Tankrabatt & Co.: Wie wir Krisengewinner jetzt zur Kasse bitten können
Die EU will sie. Grüne und Linke wollen sie. Neuerdings auch die SPD. Sogar Teile der CDU. Einige Länder haben sie sogar schon. Nur Finanzminister Lindner und seine Partei sträuben sich gegen eine Übergewinnsteuer. Wie sie funktioniert und wie es weitergehen könnte.
Es sind traumhafte Zahlen, die das Herz von Vorstandsvorsitzenden höherschlagen lassen: 40 Milliarden Dollar Gewinn – und das allein in den ersten 3 Monaten dieses Jahres! Das ist ein sattes Plus von 80% gegenüber dem Vorjahreszeitraum, das Saudi Aramco, der größte Energiekonzern der Welt, in seinem Bericht für das 1. Quartal 2022
Doch die Gewinne der einen sind die Kosten der anderen. Ermöglicht werden die traumhaften Wirtschaftsdaten der Ölkonzerne von Verbraucher:innen auf der ganzen Welt. Menschen, die ihre Wohnung heizen und mit Strom versorgen und von A nach B kommen müssen. In Deutschland werden sich die Mehrkosten für einen Durchschnittshaushalt in diesem Jahr allein für Strom und Gas wohl auf mehrere Hundert Euro belaufen. Während die meisten Menschen mit steigenden Kosten in allen Lebensbereichen zurechtkommen müssen,
Was viele vergessen: Auch Unternehmen leiden unter den rasant gestiegenen Energiekosten. Ihnen bleibt oft keine andere Wahl, als die Mehrausgaben an ihre Kund:innen weiterzugeben, die somit nicht nur für ihre Energie, sondern auch für die Waren und Dienstleistungen der betroffenen Firmen tiefer in die Tasche
Diese Umverteilung von Milliarden von den vielen zu den wenigen stürzt die Wirtschaft in einen Teufelskreis aus steigender Inflation, die inzwischen nahezu alle Lebensbereiche erreicht. Da die Energiewende in den vergangenen Jahrzehnten durch politische Entscheidungen immens ausgebremst wurde, sind wir nach wie vor hochgradig abhängig von fossilen Energieträgern und
Daher bleibt der Politik (nicht nur in Deutschland) zurzeit nicht viel anderes übrig, als die Symptome der Krise zu bekämpfen und sich in Form von milliardenschweren Entlastungspaketen um Schadensbegrenzung zu bemühen. Doch anhand des Tankrabatts
Italien hat vor diesem Hintergrund schon vor Monaten Schritte unternommen, um diejenigen an den Kosten zu beteiligen, bei denen zurzeit wegen Krieg und Krise die Kassen klingeln – und zwar die Energiekonzerne selbst. Dazu erhebt das Land eine sogenannte Übergewinnsteuer; ein Instrument, das jetzt auch bei uns in Deutschland für eine leidenschaftlich geführte Debatte sorgt.
Eine solche Sondersteuer stellt eine Möglichkeit dar, auf die Situation zu reagieren. Ich beantworte hier die 5 wichtigsten Fragen zu dem Konzept – einfach und verständlich. Dazu habe ich mir Unterstützung von Lukas Scholle geholt. Der Ökonom arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag und hat für die Linksfraktion einen Antrag erarbeitet, der die Einführung einer Übergewinnsteuer nach italienischem Vorbild auch bei uns fordert.
1. Was genau ist ein Übergewinn und wie kommt er zustande?
Es gibt keine festgelegte Definition davon, was ein Übergewinn ist. Daher werden in anderen Sprachräumen mitunter auch andere Begriffe genutzt, etwa »Zufallsgewinn«. Im Namen steckt schon die Antwort darauf, wie diese Art von Gewinn in den meisten Fällen entsteht: durch günstige, mitunter glückliche Umstände für die Unternehmen und nicht etwa
Vielmehr geht es hier meist um Gewinne, die Unternehmen mehr oder weniger zufällig in den Schoß fallen. Wie aktuell im Fall der Energiekonzerne: Durch verschiedene Faktoren wie Knappheit von Produktionskapazitäten, hohe Nachfrage durch die wirtschaftliche
»Bei Sprit sehen wir den Übergewinn sehr deutlich. Der Spritpreis steigt deutlich höher als die Börsenpreise für Öl. Natürlich gibt es dazwischen auch noch eine Verarbeitung des Öls und einen Risikoaufschlag, aber dennoch sehen wir, dass sich die Marge deutlich erhöht hat. Nicht nur diese Mineralölkonzerne profitieren. Die Unternehmen, die das Öl fördern, haben ziemlich ähnliche Kosten wie vor den Krisen, können aber nun zu den hohen Ölpreisen verkaufen«, erklärt Lukas Scholle.
