Klima- vs. Naturschutz: So bauen wir die Windkraft aus, ohne Vögel und Fledermäuse zu gefährden
Für die Klimaziele will die Bundesregierung deutlich mehr Windräder bauen. Doch das muss nicht auf Kosten der Wildtiere gehen – wenn wir ein wenig die Perspektive wechseln.
Vor einer Woche bin ich gegen einen Pfosten gelaufen. Ich war so auf meinen Einkaufszettel konzentriert, dass ich meine Umgebung für einen Moment komplett ausgeblendet und nicht gemerkt habe, dass ich mitten auf die Dorflaterne zugesteuert bin. Knall! Zum Glück ist nicht mehr geblieben als ein roter Fleck auf der Stirn, der nach ein paar Stunden wieder verschwand. Ganz ähnlich und doch ganz anders ergeht es dem Rotmilan.
Der rostbraun gefiederte Greifvogel lebt in ganz Europa. Im Winter macht er es sich in den warmen Gefilden Spaniens gemütlich, für die Brutzeit im Sommer fliegt er nach Mitteleuropa. Über die Hälfte des weltweiten Vogelbestands kommt dabei nach Deutschland, was dem Erhalt der Vogelart hierzulande eine besondere Relevanz verleiht. Vor allem, da die Bestandszahlen in den letzten Jahrzehnten immer wieder schwanken. Grund dafür sind vorwiegend die intensive Landwirtschaft, die Nistplätze und Nahrungsgründe zerstört, die eingesetzten Pestizide, die Vogel und Beute vergiften,
Ähnlich wie ich haben Rotmilane auf der Jagd einen Tunnelblick nach unten und blenden ihre Umgebung aus. Normalerweise gibt es auf Feldern und Wiesen, ihren Jagdgründen, auch keine höheren Hindernisse, auf die sie achten müssten. Die offenen Landschaften sind allerdings auch die besten Standorte für Windfarmen. So fliegen jedes Jahr viele Rotmilane gegen die Masten der Windräder und sterben.
Und sie sind nicht die einzigen Opfer der Windkraftanlagen. Jährlich kommen in Deutschland mindestens Hunderte, viel wahrscheinlicher Tausende und vielleicht sogar über hunderttausend Vögel und Fledermäuse an Windkraftanlagen ums Leben. Die genauen Zahlen kennt die Forschung nicht,
Nun sollen in den nächsten Jahren Tausende weitere Windräder hinzukommen. Wie viele gebraucht werden, kommt darauf an, wo sie stehen oder wie leistungsstark sie sind. Die Bundesregierung hat sich nämlich zum Ziel gesetzt, das Land bis 2035 fast vollständig mit Ökostrom zu versorgen. Ursprünglich war das erst für 2050 geplant. Der Wunsch,
Wie soll so ein großflächiger Ausbau der Windenergie funktionieren, ohne bereits gefährdete Tierbestände noch weiter zu bedrohen? Wird noch mehr Fläche genutzt, verkleinert sich der Lebensraum von Tieren wie dem Rotmilan unweigerlich. Funktioniert der Ausbau der Windenergie etwa nur auf Kosten des Artenschutzes?
Nein, findet die Ampel-Koalition. Sie hat im April einen Entwurf für einen Energiewende-Plan vorgelegt, der Lösungsansätze für 2 großen Krisen liefern soll, die gerne gegeneinander ausgespielt werden: Klima- und Artenschutz.
Wie sich der Rotmilan und das Windrad anfreunden sollen. Die Pläne der Regierung
Für ihr Vorhaben braucht die Bundesregierung eine Fläche für Windparks, die ungefähr 3-mal so groß ist wie das Saarland. Oder anders gesagt: 2% der Landfläche Deutschlands.
Das hat Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen)
So will die Regierung den Ausbau der Windenergie naturverträglich gestalten
Der Wind spielt dabei eine große Rolle; genug davon haben wir. Um ihn schon bald im großen Stil in Strom umzuwandeln, hat die Regierung das sogenannte
Um den Weg zu ebnen, schaffen die neuen Maßnahmen hauptsächlich eine Menge Bürokratie beiseite. Das freut vor allem die Windkraftbetreiber: Abstände zu Navigationsanlagen für den Luftverkehr und Wetterstationen werden verkleinert, was sofort mehr Baufläche eröffnet. Und Genehmigungen für neue Windkraftanlagen können einfacher erteilt werden. Sie dürfen sogar in Landschaftsschutzgebieten gebaut werden, sofern es die Artenschutzprüfung zulässt. Diese muss bei jeder Baugenehmigung von einer unabhängigen Stelle durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass durch das Windkraftwerk keine Vögel oder Fledermäuse existenziell gefährdet werden. Bisher hat die aktuelle Rechtslage dabei den Schutz individueller Tiere in den Fokus gestellt, weshalb so manches Bauprojekt an Tierschutzklagen gescheitert ist.
Das soll sich ändern. Künftig soll der Schutz von Populationen – Gruppen derselben Tierart, die in einem bestimmten Gebiet wohnen – wichtiger sein. Der Tod einzelner Tiere wird also in Kauf genommen, wenn die Bestände stabil bleiben. Betreiber von Windenergieanlagen müssen zudem in sogenannte Artenhilfsprogramme einzahlen, die das erhöhte Risiko für Fledermäuse und Vögel
»Entscheidend, um diesen Schwenk zu machen, ist, dass man den Blickwinkel weitet. Wir müssen von einer
Müller forscht dazu, wie sich die verschiedenen Interessen des Klimaschutzes und des Artenschutzes beim Ausbau der erneuerbaren Energien gesetzlich vereinbaren lassen. Und er spricht einen sehr wichtigen Punkt an: den Flächenverbrauch.
Ein gut geplanter Flächenverbrauch ist der Schlüssel zum Erfolg
Ein Blick, wie die Fläche Deutschland bisher genutzt wird, ordnet die 2% Fläche Gesamtdeutschlands oder fast 3 Saarlande für Windparks noch anders ein: So nehmen Häuser und Wohnungen derzeit doppelt so viel Fläche in Anspruch, 2,6% von Deutschland werden von Straßen belegt,
Während Häuser und Straßen die belegte Fläche komplett zubetonieren und versiegeln, ist das bei
Das sind jedoch glücklicherweise alles Dinge, die sich planen lassen. Genug Platz für den Ausbau, der sowohl Rücksicht auf die Natur als auch die Tierarten nimmt, hat Deutschland zumindest, wie eine
- Effizienz: Was sind die besten Windstandorte?
- Lastennähe: Wie nah wird die Energie dort produziert, wo sie auch verbraucht wird?
- Umweltschutz: Welche Standorte stören Natur und Tiere am wenigsten?
Das Ergebnis: Die windigsten und umweltfreundlichsten Standorte sind im windstarken Norden Deutschlands. Verbraucht wird der Strom jedoch im Süden, was wiederum bedeutet, dass mehr Strommasten und Hochspannungsleitungen gebaut werden müssen, welche die Landschaft durchschneiden.
Wie umweltverträglich der Ausbau der Windkraft nun wird, hängt also davon ab, wo die Windkraftanlagen gebaut werden und welche Ausgleichsprogramme die Regierung plant. Die besten Karten haben die Tiere, wenn nicht nur einzelne Programme gestartet, sondern ganze Landschaften und Lebensräume aufgewertet werden.
»Eine Population steigt, wenn sie einen guten Reproduktionserfolg hat. Deswegen ist es wichtig, dass Lebensraumschutz generell betrieben wird, sodass beispielsweise der Rotmilan überhaupt die Nahrung findet, um viele Junge hochzuziehen, und auch große Populationsdichten entstehen können«, sagt Katrin Böhning-Gaese, Biologin und Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums in der Onlinediskussion. Mehr Ökolandbau, abwechslungsreichere Anbaukulturen, mehr Wiesen und Hecken würden die Landschaften für Tiere viel lebenswerter machen.
Das müssen wir wissen, um die Tiere zu schützen
Will die Regierung keine Individuen, sondern Populationen schützen, braucht es noch einiges an Forschungsarbeit. Wie erwähnt ist die wissenschaftliche Basis dünn; die Dunkelziffer der Tiere, die erschlagen und nie gefunden werden, wahrscheinlich hoch. Dabei ist es wichtig zu wissen, welche Vogel- und Fledermausarten warum gegen die Türme fliegen und in die Rotorblätter geraten.
Häufige Gründe, warum Tiere den Windrädern zum Opfer fallen, sind beispielsweise:
- Wenn Vögel und Fledermäuse migrieren, geht es manchmal drunter und drüber. Sie weichen anderen aus und kommen den Rotorblättern so nahe, dass sie in deren Sog geraten.
- Im Vergleich zum Menschen haben Vögel ein schmales frontales Sichtfeld, da sich die Augen an den gegenüberliegenden Seiten des Kopfes befinden, um Raubtiere und Beute zu erkennen. Die weißen, rotierenden Blätter nehmen sie eher als Schleier denn als sich bewegendes Objekt wahr und erkennen es nicht als Gefahr. Ähnlich wie wenn du deine Hand schnell vor deinem Auge bewegst.
- Fledermäuse orientieren sich durch Echoortung, indem sie einen hochfrequenten Ruf aussenden, der von Objekten reflektiert wird. Sie verlassen sich auf das zurückkehrende Echo, um die Entfernung und Richtung davon zu bestimmen. Sich schnell bewegende Objekte können sie jedoch nicht einordnen.
Gerade bei Fledermäusen sind die Populationsgrößen oft unbekannt. Biolog:innen können nur schwer einschätzen, wann eine kritische Zahl erreicht ist oder die Tierart unter Schutz gestellt werden muss. Erst mit diesem Wissen lassen sich praktische Lösungen finden, um Kollisionen zu verhindern und Arten zu schützen.
Hauskatzen töten mehr Vögel als Windräder, doch das geht am Punkt vorbei.
Aber Moment, Windkraftanlagen sind doch nicht die größte Gefahr für Vögel und Fledermäuse? Das stimmt. Millionen Vögel kollidieren jährlich mit Hochspannungsleitungen, noch mehr fliegen gegen Glasscheiben und sehr viel mehr werden von Hauskatzen erlegt. Die Argumentation wird in Medienberichten und Diskussionen gerne angeführt, doch geht sie am Punkt vorbei: Davon sind oft ganz andere Vogelarten betroffen als solche, die Windrädern zum Opfer fallen.
So können wir Vögeln und Fledermäusen schon jetzt helfen
Trotz so vieler noch unbekannter Variablen gibt es schon einige Lösungen, die sich bewährt haben und leicht umgesetzt werden können:
- Maximaler Energieertrag bei effektivem Fledermausschutz: Ungefähr 1/4 der Windkraftanlagen in Deutschland schalten sich zu den Zeiten ab, wenn Fledermäuse am aktivsten sind – also in der Nacht, bei niedrigen Windgeschwindigkeiten und relativ hohen Umgebungstemperaturen. Dabei sind die Zeiten individuell auf jedes Windrad und seine Umgebung zugeschnitten.
- Überwachungskameras für sichere Brutzeit, Flugkorridore oder Jagd: Manche Anlagen sind mit Kamera- oder Radarsystemen ausgestattet. Diese Technik ist teuer, kann Vögel aber artspezifisch erfassen und deren Abstand zur Windkraftanlage ermitteln. Sie erkennt, ob sich ein Rotmilan oder ein Mäusebussard zu nah an den Rotorblättern befindet und verlangsamt die Umdrehungen.
- Farbe schützt: Ein einzelnes schwarzes Rotorblatt kann den Vogelschlag um bis zu 72% reduzieren. Das hat eine 11-jährige Studie des
- Lautsprecher halten Fledermäuse fern: Forschende der US-amerikanischen Texas State University und von Bat Conservation International haben eine Lösung gefunden, um Fledermäuse davon abzuhalten, in den Luftraum von Windkraftanlagen einzudringen: Ultraschall-Lautsprecher. Sie erzeugen Töne im gleichen Frequenzbereich wie die Echoortung der Fledermäuse und verhindern, dass diese ihre eigenen Echoortungsrufe empfangen. Das soll die Tiere verwirren und dazu bewegen,
Klimaschutz und Artenschutz unter einen Hut zu bekommen, ist nicht einfach, doch die Möglichkeiten sind da. Wie die Beispiele zeigen, arbeiten viele verschiedene Nationen an Lösungen, denn die Herausforderung ist eine globale. Sie beschränkt sich nicht auf Deutschland. Der Druck und das öffentliche Interesse an dem Thema sind folglich groß. Zumindest in Deutschland können sich die Windkraftbetreiber nicht mehr aus der Verantwortung ziehen, da sie den Artenschutz nun stärker denn je bedenken und für Ausgleichsprogramme sorgen müssen.
Die Pläne der Regierung sorgen dafür, dass der
Mit Illustrationen von Aelfleda Clackson für Perspective Daily