4 überraschende Grafiken, die deinen Blick auf das Plastikmüllproblem verändern
China nimmt Europas Abfall nicht mehr an. Was stattdessen damit geschieht.
Jeden Abend kehrte der seltsame Geruch zurück. Er kroch durch die Fenster und Ritzen von Daniel Tays Haus, brachte ihn um den Schlaf, setzte sich in seinen Lungen fest. Ein beißender Geruch wie verbranntes Gummi. »Ich begann mich unwohl zu fühlen und musste ständig husten«, sagte der Malaysier im Februar 2019 gegenüber der Britischen Rundfunk- und Fernsehanstalt (BBC).
Das Dorf Jenjarom liegt unweit von Port Klang, Malaysias größtem Hafen. Nachdem China 2018 den Import von giftigen und unsortierten Plastikabfällen verboten hatte, landeten dort die ungewollten Müllexporte der Europäischen Union. Das Müllsystem in Malaysia war mit den wachsenden Bergen an größtenteils dreckigen und nur schwer recycelbaren Kunststoffen jedoch überfordert. Normalerweise sollen die malaysischen Abfallunternehmen diese vor Ort aussortieren und sie an spezielle Abfallzentren schicken. Das ist allerdings teuer. Also haben sich vielerorts in Malaysia Fabriken gegründet und Gruppen zusammengefunden, die für kleines Geld das Plastik illegal verschwinden lassen – vergraben oder offen verbrennen.
Wie es überhaupt so weit kommen konnte
In den 50er-Jahren war so ein Szenario noch undenkbar. Damals waren Kunststoffe kostbare Güter,
Das ist bis heute so. Was anders ist: Heute sind Plastikmüllexporte und ihre Auswirkungen ein großes öffentlichkeitswirksames Thema. Medien berichten, wie Länder ohne entsprechende Recyclingsysteme von Plastik überschwemmt werden, von Folgeschäden auf Umwelt und Gesundheit. Umweltschutzorganisationen aus aller Welt fordern Exportverbote: »Ärmere Länder sind keine Müllhalde für die Reichen.« Endlich ist diese Botschaft in der Weltpolitik angekommen.
Seit der Veröffentlichung des BBC-Artikels hat sich im Exportgeschäft einiges verändert. Hier sind 4 Grafiken, die zeigen, was sich zum Besseren entwickelt hat, und die das Plastikexportproblem in ein neues Licht rücken.
1. Es wird immer weniger Plastikmüll gehandelt
Seit 7 Jahren gehen die Zahlen der weltweiten Im- und Exporte von Plastikmüll rapide zurück. Seit dem letzten Höhepunkt im Jahr 2010 ist deren Menge um 2/3 gesunken. Wurden 2014 noch über 15 Millionen Tonnen Plastikmüll gehandelt, waren es 2021
Auch Deutschland,
Betrachten wir die 4,5 Millionen Tonnen nun in einem größeren Kontext: Weltweit fallen jährlich rund 300 bis 400 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle an,
Natürlich sind auch diese Zahlen nicht in Stein gemeißelt. Es gibt keine offizielle Zahl, wie viel Kunststoffmüll 2021 genau angefallen ist, und die Handelsstatistik der Vereinten Nationen, von der die Übersicht stammt, zählt nur Plastikmüll,
2. Das Geschäft mit Plastikmüll wird stärker reguliert
Bis 2016 wurde geschätzt die Hälfte der globalen Müllexporte nach China geschippert, um dort sortiert und weiterverarbeitet zu werden – oder auf ewig zu lagern. China hat für den Müll bezahlt, um sich die besten Materialien herauszuziehen und für die Herstellung eigener neuer Produkte zu verwenden. Die Masse an eingeführtem Plastik wurde über die Jahre jedoch immer größer und die Qualität schlechter, da die Exportländer besser im Vorsortieren wurden. Sie schickten nur noch die wirklich unbrauchbaren Abfälle fort.
Also schob China stufenweise den Riegel vor, neben Plastikimporten auch für andere Abfälle wie Papier und Textilien. Seit 2018 dürfen nur noch saubere, vorsortierte und überwiegend recycelbare Kunststoffabfälle in China angenommen werden. Damit will das Land seine Einwohner:innen vor Umwelt- und Gesundheitsrisiken
Chinas Regelung war eine Zäsur für die internationalen Recyclingmärkte. Vor allem Europa und Deutschland, die vorher ihren Müll dorthin ausgelagert hatten, mussten nach schnellen Lösungen suchen und fanden sie: in Malaysia, Vietnam, Indonesien, den Philippinen und der Türkei.
Nun bekamen diese Länder die 2% Plastikabfall – hauptsächlich Gewerbeabfälle –, die so schlecht sind, dass die Exportländer sie trotz ihrer modernen Mülltrennungs- und Weiterverarbeitungsanlagen nicht haben wollen. Das führt zu Situationen wie der, in der sich Daniel Tay im Jahr 2019 befand und die China seiner Bevölkerung nicht mehr zumuten will.
Chinas »Plastikimportverbot« hat einiges angestoßen, vor allem im asiatischen Raum. Importländer werden selbstbestimmter und auch Industrienationen übernehmen endlich Verantwortung. Hier sind einige Beispiele, was sich in den vergangenen 5 Jahren getan hat:
Da Südostasien Plastikmüll nun die Tore verschließt, fürchten
4. Die meisten Kunststoffabfälle bleiben auf dem Kontinent, auf dem sie anfallen
Nur etwa 2% des weltweit anfallenden Kunststoffmülls wird exportiert. Im Umkehrschluss heißt das: 98% bleiben in dem Land, in dem sie anfallen. Hinzu kommt, dass diese 2% auch meistens innerhalb von Kontinenten oder einer bestimmten Region gehandelt werden,
Die Visualisierung zeigt die größten Handelsbewegungen von Plastik auf der Welt. Auf der linken Seite sind die Exporteure von Plastikmüll zu sehen, auf der rechten Seite, wo er landet. Die Höhe der einzelnen Balken ist proportional zur Menge des gehandelten Kunststoffs.
Europa ist der größte Exporteur von Plastik, aber auch der größte Importeur. Viele Länder treiben Handel miteinander. Auf nationaler Ebene ist Deutschland der größte Exporteur und Importeur. Wir
Sollten Plastikmüllexporte komplett verboten werden?
Die Situation der Plastikmüllexporte hat sich im vergangenen Jahrzehnt zwar um einiges verbessert, doch das Problem ist noch lange nicht gelöst.
Malaysia hat seit Ende 2018 unzählige Containerladungen dreckiger und nicht recycelbarer Kunststoffabfälle abgewiesen und der Bundesstaat, in dem Daniel Tay lebt, hat weitere Plastikmüllimporte verboten. »Aber 3 Jahre später kämpft das Land immer noch damit, den Müll loszuwerden, der sich vorher angesammelt hat«, schreibt die Nachrichtenagentur der Regierung von Malaysia
So ergeht es nicht nur Malaysia, sondern allen Ländern, die keine belastbare oder eine kaum vorhandene Recyclinginfrastruktur haben. Genauso gelangt der Müll in die Umwelt, Wasserwege und ins Meer. Könnte ein globales Exportverbot für Plastikmüll etwas daran ändern?
Wir brauchen bessere Abfallwirtschaftssysteme
Nur bedingt. Das Ende des weltweiten Plastikmüllhandels könnte rund 5% der Plastikverschmutzung verringern, schätzt Hannah Ritchie,
Trotzdem haben sich Deutschland und andere Industrieländer über viele Jahre schuldig gemacht, indem sie ärmere Länder als Müllhalde für ihre nicht recycelbaren Abfälle benutzt und somit ihre Recyclingstatistiken geschönt haben. Denn: Gibt ein Importland an, den Müll recyceln zu wollen, gilt er in der deutschen Statistik als wiederverwertet, obwohl er vor Ort auf der Müllhalde landet. Ihre Bringschuld versuchen Länder wie Deutschland nun im Rahmen der Ausarbeitung eines globalen Plastikabkommens auszugleichen, an dem derzeit 175 UN-Staaten arbeiten.
Das Abkommen soll unter anderem konkrete Maßnahmen gegen den Plastikmüll treffen, der bereits an Land und im Meer die Umwelt verschmutzt, und eine finanzielle Unterstützung für ärmere Länder bereitstellen, um deren Abfallinfrastrukturen oder ein Müllsystem aufzubauen. Bis Ende 2024 sollen die Rahmenbedingungen des Abkommens stehen.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily