Einmal zahlen, alles nutzen: Die Grünen wollen die Puzzlestücke der Mobilität zusammensetzen. Doch Tesla, Google und Daimler haben auch ein Wörtchen mitzureden.
Wenn es nach Anton Hofreiter ginge, könnte alles so einfach sein: Vor der Tür steht morgens das Elektroauto, das er gerade per App geordert hat. Lautlos gleitet er durch den Stadtverkehr zum Bahnhof, vor dem Haupteingang steigt er aus. Wie von Geisterhand surrt der Wagen in ein unterirdisches Depot, das autonome Fahrsystem parkt den Wagen für ihn ein. Der Zug wartet bereits, Hofreiter arbeitet eine Weile bequem im Rollen. Am Endbahnhof wartet das mit dem er das letzte Stück zum Bundestag radelt. Am Monatsende kriegt er eine Abrechnung – ohne böse Überraschung: Für seine Mobilität bezahlt er einen fixen Preis und viel weniger als noch vor ein paar Jahren.
Eine Vision aus der fernen Zukunft? Keineswegs. »Wir erleben heute schon ein komplett neues Mobilitätsverständnis. Viele junge Menschen wollen kein Auto mehr. Und zwar nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus ökologischen Gründen«, sagt Fraktionsvorsitzender der Grünen, im Gespräch mit Perspective Daily. Diese Chance will die Partei nutzen: »In der nächsten Legislaturperiode könnte das Bürgerticket bereits verwirklicht werden«, sagt Hofreiter über das Konzept, welches das problemlose Wechseln der Verkehrsmittel ermöglichen soll.
Alle Technologien, die er auf seinem fiktiven Arbeitsweg nutzt, sind technisch bereits umsetzbar. Was fehlt, sind die Vernetzung und die bequeme Abrechnung der vorhandenen Verkehrslösungen. Jemand, der die Puzzlestücke smarter Mobilität – Car-Sharing-Elektromobile, Leihräder und den ÖPNV – zu einer echten Alternative zusammensetzt. Bisher scheint der Stellenwert des traditionellen Autos das zu verhindern, zu dominant wirkt die Machtposition der großen Autokonzerne.
Doch plötzlich ist Bewegung in der Mobilität.
Das Elektroauto als Innovationstreiber
Einer der Auslöser ist die Elektromobilität. drängen plötzlich neue Anbieter auf den Markt. Diese Firmen – allen voran Tesla – sind wiederum auf intelligente Netzwerklösungen angewiesen, um die große Schwäche des Elektroautos, seine ausgleichen zu können.
Nachdem und Co. mit neuartigen Elektromobilen und spektakulären autonomen Fahrten Schlagzeilen gemacht haben, müssen die alten Hersteller reagieren. Und tatsächlich: In Deutschland sieht es aus, als hätte jeder, der irgendetwas mit Mobilität zu tun hat, noch schnell eine Mobilitätslösung im alten Jahr 2016 aus dem Hut gezaubert. Anbieter, die bisher klar auf den Pkw-Markt fokussiert waren, beginnen über Branchengrenzen hinwegzudenken, um neue Verkehrslösungen auf den Weg zu bringen.
Daimler, BMW, Volkswagen und Ford haben sich gerade zusammengeschlossen, um in bisher beispielloser Kooperation ein bis 2020 zu errichten. Anbieter, die bisher klar auf den Pkw-Markt fokussiert waren, beginnen über Branchengrenzen hinwegzudenken.Daimler und BMW denken über einen gemeinsamen Car-Sharing-Anbieter nach, und die Bahn arbeitet mit Hochdruck an einer neuen Mobilitätsplattform, die ihre Kunden von einer Haustür zur anderen bringt. Radwege und Bike-Sharing-Stationen sind überall auf dem Vormarsch. Zu guter Letzt zockelte kurz vor Weihnachten autonom und intelligent über das Privatgelände einer Berliner Hochschule.
Eine Neuausrichtung unserer Mobilität scheint plötzlich zum Greifen nah. Doch wie genau wird die neue Netzwerk-Mobilitätsstruktur aussehen? Reisen wir morgen genauso schnell und flexibel wie mit dem eigenen Pkw? Wie bezahlen wir unsere vielteilige Mobilität? Und: Wird diese Entwicklung sozial verträglich und ökologisch nachhaltig funktionieren?
Vernetzung: Viele Fragen und viele Antworten
Auf all diese Fragen entstehen gerade an den unterschiedlichsten Orten vielfältige Antworten:
Einheitlicher und kostenloser ÖPNV
»Starre Tarife und Tarifgrenzen sind out – flächendeckende Flatrates sind in«, sagt Gregor Waluga, der am zu neuen Mobilitätskonzepten forscht und gleichzeitig als wissenschaftlicher Referent in der Enquetekommission zur ÖPNV-Finanzierung im Landesparlament von Nordrhein-Westfalen tätig ist.
Damit regt er an, das Flatrate-Prinzip, das wir von unseren Smartphone-Verträgen kennen, mit dem verpflichtenden Besitz der Fahrtberechtigung zu kombinieren. Ähnlich wie beim Semesterticket für Studierende würden dann alle einen Beitrag zahlen und dürften im Gegenzug Bus und Bahn nutzen, ohne an komplizierte Tarifgrenzen gebunden zu sein. »Ein solches Bürgerticket entspricht einfach dem Zeitgeist: einfach einsteigen und losfahren.« Die Idee: Wenn das Benutzen des ÖPNVs genauso einfach und flexibel ist wie der Pkw, wird es konkurrenzfähig.
Tatsächlich: Während das Konzept des kostenlosen Naheverkehrs in Deutschland lange ein belächeltes Gedankenspiel der Piratenpartei war, ist genau das im estnischen Tallinn schon seit ein paar Jahren Realität. Auch Paris führte kürzlich kostenlose Nahverkehrstage ein. Den Pariser Politikern erschien diese Lösung einfach als beste Antwort auf den städtischen Smog.
Carsharing
Ein Im Umkehrschluss bedeutet das: Ein einziges Car-Sharing-Auto kann 12 bis 15 konventionelle Autos ersetzen. Zwar gibt es Carsharing-Unternehmen schon seit etwa 30 Jahren – viele von ihnen entstanden ursprünglich als genossenschaftliche Initiativen engagierter Bürger. Ein
Auto steht im Schnitt 23 Stunden am Tag still.Aber erst im Zeitalter des Smartphones ist der Markt für kommerzielle Anbieter interessant geworden. Mit und sind inzwischen Mercedes und BMW auf dem Markt vertreten. Sie schaffen das, was konventionelle Carsharing-Firmen nicht können: die Fahrt von A nach B, unabhängig von festen Ausleihstationen. Wo der nächste freie Wagen steht, verrät die App; am Ziel kann das Auto auf öffentlichen Parkplätzen im gesamten Stadtgebiet geparkt werden. Wer einmal in Köln, Stuttgart oder Berlin darauf achtet, sieht die Minis und Smarts an fast jeder Ecke stehen. In Deutschland konzentriert sich das sogenannte Free-Floating Carsharing derzeit vor allem auf Städte ab 500.000 Einwohnern. Erste Versuche in kleineren Städten, etwa das Projekt der Stadtwerke Osnabrück, zeigen aber, dass sich Free-Floating auch in kleineren Kommunen durchsetzen kann.
Gerade wurde bekannt, dass BMW und Daimler ihre beiden Marken vereinen wollen. Unter dem Label Croove möchte Daimler eine Art für das eigene Auto etablieren. Eigentlich eine naheliegende Idee: Wenn ich gerade nicht mit meinem Wagen fahre, kann das Fahrzeug von der Community gebucht werden. Ob tatsächlich, wie von Daimler groß angekündigt, der Rentner seinen dicken Benz dem Studenten auf dem Weg in die Uni vermietet, steht noch in den Sternen. Andererseits: Wenn das Sharing-Prinzip schon bei Wohnungen funktioniert, warum dann nicht auch bei Autos?
Das schlaue Auto
Einen Dämpfer hat das autonome Fahren bekommen, als im Sommer in Kalifornien der erste Mensch ums Leben kam, weil der autonome Fahrassistent einen Lkw übersehen hatte. Statistisch gesehen bleibt der Das autonome Fahren ist aber nicht nur eine Highspeed-Science-Fiction-Vision, wie sie gerade auf der symbolträchtigen Autobahn zwischen den beiden bayerischen Automobilstandorten München und Ingolstadt von BMW und Audi zum Test vorbereitet wird. Vielmehr kann das Auto, das seinen Weg von selbst findet, schon heute bei ganz praktischen Dingen helfen.
Stichwort Parkraum: Der Automobil-Zulieferer Bosch beschäftigt zurzeit sage und schreibe damit, die Verknüpfung von autonomem Fahren und Parkraum zu erforschen. Autos sollen ihre Parkplätze in Zukunft selbst finden und dann selbstständig einparken. Das bedeutet: Die Parkhäuser der Zukunft können so gebaut werden, dass keine Menschen mehr darin umhergehen müssen, also viel kompakter. Riesige Flächen in der Stadt können so eingespart werden. Was dieser Anwendung schon bald zum Durchbruch verhelfen könnte: Anders als bei Stadt- oder Überlandfahrten im öffentlichen Straßennetz sind die rechtlichen Hürden für langsame Fahrten auf privatem Gelände viel niedriger und die technischen Möglichkeiten längst da.