Platt formuliert: Wir kaufen günstige Energie zu überhöhten Preisen, weil der Aufschlag aufgrund des Krieges legitim erscheint – und das, obwohl die möglicherweise künftig höheren Kosten noch gar nicht eingetreten sind. Wir haben schließlich auch keine andere Wahl, da der Markt von einer Handvoll Konzerne beherrscht wird.
So trieb allein die Spekulation über steigende Preise – durch mögliche künftige Sanktionen, Embargos oder Lieferstopps – kurz nach Beginn des Krieges die Preise hoch, ohne dass den Anbietern höhere Kosten entstanden sind. Das ist auch einer von mehreren Gründen dafür, warum der Kraftstoffpreis an den Tankstellen weiterhin hoch bleibt, während der Rohölpreis bereits wieder im Sinkflug
Solche Spekulationen auf Preistrends gibt es natürlich nicht nur in Kriegszeiten, wie der Wirtschaftsexperte Gustav Horn im Interview mit dem Deutschlandfunk erklärt. »Wenn man es allgemeiner formuliert, gibt es so etwas besonders in Zeiten großer Umbrüche – und wir sind gerade in einer solchen Zeit. Das ist gesamtwirtschaftlich sehr schädlich, da eine sogenannte Profit-Preis-Spirale entsteht, die die Inflation antreibt. […] Deshalb ist es wichtig, diese Spirale zu durchbrechen, und eine Übergewinnsteuer
Das sieht auch die EU-Kommission so.
2. Wie kann festgestellt werden, wie hoch oder niedrig Gewinne tatsächlich sind?
Die EU-Kommission schlug schon im März 2022 Alarm und wies angesichts der Entwicklungen der Preise auf Übergewinne von Energiekonzernen hin. Geschätzter Umfang: Bis zu 200 Milliarden Euro. »Die Preise sind seither jedoch noch weiter gestiegen, sodass davon auszugehen ist, dass der Betrag weit höher ausfallen könnte. Daher hat sich auch das EU-Parlament 2 Monate nach der Empfehlung der EU-Kommission für eine Einführung einer zeitlich begrenzten Übergewinnsteuer ausgesprochen«, ergänzt Lukas Scholle.
Wirtschaftsliberale Kritiker:innen der Übergewinnsteuer halten dem Konzept ungeachtet dessen entgegen, dass nicht so einfach errechnet werden könne, was »normaler« Gewinn und was hingegen ein »Übergewinn« sei. Doch es gibt mehrere Konzepte, wie sowohl historische als auch aktuelle Beispiele aus anderen europäischen Ländern beweisen.
Meist werden die herkömmlichen Unternehmensgewinne aus Vergleichszeiträumen wie dem Vorjahr betrachtet, um ungefähr übliche Gewinne festzustellen. Doch ein solches Vorgehen allein eröffnet großen Unternehmen eine Menge Gestaltungsspielraum, um Übergewinne zu verschleiern, wie Lukas Scholle erklärt: »Bei großen Unternehmen spielen in die Gewinn- und Verlustrechnung noch viel mehr Faktoren mit rein. Wie andere Unternehmenszweige laufen oder ob andere große Investitionen gemacht werden, die abgeschrieben werden wollen. Wenn in der besonderen aktuellen Situation dann noch hinzukommt, dass zum Beispiel das Geschäft in Russland ganz abgeschrieben werden muss, ist das natürlich auch eine Gewinnminderung.«
Beispiel: Nimmt ein Energiekonzern durch die hohen Preise 5 Milliarden Euro mehr ein als gewöhnlich, schreibt dann aber gleichzeitig 5 Milliarden aus dem nicht mehr stattfindenden Geschäft mit Russland ab, wird der Übergewinn verschleiert. So geschehen im Fall des
Um also die »echten« Übergewinne identifizieren zu können, braucht es eine Berechnungsgrundlage, die andere Kriterien einbezieht – was uns zu unserer nächsten Frage führt.
3. Wer erhebt bereits eine Übergewinnsteuer und wie wird sie berechnet?
Nachdem die EU-Kommission im März ihre Leitlinie veröffentlicht hat, um übermäßige Gewinne zu besteuern, führten mehrere Länder eine Übergewinnsteuer ein, darunter das konservativ regierte Großbritannien, Griechenland, Bulgarien und Rumänien. In der deutschen Debatte wird meist auf das Konzept Italiens verwiesen, das diesen Schritt zuerst gegangen ist.
Die Regierung unter Führung von Ministerpräsident Mario Draghi, der früher auch Präsident der Europäischen Zentralbank war, beschloss eine Steuer von 25% auf alle Umsätze, die mindestens 5 Millionen Euro und 10% über denen des Vorjahres liegen. Dazu wird der Zeitraum zwischen 01. Oktober 2021 und 31. März 2022 mit den
Die Daten sind nicht zufällig gewählt: Sie berücksichtigen das Marktgeschehen vor dem russischen Angriff auf die Ukraine bis hin zu dessen Reaktionen nach dem Einmarsch am 24. Februar. So sollen unterschiedliche Einflussfaktoren abgedeckt werden. Die Einnahmen werden sich schätzungsweise auf mehr als 10 Milliarden Euro belaufen. Um es deutlich zu machen: Das bedeutet auch, dass bei den Unternehmen noch immer ein Extragewinn von 30 Milliarden Euro hängenbleiben würde – und zwar allein aus dem Geschäft mit Italien.
Wichtig ist festzuhalten, dass nicht der herkömmliche Unternehmensgewinn Grundlage der Berechnungen ist. Stattdessen betrifft die Steuer jenen Anteil des Umsatzes, welcher über der als »normal« definierten Grenze liegt. Man kann einen Übergewinn also sehr wohl definieren. Darüber hinaus entgegnen Kritiker, dass eine Übergewinnsteuer die Anreize zur Gewinnerzielung verhindern würde. »Das ist Quatsch. Die Übergewinne in Italien werden ja mit 25% besteuert werden, sodass ein Großteil der Übergewinne sogar bei den Unternehmen verbleibt. Damit bleibt auch der Gewinnanreiz«, stellt Lukas Scholle klar.
Auch das Argument, das abgeschöpfte Geld würde den Unternehmen dann für wichtige Investitionen fehlen, etwa für den Ausbau von erneuerbaren Energien, lässt er nicht gelten: »Große Unternehmen finanzieren ihre Investitionen nicht über Gewinne, sondern über Fremdkapital. Wenn sie eine lukrative Investitionschance haben, können sie dafür an der Börse einfach eine Anleihe ausgeben oder auf die exorbitanten Kapitalreserven zurückgreifen. An Geld mangelt es an dieser Stelle sicher nicht.«
Im Gegenteil könnten die Übergewinne der wenigen großen Energiekonzerne, die den globalen Markt beherrschen, dazu führen, dass diese ihre Macht nun noch weiter ausbauen.
4. Wer ist in Deutschland für eine Übergewinnsteuer, wer dagegen?
Vor dem Hintergrund der Marktmacht der großen Energiekonzerne hat sich zuletzt der Vorsitzende der Monopolkommission Jürgen Kühling eingeschaltet, der die Bundesregierung in Wettbewerbsfragen berät. Er hält eine Übergewinnsteuer für überlegenswert. Diese sei »aus ökonomischer Sicht vorzuziehen, da sie nicht in die Preisbildung eingreift.«
Die Einnahmen könnten dann dazu genutzt werden, um die Folgen der Preissteigerungen vor allem für ärmere
Mit dieser Position reiht er sich in eine beständig wachsende Zahl von Stimmen ein, die ein politisches Eingreifen fordern. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher forderte die Bundesregierung etwa auf, den »Tankrabatt zu stoppen, eine Übergewinnsteuer auf Mineralölkonzerne zu erheben und diese Gelder als Transfers zu verteilen.«
Den Anfang in der Reihe konkreter Vorschläge machte – wie oben bereits erwähnt – die Linksfraktion mit ihrem Antrag im Bundestag
Auch die Union scheint für das Konzept grundsätzlich offen zu sein. Deren Vizevorsitzender Jens Spahn sagte der BILD, dass die Regierung »genau hinschauen« müsse und ungerechtfertigte Extragewinne mit einer Steuer abgeschöpft werden sollten. Unklar ist, wie viel Unterstützung er innerhalb seiner Partei mit
Der Wirtschaftsflügel der CDU etwa sieht die Sache anders und spricht sich gegen eine
Generell sei eine Übergewinnsteuer für Energiekonzerne willkürlich. Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner sagte: »In Deutschland gibt es eine Besteuerung von Gewinnen, aber keine Diskriminierung einzelner Branchen.«
5. Wie geht es weiter?
Die EU-Kommission gab bereits im März grundsätzlich grünes Licht dafür, dass Mitgliedstaaten »befristete steuerliche Maßnahmen zu Zufallsgewinnen in Betracht ziehen und ausnahmsweise beschließen können, einen Teil dieser Gewinne für die Umverteilung an die Verbraucherinnen und Verbraucher vorzusehen.«
Dass für die Einführung einer Übergewinnsteuer noch viele rechtliche Fragen zu klären sind, ist wohl auch unter den eifrigsten Befürworter:innen des Konzepts unstrittig. Die Maßnahme müsste vor allem mit nationalem Steuerrecht in Einklang stehen. Ein Hemmschuh ist hier allen voran der von der FDP bereits jetzt in Stellung gebrachte Aspekt
Heißt: Vor dem deutschen Steuerrecht sind (in der Theorie) alle gleich. So schreibt der Jurist und Experte für Finanz- und Steuerrecht Hanno Kube, eine »Strafsteuer zulasten spezifischer Branchen« sei
Der Steuerexperte Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sieht hier nicht per se ein Problem: Es gebe etwa auch gesonderte Rohstoff-Förderabgaben für Gas in Norddeutschland, die offenkundig nicht zweifelhaft sind, womit auch eine Übergewinnsteuer nur für Energiekonzerne generell
Es geht um weit mehr als die Preise an der Zapfsäule
Unabhängig von den Detailfragen muss am Ende eines klar sein: Genau solche Aspekte zu klären und gesetzeskonforme Richtlinien zu erarbeiten, ist die Aufgabe einer Bundesregierung – vor allem, wenn wirtschafts- und sozialpolitisches Handeln angesichts der
Eine Übergewinnsteuer erscheint dafür ein probates Mittel zu sein: Das Beispiel Italien zeigt, dass es möglich ist, die Höhe der Extraprofite festzustellen und diese zu besteuern. Der Erlös kann dann dafür eingesetzt werden, um der Umverteilung von den vielen zu den wenigen etwas entgegenzusetzen.
Dass der politische Wille dazu angesichts der aktuellen Evaluation des Tankrabatts zunimmt und der öffentliche (Rechtfertigungs-)Druck auf die FDP steigt, wird jüngst immer deutlicher.
Vor diesem Hintergrund hat das Wirtschaftsministerium nun ein Maßnahmenpaket erarbeitet, das es ermöglichen soll, Übergewinne rechtssicher festzustellen. Dazu soll unter anderem das Bundeskartellamt gestärkt werden und als letztes Mittel auch die Zerschlagung der Energiekonzerne
Damit steht weit mehr als der Preis an der Zapfsäule auf dem Spiel. Vielmehr manifestieren sich an dem Thema die dringlichsten Fragen unserer Zeit: Wie die nachhaltige Transformation des Energie- und Verkehrssektors mit wirtschaftlicher Stabilität und sozialer Gerechtigkeit in Einklang gebracht werden kann.
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily