Was der Ukrainekrieg für die deutsche Energieversorgung und den Klimaschutz bedeutet

Deutschland und die EU wollen möglichst schnell auf Erdgas, Öl und Kohle aus Russland verzichten. Geht das so flott? Woher soll unsere Energie stattdessen kommen? Und was denkt Wladimir Putin darüber? Antworten auf die wichtigsten Fragen

4. April 2022  –  15 Minuten

Warum hat Wladimir Putin die Ukraine angegriffen?

Es gibt unterschiedliche Antworten auf diese Frage: Viele glauben, die NATO sei Russland in den vergangenen Jahrzehnten zu dicht auf die Pelle gerückt und viele Russ:innen wie auch Wladimir Putin fühlten sich bedroht. Andere vermuten, Putin sehe sich als Nächster in einer historischen Reihe mächtiger russischer und wolle nun ein Reich formen, das dem Status gerecht wird, den er sich selbst beimisst. Vieles deutet auch darauf hin, dass Putin befürchtet, die Demokratisierung der Ukraine könne ihm auf lange Sicht gefährlich werden. Wahrscheinlich steckt in allen diesen Erklärungsversuchen ein Teil der Wahrheit.

Woran es jedoch wenig Zweifel gibt, ist, dass die Energie in Putins Überlegungen stets eine große Rolle spielt. Russlands Wirtschaft steht und fällt mit dem Export fossiler Brennstoffe, egal ob es Kohle, Gas oder Öl ist. 2/3 der russischen Exporte entfallen immerhin auf fossile Brennstoffe. Wladimir Putin, der wohl auch persönlich gut an den Exporten , wird nachgesagt, , was die Energiemärkte, aber auch technische Details in der Förderung und Verarbeitung fossiler Brennstoffe angeht.

Nun ist Deutschland – nach China – Russlands wichtigster Kunde für fossile Brennstoffe; gleichzeitig ist Russland für Deutschland der größte Lieferant. Dass der Krieg also auch für uns große Folgen hat, ist klar. Doch welche genau sind das? Und wie schnell können wir uns aus der Energieabhängigkeit Russlands befreien? All das ist nicht ganz einfach zu durchschauen, aber auch nicht unmöglich. Deshalb will ich dir heute Antworten auf die wichtigsten Fragen geben und erklären, wie der Ukrainekrieg die Energiepolitik Russlands, Europas und Deutschlands verändert. Und wie wir in Zukunft unsere Wohnungen heizen und unsere Laptops laden werden.

Welche Rolle hat die Energiepolitik bei Putins Angriff auf die Ukraine gespielt?

Auffällig ist das Timing: Wie schon bei der Annexion der Krim im Jahr 2014 hat Putin für seinen Angriff einen Zeitpunkt gewählt, zu dem die Energiemärkte relativ angespannt und die Preise hoch waren. Er dürfte darauf spekuliert haben, dass das den Westen und vor allem Europa aufhält, streng auf seinen Angriff zu reagieren. Zu wichtig seien die Energielieferungen für den Westen, um sie aufs Spiel zu setzen. Die für Russland so wichtigen Erlöse aus dem Verkauf von Gas und Öl würden weiter fließen.

In den ersten Tagen des Krieges ging diese Rechnung gleich doppelt auf: Weil der Krieg die Preise an den internationalen Märkten in die Höhe trieb, stiegen die Summen, die Europa Tag für Tag nach Russland überweist, zunächst drastisch an. Anfang März zahlte die EU zwischenzeitlich weit über eine halbe Milliarde Euro an Russland – pro Tag! Geld, womit Putin nicht nur sein Luxusleben finanziert, sondern auch das russische Militär.

Doch während Putins »gutes Timing« in den vergangenen Wochen in westlichen Medien oft genannt wurde, blieb ein weiteres Angriffsmotiv weitestgehend unerwähnt: Die Ukraine hat sich in den letzten Jahren selbst auf den Weg in Richtung Energiemacht begeben. Schon vor der Annexion der Krim im Jahr 2014 hatte die Ukraine die Förderung von Erdgas im eigenen Land deutlich erhöht und so die Importe aus Russland gesenkt. Bis zum Jahr 2020, , hätte das Land gänzlich ohne russische Erdgasimporte auskommen sollen.

Möglich war dieses Vorhaben, . Auf dem europäischen Kontinent liegen lediglich in Norwegen noch größere Gasfelder. So hätte die Ukraine zukünftig nicht nur das eigene Land versorgen, sondern auch Erdgas nach Europa und in die Welt verkaufen können. Die Pipelines in die EU liegen bereit, das Schwarze Meer hätte den Zugang zum Welthandel über den Seeweg geboten. Mit den Einnahmen hätte das Land gute Aussichten gehabt, wirtschaftlich und politisch weiter zu florieren.

Mit der Annexion der Krim und dem Angriff in diesem Jahr hat Putin diese Träume jäh beendet. Sieht man sich an, wo ein Großteil der fossilen Vorkommen liegt, erscheint Putins Vorgehen in einem neuen Licht: Über 70% der ukrainischen liegen . Am Ende dieses Krieges könnte Russland Teile dieser Regionen sowie den gesamten Zugang zum strategisch wichtigen Schwarzen Meer unter seine Kontrolle gebracht haben. Damit hätte Putin nicht nur viele Ressourcen an sich gerissen, sondern zugleich einen Konkurrenten geschwächt und einen Kunden erhalten.

Wie eng sind Deutschland und Russland bei der Energie verbandelt?

Ziemlich eng:

Russland ist bisher Deutschlands größter Rohöllieferant

Deutsche Rohölimporte nach Herkunftsland in Tausend Tonnen (Stand 2020)

Quelle: Eurostat

Was machen wir damit? Das Öl fließt überwiegend in den Verkehr: Wenn du Auto fährst, kannst du stark davon ausgehen, immer mal wieder russisches Öl zu tanken. Die Kohle landet natürlich in Kraftwerken, aus deiner Steckdose fließt also auch russische Energie. Und das Gas wird in erster Linie zum Heizen in Privathaushalten und in der Industrie genutzt. Anders gesagt: Das Leben in Deutschland ist im Moment völlig durchdrungen von Energie und Rohmaterialien aus Russland.

Betrachten wir diese Verstrickung als Abhängigkeit, ist Russland umgekehrt aber auch von Deutschland als Kunde abhängig. Darin liegt auch ein Grund, wieso wir überhaupt so viele Rohstoffe aus Russland beziehen. In den vergangenen Jahren hat es die deutsche Politik unter Angela Merkel gerade darauf abgesehen, Russland und Deutschland wirtschaftlich so eng miteinander zu verbandeln, dass Russland – so die Hoffnung – durch Aggressionen mehr zu verlieren als zu gewinnen gehabt hätte. Diese Rechnung ist leider nicht aufgegangen.

Deutschland importiert auch viel Öl und Kohle aus Russland. Warum wird dann fast nur über Gas gesprochen?

Öl und Kohle werden seit Jahrzehnten weltweit in gigantischen Mengen gehandelt, die Märkte und Preise sind durch und durch globalisiert. Öl und Kohle können relativ einfach per Schiff um die ganze Welt transportiert werden. Das macht es Ländern leicht, die Rohstoffe schnell aus anderen Teilen der Erde einzukaufen. Bei Kohle sind das etwa Australien und Kolumbien, beim Öl europäische Nachbarstaaten wie Großbritannien und Norwegen oder Länder aus dem Nahen Osten.

Gas ist hingegen eine etwas kompliziertere Angelegenheit: Über Land wird es bekanntlich vor allem in Pipelines transportiert. Diese können aber nicht über Nacht verlegt werden; der Bau neuer Pipelines dauert oft Jahrzehnte und kostet viele Milliarden Euro.

Auch beim Erdgas ist Russland unser größter Lieferant

Deutsche Erdgasimporte nach Herkunftsland in Millionen Kubikmeter (Stand 2020)

Quelle: Eurostat

Inzwischen gibt es neben dem »klassischen« Erdgas, das durch Pipelines fließt, auch eine flüssige Variante, das sogenannte LNG. Die Abkürzung steht für »Liquified Natural Gas«. Es handelt sich also um verflüssigtes Erdgas. Für den Transport von LNG werden keine Pipelines benötigt, es kann wie Öl oder Kohle auf Schiffen verladen werden und lässt sich so ebenfalls weltweit handeln.

Doch um das Flüssiggas verschiffen zu können, muss es stark gekühlt und in den Zielländern wieder in Gas umgewandelt werden. Dafür sind spezielle Häfen und Chemieanlagen nötig, die sogenannten LNG-Terminals. Ähnlich wie Pipelines sind diese Anlagen milliardenschwere Bauprojekte, die einen gewissen Vorlauf brauchen. In Deutschland gibt es sie bisher nicht.

Zusammenfassend können wir festhalten: Kohle und Öl kann Deutschland gut andernorts einkaufen. Beim Gas wird das etwas komplizierter.

Müssen wir uns beim Thema Energie eigentlich eher als Deutsche oder als Europäer:innen verstehen?

Beides. Die Energieversorgung in den Ländern Europas unterscheidet sich zum Teil erheblich. Einige Länder produzieren selbst Öl und Gas, vor allem Norwegen, Großbritannien und die Niederlande. Manche setzen bei der Stromerzeugung mehr auf Kohle, wie etwa Polen, andere vor allem auf Atomstrom, vor allem Frankreich. Doch weil Strom nur einen Teil des Energiebedarfs abdeckt, sind fast alle Länder in Europa für Heizenergie und für die Herstellung von Benzin und Diesel auf Importe angewiesen.

Bisher kümmern sich die Energiekonzerne in den jeweiligen Ländern noch weitestgehend selbst darum, Lieferverträge mit den Exportländern abzuschließen. Damit soll verhindert werden, dass sich EU-Staaten gegenseitig überbieten oder ausbooten. Gleichzeitig kann der Handel untereinander und die Verteilung innerhalb der EU besser geregelt werden. Als Vorbild dafür wird immer wieder das Vorgehen bei der europäischen Anschaffung von Coronaimpfstoffen genannt, welches inzwischen als Erfolg gilt.

Deutschland hat lange gegen den Willen der europäischen Nachbarländer an Nord Stream 2 festgehalten und ist so mitverantwortlich dafür, dass Europa jetzt so abhängig von russischem Gas ist. Nun ist Deutschland aber auf die Solidarität der EU-Nachbarn angewiesen: Um die Importe von russischem Gas zu kompensieren, wird künftig mehr LNG gekauft werden müssen. Da Deutschland noch keine Terminals dafür hat, wird es auf das Gas aus Übersee angewiesen sein, das vor allem über niederländische, französische und spanische LNG-Häfen ins europäische Gasnetz fließt.

Falls es hart auf hart kommt, haben sich die EU-Staaten im Jahr 2017 in der sogenannten zur gemeinsamen Solidarität verpflichtet. Die Verordnung regelt, dass im Falle von Gasengpässen oder -ausfällen Haushalte, Krankenhäuser und wichtige Infrastruktur bevorzugt vor der Industrie mit Gas versorgt werden müssen. Bevor also zum Beispiel in Tschechien die Häuser kalt werden, muss die deutsche Industrie auf Gas verzichten und die Arbeit ruhen lassen. Umgekehrt gilt das natürlich genauso.

Wie schnell will sich Deutschland nun von russischer Energie befreien?

Die Bundesregierung plant nun, russische Energieimporte schnellstmöglich zu senken und zu stoppen. Wie und in welcher Geschwindigkeit das geschehen soll, hält das Bundeswirtschaftsministerium im fest. Bei Öl und Kohle soll es ganz schnell gehen: Schon bis Ende des Jahres soll Deutschland komplett ohne Öl und Kohle aus russischer Förderung auskommen.

Zuletzt stammte rund die Hälfte der in Deutschland verbrannten Steinkohle aus Russland

Deutsche Steinkohleimporte nach Herkunftsland in Tausend Tonnen (Stand 2020)

Quelle: Eurostat

Beim Gas sei die Importquote seit Anfang des Jahres bereits von 55% auf 40% gefallen. Bis Ende des Jahres könnten es nur noch 30% sein, bis zum Jahr 2024 gar nur 10%. Die Pläne der EU sehen vor, russische Gasimporte im Laufe des Jahres um 2/3 zu senken und bis spätestens 2027 komplett ohne russisches Gas auszukommen.

Wir müssen unabhängig von Öl, Kohle und Gas aus Russland werden. Wir dürfen uns einfach nicht auf einen Lieferanten verlassen, der uns schlichtweg bedroht. Es gilt jetzt zu handeln, damit wir die Auswirkungen der steigenden Energiepreise abfedern, unsere Gasversorgung für den nächsten Winter diversifizieren und den Übergang zu sauberer Energie beschleunigen können.Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission

Woher soll die Energie stattdessen kommen?

Das Loch in der Versorgung, das der Wegfall russischer Rohstoffe in der Energieversorgung reißt, kann nicht mit einem einzigen Ersatzlieferanten gestopft werden. Stattdessen soll es eine ganze Reihe an Maßnahmen sein:

  • Mit Einsparungen soll zunächst der Bedarf gesenkt werden. Dafür hat Wirtschaftsminister Habeck angekündigt, gerade im Verkehr und beim Heizen noch mehr Geld für Maßnahmen für mehr Effizienz und grüne Technologie bereitzustellen, etwa ein Austauschprogramm von Gasheizungen durch Wärmepumpen.
  • Eine Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) soll den Ausbau von Wind- und Solarkraftwerken wieder beschleunigen, nachdem dieser in den letzten Jahren unter der Großen Koalition fast zum Erliegen gekommen ist. Gleichzeitig sollen Anwendungen im Verkehr oder in Gebäuden, die bisher mit Öl und Gas befeuert werden, elektrifiziert werden, damit sie erneuerbaren Strom nutzen können. Anders ausgedrückt: E-Autos und Wärmepumpen statt Diesel-Motoren und Gasheizung.
  • Doch wir werden weiterhin Gas benötigen. Deshalb wollen sowohl die Bundesregierung als auch die EU die Einfuhren von LNG deutlich erhöhen. Das soll in erster Linie aus den USA kommen; als US-Präsident Joe Biden vor Kurzem in Brüssel zu Besuch war, , dass die EU bis 2030 zusätzlich 50 Millionen Kubikmeter Flüssiggas pro Jahr aus den USA kaufen. Doch auch andere Länder wie Katar können mit Lieferungen einspringen.
  • Damit das Flüssiggas seinen Weg ins europäische und deutsche Gassystem findet, wird Deutschland bisher umstrittene LNG-Terminals bauen. Bestehende Pläne für ein Terminal in Brunsbüttel wurden wieder aufgenommen, weitere Standorte würden geprüft. Als kurzfristige Lösung sollen schwimmende LNG-Terminals angemietet und in der Nord- oder Ostsee betrieben werden.
  • Die europäische Produktion von Erdgas soll gesteigert werden: Vor allem Norwegen, aber auch die Niederlande sollen ihre Produktion wieder steigern.

Was bedeutet das alles für den Klimaschutz?

Die vielleicht größte kurzfristige Veränderung wird sein, dass in Europa künftig deutlich mehr Flüssiggas zum Einsatz kommen wird. Ähnlich wie bei herkömmlichem Erdgas entweicht auch dabei durch Lecks viel Methan in die Atmosphäre, wo es als potentes Treibhausgas zum Klimawandel beiträgt. Das senkt die Klimavorteile erheblich, die Gas eigentlich gegenüber Öl und vor allem Kohle hat.

Wie groß die Lecks tatsächlich sind, ist schwer zu bestimmen. Nach verschiedenen mussten die Schätzungen jedoch immer wieder nach oben korrigiert werden. Hinzu kommt, dass nun viel Geld für neue LNG-Infrastruktur ausgegeben wird. Durch diese Investitionen verpflichten wir uns quasi selbst dazu, die Technik über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zu nutzen. Der sogenannte Lock-In-Effekt könnte so in einigen Jahren den Schwenk zu Erneuerbaren Energien bremsen, fürchten Kritiker:innen.

Gleichzeitig könnte die Abkehr von russischem Öl und Gas zu einem neuerlichen Push bei der Energiewende führen. Das Wirtschaftsministerium unter Robert Habeck hat mit der EEG-Novelle bereits erste Schritte in diese Richtung getan. In den letzten Jahren war der Klimaschutz das unangefochtene Spitzenargument für den Ausbau erneuerbarer Quellen. Durch den Konflikt mit Russland werden auch Akteur:innen, bei denen Klimaschutz üblicherweise nicht ganz oben auf der Agenda steht, die Vorteile einer erneuerbaren und dezentralen Energieversorgung hier in Europa und Deutschland bewusst. Bundesfinanzminister und damit signalisiert, wie wichtig der nun wieder aktuell gewordene Aspekt der Versorgungssicherheit für seine Partei ist. Die Abkehr von russischen fossilen Brennstoffen ist sicher ein Möglichkeitsfenster für den Klimaschutz. Es liegt nun an der Politik in Europa, dieses auch zu nutzen.

Titelbild: Matt Artz - CC0 1.0

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