Neue Ideen
Oft hilft es auch einfach, bestehende Verkehrswege effizienter zu nutzen. Ein spannendes Modelprojekt aus dem nördlichsten Zipfel Hessens macht das vor: In der ländlichen Region fahren Busse – wenn überhaupt – nur, weil sie kräftig durch Steuergelder subventioniert werden. Autos sollen ihre Parkplätze in Zukunft selbst finden und dann selbstständig einparken.Warum aber sollen nicht die Autos, die die Busrouten ohnehin entlangfahren, wartende Fahrgäste einfach mitnehmen? Eine Plattform namens entstand, in der sich Autofahrer und Fahrgäste registrieren können. Was an öffentlichen Geldern vorher in viel zu große Dieselbusse floss, kommt nun den mitnahmewilligen Pkw-Fahrern in der Region zu Gute: 30 Cent erhalten sie für jeden Kilometer, auf dem sie einen Fahrgast mitnehmen. Gleichzeitig lockt das Projekt mit einfachen und fairen Fahrpreisen. 1 Euro für die kurze Fahrt, 2 Euro, wenn es etwas weiter weggeht.
Unsere kleine Reise zeigt: Deutschland und Europa stecken voller Lösungen für die Mobilität von morgen. Voller kleiner und großer Puzzleteile. Die Frage ist: Wer steckt sie zusammen?
Dort, wo die Arbeit der Ingenieure bereits getan ist, sind jetzt andere am Zug: Unternehmen, Verwaltungen, Politiker – und Bürger. Und wer sich bei dieser Entwicklung aktiv mit einbringt, der kann auch die Richtung mitbestimmen, in die sich das Ganze bewegt.
Ein mögliches Bindeglied: Das deutschlandweite Bürgerticket
Genau das wollen die Grünen mit dem Vorstoß ihres erreichen. Aus Sicht der Umweltpartei muss der ÖPNV in Zukunft eine größere Rolle spielen. Das Bürgerticket soll helfen, aus dem Flickenteppich an Angeboten ein großes Ganzes zu schaffen. »Bahn frei für smarte ›Öffis‹«, lautet der Slogan. Die Idee: Mit einer einzigen Chipkarte sollen sich alle öffentlichen Verkehrsmittel, Carsharing-Autos und Bikesharing-Räder einheitlich nutzen lassen. Das Durcheinander bei den Tarifen zwischen unterschiedlichen Anbietern und Verkehrsverbünden entfällt, die Kosten werden bequem vom Konto abgebucht. »Die Vorbereitungen zum Bürgerticket sind ganz konkrete Überlegungen, die auf aktuellen Untersuchungen und Kooperationen basieren«, bekräftigt Hofreiter. Der Verband der Verkehrsverbünde (VDV) arbeite intensiv an einem Bürgerticket, die Bahn sei auch im Boot.
Das Verkehrsministerium unter der Leitung Alexander Dobrindts (CSU) äußert sich auf Anfrage schriftlich: »Das Verständnis von Mobilität wird sich gravierend verändern.« Dazu gibt es eine Pressemappe mit den passenden Schlagwörtern: und
Wollen Politik und Verkehrskonzerne die neue Mobilität überhaupt?
Was steckt hinter den Bekundungen der Koalition? Wirft man einen Blick in den gerade verabschiedeten kommt man zu dem Schluss: nicht viel. Große Summen sind für die Sanierung und den Ausbau des deutschen Autobahnnetzes und den Bau von Hochgeschwindigkeits-Strecken eingeplant. Um den Verkehrsinfarkt zu vermeiden, werden Städte – wie seit Jahrzehnten – mit Umgehungsstraßen umkurvt. Anton Hofreiter kritisiert das: »Nicht nur der Betrieb, sondern auch die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur müssen als Netzwerk gedacht werden. Es nützt nichts, in prestigeträchtige Neubauten zu investieren, wenn das Verkehrsnetz nicht insgesamt an Attraktivität gewinnt. Vorbild kann hier die Schweiz mit ihrem gut vernetzten sein.« Auch bei der Elektromobilität scheiden sich die politischen Geister. Minister Dobrindt sagte im ADAC-Interview: »Das Ziel, 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr am Markt zu haben, ist vollkommen unrealistisch.« Damit widerspricht er auch einer vor Kurzem vom Bundesrat formulierten Forderung.
Die Politik hat die Veränderungen jedenfalls auf dem Schirm und treibt sie – mal mehr, mal weniger – voran. Aber was ist mit der Autoindustrie? Hier stehen Jobs, Umsatz und Marktanteile auf dem Spiel, denn E-Autos sind – wie eingangs erwähnt – leichter zu bauen als Verbrenner, was neue Konkurrenz auf den Plan ruft. Jahrzehnte altes und teuer erkauftes Know-how verliert an Wert.
Wie reagieren Daimler, VW und Co.?
BMW hat mit dem i-Projekt einen Schritt nach vorn gewagt: Eine Gruppe Ingenieure sollte im Geheimen und mit viel Spielraum innovative Elektromobilitäts-Lösungen entwickeln. Die Ergebnisse sind auf der Website zu sehen: Der intelligent und urban. Das perfekte Carsharing-Auto. Und der i8, ein sportlicher Mit etwas Fantasie kann man in diesem Auto die ganze Hoffnung von BMW erahnen, die Elektromobilität möge den Menschen (durch die damit verbundenen hohen Ausgaben) nicht die Freude am Fahren vertreiben: Neue Mobilität, ja. Aber bitte nach unseren Regeln.
»Ich erlebe gerade einen harten Kampf in der Autoindustrie, zwischen 2 Lagern«, sagt Anton Hofreiter. »Die einen wollen versuchen, den Status quo zu sichern. Die anderen wissen, dass nur in tiefgehenden Reformen eine Zukunft liegt. Letzten Endes wird sich das zweite Lager durchsetzen, schließlich ist das die einzige Chance, innovative Technologie und damit Arbeitsplätze überhaupt in Deutschland zu halten.«
Ich tausche: Auto gegen Sinn
Sollte das Auto seinen unangefochtenen Platz 1 verlieren, könnten die resultierenden Veränderungsprozesse gewaltig sein. Arbeitsplätze in der Produktion würden wegfallen – und bestenfalls bei neuen Mobilitäts-Dienstleistern neu entstehen. Das Auto als Symbol des modernen Individualismus verlöre an Bedeutung. Und das Teilen von Autos, Bussen und Fahrrädern könnte auch andere Bereiche des gesellschaftlichen Umgangs verändern.
»Das ist gar nicht so unrealistisch«, sagt Sie erforscht am Wuppertal Institut den Zusammenhang zwischen neuer Mobilität und weiterreichenden Veränderungen in der Gesellschaft. Karoline Augenstein kommt noch einmal auf das Thema Elektroauto zu sprechen. »Elektromobilität schafft neue Sinnhorizonte«, sagt sie. »So wird die Batterie wegen ihrer geringen Reichweite aus unserem bisherigen Verkehrsverständnis heraus als Hemmnis der Elektromobilität betrachtet. Wenn wir aber anfangen, darin die Möglichkeiten zu sehen, die sich mit der Vernetzung zu anderen Verkehrsträgern und intelligenten Apps ergeben, dann ist die Batterie eine große Chance, um unsere Mobilität grundsätzlich neu, nachhaltiger, zu denken.« Die neue Erzählung von der Mobilität, meint Augenstein, habe längst nicht nur mit Technik zu tun.
Es gibt unzählige Beispiele dafür, dass ein verändertes Mobilitätsverständnis sich um viel mehr Dinge dreht als nur um die Frage, wie ich von A nach B komme. Im für eine zukunftsorientierte Überwindung der Sowjetvergangenheit, genauso wie im ein umfassendes öffentliches Fahrrad-Verleihsystem. In Wuppertal hat ein neuer dazu geführt, dass sich die Stadt plötzlich nicht mehr als grau, sondern als grün begreift. Und in Berlin schaffte der erfolgreiche Fahrrad-Volksentscheid die Grundlage dafür, dass Bürger in beispielhafter Form an der Gestaltung des neuen mitwirkten. Mobilität sorgt im besten Fall also nicht nur für Arbeitsplätze und die Fortbewegung – sondern auch für mehr Demokratie.
David Fleschen studierte European Studies in Maastricht, Salamanca, Magdeburg und St. Petersburg (Russland) und befasste sich dabei insbesondere mit Transformationsprozessen in Ost und West. Neben diversen journalistischen Tätigkeiten beschäftigt er sich im Rahmen eines Dissertationsprojekts am Wuppertal Institut mit dem urbanen Wandel in seiner Wahlheimat Wuppertal.