Warum Sparen nicht gegen Inflation hilft und was wir stattdessen tun sollten
Christian Lindner ist überzeugt, mit der Schuldenbremse auch die Inflation bekämpfen zu können. Blöd nur, dass einige Ökonom:innen das komplett anders sehen.
Stelle dir vor, du sitzt beim Abendessen. Hungrig, nach einem langen Tag, vor dir ein Teller voll mit duftenden, goldgelben Pommes. Ungeduldig nimmst du die Ketchupflasche, drehst sie auf den Kopf, doch es kommt … nichts. Klopfen, schütteln, Messer rein – ein Blubb! Und plötzlich überschwemmt der Ketchup deinen Teller … Die rote Soße jetzt wieder zurück in die Flasche bekommen? Keine Chance.
Was sich anhört wie eine banale Anekdote über ein misslungenes Abendessen,
Was dahinter steckt? Für viele steht die Schuldige für die aktuellen Preissteigerungen fest: Die Europäische
Das sei lange gut gegangen und Inflation war kein Thema, doch unweigerlich musste es irgendwann zur Katastrophe kommen: Verlockt durch die niedrigen Zinsen, die sie auf ihre Schulden bezahlen müssen, hätten die Staaten über ihre Verhältnisse gelebt. Dabei seien sie im festen Glauben gewesen, dass der Ketchup in der Flasche bleibt. Das räche sich nun durch die historisch hohe Inflationsrate.
Wie kriegen wir den Ketchup zurück in die Flasche?
Das neue Mantra muss nach Meinung vieler daher nun lauten: Den Gürtel enger schnallen, weniger Geld drucken und Schulden abbauen – denn nur so kriegen wir den Ketchup zurück in die Flasche und die Inflationsrate in den Keller.
Was ist dran an dieser Erzählung, die vor allem Marktliberale wie Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Konservative wie Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) landauf, landab verkünden?
Ist Sparen die Lösung? Oder ist gerade das vielleicht sogar gefährlich für die Wirtschaft, die finanzielle Existenz der Bürger:innen – und am Ende sogar für das Klima?
Die gute Nachricht: Um zu verstehen, welche Gefahren die Politikkombination aus hohen Zinsen und Sparen mit sich bringt, muss man nicht Ökonomie studiert haben. Und um zu verstehen, was Mensch und Planet in diesen Zeiten wirklich helfen könnte, auch nicht. Es reicht, diesen Text zu lesen.
Je nach eurem individuellen Vorwissen können die ganz Eiligen unter euch hier direkt zu den jeweiligen Abschnitten springen:
Höhere Zinsen gegen die Inflation?
»Die Jagd nach dem Sündenbock ist die einfachste«, soll der 34. US-Präsident Dwight D. Eisenhower angeblich einmal gesagt haben. Genau so eine Jagd auf den sprichwörtlichen Sündenbock lässt sich aktuell in vielen journalistischen Artikeln und in den sozialen Medien beobachten. Im Visier: die Europäische Zentralbank (EZB).
Kritiker:innen machen sie für die Inflation verantwortlich: Sie sei schuld, weil sie die Eurozone durch ihre Niedrigzinspolitik mit Geld geflutet habe. Die Argumentation dahinter: Je niedriger die Zinsen, desto einfacher ist es für Staaten, sich zu verschulden. Das treibe wiederum die Inflation in die Höhe.
Vor diesem Hintergrund forderten in den letzten Monaten vor allem wirtschaftsliberale und konservative Stimmen vehement, die sogenannte Zinswende zu vollziehen. Der Leitzins solle erhöht und Geld damit »teurer« gemacht werden, damit weniger davon in Umlauf ist. Das Geld oder der Ketchup soll zurück in die Flasche gelangen.
Ist die lange erwartete Zinswende nun also der Startschuss für eine schmelzende Inflationsrate? Die Antwort lautet ganz klar: nein. Um zu verstehen, warum das nicht klappen wird, fangen wir einmal ganz vorne an und räumen mit einem alten Stammtischmythos auf.
Warum die Notenpresse die Inflation nicht zwangsläufig befeuert
Joscha Wullweber kann den öffentlichen Druck, der gerade auf den Zentralbanken lastet, gut nachvollziehen. Schließlich gelten diese allgemein als Wächter der Preisstabilität. Wullweber ist Politökonom und Experte für Zentralbankpolitik, Kredit- und Geldtheorien und hat im vergangenen Jahr ein Buch mit dem Titel
Alle zeigen jetzt natürlich mit dem Finger auf die Zentralbanken und sagen: ›Jetzt macht doch endlich mal was!‹ Das Problem ist aber, dass wir es derzeit mit einer Form der Inflation zu tun haben, an der Zentralbanken wenig ändern können.
Wer sich nicht auf Bilder von Ketchupflaschen verlässt, sondern auf Zahlen und Fakten, wird feststellen: Von der vermeintlich
Richtig ist, dass die Geldmenge in den vergangenen 20 Jahren zweifelsfrei einige Hochs und Tiefs hinter sich hat. Richtig ist auch, dass sie unterm Strich deutlich gewachsen ist. Ungeachtet dessen war die Inflation in der Eurozone in diesem Zeitraum durchweg niedrig –
Als die EU-Staaten im Jahr 2020 milliardenschwere Rettungspakete verabschiedeten, um die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise abzumildern, schoss die Geldmenge zwar nach oben. Das allein hat aber in den Jahren zuvor auch nicht zu Inflationsraten geführt, wie wir sie jetzt erleben. Als bedeutender oder gar alleiniger Faktor scheidet die Geldmenge somit rein faktisch aus.
Und nun zur eigentlichen Frage: Würde Sparpolitik gegen die Inflation helfen?
Die Mär von den Schulden, die die Inflation treiben
Der vorangegangene Graph zeigt deutlich, dass die Geldmenge allein nicht zwangsläufig mit der Inflation zusammenhängt. Doch das entkräftet noch nicht die vor allem im wirtschaftsliberalen und konservativen Lager populäre Ketchup-Theorie. Deren Argument ist es ja gerade, dass mit der Inflationsrate lange nichts geschehe, nur um dann mit einem Schlag in die Höhe zu schießen, sobald das »billige Geld« zu hohen Staatsschulden verführt habe.
Eine Erzählung, die aktuell vor allem Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und das Bundesfinanzministerium gebetsmühlenartig wiederholen:
Unser gefährlichstes Problem ist die Inflation. Wir können nicht immer mehr Geld auf Pump in Umlauf bringen. Die Schuldenbremse ist die Inflationsbremse. Aufgrund steigender Zinsen können wir uns Schulden zudem nicht mehr leisten.
Lindner und sein Ministerium spielen hier klar im selben Team mit Oppositionsführer und Unionsvorsitzenden Friedrich Merz (CDU). Auch er erklärte vor dem Bundestag im Juni 2022: »Die Menschen machen sich […] Sorgen um die Inflation, die Geldentwertung und die Zinsentwicklung.
Das stimmte schon vor der Coronakrise nicht – und heute noch immer nicht.
Es gibt wissenschaftlich gesehen keinen empirischen Zusammenhang zwischen erhöhten Staatsschulden und Inflation. Punkt. Da gibt es auch nichts zu diskutieren.
Joscha Wullweber verweist auf die objektiv messbaren Daten, um die Aussage von Lindner und Merz zu widerlegen: »Wenn wir die Inflationsraten der unterschiedlichsten Länder vergleichen, stellt man schnell fest, dass diese überhaupt nicht mit den jeweiligen Staatsschulden zusammenhängen.«
So haben sehr ausgabefreudige Länder nicht automatisch eine hohe Inflationsrate. Japan hat mit einer Staatsverschuldung von 260% des
In diesem Text habe ich aufgeschrieben, warum der deutsche Kult um die Schwarze Null unsere Zukunft zerstört. Hier liest du auch, wie die Modern Monetary Theory (MMT) als Grundlage für eine alternative Politik dienen kann.
Woher die Preisschocks wirklich kommen
Ungeachtet der messbaren Zahlen hält die Bundesregierung auf Betreiben der FDP an dem Plan fest, die Schuldenbremse trotz der enormen Herausforderungen wieder in Kraft zu setzen – und zwar vor allem auch mit dem Argument der Inflationsbekämpfung.
Dabei hängt weder die Geldmenge noch der Schuldenstand eines Landes in der aktuellen Situation mit der Inflation zusammen. Leitzinserhöhung und Staatsschuldenabbau sind also denkbar ungeeignete Instrumente, um den wahren Ursachen der jüngsten Preissprünge zu begegnen.
Schlimmer noch: Sie könnte die Misere sogar noch wesentlich verstärken, weil sie an der komplett falschen Stelle ansetzt. Schließlich beeinflussen Leitzinserhöhung und Sparmaßnahmen nicht die Haupttreiber der Inflation: Dazu gehört vor allem die starke Nachfrage nach Energie und Rohstoffen, die bereits im Jahr 2021 im Zuge der wirtschaftlichen Erholung nach dem ersten Jahr der Coronapandemie zunahm.
Steigt die Nachfrage bei gleichzeitig niedrigem Angebot, steigen auch die Preise. Unternehmen geben die Mehrkosten dafür dann an die Verbraucher:innen weiter. Das war bereits vor dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine spürbar. Durch die seit Februar dieses Jahres eingeführten Sanktionen zogen die Preise, die ohnehin schon ein hohes Niveau erreicht hatten, noch einmal zusätzlich an.
Das Angebot an Waren und Rohstoffen wird zudem durch gestörte globale Lieferketten noch weiter reduziert, was ebenfalls zu Preissprüngen führt.
Auch hier spielen die Folgen der Pandemie eine Rolle: Das Virus führte zwischenzeitlich etwa dazu, dass der zweitgrößte Containerhafen Chinas schließen musste, was die globale Lieferkette unterbrach. Aber auch die tagelange Blockade des Suezkanals durch das Frachtschiff »Ever Given« im März 2021 führte zu erheblichen Verzögerungen, die bis heute nachwirken.
Was viel zu häufig ignoriert wird: Auch die Klimakrise treibt schon heute die Preise. Ernteausfälle infolge von
Ökonomisch gesagt zeigt sich also: Nicht Geld und Staatsschulden spielen eine Rolle, sondern ein zu knappes Angebot, das auf eine hohe Nachfrage trifft.
Warum die Zentralbanken und die Schuldenbremse das Problem verschärfen
Die Erkenntnisse aus dieser Bestandsaufnahme: Unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und die daraus resultierende Klimakrise kosten uns bereits heute viel Geld und damit Wohlstand. Zentralbanken, die am Leitzins drehen, können an den eigentlichen Ursachen hingegen nicht viel ändern. Im Gegenteil: Aktuell verschlimmern die Zinserhöhungen in den USA und Europa das Problem, sie bremsen Investitionen in die dringend nötige grüne Transformation.
Wirtschaftsliberale Ökonom:innen und Politiker:innen, die uns zur Sparsamkeit mahnen und verkünden, wir müssten den Gürtel nun enger schnallen, »um die Inflation zu bekämpfen«, tun da ihr Übriges. »Eine solche Politik wäre ein Konjunkturprogramm für radikale politische Parteien. Was nutzt es, den Gürtel enger zu schnallen, wenn man keine Hose mehr hat?«, fragt Patrick Kaczmarczyk.
Der Politökonom kritisiert, dass die Versuche der Bundesregierung, die Inflation zu bekämpfen, von falschen Prämissen ausgehe: »Inflation ist dem Statistischen Bundesamt zufolge ein kontinuierlicher Prozess, daher beschreibt der Begriff Preisschocks die Situation wesentlich besser.«
Kaczmarczyk sieht daher Anlass zur Hoffnung, dass weitere große Teuerungswellen eher unwahrscheinlich seien. »Natürlich ist momentan noch nicht abzusehen, was in der näheren Zukunft auf uns zukommt. Aber weitere Faktoren, die die Dynamik noch mal derart anfachen könnten wie aktuell, die sehe ich einfach nicht.«
Damit will Kaczmarczyk aber nicht relativieren, dass es immense wirtschaftliche und soziale Probleme anzugehen gelte. »Wir als Verbraucher:innen müssen jetzt einen großen Teil unseres Budgets für Energie aufbringen. Das führt dann natürlich dazu, dass viele Menschen in Existenznot geraten.«
Daher sind Lindners Pläne, ausgerechnet mit dem Abbau von Staatsschulden und Sparmaßnahmen die Inflation bekämpfen zu wollen, für Kaczmarczyk »völliger Unfug«. Zwar könne die Inflationsrate auf diese Weise aus volkswirtschaftlicher Perspektive gedrückt werden, der Preis dafür sei aber sowohl sozial als auch ökonomisch viel zu hoch.
Denn geringere staatliche Ausgaben bedeuten auch, dass es weniger Aufträge für die Wirtschaft gibt. Die Ausgaben des Staates sind daher am Ende unsere Einnahmen.
Niemand würde bestreiten, dass man durch eine wirtschaftliche Vollbremsung die Inflation in den Griff bekommen kann – und genau darauf scheinen Christian Lindners Pläne abzuzielen. Die Ökonomin Isabella Weber hat die Logik hinter dieser Herangehensweise einmal sehr schön auf den Punkt gebracht: ›Wenn es in der Küche brennt, flutet man am besten nicht gleich das ganze Haus – auch wenn der Brand so vielleicht gelöscht werden kann.‹
Was zurückbleibt, ist ein immenser Wasserschaden, der viel größer ist, als er sein müsste. »In Frankreich hatten wir erst vor Kurzem Wahlen, bei denen eine faschistische Kandidatin 42% geholt hat. Das ist brandgefährlich«, mahnt Patrick Kaczmarczyk.
Bereits vor der Coronakrise konnte fast jeder dritte Mensch in Deutschland aufgrund seiner finanziellen Situation nicht vollumfänglich am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Und in dieser Zahl ist die Mehrbelastung durch Preissteigerungen noch gar nicht mit eingerechnet,
Wirtschaftskrise zum Preis der Inflationsbekämpfung?
Die Gefahr, die aus dem aktuellen Kurs des Finanzministeriums entsteht, beschränkt sich nicht nur auf arme Menschen,
»Wenn die Menschen einen wesentlich höheren Anteil ihres Geldes für Energie und Lebensmittel ausgeben müssen, können sie es nicht mehr woanders ausgeben. So entsteht die Gefahr, dass dem wirtschaftlichen Angebotsschock ein sogenannter Nachfrageschock folgt, weil sich viele Menschen weniger leisten können. Wird hier nicht gezielt gegengesteuert, wird das zu mehr Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Flaute führen«, erklärt Kaczmarczyk.
Dieser Effekt ist bereits jetzt deutlich erkennbar. So sind die Umsätze im Einzelhandel im Mai so stark gefallen wie noch nie seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 1994, und zwar
Dabei gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen, die sowohl Mensch als auch Planet in der aktuell schwierigen Lage zugutekommen könnten.
Wie wir das Feuer bekämpfen, ohne das gesamte Haus zu ruinieren
Am Ende sollte eines klar sein: Die drastisch steigenden Lebenshaltungskosten werden zu einem großen Teil von den Preisschocks für Energie und Lebensmittel getrieben. Wer also die Inflationsrate drücken will, muss hier ansetzen – vor allem aus der sozialen Perspektive.
Das große Drama ist nicht eine allgemeine Inflationsrate von 8%. Das eigentliche Drama ist es, dass die Preise gerade für diejenigen Güter hochgehen, die wir konsumieren müssen, wie Lebensmittel, Strom und im Winter die Heizenergie. Diese Preissteigerungen werden durch eine Leitzinserhöhung aber nicht gedrückt.
Joscha Wullweber erklärt auch, wo wir am besten ansetzen sollten: »Wenn wir die Energiepreise runterbringen wollen, dann ist das vor allem durch große staatliche Investitionsprogramme möglich. An erster Stelle steht das Energiesparen. Das funktioniert primär über groß angelegte Sanierungsprogramme für Häuser. Hinzu kommt der konsequente Ausbau der erneuerbaren Energien. Auf diese Weise machen wir uns unabhängiger von den importierten Rohstoffen und drücken die Inflation.«
Die bereits erfolgte Leitzinserhöhung der Zentralbanken erschwert diesen Kurs nun allerdings erheblich. Denn die notwendigen Investitionen werden jetzt verzögert, da Kredite durch die höheren Zinsen teurer geworden sind.
Und auch die nationalen Zuschüsse und Subventionen für energetische Sanierung und nachhaltige Energiegewinnung seien aufgrund der Sparpolitik des Finanzministeriums bereits jetzt zusammengestrichen worden. Joscha Wollweber sieht hier eine Fehlentwicklung: »Das sind die absolut falschen Signale: All das führt gesamtwirtschaftlich zu weniger Investitionen, was natürlich auch den nachhaltigen Umbau betrifft, wo wir sie am dringendsten brauchen.«
Anstatt also etwas gegen die Ursache für die jetzige Situation zu unternehmen, werde die Abhängigkeit von den preistreibenden Rohstoffen durch die Politik des Finanzministeriums nur noch mehr zementiert.
Da die Zentralbanken über den Leitzins aktuell nicht viel erreichen könnten, außer die Situation zu verschärfen, unterstreicht er die Notwendigkeit für staatliches Eingreifen in die Wirtschaft: »Als Erstes müssen die schwächsten Gruppen geschützt und direkt entlastet werden, etwa durch die Anpassung der Hartz-IV-Sätze, der Renten, des Wohn- und Kindergeldes und des BAföGs. Auch das 9-Euro-Ticket, das die Transportkosten drückt, war eine gute Maßnahme«, sagt Joscha Wullweber.
Ein Gaspreisdeckel könnte helfen – aber bitte mit Sparanreiz
Ein weiterer vielversprechender Ansatz ist das Konzept des sogenannten Gaspreisdeckels. Die Idee dahinter: Jede:r Bürger:in bekommt ein gewisses Grundkontingent an Gas zum Verbrauch zugewiesen, dessen Preis pro Kilowattstunde nach oben hin gedeckelt ist. Die Differenz zum Marktpreis übernimmt der Staat. Frankreich, Spanien, Portugal, Belgien, Estland, Griechenland, Ungarn, Kroatien und Rumänien haben bereits einen Gaspreisdeckel eingeführt.
Das Haken: Wenn der Staat die höheren Kosten abfedert, führt das nicht unbedingt zu energiesparendem Verhalten. Daher wäre es sinnvoll, nur einen gewissen Grundverbrauch zu deckeln, der vergünstigt ist.
Alles darüber hinaus wird dann erheblich teurer und zum Ausgleich für die Entlastung des Grundverbrauchs zusätzlich besteuert. So würden auch diejenigen zum Sparen angeregt, die große Häuser besitzen oder gerne die Heizung bei offenem Fenster laufen lassen. »Den Grundverbrauch abzusichern ist notwendig, weil man weiß, dass die unteren Einkommensschichten deutlich weniger CO2 erzeugen als die oberen«, sagt Joscha Wollweber.
Zahllose weitere Maßnahmen wären denkbar – wenn der politische Wille dazu da ist. Das machen viele andere Länder vor: Ob Gaspreisdeckel,
Hier habe ich aufgeschrieben, wie eine Übergewinnsteuer genau funktioniert:
Große Krisen bieten die Chance für große Veränderungen
Für Joscha Wullweber ist klar, dass wir angesichts der immensen Herausforderungen vor einer Art Zeitenwende stehen:
Was uns die vielen Krisen gerade zeigen, ist: Wir können die Preisentwicklung bestimmter Güter nicht allein dem Markt überlassen. Selbst in vermeintlich guten Zeiten funktioniert er nur bedingt, weil die Marktmacht einiger Großkonzerne vieles verzerrt. Spätestens in Krisenzeiten wie jetzt funktioniert das Ganze nicht mehr.
Das zeigt sich aktuell am Fall des Unternehmens Uniper. Der Gasimporteur war aufgrund der Preisentwicklung ins Straucheln geraten, sodass die Bundesregierung eingreifen musste. Mit 15 Milliarden Euro steigt der Staat jetzt in das Unternehmen ein und übernimmt fast 1/3 der Anteile.
Dass Staaten künftig mehr und mehr in der grundlegenden Versorgung der Bevölkerung aktiv werden müssten, hält Joscha Wullweber für zentral: »Die Frage ist doch: Wollen wir wirklich kritische Infrastruktur wie die Gas- und Wasserversorgung oder die Verkehrsinfrastruktur irgendwelchen Privatunternehmen überlassen?«
Angesichts der aktuellen Entwicklungen wohl eher nicht. Jedenfalls wenn wirklich etwas gegen unkontrollierte Preissprünge und Knappheiten getan werden soll. Und zwar ohne dabei das Ziel aus den Augen zu verlieren, diesen Planeten bewohnbar zu halten.
Dafür sind jedoch entschlossene, wissenschaftlich fundierte Schritte aus der Politik nötig, statt veraltete Märchen zu erzählen, die durch ständiges Wiederholen auch nicht wahrer werden. Also zurück in den Kühlschrank mit der Ketchupflasche, dann klappt es auch mit der Inflationsbekämpfung.
Aufruf: Welche Finanzthemen bewegen euch in diesen Zeiten ganz persönlich?
Lebensmittel, Energie und Kredite werden teurer. Bei vielen Menschen ist der Blick aufs Konto mit immer mehr Sorgen verbunden. Gleichzeitig stellen sich viele die Frage, wie sie in Zeiten von Inflation und steigenden Zinsen weiter den Überblick über die Finanzen behalten. Wir möchten eure Fragen sammeln und erklären, was die aktuelle Situation für euch als Verbraucher:innen bedeutet. Kommentiert dazu einfach unter diesem Text oder schickt eure Fragen an corinna@perspective-daily.de.
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily