Kann mir ein Persönlichkeitstest sagen, wie ich wirklich bin?
Vermitteln die Tests verlässliche Erkenntnisse oder bloß Hokuspokus? Ich habe 4 der bekanntesten ausprobiert und weiß jetzt, was sie bringen und wo sie danebenliegen.
»Bist du bereit, deine brillante Persönlichkeit besser kennenzulernen?«
Brilliant, ernsthaft? Eine solche Betreffzeile, die ich gerade in mein digitales Postfach bekommen habe, würde ich normalerweise lächelnd wegklicken und in den Spamordner verschieben. Persönlichkeitstests haben einen eher schlechten Ruf. Doch für diesen Artikel will ich es als Psychologin genau wissen und ausloten, ob solche Angebote uns wirklich etwas über unser Innerstes verraten.
Also bin ich natürlich bereit!
Allerdings verspreche ich mir wenig von dem ersten Test, weil er mich einem Tiertyp zuordnen wird. Auch wenn ich das Konzept albern finde, spüre ich eine gewisse Neugier. Hier greift etwas ganz Menschliches: Die Verheißung, mehr über uns selbst zu erfahren, ist groß. Denn obwohl wir uns alle am besten kennen müssten, fällt es den meisten schwer zu sagen, welche Eigenschaften uns ausmachen.
Auch mir als Psychologin geht das so. Denn die eigene Selbstwahrnehmung kann trügen oder unklar sein. Überlege ich etwa, ob ich mutig bin, fällt mir für jede mutige Handlung eine Situation ein, in der ich mich gedrückt habe. Manchmal schenken uns Gespräche mit anderen kleine Einblicke, wie wir nach außen wirken. Ein vollständiges, verlässliches Bild unserer Persönlichkeit erhalten wir so aber nicht.
Und genau hier kommen Persönlichkeitstests ins Spiel. Sie versprechen uns einen einfachen, schnellen Weg, mehr über uns zu erfahren und herauszufinden, wie wir uns von anderen unterscheiden. In den vergangenen Tagen habe ich die 4 beliebtesten Persönlichkeitstests gemacht und analysiert. Das ist dabei herausgekommen.
Der antike Klassiker in neuem Gewand: Tiere und Körpersäfte
Der erste Versuch, Personen verschiedenen Temperamenten zuzuordnen, wirkt aus heutiger Sicht wenig appetitlich.
- Sanguiniker (Blut): lebhaft, gesprächig und heiter
- Phlegmatiker (Schleim): ausgeglichen, gleichgültig und träge
- Choleriker (gelbe Galle): aufbrausend, reizbar und dominant
- Melancholiker (schwarze Galle): schwermütig, in sich gekehrt und nachdenklich

Ich vermute allerdings, dass ich die Fragen im Test so beantwortet habe, dass ich keiner der ursprünglichen Kategorien eindeutig zugeordnet werden konnte und deshalb in der Sonderkategorie »Chamäleon« gelandet bin. Damit wird mindestens ein Problem solcher einfachen Tests offensichtlich, die sich zuhauf in ähnlicher Variante im Internet finden: 4 Typen reichen nicht, um die Vielfalt an Persönlichkeiten abzubilden – egal ob nun als Tiere, Menschentypen oder Hogwarts-Häuser verpackt.
Der Test, den viele ernst nehmen: Der Myers-Briggs-Typenindikator
Eine bessere Auflösung bietet der
- Extra- und Introversion
- Konkrete und abstrakte Wahrnehmungstypen
- Fühl- und Denk-Entscheider
- Organisierte und Lockere
Jeder Mensch bekommt pro Dimension eine der 2 Ausprägungen zugeordnet. So entstehen die 16 Typen. Eine Person, die etwa extravertiert, abstrakt in der Wahrnehmung und organisiert ist und ihre Entscheidungen aus dem Bauch heraus trifft, hat den Persönlichkeitstyp EAFO.

Hast du auch Lust, ein paar Fragen über dich zu beantworten? Hier ist ein Minitest für zwischendurch. Was es damit auf sich hat, erfährst du gleich.
Ich entscheide mich gegen die Zwangsjacke und die Gebrauchsanweisung und werde vom MBTI als »Konsulin« und von
Also taugen diese Tests etwas? Nicht so schnell.
Auch ich erwische mich beim Lesen der Beschreibung meines Persönlichkeitsprofils dabei, wie ich nicke und denke: Ja, so bin ich! Im gleichen Moment ärgere ich mich über mich selbst. Obwohl ich es schon erwartet hatte, konnte ich es nicht vermeiden: Ich bin dem Barnum-Effekt zum Opfer gefallen. Der
Warum der Schubladenschrank der Typenmodelle ein Problem ist
Was der Tiertest und die beiden Versionen des Myers-Briggs-Tests gemeinsam haben, ist ein grundsätzliches Problem: Sie wollen mich am Ende bewusst in eine eher große Schublade stecken. Denn der Typenansatz verspricht, dass ich auch andere Menschen anhand ihrer Schubladen besser lesen und beeinflussen kann. Ich muss nur erkennen, ob sie Hai, Eule, Kommandeur:innen oder Debattierende sind, schon kann ich sie besser managen, erziehen oder sogar dazu bringen, meine Produkte zu kaufen. Und daran haben Marketingabteilungen und übrigens auch politische Kampagnen enormes Interesse.
Doch Menschen lassen sich nicht als Ganzes ordentlich und vorhersehbar in Schubladen einteilen. Wir fallen nicht sauber in eine von 2 Kategorien, wie es der MBTI für die einzelnen Dimensionen annimmt.
Hinter diesem Problem der Typenmodelle steckt noch ein viel größeres: Sie wurden nie wissenschaftlich überprüft und weiterentwickelt oder mit Erkenntnissen aus der Psychologie abgeglichen.
Aber gibt es denn keinen wissenschaftlicheren Persönlichkeitstest?
Die Big 5: Mit dem Wörterbuch zu einem besseren Persönlichkeitsmodell
Die Psychologen Gordon Allport und Henry Odbert haben versucht, die Struktur der Persönlichkeit besser zu erfassen und kamen auf einen ungewöhnlichen Ansatz. Sie gingen nicht ins Café oder in Therapiesitzungen, um Leute zu beobachten, sondern schlugen das Wörterbuch auf. In den 30er-Jahren trugen sie alle Wörter aus der englischen Sprache zusammen, die die Persönlichkeit beschrieben. Die Idee dahinter: Alles, was wir am Wesen anderer Menschen wahrnehmen, schlägt sich in der Sprache nieder. Eine Bestandsaufnahme im Wörterbuch sollte deshalb ein vollständiges Bild liefern, welche Aspekte die Persönlichkeit ausmachen.
Die Begriffssammlung von Allport und Odbert war mit 17.953 Wörtern alles andere als handlich. Andere Forschungsteams übernahmen sie, kürzten sie und entwickelten daraus Fragebögen mit kurzen, einfachen Aussagen wie »Ich bin gesellig« oder »Ich bin ordentlich«. Diese Fragebögen ließen sie von Freiwilligen ausfüllen und analysierten sie mit statistischen Verfahren. Dabei fanden sie heraus, dass bestimmte Eigenschaften zusammenhingen. Personen, die etwa als freundlich beschrieben werden, werden oft auch als sehr geduldig angesehen, aber selten als unhöflich. Sie identifizierten
- Extraversion: Extravertierte Personen sind gesellig, haben viel Energie und sind durchsetzungsfähig. Introvertierte Personen sind eher nach innen gerichtet und zurückhaltend.
- Verträglichkeit: Verträgliche Menschen sind höflich und bringen ihren Mitmenschen Mitgefühl und Vertrauen entgegen. Weniger verträgliche Menschen üben schnell Kritik und gehen einem Streit nicht aus dem Weg.
- Gewissenhaftigkeit: Wer eine hohe Gewissenhaftigkeit hat, ist fleißig, organisiert und zuverlässig. Wer weniger gewissenhaft ist, ist dagegen auch weniger ordentlich.
- Emotionale Stabilität: Menschen mit hoher emotionaler Stabilität sind ausgeglichen, gelassen und unbeschwert. Menschen mit niedriger emotionaler Stabilität sind eher ängstlich und geraten schneller in Stress.
- Offenheit: Offene Personen sind neugierig auf neue Ideen und schätzen kreative Einfälle. Sie begeistern sich für Kunst und Kultur. Weniger offene Personen bevorzugen das Bewährte und scheuen Veränderung.
Der Fragebogen zu den Big 5 ist anders aufgebaut als die beiden anderen Tests. Ich muss mich nicht für eine oder 2 Aussagen entscheiden, stattdessen soll ich auf einer Skala von 1 bis 5 angeben, wie sehr Sätze wie »Ich bleibe auch in stressigen Situationen gelassen« auf mich zutreffen. Die Persönlichkeitseigenschaften werden hier als Kontinuum verstanden und der Test soll ermitteln, wo ich mich auf diesem Kontinuum befinde.
Als das Ergebnis auf meinem Bildschirm aufleuchtet, ähnelt es einem Bergpanorama: 5 Punkte, die über eine Linie miteinander verbunden sind und Gipfel und Täler formen. Für jede der 5 Persönlichkeitseigenschaften zeigt mir ein Punkt an, wo ich mich im Vergleich zum Durchschnitt befinde. Dadurch weiß ich, bei welchen Eigenschaften ich so ticke wie die meisten Menschen und bei welchen ich eher heraussteche. Die beiden Gipfel entstehen, weil ich überdurchschnittlich offen und verträglich bin. Bei Extraversion, Gewissenhaftigkeit und emotionaler Stabilität bewege ich mich im
Streng genommen müsste es heißen, dass ich mich als überdurchschnittlich offen und verträglich ansehe und nicht, dass ich überdurchschnittlich offen und verträglich bin. Die Auswertung kann nur sagen, wie ich mich selbst einschätze, und nicht, ob ich wirklich so bin. Um das herauszufinden, wären viel mehr Daten nötig, die zeigen, wie ich mich in verschiedenen Situationen verhalte: Gehe ich tatsächlich auf Menschen zu? Bin ich wirklich offen für neue Erfahrungen oder bleibe ich lieber zu Hause?

Die Big 5 gelten heute als Goldstandard der Persönlichkeitsmessung. Seit Gordon Allport und Henry Odbert das Lexikon in die Hand nahmen, haben Psycholog:innen fast ein Jahrhundert lang daran gearbeitet, die Big 5 zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Forschungsteams haben andere Sprachen wie etwa Deutsch und Holländisch nach Persönlichkeitsbegriffen durchforstet und sind am Ende auf die gleichen 5 Faktoren gekommen. Auch in China gab es große Übereinstimmungen zwischen den Eigenschaftsgruppen,
Auch mir geben die Big 5 einen guten Überblick, wie ich mich bei den wichtigsten Persönlichkeitseigenschaften im Vergleich zum deutschen Durchschnitt einschätzen kann. Doch am Ende – und das muss man sich immer wieder klarmachen – sind auch sie eine Vereinfachung eines hochkomplexen Individuums. Ich erfahre etwa nichts darüber, welche Werte mir wichtig sind, welche Ziele ich verfolge, ob ich eine dunkle Seite habe oder wie mein Humor ist. Es sagt auch nichts darüber aus, woher diese Merkmale kommen oder ob und wie sie sich verändern.
Was ich bei meinem Persönlichkeitstestmarathon gelernt habe
Nach den 4 Tests weiß ich tatsächlich besser, wer ich bin. Doch das meiste habe ich nicht durch die Testergebnisse über mich gelernt, sondern schon beim Ausfüllen der Fragebögen. Die Fragen haben mich dazu gezwungen, zu überlegen, wie ich mich im Alltag verhalte. Dabei ist mir bewusst geworden, in welchen Situationen und unter welchen Bedingungen ich mich besonders wohlfühle und wo meine Grenzen liegen.
Sind Persönlichkeitstests also besser als ihr Ruf?
Das kommt darauf an, was man erwartet. Überraschungen gab es bei mir nämlich keine. Ich wurde eher darin bestätigt, was ich schon über mich wusste. Über geheime Talente oder Eigenheiten, die mir vorher verborgen waren, habe ich nichts erfahren – und das ist gut so. Ein Persönlichkeitstest, zumindest ein seriöser, könne uns nur das über uns sagen, was wir ihm zuvor verraten hätten, betont
Wie sich die Persönlichkeit im Laufe des Lebens ändert und wie wir sie gezielt verändern können, erfährst du in meinem nächsten Text.
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily