen überwunden« – Hilda (63)
»Ich hatte Hoffnung, die Pandemie würde verschwinden und ich käme ohne Impfung durch. Ich hatte Angst vor Nebenwirkungen. Letzten Sommer hat sich dann für mich erschlossen, dass das Virus sicher noch lange bleiben würde. Ich habe meine Sorge vor möglichen Nebenwirkungen nach viel Überlegung überwunden. Die Immunität kann nur erreicht werden, wenn sich viele impfen lassen, dazu wollte ich beitragen.«
»Nach vielen Diskussionen habe ich begriffen, dass es um mehr geht als um meine persönlichen Belange« – anonyme Einsendung
»Vor 11 Jahren habe ich eine lebensbedrohliche Krankheit überstanden. Diese Erfahrung hat mich zunächst von einer Impfung abgehalten. Ich habe damals eine große Menge an Medikamenten verabreicht bekommen, die mein Leben gerettet haben. Die Nebenwirkungen haben meinen Organismus jedoch über ein Jahr sehr stark beeinträchtigt. Mein anschließender Vorsatz war damals, nur noch die allernotwendigsten Medikamente oder Impfungen zuzulassen. Irgendwann habe ich nach vielen Diskussionen innerhalb meiner Familie begriffen, dass es bei dieser Impfung um mehr geht als nur um meine persönlichen Belange.
Meine Art, damit umzugehen, hat Auswirkungen für andere
Dass meine Art, damit umzugehen, automatisch auch eine unmittelbare Auswirkung für andere haben wird und somit meine persönlichen Präferenzen, egal welche das auch immer sind, nicht an vorderster Stelle stehen sollten. Dies war meine ganz persönliche Entscheidung und sollte auf keinen Fall als moralisierende Aufforderung zu einer Impfung verstanden werden.
Eines weiß ich: Das Leben ist kurz und ich möchte etwas anderes tun, als einfach in meinem Zuhause eingesperrt zu sein. Ich möchte immer noch Menschen ohne Angst umarmen. Meine Eltern und ich haben der Wissenschaft, ohne den Anspruch auf Vollkommenheit, grundsätzlich vertraut. Wir mussten nie an einer der Krankheiten, gegen die wir geimpft wurden, leiden oder sie übertragen. Ich bin geimpft, nicht um der Regierung zu gefallen, sondern um nicht schwer an Covid-19 zu erkranken, das Virus möglichst nicht zu verbreiten, meine Lieben umarmen zu können und damit Covid-19 schnellstmöglich zu einer Erinnerung wird.«
Mit Illustrationen von Aelfleda Clackson für Perspective Daily