Das EU-Parlament hat nun beschlossen: Auch der Verkehr soll für seinen CO2-Ausstoß bezahlen. Dieses Start-up will dir dabei helfen, den Preis in die Höhe zu treiben.
Wer das Klima erhitzt, bezahlt. Diese Regel gilt für gewisse europäische Unternehmen seit 2005, als der Emissionshandel in der EU eingeführt wurde. Nicht alle kennen den Begriff, berichtet wurde wenig darüber. Seit letzter Woche geistert das Wort aber wieder vermehrt durch die Medien, weil das EU-Parlament beschlossen hat, diesen Emissionshandel zu .
Doch wie genau funktioniert dieser Mechanismus? Was ändert sich durch die neue Reform? Und können wir damit die Erderhitzung auf 1,5 Grad beschränken?
Ruth von Heusinger arbeitet für das gemeinnützige in Berlin, das den Emissionshandel nutzt, um den CO2-Ausstoß in der EU zu reduzieren. Sie hat Antworten auf diese Fragen.
Julia Tappeiner:
Dein Start-up ForTomorrow verspricht den Leuten: Ihr könnt jeden Tag CO2-neutral leben. Was genau heißt das?
Ruth von Heusinger:
Jeder Mensch hat einen CO2-Ausstoß, allein schon dadurch, dass wir atmen. Wir werden ihn also nie auf null kriegen. Aber wir müssen schauen, dass wir CO2 in einem nachhaltigen Kreislauf produzieren. Ein Beispiel: Wenn wir pflanzliche Nahrungsmittel essen, dann nehmen die Pflanzen das CO2 auf, während sie wachsen. Wir essen es und atmen es dann wieder aus. Das ist ein Kreislauf. Problematisch wird es, wenn der Ausstoß von Treibhausgasen nicht ausgeglichen wird.
Zur Person: Ruth von Heusinger
Die gelernte Physikerin kam nach Jobs im Bereich der erneuerbaren Energie und der CO2-Kompensation zum Schluss: Wir müssen mehr Treibhausgase in Europa ausgleichen, statt nur im globalen Süden. Denn in der industrialisierten Welt werden die meisten verursacht. Dafür gründete sie 2020 in Berlin das gemeinnützige Start-up ForTomorrow und macht sich damit den Emissionshandel der EU zunutze.
Bildquelle:
ForTomorrow
Wie viel CO2 dürfte jeder Mensch ausstoßen, um CO2-neutral zu sein?
Ruth von Heusinger:
Das kommt darauf an: Je mehr CO2 wir aus der Luft holen, desto mehr können wir auch ausstoßen. Es muss ein ausbalancierter Kreislauf sein. Im Moment stoßen wir ganz viel CO2 aus und holen nur wenig zurück. In Deutschland liegt der CO2-Fußabdruck durchschnittlich bei 10 Tonnen pro Person. Um klimaneutral zu werden, müssten wir auf unter 1 Tonne kommen.
Das klingt nach hartem Verzicht: Kein Fleisch, kein Auto, keine Flugreisen.
Ruth von Heusinger:
Natürlich kann jeder seinen eigenen Konsum reduzieren, seine Ernährung nachhaltiger gestalten. Aber auf viele Dinge, die unseren modernen Lebensstil bestimmen, haben wir keinen Einfluss. Dazu gehört zum Beispiel die öffentliche Infrastruktur oder die Industrie. Insbesondere in diesen Bereichen müssen wir den CO2-Ausstoß kompensieren.
Wie kompensiert ForTomorrow diesen CO2-Ausstoß?
Ruth von Heusinger:
Die Leute können sich entweder ein Abo kaufen, um den durchschnittlichen CO2-Ausstoß für sich selbst zu kompensieren, oder sie können für ein Familienpaket zahlen. Weil wir ein gemeinnütziger Verein sind, kann man sich dieses Geld zum Teil von der Steuer zurückerstatten lassen. Diese 10 Tonnen CO2 des Durchschnittsdeutschen kompensieren wir zu 50% über den europäischen Emissionshandel. Das heißt, wir kaufen 5 Emissionsrechte, die für 5 Tonnen CO2 stehen.
Kannst du genauer erklären, wie dieser Emissionshandel in der EU funktioniert?
Ruth von Heusinger:
Den Emissionshandel gibt es seit 2005, um den CO2-Verbrauch in bestimmten Sektoren zu deckeln. Dazu gehören bisher die Industrie, der Energiesektor und die Luftfahrt. Rund 40% der EU-weiten CO2-Emissionen sind unter diesem Emissionshandel reguliert, das heißt: Die EU setzt ein Budget fest, wie viel CO2 bis 2030 noch ausgestoßen werden darf. Jedes Unternehmen, das unter diesen Emissionshandel fällt und CO2 ausstoßen möchte, muss sich aus diesem Budget ein Emissionsrecht kaufen. Diese sogenannten Emissionsrechte werden von der EU jedes Jahr versteigert – und zwar jedes Jahr weniger.
Ihr kauft diese CO2-Rechte auf. Wie funktioniert das genau?
Ruth von Heusinger:
Wir von ForTomorrow kaufen solche Emissionsrechte auf und legen sie still, also benutzen sie nicht. Dadurch verringern wir die Menge an CO2, die in der EU ausgestoßen wird. Dabei kommt es zu einem doppelten Effekt: Denn wenn die Menge an Emissionsrechten knapper wird, dann steigt auch deren Preis. Da lohnt es sich für Unternehmen nicht mehr, klimaschädlich zu wirtschaften. Dass man dieses System auch für den Klimaschutz nutzt, hatte die EU übrigens von Anfang an angedacht. Es wird aber noch viel zu wenig gemacht.
Auf viele Dinge, die unseren modernen Lebensstil bestimmen, haben wir keinen Einfluss, wie die öffentliche Infrastruktur oder die Industrie.
Vielleicht weil kaum jemand dieses System kennt und noch viel zu wenig darüber berichtet wird?
Ruth von Heusinger:
Ja, man hört immer wieder »Wir brauchen einen CO2-Preis!« und ich denke mir dann: Wir haben ja schon einen CO2-Preis in der EU. Es gibt zwar einige , aber die meisten Unternehmen und Privatpersonen kompensieren über Projekte im Globalen Süden. Das ist schade, weil wir ein gutes System haben, das wir nutzen können, um unseren eigenen CO2-Ausstoß zu senken. Es gibt einen McKinsey-Report aus dem Jahr 2020, der zeigt: In den Sektoren, wo der Emissionshandel greift, wird wirklich weniger CO2 ausgestoßen als früher. Wo noch nicht weniger CO2 ausgestoßen wird, ist im Mobilitätssektor, der nicht unter den Emissionshandel fällt. Da muss die EU auf jeden Fall was machen. Es gibt zwar Grenzwerte für die Automobilkonzerne, aber die haben dann einfach größere Autos gebaut.
Das will die EU jetzt angehen: Erst letzte Woche hat das Europäische Parlament einer Reform zugestimmt, die den Emissionshandel auf die Bereiche Verkehr und Gebäude ausweiten soll.
Ruth von Heusinger:
Die Ausweitung finde ich sehr gut. Für ForTomorrow-Spender:innen bedeutet das, dass sie mit uns durch das Wegkaufen der Emissionsrechte auch eine zusätzliche CO2-Reduktion bei Verkehr und Gebäude bewirken. Es wäre toll, wenn in Zukunft auch noch Landwirtschaft hinzukäme.
Ein Kritikpunkt am Emissionshandel war, dass die Industrie viele CO2-Zertifikate von der Politik geschenkt bekäme. Diese Geschenke sollen nun bis 2032 auslaufen.
Ruth von Heusinger:
Die freien Zuteilungen gibt es für Unternehmen, bei denen das Risiko besteht, dass sie ihre CO2-intensive Produktion in Länder ohne Emissionshandel verlegen könnten. Da dieses Risiko in Zukunft dank des CO2-Grenzausgleichs nicht mehr besteht, ist es sehr gut, die freien Zuteilungen einzustellen.
Dass wir in Ländern wie Nigeria den CO2-Ausstoß reduzieren, der dort durchschnittlich bei 0,5 Tonnen pro Kopf liegt, um unseren Ausstoß auszugleichen, der ja den Großteil ausmacht, das hat sich nicht richtig angefühlt.
Dieser CO2-Grenzausgleich, den du ansprichst, war Teil der Reform, die das Parlament letzte Woche abgesegnet hat. Damit müssen jetzt selbst Unternehmen, die außerhalb der EU produzieren, für ihre Importe einen CO2-Zoll bezahlen.
Ruth von Heusinger:
Genau. Denn selbst wenn die Stahlindustrie der EU unter dem Emissionshandel reguliert ist, besteht die Gefahr, dass Unternehmen ihre Industrieprozesse einfach in andere Länder verlagern, in denen es noch keine Regulation gibt, und den Stahl von dort importieren. Genau deshalb sollen auch Importe im Hinblick auf deren CO2-Fußabdruck reguliert werden. Eine andere Lösung wäre, dass auch andere Länder einen Emissionshandel einführen, so wie es China gerade gemacht hat. Auch wenn Chinas Emissionshandel noch nicht so streng reguliert ist wie in Europa.
Mit dem CO2-Zoll will die EU Klimaschutz in die Welt exportieren, erklärt unser Autor David Ehl in diesem Text:
Wie kompensiert ihr die restlichen 5 Tonnen, die jede:r Deutsche im Durchschnitt produziert?
Ruth von Heusinger:
Diese 5 Tonnen kompensieren wir darüber, dass wir Bäume pflanzen, die CO2 wieder aus der Luft holen. Die Bäume müssen allerdings 80 Jahre wachsen, um 5 Tonnen aus der Luft zu holen und in ihrem Holz zu speichern.
Ein frisch gepflanztes Bäumchen von ForTomorrow. Damit es dazu beitragen kann, 5 Tonnen CO2 aus der Luft zu holen, muss es allerdings noch 80 Jahre wachsen.
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Quelle:
ForTomorrow
Haben wir diese Zeit?
Ruth von Heusinger:
Eigentlich müsste alles viel schneller gehen. Aber dann würde es sehr, sehr teurer werden. Und wir sind schon teurer als andere Kompensationsanbieter. Deswegen haben wir uns für den langen Zeitraum entscheiden. Auch entfaltet CO2 seine Klimawirkung zum Glück erst später, also zeitlich versetzt. Die Erderhitzung, die wir heute spüren, wird durch CO2 hervorgerufen, das vor Jahrzehnten ausgestoßen wurde. Doch je schneller wir CO2 aus der Luft holen, desto besser.
Das funktioniert nur, wenn die Bäume langfristig erhalten bleiben.
Ruth von Heusinger:
Das ist der Grund, warum wir in Deutschland aufforsten. Hier werden Waldbrände relativ schnell gelöscht. Außerdem pflanzen wir den Mischwald auf staatliche Brachflächen, wo vorher kein Wald stand. Laut deutschem Bundeswaldgesetz muss der Staat diesen Wald, wenn er zum Beispiel abbrennt, wieder aufforsten. So hat man zumindest die Sicherheit, dass die gesamte Waldfläche mehr wird und nicht immer weiter verschwindet, wie es zum Beispiel in Brasilien der Fall ist.
Ruth von Heusinger pflanzt im März 2021 gemeinsam mit ihrem Kooperationspartner »Schutzgemeinschaft Deutscher Wald« den ersten Hektar Wald auf einem ehemaligen Bergbaugebiet in Deutschland. Den Standort hat ForTomorrow, öffentlich gemacht sodass jeder hinfahren und sich den entstehenden Wald anschauen kann.
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Quelle:
ForTomorrow
Wie stellt ihr sicher, dass der Wald auch wirklich gepflanzt wird?
Ruth von Heusinger:
Wir haben im März den ersten Hektar Wald auf einem ehemaligen Bergbaugebiet aufgeforstet. Da habe ich selbst mitgepflanzt. Wir teilen den Standort auch, sodass jeder hinfahren und es sich anschauen kann. Unser Kooperationspartner »Schutzgemeinschaft Deutscher Wald« kümmert sich vor Ort darum. Und dann gibt es noch eine Reihe an Vorgaben, zum Beispiel dass es ein Mischwald ist, der ökologisch wertvoll ist, oder dass er ohne Pestizide gepflanzt wird.
Ist Bäumepflanzen wirklich effizient? Unser Autor Felix Austen hat recherchiert:
Ruth von Heusinger:
Ich habe früher bei Atmosfair gearbeitet, einer gemeinnützigen Klimaschutzorganisation.
An Atmosfair kann man spenden, wenn man einen Flug bucht, um den damit verbundenen CO2-Ausstoß zu kompensieren.
Ruth von Heusinger:
Genau. Die Kompensation findet dort aber über Projekte in Entwicklungsländern statt. Dass wir in Ländern wie Nigeria den CO2-Ausstoß reduzieren, der dort durchschnittlich bei 0,5 Tonnen pro Kopf liegt, um unseren Ausstoß auszugleichen, der ja den Großteil ausmacht, das hat sich nicht richtig angefühlt. Wir müssen bei uns etwas ändern, wenn wir effektiv CO2 reduzieren wollen. So kam ich auf die Idee, den Menschen zu ermöglichen, ihren CO2-Ausstoß zu kompensieren, aber hier in Europa, nicht im Globalen Süden.
Wie viel habt ihr bis jetzt an CO2 kompensiert?
Ruth von Heusinger:
Wir sind jetzt bei mehr als 23.000 Bäumen und 6.885 Emissionsrechten. Das entspricht mehr als 11.000 Tonnen CO2. Die entzogenen Emissionsrechte sorgen zum Beispiel dafür, dass ein Steinkohlekraftwerk für 6 Tage abgeschaltet werden muss.
Das Interview ist in gekürzter Form zuerst beim Onlinemagazin Salto.bz erschienen.
Als Teil einer deutschen Minderheit in Italien aufgewachsen, hat Julia sich schon als Kind gefragt, wie Brücken zwischen verschiedenen Ländern und Perspektiven gebaut werden können. Dafür hat sie zuerst Europäische Politik studiert und später Internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Russland und Eurasien. Diese Länder nimmt sie auch für Perspective Daily in den Fokus. Doch nicht nur ins Ausland, auch in andere Filterblasen will Julia Brücken schlagen – um zu zeigen, dass unsere Gesellschaft weniger gespalten ist, als viele meinen.