Gute Bücher: Das sind die 8 liebsten Neuerscheinungen der Redaktion
Keine Leipziger Buchmesse dieses Jahr? Kein Problem. Das sind unsere Frühlingslesetipps, die wir dir ans Herz legen wollen.
Über 2 Millionen Bücher werden weltweit jedes Jahr veröffentlicht. Allein in Deutschland publizierten die Verlage im Jahr 2020 um die
Normalerweise sind Buchmessen hier eine wertvolle Orientierungshilfe, deine neuen Lieblingsautor:innen kennenzulernen. Doch die traditionelle Leipziger Buchmesse, die nach der Frankfurter Buchmesse die zweitgrößte Deutschlands ist und am vergangenen Wochenende stattfinden sollte,
Wir wollen aushelfen und dir unsere ganz persönlichen Empfehlungen mit auf den Weg geben. Die folgenden Neuerscheinungen haben unsere Redakteur:innen nicht nur unterhalten und angeregt, sondern waren auch voller kluger Gedanken, berührender Geschichten und wegweisender Ideen. Sie haben das Potenzial, nicht schnell in Vergessenheit zu geraten, sondern auch Jahre später noch brandaktuell zu sein.
Lass dich inspirieren.

»Nerds. Eine Popkulturgeschichte«
von Dirk WalbrühlWas haben Steve Jobs (Apple), Bill Gates (Microsoft) und Elon Musk (Tesla) gemeinsam? Vor ihrem Durchbruch waren sie soziale Außenseiter, die ihre Zeit in Kellern und Computerräumen verbrachten und nur dann richtig aufblühten, wenn sie ein elektronisches Gerät in den Fingern hielten. Sie waren »Nerds«. Als Jobs, Gates und Musk noch zur Schule gingen, waren sie Zielscheiben für Unverständnis und Spott. Heute haben sie mit ihren Produkten und Unternehmen die Welt erobert. Aus verlachten Außenseitern wurden die erfolgreichsten Milliardäre des 21. Jahrhunderts.
Auch das »Nerdsein« hat in den letzten 30 Jahren eine atemberaubende Entwicklung durchgemacht. »Nerdysein« ist das neue »Coolsein«, bestätigt die deutsche Kulturhistorikerin und Medienwissenschaftlerin Annekathrin Kohout in ihrem neuesten Buch. Sie beleuchtet dieses Phänomen mithilfe von Figuren aus Filmen und Serien, die unsere Vorstellung vom Nerd prägten und veränderten.
Kohout erklärt, wie der Wandel der Sozialfigur Nerd identitätsstiftend für eine ganze Generation von Außenseitern war, die heute unsere Technik und Kultur maßgeblich beeinflussen. Herausgekommen ist eine Popkulturgeschichte, die das Fundament unserer heutigen Informationsgesellschaft betrachtet und unser Verhältnis zur Technologie hinterfragt.
Besonders interessant sind die Kapitel, in denen Kohouts Analyse zu einer Kritik an der neuen Modefigur Nerd wird: Sie entlarvt etwa, dass sich hinter mancher Erfolgsbiografie aus dem Silicon Valley knallharte neoliberale Ellbogenmentalität versteckt und dass Computerüberflieger trotz allem Spott von Anfang an privilegiert waren – weil Nerds meist eben männlich, weiß und heterosexuell sind.

»Wir müssen über Geld sprechen«
von Désiree SchneiderAls ich den Buchtitel las, erwartete ich einen Ratgeber, der mir zeigt, wie ich als Frau besser mit meinem Geld umgehen kann. Bekommen habe ich etwas viel Wertvolleres: Die Memoiren von Otegha Uwagba. Die Autorin beschreibt darin sehr persönlich, wie abhängig Wohlstand und Karriere von der Herkunft, dem Geschlecht und der kulturellen Identität einer Person sind – und warum wir endlich anfangen müssen, offen darüber zu sprechen.
Wenn Menschen ihre enormen Privilegien verheimlichen – sei es die Erbschaft, die einen Hauskauf ermöglicht, oder der berufliche Aufstieg, der durch finanzielle Unterstützung ermöglicht wird –, führt das dazu, dass die weniger Bevorteilten und Glücklichen sich selbst zerfleischen und ungenügend fühlen, wenn sie nicht dieselben Meilensteine erreichen. Denn sie wissen nicht, dass es einen geheimen Schummelcode gibt, zu dem sie keinen Zugang haben.
Die Autorin ist im Alter von 5 Jahren mit ihren Eltern und ihren 2 älteren Geschwistern von Nigeria nach London ausgewandert, wo sie in einer Sozialwohnung lebten. Ihre Eltern versuchten die Geldsorgen von den Kindern fernzuhalten, doch unbemerkt blieben sie nie. In ihrem Buch erzählt Uwagba selbstreflektiert, wie sie mit einem Stipendium eine Privatschule besuchen und später in Oxford studieren konnte. Sie schreibt über ihren Berufseinstieg in die Arbeitswelt, der ganz anders als erwartet war, über den Wohlstand, mit dem sie konfrontiert wurde, und ihren Hauskauf in London. Uwagba analysiert ihre Lebenserfahrungen und setzt sie in größere Kontexte, etwa den feministischen Diskurs.
Die scharf formulierten Gedanken der jungen Schwarzen Journalistin sorgten bei mir für viele Aha-Momente. Am Ende hat mich das Buch Dinge gelehrt, die mir ein Ratgeber nicht hätte beibringen können: Es zeigt, wie unser kapitalistisches System Frauen systematisch finanziell benachteiligt – vor allem Schwarze Frauen. Außerdem hat es mir geholfen zu verstehen, wie meine eigene Beziehung zu Geld aussieht und warum ich mich in der Vergangenheit so häufig geschämt habe, offen über Geld zu sprechen.

»Die Erschöpfung der Frauen«
von Katharina WiegmannIch hatte Glück. Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem niemand von mir erwartete, typisch weiblichen Rollenmustern zu entsprechen – und sie mir auch kaum vorgelebt wurden. Ich hatte keine Geschwister, um die ich mich kümmern sollte, nicht einmal Puppen. Meine Mutter war berufstätig und hatte nicht den Anspruch, jegliche Haushaltsarbeit selbst erledigen zu wollen oder zu müssen.
Doch je weiter ich mich aus der Kindheit heraus- und in die Gesellschaft hineinbewegte, desto mehr merkte ich, wie außergewöhnlich dieses Aufwachsen ohne normierte Geschlechterrollen eigentlich war. Ich merkte, wie anstrengend es ist, eine Frau zu sein. Wie beschwerlich es sein kann, durch die Erwartungen, Bewertungen und – bisweilen übergriffigen und gewaltvollen – Ansprüche zu navigieren, die fremde Menschen an einen stellen.
Die Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach schreibt in ihrem aktuellen Buch:
Das Mädchen- und Frauenbild von heute ist stark, sexy, selbstbewusst, schlau, schlank, sexuell aktiv und aufgeklärt, gut gebildet, berufsorientiert, cool, selbstständig, aber auch lieb und sozial. Eine junge Frau kann alles, soll aber auch alles.
Vieles, was daraus resultiert, ist inzwischen erforscht und vermessen: etwa die Mehrarbeit, die Frauen im Haushalt oder bei der Sorge um Kinder und Alte tragen. Andere Anstrengungen wie die Übernahme von »Mental Load« in Beziehungen und am Arbeitsplatz oder auch die subtilen Maßnahmen zur Vermeidung von Belästigung und Gewalt sind schwerer greifbar.
All das seziert Schutzbach. Ihr Buch ist ein Rundumschlag, der die vielen Puzzleteilchen zusammenzufügt, um am Ende ein möglichst vollständiges Bild davon zu zeigen, was eigentlich schiefläuft – für uns alle. Denn die Erschöpfung der Frauen, so Schutzbach, ist »der Kern eines destruktiven ökonomischen Systems, das Sorge und Beziehung zur ausbeutbaren Ressource degradiert hat. Und das dabei auf paradoxe Art und Weise seine eigenen Grundlagen zerstört.«

»Stolen Focus«
von Felix AustenEs war kaum mehr als ein Zufall, der mich Ende des letzten Jahres dazu gebracht hat,
Zunächst ging es dem Autor ähnlich wie mir, auch er setzte bei Smartphone- und Internetsucht an. Doch seine Reise führt ihn schnell weiter und tiefer, zum eigentlichen Problem, das nicht nur ihn und mich, sondern einen Großteil der Menschheit befallen hat: Wir stecken in einer Aufmerksamkeitskrise.
Für die Recherche seines Buches hat Hari zahllose Spitzenforscher:innen auf der ganzen Erde besucht. Was er zusammenträgt, sind nicht nur Belege dafür, wie digitale Technologien unser Gehirn unter Beschuss nehmen, bis es unter der Flut an Reizen und Informationen in die Knie geht. Er lässt den Blick weiter schweifen und zeigt, wie auch kollektiver Schlafmangel, schlechte Luft, miese Ernährung und die Art und Weise, wie wir unsere Kinder erziehen, dazu führen, dass wir uns immer schlechter und kürzer auf eine Sache konzentrieren können. Und was das Schwinden dieser Fähigkeit, die den Menschen gerade auszeichnet, für sein Wohlbefinden und seine Zukunft bedeutet.
Hari deutet auch erste Lösungsansätze für die neue Volkskrankheit Aufmerksamkeitsdefizit an: Der Verzicht auf digitale Dauerbeschallung spielt dabei keine unwesentliche Rolle. Doch gerade weil es ein gesellschaftliches Problem ist, müssen wir die Lösungen hierfür auch gemeinsam suchen. Dieses Buch könnte ein erster Aufschlag sein.

»Autokorrektur. Mobilität für eine lebenswerte Welt«
von Maria StichWillst du Auto fahren oder kannst du gar nicht anders? Bei vielen lautet die Antwort, sie »müssen« Auto fahren, weil an ihrem Wohnort der Nahverkehr zu schlecht ausgebaut ist oder die öffentlichen Verkehrsmittel schlichtweg zu teuer sind. Ihre Beschwerden geben einen ersten Hinweis darauf, woran das Verkehrssystem in Deutschland krankt.
In ihrem neuen Buch argumentiert Autorin Katja Diehl, die früher selbst in der Mobilitäts- und Logistikbranche arbeitete, dass sich eine Verkehrswende nicht nur darin
Unser gesamtes Verkehrssystem wurde in der Vergangenheit, analog dem patriarchalen System, in dem wir leben, von einer Gruppe von Personen gestaltet: männlich, weiß, cis, heterosexuell und wohlhabend. Das so entstandene Muster besteht bis heute fort. Weil es auch in unserer Gesellschaft fortbesteht.
In einer optimalen Welt dürften für die Autorin nach wie vor alle Menschen Auto fahren – aber niemand wäre auf ein Auto angewiesen. Diehl legt dar, dass die bestehende Verkehrsinfrastruktur nur auf eine bestimmte Gruppe ausgerichtet ist, deren Bedürfnisse sie bedient. Marginalisierte Gesellschaftsgruppen, die in Summe aber den größeren Teil unserer Gesellschaft ausmachen, werden hingegen zu wenig berücksichtigt: Die Bedürfnisse von Kindern, Alten und Menschen mit Einschränkungen, von Frauen und anderen von Sexismus oder Rassismus Betroffenen, von kranken oder armen Menschen werden nicht mitgedacht. Warum geht es bei einer Verkehrswende nicht mehr um sie?
Neben einem historischen Abriss darüber, wie Deutschland zu dem autofokussierten Land wurde, das es heute ist, und Auszügen aus Interviews mit Menschen, die das Auto unfreiwillig nutzen, stellt Diehl auch Städte vor, in denen es bereits besser läuft. Dazu gibt sie konstruktive Tipps, wo jede:r Einzelne selbst ansetzen kann, um eine gerechte Verkehrswende auf die Straße zu bringen.

»FRAUENLITERATUR. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt«
von Thekla Noschka Das abwertende Etikett »Frauenliteratur« wird in der Literaturbranche schnell und gerne vergeben: Dafür reicht es schon, wenn das Buch einer Autorin vermeintliche »Frauenthemen« behandelt oder ihm eine weibliche Zielgruppe attestiert wird. Während Bücher von Männern als allgemein relevant und lesenswert betrachtet werden, bleiben die Werke von Autorinnen immer noch häufig unbeachtet oder werden in die Schublade des Sentimentalen abgeschoben.
Gerade deshalb findet Nicole Seifert, dass der Begriff »Frauenliteratur« eigentlich gestrichen gehört. Die promovierte Literaturwissenschaftlerin und Literaturbloggerin rechnet in ihrem Buch »FRAUENLITERATUR. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt« mit dem problematischen Begriff ab.
Als Seifert ihr eigenes Bücherregal auf Geschlechtergerechtigkeit hin untersucht, stellt sie ernüchtert fest: Die Anzahl der Autorinnen, die sie in Schule und Studium gelesen hat, ist erschreckend gering. Während männliche Autoren wie Goethe, Fontane oder Kafka ihren festen Platz haben, sind Schriftstellerinnen im literarischen Kanon enorm unterrepräsentiert.
Seifert sieht darin ein strukturelles Problem. Noch immer würde die männlich dominierte Literaturkritik schreibende Frauen konsequent aus dem Literaturbetrieb ausschließen. Eindrücklich analysiert sie historische und aktuelle Rezensionen und zeigt auf, wie Autorinnen in Besprechungen oftmals auf ihr Aussehen, ihre Mutterschaft oder ihre Weiblichkeit reduziert werden – und wie ihre Texte in der Folge in Vergessenheit geraten.
Klug und inspirierend hinterfragt Seifert die Mechanismen des Literaturbetriebs und erklärt, warum eine gendergerechte Aktualisierung des literarischen Kanons längst überfällig ist. Darüber hinaus stellt sie nebenbei zahlreiche vergessene Autorinnen vor. Denn die gute Nachricht: »Weil Bücher von Autorinnen aus der Literaturgeschichte ausgeschlossen wurden, gibt es in der Vergangenheit unglaublich viel zu entdecken.«

»Mein schmerzhaft schönes Trotzdem. Leben mit der Depression«
von Stefan Boes
Es gibt keine einfache Erklärung für eine Depression, weil sie eine Krankheit ist, die oft ohne erkennbaren Grund kommt. Barbara Vorsamer versteht ihre Gedanken heute besser und hat gelernt, die eigenen Gefühle ernst zu nehmen. Mit ihrem Buch hilft sie auch Betroffenen, Angehörigen und allen anderen dazuzulernen. Zum Beispiel, dass es nicht darum geht, die Krankheit zu überwinden, sondern vielmehr, wie es geht, mit ihr zu leben. Was hilft mir jetzt? Wie kann ich damit umgehen? Das seien Fragen, um die es geht. Barbara Vorsamer gibt darauf kluge, lebensnahe, manchmal auch überraschende Antworten, die beim Verstehen einer unverständlichen Krankheit helfen.

»KI 2041. Zehn Zukunftsvisionen«
von Dirk WalbrühlWie sieht unsere Zukunft mit künstlicher Intelligenz aus? Wer diese Frage stellt, findet in Buchhandlungen meist 2 Arten von Antworten: Trockene wissenschaftliche Analysen stehen einer Vielzahl spannender Schreckensszenarien gegenüber.
Genau hier setzt der chinesische Autor Chen Qiufan an. Herausgekommen ist ein hochspannendes Werk an der Schnittstelle wissenschaftlicher Erkenntnis und literarischer Vorstellungskraft: eine Beschreibung unserer Zukunft mit denkenden Computern.
»KI 2041« entwirft 10 Szenarien, die in China, Island, Katar oder Australien spielen. Jedes Szenario veranschaulicht
Dem Buch gelingt damit ein Spagat zwischen Sachbuch und Erzählband, der dem zukunftsweisenden Thema gerecht wird und neue Perspektiven aufmacht. Ein zentrales Anliegen des Buches ist dabei auch die Kritik an KI-Untergangspropheten, die bei künstlicher Intelligenz vor allem an Katastrophen, Risiken und das Ende der Menschheit denken.
Kein Wunder, dass alle 10 Szenarien ein Puzzlestück zu der Antwort liefern, warum die künstliche Intelligenz nicht die Menschlichkeit ersetzen kann. So hat »KI 2041« eine hoffnungsvolle Note, ohne gleich zu einer Utopie zu werden. Vielmehr zeichnen Chen Qiufan und Kai-Fu Lee eine realistische Zukunft für unseren Alltag in 20 Jahren.
Mit Illustrationen von Aelfleda Clackson für Perspective Daily