»Möge Gott uns von den Männern erlösen!«
In Saudi-Arabien kämpfen Frauen für ihre Rechte. Dafür brauchen sie aber erst die Erlaubnis ihrer Männer.
Ausgerechnet 3 vollverschleierte Frauen sind das Provokanteste, was Saudi-Arabien in diesen Monaten zu bieten hat. Denn sie provozieren allein dadurch, dass sie in einem Musikvideo tanzen, Basketball spielen und Auto fahren.
Obenrum das schwarze
Doch was in dem Video so cool und herrlich schrill daherkommt, hat nichts mit der Realität von Frauen in einem der konservativsten muslimischen Länder der Welt zu tun. »Das ist pure Fiktion. Also ist es nie passiert«, sagt Hala al-Dosari, eine der bekanntesten Frauenrechts-Aktivistinnen aus Saudi-Arabien.
Denn 2011 tat al-Dosari etwas Ungeheuerliches für saudische Verhältnisse: Sie setzte sich hinters Steuer eines Autos und fuhr los. Das Beweisfoto ihrer verbotenen Tat teilte sie im Internet, und andere folgten ihrem Beispiel. Nicht nur das Fahren selbst, sondern auch die
Wie viel Kopfschütteln auch ein Verfahren auslösen mag, in dem Autofahrerinnen mit Terroristinnen verglichen werden, es zeigt doch: Die Forderung nach Gleichberechtigung hinterlässt sogar in Saudi-Arabien seine Spuren, und der Ruf danach wird lauter. »Saudische Frauen merken die Fesseln, die um sie gelegt werden. Deshalb gibt es mehr und mehr Widerstand«, sagt al-Dosari.
Tatsächlich könnte der Kampf um Gleichberechtigung bis 2030 rasant an Fahrt aufnehmen. Denn es gibt dringende Gründe, warum sich das schwächelnde Ölimperium bald auf mehr »Musawah« – zu Deutsch Gleichberechtigung – einlassen wird. Die Bereiche des möglichen Wandels sind Wirtschaft, Technologie, Bildung und Demografie.
Die IT-Frauen im saudischen Silicon Valley
Und sie haben auch schon einen Plan. Im Arbeitspapier
Wo also hochqualifizierte Arbeitskräfte hernehmen? Im Ausland hat sich Saudi-Arabien schon immer gern an Arbeitern bedient, egal ob Topmanager oder Müllsammler. Doch damit soll Schluss sein. Das Arbeitspapier schielt hauptsächlich auf den lokalen Markt und siehe da, es beschreibt ungenutzte Potenziale: »Unsere Ziele für 2030: […] Die Teilhabe von Frauen ist in der Arbeitswelt von 22% auf 30% zu heben.«
Was hier so optimistisch anklingt, spiegelt doch eine erschreckende Realität: 78% der saudischen Frauen sind arbeitslos, obwohl die Hälfte aller Universitätsabsolventen weiblich ist. Daneben hält der 2030-Plan keine sozialen Reformen bereit, um Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Der kann schon deswegen blockiert sein, weil sie nicht allein zur Arbeit fahren können. Geschweige denn, dass sie
Die Wächter der saudischen Frauen
In Saudi-Arabien hat immer ein männliches Familienmitglied die Vormundschaft über die Frau. Ohne Vormund haben Frauen keinen Zugang zu Bildung, Arbeit, Reise- und Ausweispapieren. Es gibt dafür keine schriftlichen, aber
Ohne
So wollen es die Rechtsgelehrten. Saudi-Arabiens Rechtsprechung fußt auf der dort anerkannten Auslegung der
Selbst der
Von ihnen stammt auch der Bann, dass Frauen in Saudi-Arabien nicht Autofahren dürfen. Alles begann damit, dass saudische Frauen während des
Das »Komitee für Rechtsfragen« stoppte die freie Fahrt mit einer Fatwa, dem Fahrverbot für Frauen: »Als das religiöse Urteil erlassen wurde, war die Begründung des Rechtsgelehrten Ahmad bin Baz, dass er ›den Weg blockieren wolle, der zur Sünde führen könnte.‹ Sprich: Mehr Frauen in der Öffentlichkeit könnten Männer verführen. Das Innenministerium erließ daraufhin das
Frauenrechte werden in Saudi-Arabien als Angriff auf die traditionellen Werte der Gesellschaft oder direkt auf die Autorität der Geistlichen verstanden.
Für die Königsfamilie und die Geistlichen im Land ist klar: Was Saudi-Arabien anpackt, macht es richtig, indem es sich Zeit lässt. Mit Gemach und bloß nicht zu viel Transformation, nicht nur in Sachen Frauenrechte. Das würde die konservative Gesellschaft nicht aushalten. Die Furcht vor einem Flächenbrand wie in anderen arabischen Ländern seit 2011 scheint groß.
