Auf welche Weltordnung sollen wir in Zukunft setzen?
Die einen setzen auf die NATO, andere auf Abschottung. Hoffentlich setzen die dritten sich durch.
Es waren keine kriselnden Ehepaare, die sich am Wochenende im Bayerischen Hof trafen, aber trotzdem hatte die Versammlung etwas von Paartherapie und Selbstvergewisserung. Viele der Hotelgäste hätten sich ein klares »Ja« gewünscht auf Fragen wie: Gibt es den Westen noch? Brauchen wir den Westen noch? Doch im Verlauf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) wurde immer deutlicher:
Die ganz große Frage, über die mehr als 400 Vertreter der außen- und sicherheitspolitischen Elite der transatlantischen Gemeinschaft und irritierend wenige Vertreter der nicht-westlichen Welt debattierten, war: Für welche Weltordnung lohnt es sich zu streiten?
Zwischen den Zeilen und von Panel zu Panel wurde deutlich: Im Westen konkurrieren 3 sehr unterschiedliche Weltordnungs-Modelle. Alle sind disruptiv, zerstören also die bisherige Ordnung. Egal, welches Modell letztlich obsiegt: Wir sind Zeitzeugen einer neu entstehenden internationalen (Un-)Ordnung – ein schlichtes »Weiter so« wird nicht funktionieren.
1. »Weiter, bis es nicht mehr geht!«
Da sind zunächst die klassischen Transatlantiker. Für sie stehen der US-Vizepräsident Mike Pence, der Verteidigungsminister James Mattis und der für Innere Sicherheit zuständige Minister John F. Kelly. Die Transatlantiker lobten in München die gemeinsame Vergangenheit. Eine Stimmung der Kontinuität soll verbreitet werden. NATO, gemeinsame Verteidigung, die US-europäischen Beziehungen und freier Welthandel bleiben wichtig. Westliche Werte werden bekräftigt: Demokratie, Menschenrechte, Freiheit, Zusammenarbeit der Staaten. Eine Welt, in der sich der Westen weiterhin die klare Führungsrolle vorbehält.
Die Spitzen der US-Administration versuchen, die Irritationen zu zerstreuen, die ihr Chef Donald Trump – seit Monaten, im Tagesrhythmus und quasi
Diese Kontinuitätshoffnung wird sich in jedem Fall als Irrtum erweisen: Die Globalisierung und der wirtschaftliche Aufstieg der Schwellenländer haben die weltweiten Kräfteverhältnisse entscheidend verändert. Eine Dominanzstrategie des Westens wird an diesen Realitäten scheitern, Weltprobleme können so nicht gelöst werden – darauf komme ich am Ende zurück.
2. »Jeder ist sich selbst der Nächste«
Das zweite Weltordnungsmodell wurde auf der Sicherheitskonferenz durch keinen einzigen Sprecher vertreten und war doch »the elephant in the room«, also das Thema, an das jeder denkt, das aber niemand anspricht. Trump hat in den vergangenen Monaten alle Grundpfeiler der westlichen Weltordnung infrage gestellt, die seine Spitzenleute nun wieder aufzurichten versuchen. Während Vizepräsident Mike Pence und Verteidigungsminister James Mattis die demokratischen Grundwerte beschwören,
Trumps Einlassungen zur zukünftigen Weltordnung lesen sich weniger kohärent als der
Dieses zerstörerische Weltordnungskonzept kennt nur
Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie die Nachbesprechungen zur Münchner Sicherheitskonferenz zwischen Pence, Mattis und Trump verlaufen. Relativieren die erstgenannten ihre jüngsten Bekenntnisse zur alten, westlichen Ordnung, zur internationalen Zusammenarbeit und zu demokratischen Grundwerten im Gespräch mit dem Präsidenten? Betreibt der Präsident vielleicht nur
Klar ist, die Streitereien und Gräben zwischen den beiden bis hierher identifizierten Weltordnungs-Modellen gehen mitten durch die US-Regierung, vielleicht auch durchs Weiße Haus, in jedem Fall durch die Republikanische Partei.
Unabhängig davon, ob sich die nationalistischen Hardliner durchsetzen: Eine Politik, in der Brücken zwischen Staaten ab- und Mauern aufgebaut werden, stellt alle Errungenschaften seit dem Zweiten Weltkrieg infrage. Eine Abschottung kennt kaum Gewinner, sondern nur Verlierer.
3. »Mit vereinten Kräften«
Wer erwartet hatte, »die Europäer« würden nun versuchen, sich Trump irgendwie anzunähern, um Spannungen zu vermeiden, wurde überrascht. Zahlreiche Konferenzteilnehmer gaben sich mit der Bekräftigung des transatlantischen Ordnungsmodells nicht zufrieden. Vielmehr wurde in München ein drittes Weltordnungsmodell beschrieben, das ebenfalls auf grundsätzliche, also disruptive Veränderungen hinausläuft.
Eine neue Ordnung, die sich nicht in höheren Verteidigungsausgaben, dem Erhalt der NATO, des freien Welthandels und der Stärkung des Westens in der Weltpolitik erschöpft.
Das dritte Weltordnungskonzept basiert auf 2 Säulen, die argumentativ vorgetragen wurden:
- Kooperation: Eine stabile globale Ordnung kann nur gelingen, wenn der Westen lernt, mit Schwellen- und Entwicklungsländern systematisch zu kooperieren. Die Idee westlicher Dominanz passt nicht ins 21. Jahrhundert.
- Mehr als Sicherheitspolitik: Globale Stabilität und Sicherheit können nur erreicht werden, wenn neben der klassischen Verteidigungspolitik Klimaschutz, Entwicklungspolitik, Bekämpfung sozialer Ungleichheit und eine faire Gestaltung der Globalisierung massiv ausgebaut werden. Das kommt einem notwendigen Quantensprung in globaler Kooperation gleich.
Die Vertreter des dritten Weltordnungsmodells sehen große Chancen in einer gemeinschaftlichen Weltordnung, die mehr bietet als eine reine Zweckgemeinschaft – zurück zur Paartherapie also. Sie beschreiben die Notwendigkeit einer vernetzten Außen-, Entwicklungs-, Klima- und Sicherheitspolitik.
Ein paar Beispiele: Angela Merkel und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg argumentierten für mehr gemeinsame Verteidigung, aber ebenso für eine starke Entwicklungspolitik. EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und der neue UN-Generalsekretär António Guterres plädierten für die konsequente Umsetzung der
Was besonders auffällt: Das inklusive Weltordnungsmodell wurde nicht nur von Europäern skizziert. Der demokratische US-Senator Sheldon Whitehouse plädierte für eine rasche
Für die Vertreter des dritten Weltordnungsmodells steht fest: Klassische transatlantische Sicherheitspolitik reicht nicht aus, um eine stabile internationale Ordnung im Zeitalter globaler Vernetzung zu gewährleisten. Damit dürften sie richtigliegen. Die besondere Herausforderung beim Multilateralismus ist in jedem Fall, dass gegensätzliche Weltanschauungen und Regierungsstile aufeinandertreffen – das kann man gut in den
(M)ein Fazit
Die 53. Münchner Sicherheitskonferenz hat also für Klärung gesorgt. Im Westen liegen 3 sehr unterschiedliche, letztlich disruptive Weltordnungsentwürfe im Clinch miteinander: Trump, Bannon und die Rechten in Europa plädieren für eine radikale Abkehr von der Grundidee internationaler Kooperation: »Our Country First«.
Die klassischen Transatlantiker plädieren für Kontinuität und weiter so: Sie dürften entweder an Trump scheitern oder an den Realitäten einer Globalisierung, die nur gelingen kann, wenn nicht-westliche Akteure zu gleichberechtigten Partnern und die sozialen und umweltrelevanten Folgen eines ungebändigten globalen Marktes durch Kooperation eingehegt werden. In diesem Zusammenhang spricht der Ökonom Dani Rodrik von einem
Die auf Verteidigung und Sicherheit reduzierten Transatlantiker haben keine Antworten auf die Machtverschiebungen und sie übersehen Weltprobleme, die nur durch Kooperation gelöst werden können, die über Sicherheitspolitik hinausgeht: Klimapolitik, Armutsbekämpfung, internationale Energie- und Ressourcenpolitik, Weiterentwicklung der weltwirtschaftlichen Ordnung, um Marktwirtschaft sozial und ökologisch einzubetten. Das scheinbare Kontinuitätsparadigma würde demnach zur Verschärfung internationaler Krisen führen.
Als Gegenentwurf entstehen, ermutigt und mobilisiert durch den »Weckruf Trump«, die Umrisse einer inklusiven Weltordnung, in der Kooperation auf ein neues Niveau gehoben werden soll, um Globalisierung fair zu gestalten. Das dritte Weltordnungskonzept hatte in München einen großen Auftritt – es auszuarbeiten und voranzutreiben ist ein Zivilisationsprojekt des 21. Jahrhunderts. Gelingt dies nicht, drohen Dekaden internationaler Konflikte und Unsicherheit.
Titelbild: Originale: MSC / Wiki Commons – Gage Skidmore / Flickr – Steve Bannon - CC BY-SA 3.0