Warum sich diese Millionenerbin mehr Steuern für Reiche wünscht
Stefanie Bremer wird einen 2-stelligen Millionenbetrag erben. Im Interview erzählt sie, warum sie das für ungerecht und demokratiegefährdend hält. Und wie wir den Reichtum gerechter verteilen könnten.
»Arbeit muss sich lohnen!« Das ist einer der wenigen Sätze, auf den sich wohl alle politischen Parteien einigen können. Wer die Ärmel hochkrempelt und ordentlich anpackt, dem soll der soziale Fahrstuhl offenstehen, der bis in die obersten Etagen des Wohlstandshimmels reicht – .
Doch die Realität sieht anders aus.
In Deutschland wird über die Hälfte des privaten Vermögens nämlich nicht durch eigener Hände Arbeit erzielt, sondern durch . Das beweist: Eigene »Leistung« entscheidet in Deutschland eher im Ausnahmefall über die Höhe des Lebensstandards.
Wirklich reich wird man allein durch Arbeit nicht.
Stattdessen gilt also ein anderer Satz, den die Parteien nicht gern in den Mund nehmen: »Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer.« Die Pandemie und . Während die untere Hälfte der Bevölkerung so gut wie gar kein Vermögen besitzt oder verschuldet ist, erreicht die Zahl der Millionär:innen in Deutschland mit 1,63 Millionen in diesem Jahr einen .
Stefanie Bremer ist eine von ihnen. Sie wird einen Millionenbetrag erben. Eigentlich heißt die 32-Jährige gar nicht Stefanie Bremer, sie hat ein Pseudonym zum Schutz ihrer vermögenden Familie gewählt. Denn Bremer engagiert sich in der Öffentlichkeit zusammen mit anderen Millionär:innen bei der Initiative Taxmenow (deutsch: Besteuert mich jetzt).
Ich habe mit ihr darüber gesprochen, warum sie sich höhere Steuern für sich und andere Reiche wünscht und warum sie überzeugt ist, dass die Ungleichheit in Deutschland die Demokratie bedroht.
Chris Vielhaus:
Wann hast du davon erfahren, dass dir irgendwann ein großes Erbe in den Schoß fallen wird?
Stefanie Bremer:
Zum ersten Mal konfrontiert mit dem Reichtum meiner Familie war ich so etwa mit 13 Jahren. Wie beträchtlich die Summen sein werden, habe ich dann aber erst mit Mitte 20 erfahren.
Von wie viel Geld sprechen wir da?
Stefanie Bremer:
Mein Steuerberater sagt, mein Vermögen beträgt um die 10 Millionen Euro. Das heißt nicht, dass ich so viel Geld auf dem Konto habe, sondern dass mir unter anderem Unternehmensanteile oder das Haus, in dem ich wohne, gehören.
War dir damals schon bewusst, wie privilegiert du damit bist? Oder war das in deinem Umfeld normal?
Stefanie Bremer:
Ich habe das große Glück, dass meine Eltern es meinen Geschwistern und mir ermöglicht haben, relativ normal aufzuwachsen. Wir haben öffentliche Schulen besucht, insofern waren meine Klassenkamerad:innen nicht überwiegend aus dem vermögenden Milieu. Die Unterschiede habe ich dann erst bemerkt, als wir nach den Ferien von unserem Urlaub berichtet haben: Wir waren zum Beispiel in Kanada, der Rest eher so an der Ostsee oder vielleicht in Italien. Da habe ich zum ersten Mal wahrgenommen, dass es hier schon einen Unterschied gab.
War das unangenehm?
Stefanie Bremer:
Es wäre jetzt vermessen zu sagen, »Oh, das war ganz schwierig für mich«, dass ich Zugang zu etwas hatte, was die anderen nicht hatten. Besonders als Kind will man ja nicht unbedingt aus der Gruppe herausstechen. Das hat dann dazu geführt, dass ich von solchen Erlebnissen dann einfach nicht mehr erzählt habe. Trotzdem hat es mich beschäftigt. Die Frage für mich war, was ich aus dieser Ungleichheit für Schlüsse ziehen kann.
Denkst du, dass du heute bei Taxmenow aktiv wärst, wenn du in der Schule nicht dieses realistische Bild von dem bekommen hättest, was »normal« ist?
Stefanie Bremer:
Möglicherweise nicht, nein.
Wie bist du dann nach diesen ersten Erfahrungen mit Ungleichheit zu Taxmenow gekommen?
Stefanie Bremer:
Mit ungefähr 16 hatten wir in der Schule Gemeinschaftskunde. Wir kamen dann irgendwann in der jüngeren Geschichte an, lasen Zeitung und setzten uns mit dem Weltgeschehen auseinander. Das haben wir dann auch in der Familie thematisiert. Irgendwann wurde mir bewusst: Ich werde künftig durch mein Erbe über große finanzielle Mittel verfügen – und dieses Wissen verunsicherte mich. Was machen ich damit? Was ist das Richtige?
Als ich mich mit diesen Fragen auseinandergesetzt habe, haben meine Eltern mich zur mitgenommen. Hier treffen sich über 200 vermögende Stifter:innen, zu denen ich inzwischen auch zähle. Das Ziel: Das eingebrachte Geld in demokratischen Prozessen an Organisationen zu verteilen, die sich für einen Systemwandel einsetzen. Dort gibt es dann immer wieder Raum für Begegnungen von Menschen mit und ohne Vermögen, die sich auf Augenhöhe austauschen. Das war und ist wahnsinnig prägend für mich.
Vor der Bundestagswahl 2021 kam dann aus dem Umfeld der Stiftung, unter anderem von einigen Aktivist:innen, der Impuls, eine Initiative zu starten, die sich für Steuergerechtigkeit starkmacht. So entstand Taxmenow.
Taxmenow
Unter dem Dach von »Taxmenow« engagieren sich 59 vermögende Menschen, um sich für mehr Steuergerechtigkeit einzusetzen. Das Ziel der 2021 gegründeten Initiative ist es, reiche Menschen durch eine höhere Besteuerung mehr an den Kosten des Gemeinwesens zu beteiligen.
Jetzt setzt du dich dafür ein, dass du und andere vermögende Menschen höher besteuert werden. Dabei ist die Bewegungsstiftung doch eigentlich ein gutes Beispiel dafür, dass einige reiche Menschen einen Teil ihres Geldes auch freiwillig . Was entgegnest du Kritiker:innen, die mit dem Verweis auf Charity höhere Steuern für Reiche ablehnen?
Stefanie Bremer:
Das Problem an Philanthropie ist ja gerade das Element der Freiwilligkeit bei gleichzeitiger Abwesenheit von demokratischer Entscheidungsfindung. Das bedeutet, dass hier eine oder wenige Personen entscheiden: Sie entscheiden allein, was das Problem und wer betroffen ist. Sie entscheiden allein, was die bestmögliche Lösung ist. Sie entscheiden allein, wie viel Geld sie in Projekte stecken – und wann sie damit wieder aufhören.
Das heißt: Es gibt eine massive Abhängigkeit derjenigen, die betroffen sind, von denjenigen, die das Geld haben. Das ist alles andere als demokratisch. Es ist auch nicht sozial und psychologisch gesund. Kein Mensch sollte abhängig sein von einem anderen Menschen und dessen »Güte« und Wohlwollen. Wir haben ein demokratisches System und eine gewählte Vertretung. Der obliegt die Aufgabe, für uns alle ein gutes Leben zu ermöglichen. Und jeder trägt dazu seinen Teil bei – da sollte es keine Einzelpersonen geben müssen, die freiwillig etwas dazugeben.
Die Zahl der Millionär:innen ist in Deutschland während der Coronapandemie so stark gestiegen wie noch nie: fast 200.000 Neu-Millionär:innen kamen hinzu, . Gleichzeitig wachsen die Schlangen vor den Tafeln auf bisher ungekannte Längen. Wie fühlst du dich als Millionenerbin, wenn du diese Bilder siehst?
Stefanie Bremer:
Für mich passt das natürlich überhaupt nicht zusammen. Es ist ganz klar, dass es in Deutschland nicht an Geld mangelt, um diese Situation zu beenden. Wir haben die Mittel und müssen uns keine Armut leisten. Das ist es aber, was wir tun. Zu behaupten, wir hätten nicht genügend Mittel, um Armut zu bekämpfen und die Menschen zu entlasten, die es gerade am meisten brauchen, ist nichts anderes als die Verleugnung der Realität. Die politisch Verantwortlichen schrecken ganz klar davor zurück, die kleine Minderheit der Hochvermögenden endlich stärker zur Kasse zu bitten.
Welche Maßnahme hältst du für am besten geeignet, um dieses Ziel zu erreichen?