Deshalb wird hier und da ein bisschen reformiert: 2015 durften sich erstmals Kandidatinnen für die Kommunalwahlen aufstellen lassen. Immerhin
Reform oder Transformation?
Es sieht danach aus, dass Gleichberechtigung mit religiösem Recht begründbar sein muss, um überhaupt eine Chance in Saudi-Arabien zu haben. Wie viele andere arabische Länder stimmte Saudi-Arabien in Kairo der
In Saudi-Arabien gibt es deshalb auch Musliminnen, die Reformwillen fordern und versuchen, religiöse Normen der
Hala al-Dosari hingegen hält den Versuch, Rechtsgelehrte mit den eigenen Waffen zu schlagen, für aussichtslos: »Wir sind nicht tolerant gegenüber anderen islamischen Rechtsschulen in Saudi-Arabien. Wir werden immer wieder an Grenzen stoßen, die die Religion stellt und nur sie allein aufbrechen kann. Es wäre realistischer zu fordern, die Religion mehr ins Private zu holen.« Dass sich al-Dosari mit dieser Aussage nicht nur Luftschlösser baut, zeigt die politische Maßnahme nach einem tragischen Ereignis der jüngeren saudischen Geschichte.
Mekka, 11. März 2002: In einer Mädchenschule bricht Feuer aus. Als die Schülerinnen aus dem brennenden Gebäude fliehen wollen, soll ihnen die Sittenpolizei den Weg verstellen. So berichten es saudische Zeitungen. Auch männlichen Feuerwehrkräften wird der Zutritt zum Gelände der Schule verwehrt. Der Grund: Die von Rauch und Feuer umringten Mädchen tragen nicht ihre islamischen Gewänder, die Abaya.
»In einem modernen Staat, der von einem König regiert wird, sollte die Verantwortung nicht bei den Geistlichen liegen.«
Daraufhin folgte eine für saudische Verhältnisse sehr kontroverse öffentliche Diskussion über die religiösen Auflagen der Geschlechtertrennung und scharfe Kritik an der Sittenpolizei. Am Ende stand die Entscheidung, Mädchenschulen nicht länger allein unter die Kontrolle von Religionsgelehrten zu stellen, sondern das Bildungsministerium damit zu betrauen. Diese Reform kam spät –
Weitere solcher transformativen Ansätze sind laut Hala al-Dosari nötig. Es mag für einige befremdlich klingen, wenn sie sagt: »In einem modernen Staat, der von einem König regiert wird, sollte die Verantwortung nicht bei den Geistlichen liegen.« Solche Aussagen unterstreichen, dass sie trotz ihres Lebens im Exil keine westlichen Maßstäbe an ihr Heimatland anlegt, wie es Feministinnen in der arabischen Welt
Die Jugend vom Golf
Die Saudi-Araber sind nämlich in einen Jungbrunnen gefallen. 70% von ihnen sind
»Wir sind kein Land alter Generationen.«
Doch auch online gibt es keine uneingeschränkte Freiheit. Staatliche Zensur und Strafen für freie Meinungsäußerung sowie für Kritik am Königshaus sind gang und gäbe. Das zeigte der Fall des saudischen Bloggers Raif Badawi, der für seine politischen Äußerungen im Internet zu
Dennoch schaut Hala al-Dosari optimistisch in die Zukunft: »Wir sind kein Land alter Generationen. Es ist unausweichlich, dass sich etwas verändern wird, denn die Menschen sind nicht mehr dieselben wie vor 3 oder 4 Jahrzehnten.« Vor allem im Bildungssektor haben die jungen Saudi-Araber gegenüber den Generationen ihrer Eltern und Großeltern deutlich aufgeholt. Die Alphabetisierungsrate liegt für Frauen bei über 92%. Zum Vergleich:
Unter dem 2015 verstorbenen König Abdullah wurden erstmals Stipendienprogramme im Ausland für saudische Studentinnen eingerichtet. Einziger Haken: Viele Frauen dürfen wieder nicht ohne ihren männlichen Vormund reisen, den die meisten Programme nicht mitfinanzieren.
Der Mädchenrat ohne Mädchen?
Es scheint Saudi-Arabien manchmal selbst nicht ganz klar zu sein, wohin es mit seinen Frauen möchte. Erst vor ein paar Tagen ging ein Bild durch internationale Medien. Darauf abgebildet sind 13 saudische Männer unter einem Banner mit der Aufschrift »Der Qassim-Mädchenrat«. Das regionale Gremium, so schreibt die saudische Presse, soll die
Im
Unterstützung für mehr Gleichberechtigung kommt mittlerweile auch aus der Königsfamilie.
Saudische Frauen sind in der Unternehmenswelt angekommen, und das nicht gerade in unwichtigen Positionen: Ende Februar 2017 wurde bekannt gegeben, dass die neue Börsenchefin in Riad Sara al-Suhaimi heißen wird und Rania Nashar die Führung der »Samba Financial Group«, einer Bank in Saudi-Arabien, übernimmt.
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