Kann diese Idee die Gier im Kapitalismus besiegen?
Immer mehr Gründer:innen verzichten freiwillig auf Profit, wollen Unternehmen und Mitarbeitende nicht mehr einfach wie Ware behandeln. Was hinter dem Prinzip Verantwortungseigentum steckt
Es ist ein sonniger, aber noch kalter Tag in Hilden bei Düsseldorf. Stefan Schmidt läuft durch die Produktionshalle seines
Viele dieser sehr alten, handwerklich hergestellten Produkte sind in Japan der Industrialisierung der Lebensmittelbranche zum Opfer gefallen. Arche bringt traditionelle Produkte, die es noch gibt, nach Deutschland und möchte so deren Herstellung am Leben halten. Deswegen auch der Name Arche, Schmidt versteht sich und seine Firma als eine Art Noah des japanischen Essens. Er hat viele Jahre in der Biobranche gearbeitet und die Arche als Geschäftsführer geleitet. Doch dann plante das Mutterunternehmen Biogarten, seine Arche zu verkaufen.
Stefan Schmidt wollte Arche weiterführen – aber anders als vorher. Er hat sein Herzensprojekt dem Unternehmen Biogarten abgekauft und ist nun selbst der Eigentümer, aber Stefan Schmidt kann Arche weder weiterverkaufen
Verantwortungseigentum heißt diese Idee, die in der heutigen Zeit fast absurd wirkt, in der ein Mann wie Elon Musk durch das Wachstum und den Aktienverkauf von Unternehmen wie Paypal, Tesla und SpaceX zum reichsten Menschen der Welt wird. Beim Verantwortungseigentum ist genau das nicht möglich. Aber warum wollen Menschen wie Stefan Schmidt einfach so auf Profite verzichten?
Steckt der Sinn wirklich im Gewinn?
Stefan Schmidt ist Mitte 50. Seine Essens-Arche, so erzählt er, solle der logische Abschluss seiner beruflichen Laufbahn sein. Er möchte sich treu bleiben: »Ich habe ja nicht mein Leben lang in der Biobranche gearbeitet, weil das nur ein Job ist. Ich wollte auch etwas an den bestehenden Wirtschaftsstrukturen verändern. Es gibt Probleme mit Biodiversität, den Verlust von Humus und nicht zuletzt die Klimakrise.« Es habe sich für ihn nicht richtig angefühlt,
Ortswechsel: Carla Reuter und Nancy Frehse stellen
Carla Reuter erinnert an einen berühmten Gedanken
Das Besondere bei Oktopulli und Arche Naturprodukte ist, dass Gewinne entweder gespendet oder reinvestiert werden. Dadurch ist zum Beispiel auch der Druck geringer, bei Gehältern zu sparen. Aber wie genau funktioniert das Ganze eigentlich?
Crashkurs Verantwortungseigentum
Im Prinzip sind Unternehmen in Verantwortungseigentum wie andere Firmen: Es gibt Geschäftsführende und Gesellschafter:innen, Mitarbeitende und Produkte. Oktopulli ist zum Beispiel eine GmbH, Gesellschafter:innen sind Carla Reuter und ihre Partnerin Nancy Frehse. Das Besondere: Gewinne dürfen sie eben nicht entnehmen, Anteile nicht verkaufen und so zu Geld machen. Dafür haben sie Regeln in die Unternehmenssatzung geschrieben, die nur mit 100% Zustimmung geändert werden können. 1% der Anteile haben die Inhaber:innen an eine Stiftung übertragen,
So brauchen Menschen mit Lust auf Unternehmertum keinen unüberschaubar großen Kredit aufzunehmen, um einen bestehenden Betrieb zu übernehmen. Das bedeutet: Es müssen nicht erst Hunderttausende oder Millionen Euro verdient oder geliehen und abbezahlt werden. Und auch ein Wachstum des Unternehmens oder des Gewinns hat keinen Einfluss auf die Ablösesumme. Die Idee: Es soll bei den nachfolgenden Geschäftsführer:innen um Werte und Fähigkeiten gehen, nicht um die Größe ihres Geldbeutels.
Eigentümer:innen in Verantwortungseigentum können sich trotzdem ein Gehalt auszahlen, das sie selbst festlegen, so wie es andere Inhaber:innen auch tun. Allerdings darf es einen gewissen Rahmen nicht überschreiten – es muss marktüblich sein. Die Einkommen sind also nicht leistungslos,
Ein weiterer wichtiger Punkt bei Verantwortungseigentum: Investor:innen können ihr Geld durchaus in Firmen stecken, die nach den Regeln des Verantwortungseigentums funktionieren. Allerdings ist ihr Gewinn nach oben gedeckelt und sie bekommen auch rechtlich keine Mitspracherechte, was zum Beispiel die Unternehmensstrategie angeht. Das ist bei vielen Start-ups, bei denen Investor:innen einsteigen, ganz anders: Hier geht es dann schnell darum, alles auf Gewinn auszurichten,
Das sei auch bei großen Aktiengesellschaften der Fall, merkt Carla Reuter an: »Da gibt es total anonymisierte Eigentümer:innen, die keinen Bezug mehr zu dem Unternehmen haben und deren einziges Ziel ist, ihre eigenen Gewinne zu erhöhen. Wenn diese Motivation ausgeklammert ist, dann verringert es auf jeden Fall die Wahrscheinlichkeit, zugunsten einer Gewinnmaximierung Mensch und Natur auszubeuten.« Das sieht auch Armin Steuernagel so. Er hat die Purpose-Stiftung mit ins Leben gerufen und die Idee bekannt gemacht.
Der Sinn der anderen
Armin Steuernagel ist Seriengründer. Er startete aus dem Jugendzimmer heraus einen Versandhandel für Spielzeug mit Schwerpunkt Waldorfpädagogik. Später schuf er
Eine Mitarbeiterin habe ihn eines Tages auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: Eigentlich würden doch am Ende alle nur für ihn, den Chef, arbeiten, sagte sie ihm. Steuernagel gab das zu denken. »Die Strukturen, die ein Unternehmen benutzt, um überhaupt existieren zu können, haben eine bestimmte Form der Wirtschaft einprogrammiert. Das gesamte Vermögen, das aufgebaut wird, kann von den Eigentümer:innen entnommen und monetarisiert werden.
Eine Möglichkeit das zu verändern,
Eine neue Idee von Eigentum
Neben der Stiftung hat Armin Steuernagel die
In Deutschland gibt es etwa 300 Firmen, die nach dem »verantwortlichen Prinzip« funktionieren, darunter die Biolebensmittelmarke Alnatura, der Kondomhersteller Einhorn oder die baumpflanzende Suchmaschine Ecosia. Aber der Umweg über die Purpose-Stiftung oder andere ähnliche Modelle sei nur eine Krücke, sagt Steuernagel. Er will die Idee – die manche Unternehmen wie Alnatura, Bosch oder Zeiss schon lange nutzen – in ein Gesetz gießen, das Gründer:innen gleich bei der Wahl der Unternehmensform die Möglichkeit gibt, Firmen nur treuhänderisch zu führen. Dafür lobbyiert er seit Jahren, 1.200 Unternehmer:innen unterstützen ihn inzwischen. Denn auch in der Wirtschaft wächst das Interesse an dieser Innovation: Laut einer Umfrage des Allensbach-Instituts, bei der Familienbetriebe befragt wurden, befürworten 72% der Befragten die
Ein Gesetzentwurf, den namhafte Jurist:innen erarbeitet haben, nennt die geplante Rechtsform nun
Abgesehen davon gibt es aber breite Zustimmung. Robert Habeck ist ein Fan der Idee und Olaf Scholz sympathisiert mit der Möglichkeit für Betriebe,
So taucht die Idee auch im Koalitionsvertrag der aktuellen Ampel-Regierung auf: »Für Unternehmen mit gebundenem Vermögen wollen wir eine neue geeignete Rechtsgrundlage schaffen, die
Für Steuernagel ein erster Erfolg. Wann diese Rechtsgrundlage wirklich kommt, ist aber noch unklar.
Sind diese Unternehmen automatisch gut?
Eins scheint einleuchtend: Unternehmen, die ihre Eigentumsrechte in dieser Form abgeben, können nicht einfach von Investor:innen gekapert und zu seelenlosen Gelddruckmaschinen umgestrickt werden. Auch (»feindliche«) Übernahmen durch Großkonzerne sind damit vom Tisch.
Verantwortungseigentum soll die Werte eines Unternehmens schützen
Zuletzt stand das Bio-Gewürz-Start-up Ankerkraut in der Kritik, das stark werteorientiert auftrat und
Aber wie sieht es bei den großen Mitspielern aus? Hier führen Unterstützer:innen des Verantwortungseigentums Unternehmen wie Bosch ins Feld. Ein Multimilliardenkonzern, der aber seit 1964 niemandem richtig gehört, also auch in einer
Gründer Robert Bosch wollte durch seine Idee mit 2 Stiftungen sicherstellen, dass die Firma in seinem Sinne weitergeführt würde. Die Robert Bosch Stiftung bekommt die Gewinne, die Robert Bosch Industrietreuhand KG hält die Stimmrechte. Bosch ist also unverkäuflich und die Gewinne werden entweder ins Unternehmen investiert oder gemeinnützig verwendet.
Bosch plant langfristig und scheint – im Rahmen eines Automobilzulieferers – um Nachhaltigkeit bemüht. Es ist seit 2020
Garantien gibt es nicht
Armin Steuernagel beantwortet sie so: »Eine Garantie gibt es nicht. Aber es sind die besten Rahmenbedingungen dafür, dass ein Unternehmen überhaupt langfristig denken kann.
Auch ohne private Gewinnentnahmen kann man in eine gewisse Gier verfallen. Aber ich denke, dass Verantwortungseigentum weniger anfällig dafür ist. Und dann werde ich auch nicht so stark dazu getrieben, Mensch und Natur auszubeuten.
Für Stefan Schmidt von Arche Naturprodukte hat es auch einen ganz praktischen Vorteil, den Betrieb nicht vollständig zu besitzen. Er wird bald ein Alter erreichen, in dem er Arche weitergeben möchte: »Meinen Kindern möchte ich das nicht einfach so aufbürden. Jetzt gibt es die Möglichkeit, das Unternehmen weiterzugeben, an Mitarbeiter:innen oder jemand Externes. Und da spielen Werte, Ethik und der Wille eine Rolle, das Unternehmen in dieser Wirtschaftsweise weiterzuführen und zu entwickeln.« Stefan Schmidt kann also beruhigt seinen Ruhestand antreten: Dass die Arche an gierige Nachfolger:innen verkauft wird, braucht er nicht zu befürchten. Die Umeboshi-Aprikosen und all die anderen japanischen Leckereien werden also auch in Zukunft in guten Händen sein.
Mit Illustrationen von Aelfleda Clackson für Perspective Daily