Warum immer mehr Menschen Tausende Euro für Klamotten ausgeben, die es gar nicht gibt
Digital Fashion boomt. Ihre Macher behaupten, damit eine nachhaltige Alternative zu Fast Fashion zu erschaffen. Doch das sehen nicht alle in der Branche so.
Ein Wisch des Fingers über das Smartphonedisplay und ich sehe mich selbst darauf, angekleidet mit einem Kleidungsstück, das extravaganter ist als alles, was ich jemals getragen habe: Ein schwarzer, komplett mit Pailletten übersäter Einteiler. Plötzlich stürzt die Technik ab und es ist nur noch meine Reflexion, die ich auf dem Bildschirm sehe.
Was sich da aufgehängt hat, ist die
Doch was ich in der App anprobiere, soll gar nicht im echten Leben tragbar sein. Denn: Es handelt sich um Digital Fashion, die nur in der virtuellen Welt existiert. Und genau darin sieht ein Teil der Modebranche ihre Zukunft. Mithilfe der Digitalisierung wollen Designer:innen unser Verständnis davon ändern, was Kleidung ist und wo wir sie tragen.
Auf virtuellen Laufstegshows führen sie digitale Modekollektionen vor, für die sie weder Leder, Baumwolle noch Seide verarbeiten müssen. Die digitale Modebranche betont diese Entbehrlichkeit physischer Stoffe immer wieder. Dahinter steckt das Versprechen von maximaler Ausdrucksfreiheit und reuelosem Trendkonsum – umweltfreundlich, ethisch und ressourcenschonend. Digital Fashion als Gegenmodell zur verschwenderischen Fast Fashion also.
Aber löst das wirklich irgendwelche Probleme oder ist es nur ein gehypter Trend unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit?
Youtuberin Safiya Nygaard hat sich 5 Tage lang ebenfalls an einem digitalen Kleiderschrank bedient. Ihre Erfahrungen teilt sie in diesem Video (englisch):
Wie funktioniert Digital Fashion?
Digital Fashion ist eine Weiterentwicklung dessen, was eine Mehrheit der Nutzer:innen von sozialen Medien zurzeit ohnehin schon tut: Filter auf Bilder anwenden, die dann öffentlich geteilt werden.
Auch digitale Kleidungsstücke sind technisch gesehen kaum mehr als personalisierte Fotofilter. Wer etwa ein digitales Kleid kauft, kann ein Abbild dessen auf ein eigenes Foto legen lassen, sodass man sich selbst darauf in genau diesem Kleid sieht. Der digitale Look lässt sich anschließend hochladen und online präsentieren. Dabei lässt sich Digital Fashion grob in 2 Kategorien einteilen:
- Digitale Kleidung: Diese Objekte sind kaum von echten Designerkleidungsstücken zu unterscheiden. Oft erkennt man erst auf dem zweiten Blick, dass es sich um ein Kleidungsstück aus Pixeln handelt.
- Digital Couture: Deutlich künstliche Objekte, die in keiner Weise alltagstauglich aussehen und in echt gar nicht realisierbar wären: mit holografischen Elementen, Texturen wie Flüssigkeiten oder schwebenden Leuchtkugeln.
Was extrem nischig klingt, hat mittlerweile einen eigenen Markt. Bei DressX – einem der Onlinemarktplätze dafür – stehen mehr als 2.200 Teile zur Auswahl. Die Preise für die extravaganten Designs starten bei 25 US-Dollar für Accessoires und gehen bis knapp an die 1.000-Dollar-Marke für Luxusdesignerteile.
Und wie bei echter Luxusmode muss jedes einzelne Teil auch designt werden – nur eben nicht am Nähtisch, sondern ausschließlich am Computer.
Ein Label, das sich auf den Trend konzentriert, ist
Zwar sei es auch bei Digital Fashion notwendig, Prinzipien der traditionellen Schnittkunst zu beachten und ein Verständnis davon zu haben, wie Stoffe in der Realität fallen. »Doch ich kann nun auch Materialien verwenden, die ich in der normalen Welt nicht benutzen könnte: Feuer, Wasser, alles, was glänzt und scheint, wirkt in der digitalen Welt besonders ansprechend.«
Digital Fashion von The Fabricant:
Die Digital Fashion von The Fabricant kann ich auf Websites wie DressX kaufen, doch selbst verwenden könnte ich sie nicht: Ich müsste dafür ein gut belichtetes Foto von mir in eng anliegender Kleidung und passender Pose auf der Website hochladen. Das »Anziehen« des gewählten Designs übernehmen dann 3D-Designer:innen. Dafür nutzen sie Modellierungssoftware und Spezialeffekte, mit denen sie den Modefilter anpassen und auf das hochgeladene Foto legen. Ein paar Stunden bis Tage später würde ich das Foto zurückerhalten – mit mir in einem fotorealistischen, extravaganten 3D-Gewand statt in schnöden Leggings und Tops.
Anna Liedtke arbeitet mit The Fabricant auch an Augmented-Reality-Filtern, die in Echtzeit funktionieren: Mit der Kamera eines Smartphones oder einer AR-Brille kann man über einen Körper fahren und ein digitales Kleidungsstück darauf projizieren.
Digital Fashion funktioniert also schon ziemlich anders als herkömmliche Mode. Das betrifft auch die Art, wie sie gesammelt und aufbewahrt wird.
Wie die Blockchain und das »Metaverse« ins Spiel kommen – und was Digital Fashion mit Games zu tun hat
Wie aber vertreibt und besitzt man ein Kleidungsstück, das es nur auf Fotos gibt? Die Antwort haben sich Digital-Fashion-Macher:innen vom sich immer mehr digitalisierenden Kunstmarkt abgeschaut:
Dazu lancierte The Fabricant vor Kurzem »The Studio«, eine Plattform, die es den Kund:innen laut Anna Liedtke erlaubt, »selbst zu Designer:innen digitaler Mode zu werden.« Sie können die zur Verfügung gestellten Designs ihren Vorstellungen entsprechend anpassen und anschließend als ihr persönliches Unikat zertifizieren lassen. Das geschieht durch das sogenannte »NFT-Minting«, das Umwandeln einer digitalen Datei in ein NFT. Dabei wird ein nicht austauschbares Token auf einer Blockchain gespeichert, was als Echtheitszertifikat fungiert. So könnte jedes Designerstück als digitales Gut einzigartig authentifiziert und dadurch handelbar werden – versprechen die Designer:innen. Dafür wird allerdings Kryptowährung benötigt.
An NFTs und Kryptowährungen scheiden sich die Geister. Es gibt viel Kritik an der Technik dahinter. Manche sehen darin gar eine Betrugsmasche. Dirk Walbrühl klärt auf.
Käufer:innen können NFT-Mode nicht nur als Filter auf Fotos »tragen«, sondern auch in sogenannten
Ganz neu ist die Idee nicht. Spieler:innen von beliebten Spielen wie
Da ist die Übertragung von beliebten Games auf das Metaverse nicht weit. Denn der Profit lockt: Auf einer Auktion verkaufte The Fabricant das weltweit erste »digital couture«-Kleid: Iridescence, ein Gewand aus silbrig-schillerndem Pixel-Stoff, für 8.700 Euro. Sneaker der virtuellen Schuhmarke RTFKT Studios waren letztes Jahr nach gerade einmal 7 Minuten ausverkauft. Preis pro Paar: zwischen 3.000 und 10.000 US-Dollar.
Das Problem dabei: Digital Fashion ist damit auch an den Erfolg dieser Metaversen geknüpft, denn nur dort kann man die Mode wirklich »tragen« und nicht nur auf Bilder schneidern lassen. Es steht jedoch in den Sternen, ob sich Metaversen durchsetzen werden. Allein Meta (früher Facebook) musste Anfang 2022 im Zusammenhang mit dem hauseigenen Metaverse
Pixel statt Polyester – was ist dran an den Umweltversprechen von Digital Fashion?
Mit der zunehmenden Verlagerung des alltäglichen Lebens ins Internet wachse laut Designerin Anna Liedtke der Wunsch nach digitaler Kleidung. Und das hat auch etwas mit der Pandemie zu tun: »Wir sind immer mehr zu Hause, nehmen online an Veranstaltungen teil und vielleicht möchten manche dafür etwas Schickeres als den bequemen Pullover anziehen. Dann kann ich mir einen Filter anziehen und somit ein digitales Kleidungsstück tragen. Das heißt auch: Ich müsste dafür kein physisches Teil mehr kaufen.«
Würden mehr Menschen Pixel statt Polyester tragen, könnte Mode dann umweltfreundlicher, fairer und inklusiver werden?
Für Anna Liedtke wie für viele andere digitale Modemacher:innen liegt genau darin das Potenzial von Digital Fashion, eine radikale Kursänderung in der Modeindustrie herbeizuführen. Sie argumentieren: Würden mehr Menschen Pixel statt Polyester tragen, könnte Mode umweltfreundlicher, fairer und
Ultra Fast Fashion bedient dabei einen Markt, zu dem Digital Fashion die reuelose Alternative sein möchte: Junge Menschen, die sich gern auf sozialen Medien präsentieren und dabei
Diese Mentalität führt zu etwas anderem, womit Digital Fashion kein Problem hat: Kleidungsmüll. Die Deutschen schmeißen besonders gerne Kleidung fort.
Auch wenn die Vorstellung digitaler Mode absurd erscheint: Wenn sie die Modebranche tatsächlich nachhaltiger und ethischer machen kann, sollte man 3D-Filter für Fotos und Garderoben für Avatare nicht sofort abtun. Dennoch muss man die Verheißungen digitaler Mode kritisch betrachten, wenn etwa The Fabricant in einem Werbeslogan beschwört, nichts zu verschwenden »außer Daten und Vorstellungskraft.«
Zu oft haben sich in der Vergangenheit hinter Nachhaltigkeitsoffensiven der Industrie
Zwar muss bei Digital Fashion tatsächlich keine Baumwolle unter massivem Verbrauch von Pestiziden und Wasser angebaut, unter Einsatz von
Aber lässt sich das wirklich vergleichen?
Für Vreni Jäckle, Mitgründerin der Fashion Changers, einer Plattform
Viele sind mit ihrem Verständnis von digitaler Mode erst so weit, dass sie sagen, es ist nachhaltig, weil kein physisches Produkt entsteht. Über die Ressourcen, die in digitale Mode reingehen, reden wir noch gar nicht.
Fashion-Tech-Start-ups würden Digitalisierung mit Nachhaltigkeit gleichsetzen, ohne zu wissen, welche Rechenleistungen für ihre digitalen Lösungen überhaupt nötig sind, wie viel Energie sie verbrauchen.
Auch von Digital Fashion geht eine Umweltbelastung aus. Besonders dann, wenn die digitalen Filter mit einem NFT verbunden sind. Gegenüber der australischen Vogue erklärte Datenwissenschaftler Alex de Vries, dass NFTs einen erschreckend großen
De Vries bewertet das Versprechen von NFT-Mode, umweltfreundlich zu sein, daher kritisch: »Wenn man etwas in ein solches System einspeist, hat es einen ziemlich großen CO2-Fußabdruck, selbst wenn es nur ein digitales Bild ist.« Für ein einfaches weißes NFT-Kleid berechnet de Vries einen
Auch wenn Digital Fashion nicht aus Stoff besteht, hat sie doch eine Wertschöpfungskette, über die in der Modebranche aber kaum gesprochen wird. Das sieht auch Vreni Jäckle von den Fashion Changers so.
Was ist der Reiz an Digital Fashion, wenn es nicht um Nachhaltigkeit geht?
Für Designerin Anna Liedtke bedeutet Digital Fashion etwas grundlegend Neues: »Mit digitaler Mode entsteht ein völlig neuer Business-Typ, neue Wege, seine Kollektion zu vertreiben. Man ist nicht mehr darauf beschränkt, nur physische Teile zu verkaufen, sondern kann auch Kunstwerke kreieren. In unserem Fall eben Mode.«
Mode als Kunst – damit können sich Luxuslabels sehr gut identifizieren. Besonders sie haben sich innerhalb der letzten Jahre erstaunlich schnell der digitalen Mode zugewandt, denn ihre Branche ist angeschlagen. Durch die Pandemie haben sie schätzungsweise
Der teilweise Umstieg von kostbaren Stoffen auf Pixel ist da naheliegend. Und gerade in der Verbindung mit NFTs, Kryptowährungen und Metaversen knüpfen Modelabels damit an viele Trendbegriffe der vergangenen Jahre an – deren Befürworter darin die Zukunft sehen. So etwa der Käufer des knapp 9.000 Euro teuren »Iridescence«-NFT-Kleides.
Bei digitaler Mode geht es also um einen Hype: Sie ist neu, trendy, aufregend, ruft zwiespältige Emotionen hervor, von Begeisterung bis hin zu Ablehnung. Wer digitale Mode kauft, kann sich zu einem ausgewählten Kreis an Insidern zählen, die von sich sagen, über ein Gespür für die potenziellen Trends von übermorgen zu verfügen, wo Menschen so viel Zeit in digitalen Umgebungen – ob soziale Medien oder Metaversen – verbringen, dass digitale Mode überhaupt relevant ist.
Digitale Mode befriedigt den puren Hunger nach Zusätzlichem.
Und genau hier gibt es eine Trennlinie. Denn die meisten Menschen bestreiten einen Alltag, in dem Mode als Status und Ausdrucksmittel zwar auch eine Rolle spielt, Kleidung aber vor allem ein Grundbedürfnis ist, das digitale Mode nicht erfüllen kann: Wer einen digitalen Pullover kauft, braucht trotzdem noch einen physischen Pullover, der den Körper offline warmhält.
Somit befriedigt Digital Fashion zurzeit noch den puren Hunger nach etwas Zusätzlichem. Das unterscheidet sie gar nicht so sehr von der Ultra Fast Fashion: Auch sie fördert Konsum, der nicht unbedingt notwendig ist, regt dazu an, das Nacheifern von Trends mit Individualität und Selbstausdruck gleichzusetzen.
So heißt es etwa auf der DressX-Plattform:
Diese 2 Ansätze von Digital Fashion haben das meiste Potenzial
Doch auch Kritiker:innen an Digital Fashion wie Jäckle der Fashion-Changers-Plattform geben zu, dass einige vielversprechende Ansätze darin stecken.
- Digitale Muster: Das Design von Kleidung am Computer macht physische Prototypen überflüssig. So kann Textilabfall zumindest im Designprozess vermieden werden.
- Virtuelles Anprobieren: Wer ein Kleidungsstück an einem Avatar anprobiert, muss dies nicht mehr im Laden tun, auf dem Weg dahin kein CO2 verbrauchen und kann Zeit sparen. Im besten Fall wäre das sogar eine Möglichkeit, Überproduktion zu verhindern, wenn die Produktion erst startet, nachdem das digital anprobierte Stück gekauft wurde.
Die Digitalisierung in der Modebranche kann also einen Unterschied ergeben. Doch ob Digital Fashion jemals mehr als ein exklusiver Hype wird, bleibt fraglich. Sogar Benoit Pagotto, Mitgründer der digitalen Sneaker-Marke RTFKT,
Redaktionelle Bearbeitung: Dirk Walbrühl und Benjamin Fuchs