5 Serien, die wir gerne viel früher gesehen hätten
Alltagsrassismus erkennen, Autismus verstehen, Gefühle zeigen: Diese Shows haben uns viel gelehrt und hätten uns besser auf das Leben vorbereitet, wenn wir sie schon mit Anfang 20 gekannt hätten.
Ein Großteil unseres Lebens ist heute durch den Konsum von Medien bestimmt. Wir verbringen mehr Zeit vor Bildschirmen als je zuvor. Natürlich geht das nicht spurlos an uns vorbei – ganz im Gegenteil. So sind auch Filme und Serien viel mehr als nur schnöde Unterhaltung. Um das zu überprüfen, brauchst du nicht auf Goethes Roman »Die Leiden des jungen Werthers« zurückzugreifen, dessen Veröffentlichung im 18. Jahrhundert eine kulturelle Welle in der europäischen Jugend nach sich zog. Menschen kleideten sich wie der leidende Protagonist, ahmten seine Emotionalität nach und manche Jugendliche folgten der fiktiven Figur sogar in den Freitod. Heute reicht allein die Frage »Wie fandest du das Ende von Game of Thrones?« bei vielen schon aus, um ganz reale Gefühle zu erzeugen und starke Meinungen hervorzulocken.
Die Forschung hat längst bestätigt,
Ob das stimmt, kannst du einfach selbst ausprobieren. Frage dich mal: Ohne welche Serie aus deiner Jugend wärst du heute ein anderer Mensch?
Ganz gleich, was deine Antwort ist: Du warst damit sicher nicht allein. Doch manches war damals, als »wir« (der Großteil unserer Redaktion ist Mitte 30) noch jung waren, einfach undenkbar im Fernsehen. Inzwischen gibt es viel aufgeklärtere Fernsehproduktionen. Manche von ihnen lieben wir und wollen sie euch ans Herz legen. Denn eigentlich hätten wir diese Serien am liebsten schon als Jugendliche oder mit Anfang 20 gesehen …
Lustige Aufklärung statt Sonnenöl und Körperkult: »Sex Education«
von Benjamin FuchsIm Jahr 2000 wurde ich 20 Jahre alt. In meiner Jugend haben mich Serien wie »Eine schrecklich nette Familie«, »Hör mal, wer da hämmert« oder »Baywatch« begleitet. US-amerikanische Vorstadthölle auf der einen, der Strand von Malibu auf der anderen Seite. Alle haben sie
Wir waren voller Abenteuerlust, aufgeklärt vom Dr.-Sommer-Team der Bravo und verunsichert bis verklemmt. Statt »Baywatch« hätte ich damals eher so etwas wie »Sex Education« gebraucht. Eine Serie, in der Schauspielerin
Otis selbst hat dabei noch keine nennenswerten Erfahrungen abseits der eigenen Körpererkundung gesammelt. Kein Charakter dieser Serie ist zufällig da, sondern verkörpert gesellschaftliche Debatten, Probleme und Beziehungskonstellationen.
Da ist zum Beispiel Lily, eine junge Frau, die von Sex mit Außerirdischen phantasiert und schließlich Glück in einer lesbischen Beziehung findet. Otis’ offen homosexueller bester Freund Eric hat liebevolle Eltern, die aus Nigeria kommen, die Sexualität ihres Sohnes der Großfamilie im Heimatland aber verheimlichen. Jackson, der erfolgreiche Schwimmer aus dem Schulteam, hat lesbische Eltern und verliebt sich in einen Menschen, der sich als
Alle erleben Liebesglück und Liebeskummer, Verletzung, Verunsicherung. Es gibt unbeholfenen, erfüllenden, enttäuschenden und auch mal gar keinen Sex. Trotz aller sonstigen Unterschiede ist das bei allen ziemlich ähnlich. Als würde die Serie sagen wollen: »Das alles gibt es und es ist Teil des Lebens. Manchmal wird am Ende (nicht) alles gut – und das muss nicht an dir liegen.« Die Themen werden sehr leicht und mit vielen absurd-komischen Szenen erzählt. »Sex Education« hätte vielen Teenagern zur Jahrtausendwende ziemlich gut getan.
Die Serie »Sex Education« läuft bei Netflix.Die vielen Facetten von Rassismus: »Dear White People«
von Lara MalbergerIch gebe zu: Nach Feierabend gucke ich oft Serien, bei denen ich so richtig abschalten kann – keine anspruchsvollen Doku-Reihen, sondern Coming-of-Age-Dramen, Krimi- oder Krankenhausserien. Manchmal ärgere ich mich nach dem Anschauen dann trotzdem, wenn ich daraus so gar nichts mitnehme. Klingt komisch, ist aber so.
Ein »Es war nicht so gemeint« reicht nicht als Entschuldigung für rassistisches Verhalten.
Ein richtiger Serien-Jackpot ist es für mich deshalb, wenn eine Show kurzweilig erzählt ist und mir gleichzeitig etwas beibringt – Feierabendkost mit Lerneffekt quasi. So eine Serie ist »Dear White People« (zu Deutsch: »Liebe weiße Mitmenschen«). In der
Im Laufe der ersten Staffel werden viele der Probleme aufgegriffen, die auch in Deutschland in der Diskussion um Rassismus immer wieder aufkommen. Angefangen bei einer
Die Serie habe ich zu einem Zeitpunkt geschaut, an dem ich mich gedanklich schon etwas mehr mit (Alltags-)Rassismus auseinandergesetzt hatte – trotzdem habe ich noch eine Menge gelernt. Wer selbst schon sehr tief im Thema steckt, für den wird vieles wahrscheinlich nicht überraschend sein. Wer aber noch am Anfang der Thematik steht oder sich noch gar nicht aktiv mit dem eigenen Rassismus oder dem Umgang mit Alltagsrassismus auseinandergesetzt hat, der kann in »Dear White People« auf unterhaltsame Art und Weise eine Menge lernen und einen leichten Einstieg ins Thema finden.
Gerade deshalb hätte ich die Serie gerne schon früher gesehen. Ich bin mir sicher, dass sie mir auch schon in der Schulzeit gefallen hätte – zu einer Zeit, in der ich noch recht wenig dazu wusste und genau so eine Serie gebraucht hätte. Es ist ein Thema,
Zum Weiterlesen empfehle ich dir diesen Text von meinem Kollegen Benjamin, der sich hier mit seinen Privilegien als »weißer« Mann auseinandergesetzt hat:
Auch die härtesten Männer weinen: »Die Sopranos«
von Chris VielhausEine große Villa mit Pool, schicke Autos und beste italienische Küche – der Mafiaboss Tony Soprano führt auf den ersten Blick ein angenehmes Leben. Trotz seines Jobs, der Härte und Führungskraft von ihm verlangt, entdeckt er zu Beginn der Serie seine weiche Seite. Jeden Morgen erfreut er sich an einer Entenfamilie, die einen regelmäßigen Abstecher in den schicken Pool hinter seinem Haus macht. Doch eines Tages kommt es zu einem unerwarteten Schlag, der den abgebrühten Paten zu brechen scheint: die Enten; sie kommen nicht mehr.
Und Tony verzweifelt, erleidet Panikattacke um Panikattacke, doch er ist zunächst unfähig zu verstehen, was mit ihm passiert und was falsch läuft in seinem Leben. Er beginnt eine Psychotherapie, heimlich natürlich, denn ein abgebrühter Mafioso hat so etwas natürlich nicht nötig. Dieses Spannungsfeld mit all seinen Wirrungen und Erkenntnissen allein reicht für mich, um in den Chor der Menschen einzustimmen, die »Die Sopranos« als eine der genialsten Serien überhaupt loben.
Die erste Folge von »Die Sopranos« auf Youtube:
Hätte ich sie schon früher gesehen, hätte ich direkt verstanden, was mit mir geschah, als ich mit Ende 20 meine erste Panikattacke erlebte. Und ich hätte mir dann umso eher eingestanden, was für mich heute absolut selbstverständlich ist: Auch Männer dürfen Schwäche zeigen und Hilfe annehmen – je früher, desto besser. Dinge wie diese in einer Psychotherapie zu lernen ist alles andere als Schwäche, sondern zeugt von der Stärke, die eigenen Probleme anzuerkennen. Und an ihnen zu wachsen.
Ach ja: Abseits davon lehren »Die Sopranos« noch so viel mehr. Die Serie erzählt von intergenerationalen Konflikten, den Auswirkungen toxischer Erziehungsmuster, Missbrauch, Sexismus, Homophobie – und natürlich von der hässlichen Fratze der Gewalt, die das nüchtern-unromantisch dargestellte Gangsterleben mit sich bringt.
Die Serie »Die Sopranos« läuft unter anderem bei Amazon Prime.Du bist in einer Krisensituation und benötigst Hilfe? Dann klicke hier!
- Befindest du dich in einem Notfall, hast du beispielsweise Suizidgedanken? Dann zögere nicht und wähle den Notruf (112) oder wende dich an das Krisentelefon (0800-1110111 und 0800-1110222). Ein muslimisches Seelsorgetelefon ist rund um die Uhr unter 030-443509821 erreichbar.
- Die Terminservicestellen der KBV können einen ersten Termin in einer psychotherapeutischen Sprechstunde vermitteln – in den meisten Fällen innerhalb von 4 Wochen. Liegt eine psychische Krise vor, kann in der Sprechstunde auch eine Akutbehandlung verordnet werden. Mehr Informationen dazu findest du hier.
- Auch Hausärzt:innen, Psychiater:innen oder Psychotherapeut:innen können erste Ansprechpartner:innen bei psychischen Problemen sein. Wer psychische Beschwerden hat, sollte immer auch checken lassen, ob sich diese körperlich erklären lassen: etwa durch eine Hormonstörung. Wer keine Ärzt:innen kennt, an die er oder sie sich wenden kann, kann diese beispielsweise über die weiße Liste finden: www.weisse-liste.de
- Die Sozialpsychiatrischen Dienste sind eine weitere Anlaufstelle. Sie sind bei den Gesundheitsämtern angesiedelt und können kostenlos in Anspruch genommen werden. Sie bieten selbst keine Therapie an, betreuen und begleiten aber Menschen mit psychischen Erkrankungen zusätzlich. Auch Angehörige, Freund:innen und Kolleg:innen können sich an den Sozialpsychiatrischen Dienst wenden, wenn sie das Gefühl haben, dass jemand in ihrer Umgebung Hilfe benötigt.
- Psychosoziale Beratungsstellen sind zum Beispiel Familien-, Frauen-, Erziehungs-, Lebens- oder Suchtberatungsstellen. Dort arbeiten Mitarbeiter:innen unterschiedlicher Berufsgruppen wie Ärzt:innen, (Sozial-)Pädagog:innen, Psycholog:innen, Psychotherapeut:innen, Sozialarbeiter:innen oder auch speziell geschulte Pflegekräfte zusammen, um Ratsuchenden bei ihren Problemen zu helfen.
- Auch Selbsthilfekontaktstellen können Hilfe bieten. Selbsthilfegruppen ersetzen zwar keine Therapie, aber gerade Menschen, die bereits eine Therapie hinter sich haben, kann es helfen, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen – und das zu festigen, was sie in der Therapie gelernt haben. Manchen Menschen helfen die Gespräche mit anderen Betroffenen auch während der eigenen Therapie. Eine Selbsthilfegruppe in deiner Nähe findest du zum Beispiel hier: www.nakos.de
Die Welt, die wir verhindern müssen – »Cyberpunk: Edgerunners«
von Dirk WalbrühlEs ist gut zu wissen, welche Zukunft wir verhindern möchten. Eine solche Zukunft wird in der neuen Netflix-Serie »Cyberpunk: Edgerunners« skizziert. Die Serie schreibt das Jahr 2077. Hollywood wird zu Night City, einer futuristischen Stadt aus Neonlicht, Straßenschluchten und Dauerwerbung.
Die großen Konzerne – hier »Arasaka« oder »Millitech« und nicht Google – beherrschen die Welt und überziehen jeden Block der Stadt mit Desinformationen.
Es ist eine Welt, die jede Bodenhaftung verloren hat und in der zur Frage steht, was es noch heißt, menschlich zu sein. Die Bewohner:innen kompensieren ihre Unsicherheiten und Ängste in einem brutalen System, indem sie Organe mit Maschinenteilen austauschen. In dieser Welt ist die Person schlauer, stärker, schneller, besser, die ein solches Maschinenimplantat bezahlen kann.
Protagonist David versucht, daraus auszubrechen. Nachdem seine fürsorgliche Mutter in einem Bandenkrieg erschossen wird, schließt er sich sogenannten Cyberpunks an, einer liebenswerten Bande von Kleinkriminellen. Doch auch die können der Dystopie nicht entkommen. Denn sie folgen den ungeschriebenen Regeln von Night City, sprechen gewalthaltige Sprache (am besten im englischen Original!), lieben ihre Waffen und Implantate. Sie versuchen, ihrem Leben mit Adrenalin Sinn zu geben.
Nein, die Serie geht nicht gut aus – und das ist konsequent. Denn was sich hinter schicker Anime-Optik und Action-Geballer verbirgt, ist beißende Kritik und eine Warnung vor einer Welt, in der Technologie und Konzerninteressen keine Grenzen mehr gesetzt sind. Hätte ich sie bereits in meiner Jugend gesehen, hätte ich ein konkretes Bild vor Augen gehabt, wogegen ich in meinen Texten über Technologie, Überwachung und Regulierung heute anschreibe.
Denn vieles, was »Cyberpunk: Edgerunners« skizziert, lässt sich in Ansätzen auch 2022 finden: Technologieglaube, Gewaltsprache, übermächtige Konzerne, klaffende Einkommensscheren, mangelnde Empathie, Entmenschlichung. Es liegt an uns allen,
Lerne mehr über Autismus und Pinguine: »Atypical«
von Désiree SchneiderSam ist 18 Jahre alt und liebt Pinguine, besonders den Kinnriemen-Pinguin. Außerdem sehnt sich der US-amerikanische Highschool-Schüler nach einer sexuell-romantischen Beziehung. Es fällt ihm allerdings nicht so leicht, neue Menschen kennenzulernen. Denn Sam Gardner ist Autist. Deshalb fürchtet er sich vor sozialen Situationen. Menschenmassen und unangenehme Geräusche können bei ihm Angstzustände auslösen. In solchen Situationen macht er dicht und versucht, sich mit einer mantrischen Aufzählung von Pinguinarten zu beruhigen: »Schopfpinguin, Brillenpinguin, Gelbaugenpinguin […].« Solche einstudierten Rituale, ein geordneter Tagesablauf, seine liebenden Eltern und die jüngere Schwester Casey helfen ihm dabei, seinen Alltag zu meistern. Der natürlich alles andere als ruhig ist.
Andere Menschen durch Filme und Serien besser verstehen
Die Netflix-Serie »Atypical« begleitet Sam, seine Familie und Freund:innen in 4 Staffeln durch ihren Lebensalltag, ihre Höhen und Tiefen, Ängste und Freudenmomente. Dabei stellt sie Sam nicht als »komischen Autisten« oder als Witzfigur dar, wozu Figuren aus dem autistischen Spektrum oft herhalten müssen. Sondern die Serie präsentiert Sam als ganz normalen Jungen, der erwachsen wird – inklusive vieler lustiger Situationen und peinlicher Momente, die wir aus anderen Coming-of-Age-Serien kennen.
Bevor ich die Serie gesehen habe, habe ich kaum etwas über Autismus gewusst – und auch meine Pinguin-Kenntnisse waren viel dünnschichtiger, als ich vermutet hätte. Erst nachdem ich alle 4 Staffeln vergangenes Jahr in nur kurzer Zeit verschlungen hatte, ist mir klar geworden, dass eine meiner langjährigen Freundinnen wahrscheinlich Autistin ist. Etwas, was in ihren kulturellen, familiären Umständen totgeschwiegen wird. Es hat mir geholfen, sie besser zu verstehen – und ich wünschte mir, die Serie schon viel früher gesehen zu haben.
Nun, da ich mich mehr mit dem Thema beschäftigt habe, weiß ich, dass »Atypical« nur einen Ausschnitt des autistischen Spektrums zeigt und sich hier und da auch der Stereotype bedient. Doch sie ist ein erhellender Einstieg in das Thema für alle, die nicht viel über Autismus wissen, und gibt mit etwas Humor Einblicke in ein Familienleben, das von ganz eigenen Problemen geprägt ist: die Mutter, die so fürsorglich ist, dass die Ehe leidet; der Vater, der noch immer nach einer Bindung zu seinem Sohn sucht; und die Schwester, die sich wegen des familiären Fokus auf ihren Bruder manchmal unbeachtet fühlt. Es sind Probleme, womit wir alle etwas anfangen können und die uns Anknüpfungspunkte geben, Lebensrealitäten besser zu verstehen, die nicht unsere sind.
Die Serie »Atypical« läuft bei Netflix.Für die meisten Menschen ist Autismus »nur« eine Krankheit. Höchste Zeit, das zu überdenken, findet unsere Gastautorin Annika Eßmann:
Redaktionelle Bearbeitung: Dirk Walbrühl und Désiree Schneider
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily