Wie ticken junge Menschen, die sich in den Dienst Gottes stellen?
Viele religiöse Gemeinden altern, schrumpfen und sind wenig demokratisch. Eine Rabbinerin und ein Pfarrer erklären, warum sie sich trotzdem für das Leben mit dem Glauben entschieden haben – und was sie verändern wollen.
Helene Braun, 25, ist angehende Rabbinerin aus Hannover und studiert in Potsdam jüdische Theologie. Sich mit dem jüdischen Glauben zu beschäftigen, schließt für sie das Engagement für die noch wenig beachtete jüdische
mit ein.
Johannes Prestele, 38, lebt und arbeitet als katholischer Pfarrer in Bayern. Obwohl er bereits seit seiner Kindheit einen tiefen Glauben verspürt, fand er erst über den Umweg eines Politikstudiums in Berlin zu seiner Berufung.
Christa Roth:
Johannes, du arbeitest als Jugendpfarrer in Kempten im Allgäu. Ist es manchmal schwer, sich zu den gegensätzlichen Polen »Aufbruch und Moderne« versus »reaktionäre Konventionen« zu verhalten?
Johannes Prestele:
Ich habe meine Meinung, weiß aber auch nicht immer, was richtig ist. Sich nur zu verändern, um mehr Leute für sich zu gewinnen, das machen Parteien. Wir sind eine Weltkirche. Ich habe versprochen, die Lehre der Kirche zu vertreten. Ich möchte einfach ein Seelsorger sein, der für alle ansprechbar bleibt, Verständnis aufbringt. Meine Hoffnung ist, dass möglichst viele zu Jesus finden und durch das Evangelium Freude empfinden.
Helene, du engagierst dich für die queere Community vor allem durch deine Vereinsarbeit bei (hebräisch: »Regenbogen«) in Berlin. Was genau steckt dahinter?
Helene Braun:
Der Verein soll in die Gemeinden hineinwirken und queere Menschen sichtbar machen, gerade weil sich viele dort nicht willkommen fühlen. Auf der anderen Seite wollen wir in queere Räume hineingehen, um klarzumachen, warum sich jüdische Menschen hier eventuell nicht wohlfühlen – was oft an dem vorhandenen Antisemitismus liegt. Das zwingt queere Jüd:innen, sich zwischen diesen beiden Identitäten entscheiden zu müssen.
Der Verein bietet Safe Spaces wie den »Pride Shabbat«. Deshalb denken viele, Keshet sei ein liberaler Verein. Das stimmt aber nicht, wir gehen auf die Gemeinden aller und Strömungen zu. Mittlerweile sind wir nicht mehr nur in Berlin, sondern auch in München und Frankfurt (Main) vertreten. Es sind immer mehr Regionalgruppen im Aufbau.
Mit Illustrationen von
Frauke Berger
für Perspective Daily
Identität, Integration, Irritation – Begriffe, die uns alle durch das Leben begleiten. Wer wir sein können, hat noch zu oft mit Herkunft und Fremdzuschreibung zu tun. Ein Unding für Christa, geboren in Siebenbürgen, Rumänien. Politikstudium in Berlin und Journalistenschule in Hamburg haben ihr gezeigt, dass Selektionsmechanismen real, aber auch überwindbar sind. Wie, darüber schreibt sie.