Stefanie Bremer:
Ich denke, dass eine Reform hin zu einer Erbschaftsteuer, die ihren Namen verdient, am unkompliziertesten umzusetzen wäre. Die Steuer besteht bereits, wird auch erhoben, und es gibt ganz klare Handlungsanweisungen des Bundesverfassungsgerichts. Das hat nämlich bereits 2008 und 2016 geurteilt, dass die Erbschaft- und Schenkungsteuer in ihrer jetzigen Form .
Die Erbschaftsteuer endlich fair zu gestalten ist also nicht nur gerecht, sondern auch juristisch geboten. Eigentlich …
In einem Artikel aus dem Jahr 2018 haben wir versucht, die Vermögensungleichheit in Deutschland zu visualisieren. Die Zahlen in dem Video sind nicht mehr auf dem neuesten Stand, die Ungleichheit ist seither noch deutlich gewachsen. Dennoch kann die Animation helfen, die Dimension der Vermögen der Superreichen besser zu erfassen:
Woran scheitert eine Reform für eine gerechtere Erbschaftsteuer deiner Meinung nach?
Stefanie Bremer:
Unter anderem sicher auch an den Lobbyist:innen, die behaupten, diese Steuer würde den gesamten deutschen Mittelstand bedrohen und ihn zugrunde richten. Gegen diesen Unsinn müssten sich Politiker:innen klar positionieren. Fakt ist nämlich: Menschen, die einen Betrag unter 20 Millionen Euro erben, zahlen im Schnitt 25% Erbschaftsteuer abzüglich des Freibetrags. Menschen, die mehr als das erben, zahlen im Schnitt aber nur 0,9% – und das vor allem deswegen, weil hier Ausnahmeregelungen und Schlupflöcher genutzt werden.
Die Erbschaftsteuer und der fehlende politische Reformwille ist daher ein Paradebeispiel dafür, wie sehr Vermögen und Macht miteinander einhergehen. Ich erinnere daran, dass es im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 ganzseitige Anzeigen in Zeitungen, auf Plakatwänden und online von Lobbyorganisationen gab, die plakative Halbwahrheiten verbreitet haben. Etwa, dass . Das stimmt einfach nicht. Aber solche Kampagnen kann man sich einfach kaufen, wenn man genügend Vermögen in der Hinterhand hat. So wird politische Meinungsbildung offen manipuliert – und das kann sich eben nicht jeder leisten.
Ganz aktuell haben wir doch gerade das Beispiel von Herrn Lindner und dem ehemaligen Porschechef, der vor seinen Angestellten damit angibt, dass er während der Koalitionsverhandlungen von ihm stündlich auf dem Laufenden gehalten wurde. Das ist alles, nur nicht demokratisch! Interessenvertretung muss es geben, ja. Aber bitte für alle gleichermaßen – und nicht nur für die, die sich das Ohr des Finanzministers kaufen können.
Aber eigentlich ist es doch sehr offensichtlich, was dort passiert und wie auf diese Weise Geld in politische Macht umgemünzt wird. Sehen andere Hochvermögende aus deinem Umfeld das nicht als ungerecht an?
Stefanie Bremer:
Tatsächlich treffe ich außerhalb von Taxmenow gar nicht so viele reiche Menschen in meinem Alltag. Diejenigen, die ich treffe, sehen die Sache aber ganz anders. Sie argumentieren oft, sie hätten sich ihren Reichtum ja selbst erarbeitet und könnten besser mit Geld umgehen als der Staat. Wenn ich sie darauf hinweise, dass mit dem Reichtum auch viel politische Macht einhergehe, tun sie meist so, als ob das kein Problem sei.
Wenn sie zum Beispiel eine Stiftung einrichten, sind sie sicher, dass sie selbst ganz genau wissen, was gut für die Menschen ist. Aber selbst wenn das so wäre und im besten Fall einige Tausend Menschen profitieren – was ist dann mit den restlichen 82 Millionen?
Woher kommt das Bild vom raffgierigen Staat, der nicht mit Geld umgehen kann?
Stefanie Bremer:
Mir ist bewusst, dass ich jetzt ein wenig pauschalisiere, aber viele Menschen, die gegen eine höhere Besteuerung von Reichen sind, konsumieren sehr ähnliche Medien. Zum Beispiel das Handelsblatt oder die FAZ: beide sind sehr wirtschaftsnah und bilden verstärkt diesen Bereich des Meinungsspektrums ab. Man kann dann sehr schnell den Eindruck gewinnen, dass die Erbschaftsteuer der Erzfeind aller Unternehmen sei.
Was auch noch ein Faktor ist, der mir oft begegnet: Häufig polarisieren Fachkräfte wie Steuerberater und Rechtsanwälte in ihrem Umfeld bei solchen Themen sehr stark und erscheinen mir oft sehr voreingenommen gegenüber dem Staat. Das prägt unheimlich, ich engagiere solche Fachkräfte schließlich, um in Geldfragen informiert zu werden. Wenn mir dann möglicherweise erklärt wird, dass Steuern »pervers« seien, ist es kein großer Schritt, so etwas wie eine Erbschaftsteuer als Gefahr einzustufen und sie bekämpfen zu wollen.
Stefanie Bremer setzt sich bei Taxmenow für ein gerechteres Steuersystem ein.
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Quelle:
Matthias Ziegler
Gegner:innen der Erbschaftsteuer argumentieren häufig, dass sie ihre Firma an ihre Kinder vermachen wollen. Wie sieht das bei dir aus, willst du das überhaupt?
Stefanie Bremer:
Im Moment strebe ich nicht danach, das Unternehmen meiner Eltern zu übernehmen, weil ich dafür schlicht nicht qualifiziert bin. Ich halte aber per se überhaupt nichts davon, wenn jemand aufgrund seines Nachnamens und nicht wegen seiner Qualifikation eingestellt wird.
Viel wichtiger ist aber der Punkt, dass eine echte Erbschaftsteuer nicht dafür sorgt, dass ein Unternehmen nicht weitergeführt werden kann. Es wird zwar gerne behauptet, dass viele Firmen im Erbfall dichtmachen müssten, das stimmt aber nicht. Da gibt es diverse Möglichkeiten, um das sauber über die Bühne zu bekommen, etwa indem frühzeitig Rücklagen für die Steuer gebildet werden oder sie in Raten gezahlt oder gestundet wird. Ich erlebe aber viel öfter, dass das für die Firmeneigner:innen gar nicht das Problem ist.
Sondern?
Stefanie Bremer:
Oftmals geht es nicht um die Frage, ob sie können, sondern ob sie wollen. Das Argument ist dann: »Ich möchte das nicht, weil der Staat das nicht verdient hat.« Hier kommen wir zurück zur Freiwilligkeit: Jeder, der gegen Lohn arbeitet, hat auch keine Wahl, ob er seine Steuern bezahlt, die werden direkt mit der Gehaltsabrechnung abgezogen. Warum gibt es also an anderer Stelle Freiwilligkeit und geduldete Schlupflöcher?
Du forderst aber nicht nur eine faire Erbschaftsteuer. Was ist deiner Meinung nach noch zu tun?
Stefanie Bremer:
Wir als Taxmenow haben uns auf 5 zentrale Forderungen geeinigt, die wir für absolut umsetzbar halten. Erstens: Wir wollen, dass die Vermögensteuer wieder erhoben wird. Formal gibt es die ja sogar noch, sie wurde 1996 lediglich ausgesetzt. Auch hier hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass die Bewertungsmaßstäbe von der Politik angepasst werden müssen, es gilt also für die Regierung, einfach die Arbeit daran aufzunehmen. Zweitens müssen die Ausnahmen bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer deutlich reduziert werden, denn diese begünstigen insbesondere die Reichen massiv.
Hast du dafür ein Beispiel?
Stefanie Bremer:
Wenn ich jetzt 30 Wohnungen erben würde, dann müsste ich darauf . Würde ich stattdessen aber 300 Wohnungen erben, dann wird das Finanzamt fast automatisch annehmen, dass es sich hier sehr wahrscheinlich um ein Wohnungsunternehmen handelt, womit mein Erbe dann als Betriebsvermögen gelten würde – und schon fällt die Erbschaftsteuer weg.
Was sind die weiteren Punkte?
Stefanie Bremer:
Drittens ist da noch die ungleiche Besteuerung von Arbeitslohn und Kapitalerträgen. Wer für sein Geld arbeitet, muss es progressiv versteuern, das heißt: Je mehr ich verdiene, desto mehr zahle ich. Wer aber sein Geld für sich arbeiten lässt, zahlt pauschal 25%, egal wie hoch der Ertrag ist. Wer hat sein Geld vermehrt in Kapitalanlagen geparkt? Menschen, die viel Geld haben. Wer hat das nicht? Menschen, die ihren Lebensunterhalt überwiegend durch Arbeit erwirtschaften. Deswegen wäre es nur fair, die Kapitalerträge auch progressiv zu besteuern: Je mehr dabei rumkommt, desto höher sollte auch der Steuersatz sein.
Wir wünschen uns zudem eine offene Diskussion über eine einmalige Vermögensabgabe, unter anderem um die Coronaschulden zu tilgen. Und zu guter Letzt wünschen wir uns eine bessere Ausstattung der Finanzämter, damit sie unabhängig ermitteln können und effektiv gegen Steuervermeidung und Steuerflucht tätig werden können. Skandale wie »Cum Ex« oder Wirecard darf es nicht geben und sind schlicht nicht hinnehmbar. Warum wird Einkommen aus Arbeit mitunter höher besteuert als Vermögen?
Wenn ich mit Menschen spreche, die nicht vermögend sind, sagen die immer: Wenn ich mir eine Kleinigkeit zu Schulden kommen lasse, dann habe ich sofort ein Schreiben vom Finanzamt im Briefkasten. Das ist schon bezeichnend. Es ist eben einfacher, bei einem kleinen Selbstständigen etwas anzumahnen als bei einem großen Firmenkonstrukt.
Ihr seid jetzt bei Taxmenow mit 59 Vermögenden angetreten, um auf diese Maßnahmen hinzuwirken. Das ist aber angesichts der 1,63 Millionen Millionär:innen in Deutschland doch eine krasse Minderheit. Wie schätzt du eure Chancen ein, hier etwas zu erreichen?
Stefanie Bremer:
Das ist ja an sich gar nicht entscheidend. Klar ist doch: Die reichen Menschen sind die Minderheit in Deutschland. Wir müssen nicht sie überzeugen, sondern eine gesellschaftliche Mehrheit – und diese dann auch an die Wahlurne kriegen. Dann können wir auch Veränderungen schaffen – dafür sind wir nicht auf die Reichen angewiesen.
Warum hat es diese Mehrheit deiner Meinung nach bisher nicht gegeben?
Stefanie Bremer:
Es gibt diese enorm mächtige Erzählung des Selfmade-Millionärs: Wenn ich mich nur mehr anstrenge, dann kann ich es auch hoch zu denen da oben schaffen. Das war vielleicht vor 50 Jahren der Fall, das ist heute aber definitiv nicht mehr so. In Pandemiezeiten hieß es dann auch noch oft: Wir sitzen alle im selben Boot. Auch da muss ich antworten: Nein, ganz sicher nicht. Wenn eine Frau Klatten als reichste Frau Deutschlands ihre Mitarbeitenden in Kurzarbeit schickt, im gleichen Jahr aber eine Dividendenauszahlung von 40 Millionen Euro bekommt, dann ist das nicht das gleiche Boot.
Aber die Erzählung davon, dass man alles schaffen kann, wenn man sich nur genug reinhängt, bleibt. Auch, weil sie verführerisch ist und suggeriert, dass man sein finanzielles Schicksal in den eigenen Händen hat. Auch wenn es deprimierend ist: Das stimmt aktuell einfach nicht – aber wir müssen alles dafür tun, dass wir da wieder hinkommen.
Es bleibt noch ein letztes vermeintliches Totschlagargument, das immer wieder genutzt wird, wenn es um eine fairere Verteilung der Steuerlast geht: Wenn wir das wirklich machen, dann fliehen alle Menschen mit Geld ins Ausland. Was sagst du dazu?
Stefanie Bremer:
Sicher, diese Gefahr besteht immer, aber sicher nicht in dem monströsen Ausmaß, wie es uns gerne glauben gemacht wird. Trotzdem ist natürlich das große Ziel, dass nicht nur Deutschland die Steuerlast fairer verteilt, sondern mindestens die gesamte EU. Deswegen sind wir mit Taxmenow auch vernetzt und arbeiten zum Beispiel mit den aus Dänemark zusammen, die die gleichen Ziele verfolgen wie wir. Logisch müssen wir möglichst global denken und handeln – das sollte uns aber nicht davon abhalten anzufangen.
Taxmenow hat eine Petition gestartet, um der Forderung nach mehr Steuergerechtigkeit mehr Gewicht zu verleihen. Bisher haben über 80.000 Menschen unterzeichnet. Hier findest du die Petition.
Mit Illustrationen von
Frauke Berger
für Perspective Daily
Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit hat wenig Reibungspotenzial: Wer würde schon ernsthaft behaupten, für weniger Gerechtigkeit zu sein? Chris zeigt, wie das konkreter geht. Dafür hat er erst Politik und Geschichte studiert und dann als Berater gearbeitet. Er macht die Bremsklötze ausfindig, die bei der Gesundheitsversorgung, Chancengleichheit und Bildung im Weg liegen – und räumt sie aus dem Weg!